1. DIE PHYSIOLOGISCHE GESCHLECHTSENTWICKLUNG
Um die aktuellen Entwicklungen einordnen und Phänomene wie Intersexualität richtig bewerten zu können, muss im Blick behalten werden, wie Gott den Menschen geschaffen hat. Sonst können die großen anthropologischen Linien leicht aus den Augen verloren gehen und „Abweichungen“ (wie zum Beispiel Intersexualität) nur noch schlecht eingeordnet werden. Im Anschluss folgt ein Überblick über embryologische Grundlagen der Geschlechtsentwicklung. Darauf folgt eine Darstellung der wichtigsten Störungen der Geschlechtsentwicklung (engl. Disorder of Sex Development, abgekürzt DSD) die nur mit der Schöpfungsordnung und dem embryologischen Grundwissen im Blick sinnvoll eingeordnet werden könne.
Abbildung 1: Die ersten Tage der Entwicklung des wenige Tage alten Menschen von der Eizelle nach Eisprung bis zur Einnistung der befruchteten Eizelle in die Gebärmutterschleimhaut.
1.1 Gottes Schöpfungsordnung als Ausgangspunkt der Geschlechterdichotomie
Die maßgebliche Bibelstelle, welche die gottgewirkte Schöpfungsrealität des Menschen darstellt, steht in 1. Mose 1,26–27: „Und Gott sprach: Lasst uns Menschen machen nach unserem Bild, uns ähnlich; (…) Und Gott schuf den Menschen in seinem Bild, im Bild Gottes schuf er ihn; Mann (sachar) und Frau (nekewa) schuf er sie.“ (vergleiche 1. Mose 5,1–2; Matthäus 19,4) Hier wird eine der grundlegendsten Wahrheiten des biblischen Menschenverständnisses deutlich: Der Mensch existiert nicht neutral als Mensch, sondern nur als Mann und Frau. Einzig und allein auf diese beiden Weisen kann ein Mensch existieren, weil Gott es so geschaffen hat (erschaffen = hebräisch bara2). Nur in der Zusammenschau beider Geschlechter kann der Mensch als Mensch verstanden werden. Dieses Sosein des Menschen als Mann und Frau hat Gott gesegnet (1. Mose 1,28). Mit der Erschaffung des Menschen wird der sechstägige Schöpfungsakt finalisiert und alles für „sehr gut“ befunden (1. Mose 1,31). Eine dritte Option steht hier nicht zur Wahl. Mit den zwei Geschlechtern ist alles sehr gut. 1. Mose 1,27 ist die Basis und unser theologischer Ausgangspunkt, den wir nicht aus den Augen verlieren dürfen, wenn wir uns mit der Frage nach der Anzahl der Geschlechter auseinandersetzen. Da Gott es so verfügt hat, kann das Ergebnis logischerweise in der Naturwissenschaft auch nachvollzogen werden. Über die Jahrtausende und vor allem in den letzten Jahrhunderten wurde es den Naturwissenschaftlern geschenkt, ein wenig zu verstehen, wie Gott den Menschen geschaffen hat und worin die Geschlechtlichkeit biologisch begründet liegt. Um der Beantwortung der am Anfang aufgeworfenen Fragen näher zu kommen, müssen wir einen Blick in die Embryologie werfen – die Lehre der vorgeburtlichen Entwicklung, deren große Linien in den folgenden Abschnitten nachgezeichnet werden sollen.[3]
1.2 Der Beginn der Geschlechtsentwicklung
Kurz vor dem Startschuss zur Entwicklung eines neuen Menschen treffen zwei Keimzellen (Eizelle und Spermium) aufeinander. Diese vereinen sich zur Zygote, einer gemeinsamen Zelle (griechisch zygotos, durch ein Joch verbunden, zweispännig). Von dieser zusammengejochten Zelle wird ein wundersamer Prozess in Gang gesetzt, der aus einer einzelnen „einfachen“ Zelle einen komplexen Menschen hervorbringt. In dieser Zygote liegt die gesamte genetische Information (Chromosomen) vor, die in den folgenden Wochen durch unzählbar viele Zellteilungen auf alle Zellen kopiert wird (vergleiche Abbildung 1), bis dieser Mensch neun Monate später zur Welt kommt. Diese Entstehung des Menschen aus einer einzelnen Zelle wird verwirklicht durch etliche Regulationsprozesse und eine quasi unendliche Vielzahl einzelner Faktoren, die zum richtigen Zeitpunkt zusammengekommen sein müssen. Es ist ein Prozess, der an Komplexität kaum übertroffen werden kann und in der Tiefe nur von dem Einen verstanden werden kann (vergleiche Prediger 11,5), der alle Menschen „im Schoß (unserer) Mutter“ (Psalm 139,13) gewoben hat. Da bleibt einem nichts weiter übrig, als staunend mit den Worten aus Psalm 139,14 zu sprechen: „Ich danke dir dafür, dass ich erstaunlich und wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke, und meine Seele erkennt das wohl!“ Ein Teil der Entwicklung des Menschen ist die Entwicklung seines Geschlechts, bei der grob gesagt drei chronologisch aufeinander folgende Etappen (chromosomale, gonadale und phänotypische Entwicklung) durchlaufen werden, die am Ende die Basis für die Ausprägung des psychischen Geschlechts bilden (siehe Abbildung 2).
1.3 Ausprägung des chromosomalen Geschlechts
Das chromosomale Geschlecht ist mit der Befruchtung festgelegt. Entsprechend ist das Geschlecht, das zur Ausprägung kommen soll, mit dem Zustandekommen der Zygote festgelegt und wird in der weiteren Entwicklung realisiert.[4] Das Verhältnis zwischen chromosomalem Geschlecht und „angestrebtem Geschlecht“ gleicht der Ausführung eines vorher festgelegten Plans, der durch folgende Schritte umgesetzt werden soll. Ein Embryo in der fünften Woche, in der die Geschlechtsspezifizierung langsam beginnt, könnte sich potentiell (isoliert von der chromosomalen Vorgabe) in beide Richtungen entwickeln. Er kann „Mann“ oder „Frau“ werden. Die embryologische Anlage sowohl des inneren als auch des äußeren Geschlechts ist „bipotent“ (siehe Abbildung 3). Doch ab der fünften Woche werden konkrete Schritte eingeleitet, um aus einer neutralen, generellen Anlage das bereits bei der Zeugung festgelegte, chromosomale Geschlecht auszubilden. Das heißt nicht, dass der Embryo kein Geschlecht oder zwei Geschlechter hätte, denn das Zielgeschlecht ist im Chromosomensatz festgehalten. Für die weitere Ausprägung braucht es aber eine Richtungsangabe (männlich oder weiblich). Dafür wird auf die schon von Beginn an festgelegte Genetik rekurriert und ein spezifisches „Chromosomen-Signal“ abgefragt, wobei die genetische Information aktiv abgelesen und in Proteine umgesetzt wird, welche für die weitere Geschlechtsentwicklung notwendig und spezifisch für die individuellen Geschlechter sind. Dieses Signal bieten die beiden Geschlechtschromosomen X und Y. Sie sind Teil der insgesamt 46 Chromosomen des Menschen (23 verschiedene in doppelter Ausführung). Die Anzahl spielt dabei eine sehr wichtige Rolle. Abweichungen von der Norm werden Aberrationen genannt und sind oft Ursache von (Erb-)Krankheiten wie zum Beispiel die Trisomie 21 (Downsyndrom). Der vorliegende Chromosomensatz kann schnell und einfach durch die Nennung der Gesamtanzahl der Chromosomen mit Anfügung der beiden Geschlechtschromosomen beschrieben werden: 46, XX ist weiblich und 46, XY männlich.
1.4 Ausprägung des gonadalen Geschlechts
Ab der fünften Woche wird die Spezialisierung der Keimdrüsen (Gonaden), namentlich Hoden oder Eierstöcke, initiiert durch den Chromosomensatz, eingeleitet. Das spezifische Signal, das letztlich maßgeblich ist, ist das Vorliegen des Y-Chromosoms.[5] Wenn dieses Signal fehlt (zum Beispiel beim weiblichen Chromosomensatz XX), entwickeln sich automatisch weibliche Keimdrüsen. Dementsprechend wird der bipotente Embryo eine Frau, wenn das „Y-Signal“ fehlt. Liegt das Y-Chromosom jedoch vor, bewirkt das Signal die Auslösung einer Kaskade etlicher, komplexer Abläufe, die dann schlussendlich zur Ausprägung des männlichen Geschlechts führen (siehe Abbildung 4). Besonders relevant bei diesem hochkomplizierten Signalweg ist das sogenannte SRY-Gen.[6] Nach dessen Bauanleitung wird ein Enzym zusammengesetzt, das Hodendeterminierender Faktor (TDF) heißt.[7] Im Verlauf der Umsetzung des „Y-Programms“ wird auch noch ein weiteres Hormon, das Anti-Müller-Hormon, gebildet, das zur Rückbildung des Müller-Gangs („Anti- Müller“) und zur Ausbildung des Wolff-Gangs führt (vergleiche Abbildung 3). Dadurch entstehen Hoden, Nebenhoden, Samenleiter, Vorsteherdrüse et cetera – also die männlichen inneren Genitale. Ist das SRY-Gen nicht vorhanden (kein Y-Chromosom) oder nicht funktionsfähig (zum Beispiel durch eine Mutation), prägen sich stets (automatisch beziehungsweise passiv) die weiblichen inneren Geschlechtsorgane aus (Eierstöcke, Eileiter, Gebärmutter, Vagina).[8]
1.5 Ausprägung des somatischen Geschlechts
Sind die Keimdrüsen ausgeprägt, kommen sie bereits einer ihrer wichtigen Funktionen für den Embryo nach: der Produktion von Sexualhormonen. Diese sind nun wichtig für die Ausprägung des somatischen (griechisch soma = Körper) Geschlechts. Damit wird der Staffelstab der Geschlechtsentwicklung in einer logischen Reihenfolge weitergereicht. Die Geschlechtshormone (zum Beispiel Androgene wie Testosteron und Östrogene wie Östradiol) sind wichtig für die Finalisierung der biologischen Geschlechtsreifung und Ausbildung der äußeren Genitale. Denn auch die Anlage für das äußere Genital ist erst einmal bipotent und erwartet ein je nach Zielgeschlecht spezifisch starkes Hormonsignal für die Ausprägung in die männliche oder die weibliche Richtung. Die Sexualhormone sind aber an sich nicht geschlechtsspezifisch. Auch die Frau produziert Testosteron – nur in wesentlich geringerer Dosis als der Mann (deshalb „spezifisch stark“). Die Wirkung der Hormone beschränkt sich nicht allein auf das äußere Genitale. Auch andere Organe wie zum Beispieldas Gehirn prägen sich durch den Einfluss der Hormone geschlechtsspezifisch, so kommt es zu Unterschieden in der Psyche, des Temperaments und des Verhaltens (Abbildung 2). Dadurch unterscheiden sich die Geschlechter auch neuro- und psychologisch (siehe dazu auch den Artikel „Der Unterschied beginnt im Kopf“ von Dr. med. Matthias Klaus in dieser Ausgabe).[9] Das physiologische Resultat dieses komplexen Prozesses ist ein Mann oder eine Frau (siehe Abbildung 5). Das chromosomale, gonadale und somatische Geschlecht sind regelhaft alle entweder „maskulin“ oder „feminin“ (siehe Abbildung 2), sodass sie harmonisch-einheitlich ein kohärentes Bild formen. Damit hängt die einheitliche Geschlechtsentwicklung vereinfacht vom Ineinanderwirken zweier Komponenten ab: von den Chromosomen und von den Hormonen. Auf beiden Ebenen können Komplikationen im Prozess der Geschlechtsentwicklung auftreten.
2. STÖRUNGEN DER GESCHLECHTSENTWICKLUNG
Dass es zu diesen Komplikationen kommen kann, liegt theologisch im Sündenfall des Menschen begründet. Auf die göttliche Erschaffung einer sehr guten Schöpfung in 1. Mose 1–2 folgt der Sündenfall im dritten Kapitel. Dieser „verkompliziert“ das Leben auf der Erde enorm und ist letztlich Türöffner für Leid und Tod in das Leben der Menschen. Der einst vollkommen geschaffene Mensch muss nun sterben (1. Mose 3,19; vergleiche Römer 5,12 und 1. Korinther 15,21f.) und erfährt die Auswirkungen der Sünde fortan in der Beziehung zu Gott, zu seinen Mitmenschen und auch zu seinem Körper, der nun krank und schwach werden kann. Auch die Natur leidet (Römer 8,18ff.). Es ist ein Zustand, der so von Gott nicht gewollt war (vergleiche Jesu Trauerreaktion auf den Tod des Lazarus, obgleich er wusste, dass er Lazarus gleich von den Toten auferwecken würde, und das Leiden der Angehörigen in Johannes 11,35) und der für die Erlösten bei Gott in Ewigkeit aufgehoben wird (Offenbarung 7,15–17). Deshalb kann auch die Geschlechtsentwicklung des Menschen fehlerhaft verlaufen. Fehlerhafte Entwicklungen können auf der chromosomalen und hormonellen Ebene auftreten, die seit 2006 mit dem Oberbegriff „Störungen der Geschlechtsentwicklung“ (DSD[10]) zusammengefasst werden.[11] Einige von ihnen wollen wir uns im Folgenden ansehen.
2.1 Gonosomale Störungen der Geschlechtsentwicklung
Zu der ersten Gruppe der DSD gehören die Abweichungen von der physiologischen Anzahl der Geschlechtschromosomen (Gonosomen).[12] Darunter fallen allen voran das Klinefelter- und das Ullrich-Turner-Syndrom.
Klinefelter-Syndrom (47,XXY)
Das Klinefelter-Syndrom [13] deckt einen großen Teil der DSD-Fälle ab und betrifft 1–2 : 1000 der männlichen Neugeborenen.[14] 75 % der Fälle bleiben vermutlich unentdeckt. [15] Es handelt sich um eine Trisomie, bei der ein zusätzliches X-Chromosom vorliegt. Die Betroffenen sind männlich (innere und äußere Genitalien), weil das Y-Chromosom die oben beschriebene Wirkung entfaltet. Durch einen relativen Testosteronmangel sind sie jedoch kleinwüchsig und unfruchtbar. Meistens fällt die Erkrankung auf, weil die Pubertät zu spät eintritt. Die Betroffenen sind eindeutig Männer. Sie bedürfen lebenslang der Gabe von Testosteron, um die durch den Testosteronmangel bedingten Probleme zu behandeln (Libidoverlust, Depressivität, Antriebsmangel, Osteoporose, höheres Risiko für Diabetes und Blutarmut, et cetera). Viele dieser Probleme können durch die Testosterongabe vermindert oder gar behoben werden.[16]
Ullrich-Turner-Syndrom (45,X0)
Das Turner-Syndrom [17] (oder auch Ullrich-Turner-Syndrom) betrifft 1 : 2500 der weiblichen Neugeborenen.[18] Bei ihnen liegt typischerweise nur ein X-Chromosom vor. Da kein Y-Chromosom vorliegt, sind die Betroffenen nicht männlich, sondern weiblich. Mädchen mit diesem Syndrom sind in der Regel kleinwüchsig, haben überschüssige Haut im Nacken, leiden an Lernbehinderungen und gehen nicht in die Pubertät über.[19] Nicht zuletzt sind die Betroffenen unfruchtbar. Eine Hormonbehandlung kann das Wachstum anregen und die Pubertät einleiten. Ab einem Knochenalter von 12–13 Jahren wird eine Therapie mit Östrogenen/Gestagenen sowie mit Wachstumshormonen begonnen. Bei rechtzeitigem Therapiebeginn erreichen die Patientinnen dadurch eine normale Körpergröße. Auch Brust, Vagina sowie Uterus vergrößern sich, und die Menstruation setzt ein. Erkrankte am Turner-Syndrom sind also eindeutig Frauen.
Seltene Aberrationen der Geschlechtschromosomen
Es gibt auch noch viele weitere Formen der Chromosomenaberration. Beispielhaft sei noch das Triple-X-Syndrom [20] genannt. Liegt im ersten Fall ein weiteres X-Chromosom vor, wird es deaktiviert. Das geschieht auch bei gesunden Frauen, weil nur eines der zwei X-Chromosomen „gebraucht“ und das andere inaktiviert wird. Das deaktivierte X nennt man dann Barr-Körperchen. Liegen drei X-Chromosomen vor, werden zwei zum Barr-Körperchen deaktiviert. Dasselbe geschieht auch im Falle des Klinefelter-Syndroms. Ein seltener Spezialfall ist das „Chromosomale Mosaik“. Hier tragen nicht alle Körperzellen den gleichen Chromosomensatz. [21]
2.2 Hormonbedingte Störungen der Geschlechtsentwicklung bei männlichem Chromosomensatz
Auch hormonbedingte Störungen können die Geschlechtsentwicklung beeinflussen. Dabei kann erstens ein normaler männlicher (46-XY-DSD) oder zweitens ein weiblicher (46-XX-DSD) Chromosomensatz zugrundeliegen. Im ersten Fall lässt sich die Störung in der Regel auf die männlichen Geschlechtshormone, die Androgene, zurückführen. Durch unterschiedliche Beeinträchtigungen können die Androgene nicht wie vorhergesehen wirken. So kann es beispielsweise sein, dass vom Körper zu wenig Androgene produziert werden. Obwohl die Betroffenen genetisch männlich sind, können sie unterschiedlich stark weiblich erscheinen. Außerdem können Androgene eine verminderte Wirkkraft haben, wenn die entsprechenden Androgenrezeptoren defekt sind. In diesem Fall spricht man von „Androgenresistenz“. Es gibt verschiedene Grade der Ausprägung dieser Resistenzen. Die komplette Androgenresistenz ist innerhalb dieser Störung die häufigste Form. Sie tritt dennoch nur selten mit einer Häufigkeit von 1 : 20.000 auf. [22] Aufgrund einer Mutation im Androgenrezeptor kann unter anderem Testosteron seine Wirkung nicht entfalten. Das führt dazu, dass die Betroffenen mit einem XY-Chromosomensatz erst einmal männliche, innere Geschlechtsorgane (Gonaden) ausbilden. Diese Keimdrüsen produzieren dann Testosteron, welches dann aber nicht wirken kann. Dadurch entwickelt sich ein weibliches Erscheinungsbild. Es liegen dann weibliche äußere Genitale vor, aber die Vagina endet „blind“ und die bereits angelegten Hoden sinken nicht (vollständig) ab, sondern verbleiben im Bauchraum. Es ist also die Ausprägung der äußeren Geschlechtsmerkmale gestört, nachdem die Gonaden schon spezifiziert sind. Häufig fällt das erst mit dem Beginn der Pubertät auf, wenn die Monatsblutung ausbleibt, weil kein Uterus vorliegt. [23] Eine Androgenresistenz kann auch nur teilweise vorliegen. Der Deutsche Ethikrat schreibt in seiner Stellungnahme zur Intersexualität zu diesem Phänomen: „Ist die Androgenwirkung nicht komplett blockiert (Partial Androgen Insensitivity Syndrome [PAIS], Häufigkeit: selten), dann entwickelt sich je nach Ausmaß der Teilblockade der Körper mehr in Richtung zum männlichen Pol, sodass das äußere Aussehen gemischt männlich-weiblich oder überwiegend männlich ist. Bei PAIS besteht ein deutlich erhöhtes Risiko der Ausbildung bösartiger Tumoren, wenn die unreifen Gonaden im Bauchraum verbleiben (…).“ [24] Aufgrund des Tumorrisikos werden die Hoden häufig entfernt. [25] Je nach Ausprägung der partiellen Androgenresistenz kann das Erscheinungsbild der äußeren Genitalien in mehrere verschiedene Grade (nach Quigley) eingeteilt werden und von einer normalen männlichen Ausprägung bis hin zu einem äußerlich quasi normalen weiblichen Genitale reichen.
2.3 Hormonbedingte Störungen der Geschlechtsentwicklung bei weiblichem Chromosomensatz
Bei einer hormonbedingten Störung der Geschlechtsentwicklung kann aber auch ein normaler weiblicher Chromosomensatz zugrundeliegen. Trotzdem mutet das Erscheinungsbild stark maskulin an. Meist liegt es daran, dass die Wirkung von Androgenen (Testosteron) bei den Betroffenen zu stark ausfällt. Zugespitzt formuliert, hat man es mit genetischen Frauen zu tun, die einen „männlichen“ Hormonspiegel aufweisen. Diese Problematik wird meistens durch das sogenannte Adrenogenitale Syndrom verursacht, welche als häufigste Form der Hormonstörungen mit weiblichem Chromosomensatz ebenfalls mit 1 : 10.000 sehr selten ist. [26] Die Erkrankung führt zu einem Mangel an Steroiden. Beim Versuch der Nebenniere, den Mangel zu kompensieren, produziert diese zu viele männliche Hormone, wodurch bei Frauen ein männliches Erscheinungsbild in der Embryonalentwicklung in unterschiedlicher Ausprägung entstehen kann. [27]
3.FAZIT
Nach diesen Betrachtungen physiologischer Geschlechtsentwicklungen und der Darstellung pathophysiologischer Ursachen wichtiger DSD, muss eine abschließende Einordnung folgen. Diese mündet für den im medizinischen Bereich arbeitenden Christen in den klaren Auftrag, Gottes Gnade in das Leben Betroffener leuchten zu lassen.
3.1 Wichtige Unterschiede zwischen den Bezeichnungen „Disorders of Sex Development“, Intersexualität und Transsexualität
Mit Disorders of Sex Development (DSD) sind sowohl Personen gemeint, bei denen die Feststellung des Geschlechts problemlos möglich ist, als auch Personen, bei denen die Feststellung erschwert ist. [28] Dazu zählen das Turner- und das Klinefelter-Syndrom. [29] Die meisten Störungen der Geschlechtsentwicklung (vor allem in Bezug auf die Häufigkeit) erlauben eine eindeutige Feststellung des entweder männlichen oder weiblichen Geschlechts. Wenn Intersexualität aber durch die Uneindeutigkeit des Geschlechts definiert wird, die eindeutige Feststellung des Geschlechts also mindestens erschwert ist, ist DSD und Intersexualität nicht äquivalent verwendbar. [30,31] Zusätzlich muss von der Intersexualität (und DSD) die Transsexualität unterschieden werden. Transsexualität „liegt dann vor, wenn die körperlichen Merkmale eine eindeutige Zuordnung zum weiblichen oder männlichen Geschlecht erlauben, aber nicht mit dem psychischen Zugehörigkeitsgefühl übereinstimmen.“ [32] Der Ethikrat begründet diese Unterscheidung von Transsexualität und Intersexualität weiterhin wie folgt: „Im Gegensatz (zu Intersexuellen, Anm. des Autors) sind Transsexuelle Menschen mit einem eindeutigen biologischen Geschlecht, die sich jedoch psychisch dem anderen Geschlecht zugehörig fühlen.“ Diese Begriffsunterscheidungen müssen berücksichtigt werden, denn nur in der eindeutigen und nicht miteinander gleichsetzenden Verwendung der Begriffe „Intersexualität“ und „Transsexualität“ kommt diesen eine sinnvolle Bedeutung zu.
3.2 Epidemiologie der Intersexualität
Intersexualität im soeben definierten strengen Sinne von erschwerter Feststellung des Geschlechts trifft am ehesten auf die beiden Teilgruppen der Hormonstörungen mit männlichem oder weiblichem Chromosomensatz zu. In Deutschland leben nach dieser Definition 8.000–10.000 Intersexuelle. [33] Wird das Verständnis von Intersexualität [34] jedoch auf alle Gruppen der DSD erweitert und damit auch noch das Turner- und Klinefelter-Syndrom mit einbezogen, spricht man nicht mehr wie in der medizinischen Fachliteratur von 10.000 Fällen von Intersexualität , sondern von 100.000 in deutschen Zeitungen [35] oder gar 160.000 beim BVerfG [36]. Die letzten beiden Zahlen suggerieren ein falsches Bild der medizinischen Fakten, weil im Falle des Turner- und Klinefelter-Syndroms keine Uneindeutigkeit des Geschlechts und damit keine Intersexualität im eigentlichen Sinne vorliegt.
3.3 Fragwürdigkeit der „dritten Option“
Nach all dem müssen wir zu dem Schluss kommen, dass die „dritte Option“ nicht als eine Hilfestellung zur Behandlung beziehungsweise Unterstützung leidender Intersexueller zu betrachten ist, sondern als ein Schritt in Richtung Legitimation der Transsexualität unter dem Deckmantel biologischer Unklarheit. Man braucht kein drittes Geschlecht, um das Auftreten dieser Erkrankungen theoretisch-pathophysiologisch zu erklären.
Man benötigt aber das dritte Geschlecht, wenn man eine Krankheit zur Gesundheit deklarieren will, zur neuen Normalität.
Doch theologisch ist der Fall klar. Es gibt kein drittes Geschlecht. Gott schuf den Menschen als Mann und Frau. Biologisch ist der Fall klar. Es gibt nur sehr wenige Menschen, bei denen aufgrund einer Erkrankung eine Diskrepanz zwischen dem genetischen und dem phänotypisch ausgeprägten Geschlecht besteht, also zwischen den Chromosomen und dem Erscheinungsbild. Ein winziger Bruchteil der Bevölkerung kann nicht als Anlass dazu dienen, biologische Regelhaftigkeit zu negieren. Zuletzt ist ein drittes Geschlecht auch insofern fragwürdig, als dass es keine Möglichkeit gibt, dieses Geschlecht klar zu definieren und einheitlich zu beschreiben. Da können einem auch die DSD nicht helfen, weil bei dem Großteil der Betroffenen das Geschlecht klar benannt werden kann. Intersexualität ist damit in seiner absoluten Rarität ein sehr komplexes und schwieriges Phänomen, bei dem man jeden Patienten individuell betrachten muss. Dabei kann die Gewissheit aus Psalm 139,13–14 eine Hilfe sein, denn trotz Krankheit und Not, die durch den Menschen beim Sündenfall hervorgerufen wurde, ist auch ein kranker Menschen von Gott geschaffen, gewollt und geliebt: „Denn du hast meine Nieren gebildet; du hast mich gewoben im Schoß meiner Mutter. Ich danke dir dafür, dass ich erstaunlich und wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke, und meine Seele erkennt das wohl!“ Erkrankungen verursachen nicht die Trennung von Gott. Gerade in eine leidende und verlorene Welt hat Gott seinen Sohn gesandt (Johannes 3,16; vergleiche Römer 8,20f.), um dadurch seine Liebe zu zeigen (1. Johannes 3,16), weil er will, dass alle Menschen gerettet werden (1. Timotheus 4,2). Nur durch das Evangelium, die Unterwerfung unter Gott und das Bekenntnis der eigenen Schuld, kann seine Gnade empfangen werden. Weiterhin wird der „Wert“ intersexueller Menschen nicht durch ihr (scheinbares) Herausfallen aus der großen Mehrheit geschmälert. Jeder Mensch trägt das Ebenbild Gottes (dabei sei auf Eberhard Dahms Artikel „Was gibt dem Menschen Würde?“ aus dem letzten Magazin verwiesen), weshalb seine Würde unveräußerlich ist. Ein erfülltes Leben mit einer in Christus fundierten Identität kann von jedem Menschen geführt werden. Sowohl als Kranker als auch als Gesunder kann man sich an der Gnade Gottes genügen lassen (vergleiche 2. Korinther 12,7) und in jeder Situation – ob „arm oder reich“ aber auch gesund oder krank – Freude in Gott zu haben (Philipper 4,11–13). Die Gnade Gottes mitten im Leid ist der Trost, den wir als Christen den Betroffenen spenden müssen. Und dann liegt es im Auftrag der ärztlichen Heilkunst mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln den Betroffenen zur Seite zu stehen und ihnen ein möglichst normales Leben im binären Geschlechtersystem zu ermöglichen, das Gott von der Schöpfung an als „sehr gut“ bezeichnet hat. Zu einer medizinischen Behandlung kann niemand gezwungen werden. Aber von Intersexualität Betroffene können nicht eine scheinbare, selbst erfundene, neue Normalität mit einer faktischen Abnormität erzwingen. Auch ein Leben mit Krankheit ist umfassend lebenswert. Dafür muss die Krankheit nicht zur „neuen“ Gesundheit deklariert werden. Ein drittes Geschlecht gibt es nicht, denn „männlich und weiblich schuf er sie“ (vergleiche 1. Mose 1,27).
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Quellen-Nachweis
[1] BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 10. Oktober 2017 – 1 BvR 2019/16 –, Rn. 1–69, http://www.bverfg.de/e/rs20171010_1bvr201916.html (abgerufen am 21.06.2023).
[2] Dieses Verb des Erschaffens wird im Alten Testament allein im Zusammenhang göttlicher Handlungsakte gebraucht.
[3] Die folgenden Ausführungen können in einem einschlägigen Lehrbuch zur Embryologie nachvollzogen werden (zum Beispiel: Moore et al.: Embryologie. 6. Auflage Elsevier 2013).
[4] Beim Turner-Syndrom, einer der später angesprochenen Störungen der Geschlechtsentwicklung, kommt es zeitnah nach dem Zustandekommen der Zygote zu einem Verlust eines der beiden Geschlechtschromo-somen (sei es ein Y- oder ein X-Chromosom).
[5] „The presence or absence of the Y chromosome determines whether a mammalian embryo develops as a male or female.“, Page DC, Mosher R, Simpson EM, Fisher EM, Mardon G, Pollack J, McGillivray B, de la Chapelle A, Brown LG. The sex-determining region of the human Y chromosome encodes a finger protein. Cell. 1987 Dec 24;51(6):1091-104. doi: 10.1016/0092-8674(87)90595-2.
[6] ebd., ausgeschrieben: „Sex determining region of Y“.
[7] „Die Aktivität des Y-chromosomalen Gens SRY(= Sex-determining Region on the Y) kontrolliert die Synthese des für die männliche Entwicklung notwendigen Testes determining Factor (TDF). In Abwesenheit des TDF entwickelt sich die Gonade zum Ovar.“, aus: Zerres K. Störungen der Geschlechtsentwicklung. In: Murken J, Grimm T, Holinski-Feder E, Zerres K, Hrsg. Taschenlehrbuch Humangenetik. 9. teilaktuali-sierte Auflage. Stuttgart: Thieme; 2017. doi:10.1055/b-0037-145342.
[8] ebd.
[9] Möglicherweise sind die Prozesse der Geschlechtsentwicklung, die sich auch auf die neuronale Entwicklung auswirken, noch komplexer. Siehe dazu: McCarthy, M. M., & Arnold, A. P. (2011). Reframing sexual differentiation of the brain. Nature Neuroscience, 14(6), 677-683. https://doi.org/10.1038/nn.2834, Hirnstein, M., & Hausmann, M. (2021). Sex/gender differences in the brain are not trivial—A commentary on Eliot et al. (2021). Neuroscience & Biobehavioral Reviews, 130, 408-409. https://doi.org/https://doi.org/10.1016/j.neubiorev.2021.09.012, Hirnstein, M., Hugdahl, K., & Hausmann, M.
(2019). Cognitive sex differences and hemispheric asymmetry: A critical review of 40 years of research. Laterality, 24(2), 204-252. https://doi.org/10.1080/135765 0X.2018.1497044, Hjelmervik, H., Hausmann, M., Craven, A. R., Hirnstein, M., Hugdahl, K., & Specht, K. (2018). Sex- and sex hormone-related variations in energy metabolic frontal brain asymmetries: A magnetic resonance spectroscopy study. NeuroImage, 172, 817-825. https://doi.org/ https://doi.org/10.1016/j.neuroimage.2018.01.043.
[10] Später folgt eine kritische Analyse des DSD-Konzepts.
[11] Hughes IA, Houk C, Ahmed SF, Lee PA; LWPES Consensus Group; ESPE Consensus Group. Consensus statement on management of intersex disorders. Arch Dis Child. 2006 Jul;91(7):554-63. doi: 10.1136/ adc.2006.098319. Wieacker P. Genetische Aspekte der Fertilitätsstörungen. medgen. 2011;23:229– 230. doi: 10.1007/s11825-011-0271-2.
[12] „Die letzte Gruppe (gemeint ist die Gruppe Chromosomenaberrationen) wird im deutschen Sprachraum in der Regel nicht zur Intersexualität gerechnet.“ (Richter-Appelt H (2007) Intersexualität – Störungen der Geschlechtsentwicklung. Bundesgesundheitsbl Gesundheitsforsch Gesundheitsschutz 50(1):52–61).
[13] Tüttelmann F. Genetische Aspekte der Spermatogenesestörungen. medgen. 2011;23:259–266. doi: 10.1007/s11825-011- 0274-z.
[14] Nieschlag E: Klinefelter syndrome: the commonest form of hypogonadism, but often overlooked or untreat-ed. Dtsch Arztebl Int 2013; 110(20): 347–53. DOI: 10.3238/ arztebl.2013.0347.
[15] ebd.
[16] Nieschlag, E. (2013). Klinefelter-Syndrom. Dtsch Arztebl International, 110(20), 347-353. https://www.aerzteblatt.de/int/article.asp?id=138479.
[17] Ledig S, Wieacker P. Genetische Ursachen der prämaturen Ovarialinsuffizienz und Ovardysgenesie. medgen. 2011;23:237–243. doi: 10.1007/s11825-011-0270-3.
[18] ebd.
[19] Powell-Hamilton N, Turner-Syndrom, MSD Manual, https://www.msdmanuals.com/de-de/heim/gesundheitsprobleme-vonkindern/chromosom-und-genanomalien/turner-syndrom (abgeru-fen am 21.06.2023).
[20] Ledig S, Wieacker P. Genetische Ursachen der prämaturen Ovarialinsuffizienz und Ovardysgenesie. medgen. 2011;23:237– 243. doi: 10.1007/s11825-011-0270-3. Schwemmle C., Ptok M. Häufiges Syndrom, selten diagnostiziert: das Triple-X-Syndrom. Monatsschr Kinder-heilkd 161, 40–45 (2013). https://doi.org/10.1007/s00112-012-2750-1.
[21] Vgl. Deutscher Ethikrat, Intersexualität – Stellungnahme, S. 30, https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Stellungnahmen/deutsch/DER_StnIntersex_Deu_Online.pdf.
[22] „In der Europäischen Union (EU) gilt eine Erkrankung als selten, wenn nicht mehr als 5 von 10.000 Menschen von ihr betroffen sind.“, in BMG, Seltene Erkrankungen, https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/praevention/gesundheitsgefahren/seltene-erkrankungen.html (abgerufen am 21.06.2023).
[23] Wieacker P., Ledig S. Androgeninsensitivität. medgen. 2011;23:249–253. doi: 10.1007/s11825-011-0275-y.
[24] Deutscher Ethikrat, Intersexualität – Stellungnahme, S. 42, https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Stellungnahmen/deutsch/DER_StnIntersex_Deu_Online.pdf(abgerufen am 21.06.2023).
[25] A.a.O., S. 46–47.
[26] Siehe Fußnote 25.
[27] Eventuell können auch sogenannte Mineralokortikoide fehlen, was zum gefährlichen Salzverlustsyndrom führen kann, aus dem sich schnell ein medizinischer Notfall entwickeln kann, s. hierzu Wieacker P., Ledig S. Ledig S, Wieacker P. Androgeninsensitivität. medgen. 2011;23:249–253. doi: 10.1007/s11825-011-0275-y.
[28] Deutscher Ethikrat, Intersexualität – Stellungnahme, S. 24, https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Stellungnahmen/deutsch/DER_StnIntersex_Deu_Online.pdf (abgerufen am 21.06.2023).
[29] „Die mit einer Chromosomenanomalie einhergehenden anatomischen Erscheinungsbilder des Turner-Syndroms (45,X0; weiblich mit nur einem Geschlechtschromosom) sowie des Klinefelter-Syndroms (47,XXY; männlich mit überschüssigem X-Chromosom) werden nicht näher dargestellt, weil sie anatomisch keine zwischengeschlechtlichen Merkmale aufweisen.“, a.a.O., S. 38. Siehe auch Sax L. How common is intersex? a response to Anne Fausto-Sterling. J Sex Res. 2002 Aug;39(3):174-8. doi: 10.1080/00224490209552139.
[30] Diese Unterschiede können zum Beispiel zwischen der Darstellung der „beschwerdeführenden Person“ im Urteil des BVerfG zum Personenstandsrecht von 2017 und der Stellungnahme des Deutschen Ethikrats zur Intersexualität nachgewiesen werden. Der Deutsche Ethikrat schreibt über einige Formen der DSD wie das Turner-Syndrom: „Die hier vorgelegte Stellungnahme beschäftigt sich nicht mit allen Formen von DSD. So behandelt sie zum Beispiel nicht die Syndrome, die durch numerische Abweichungen der Geschlechtschromosomen gekennzeichnet sind. Beispiele dafür sind das Turner-Syndrom und das KlinefelterSyndrom. In beiden Fällen gibt es zwar Abweichungen der sexuellen Entwicklung, die auch oft der Therapie mit Sexualhormonen bedürfen; es handelt sich bei diesen Personen jedoch um geschlechtlich eindeutig zuzuordnende Individuen, die anatomisch keine zwischengeschlechtlichen Merkmale aufweisen.“, Deutscher Ethikrat, Intersexualität – Stellungnahme, S. 38, https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Stellungnahmen/deutsch/DER_StnIntersex_Deu_Online.pdf (abgerufen am 21.06.2023). Hingegen schreibt das BVerfG über „die beschwerdeführende Person“ mit TurnerSyndrom: „Die beschwerde-führende Person wurde bei der Geburt dem weiblichen Geschlecht zugeordnet und als Mädchen in das Geburtenregister eingetragen. Sie verfügt über einen atypischen Chromosomensatz (sog. Turner-Syndrom) und fühlt sich dauerhaft weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugehörig.“ Und später: „Die beschwerdeführende Person empfinde sich nicht als „geschlechtlos“, sondern als Mensch mit dem Geschlecht „intersexuell“.“, BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 10. Oktober 2017 – 1 BvR 2019/16 -, Rn. 1-69, http://www.bverfg.de/e/rs20171010_1bvr201916.html (abgerufen am 21.06.2023).
[31] Siehe dazu 4.2 „Epidemiologie der Intersexualität“ „Nach Schätzungen leben 8 000 bis 10 000 intersexuelle Menschen in Deutschland. Betroffenenverbände gehen von 120 000 Personen aus. Unter 5 000 Neugeborenen ist eines, das sich aufgrund körperlicher Besonderheiten nicht eindeutig als „männlich“ oder „weiblich“ einordnen lässt.“, Bühring, P. (2012). Intersexualität: Geschlecht: „anderes“. Dtsch Arztebl International, 109(10), A-472-A-472. https://www.aerzteblatt.de/int/article.asp?id=123599.
[32] Deutscher Ethikrat, Intersexualität – Stellungnahme, S. 11, https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Stellungnahmen/deutsch/DER_StnIntersex_Deu_Online.pdf (abgerufen am 21.06.2023).
[33] Holterhus, PM. Intersexualität und Differences of Sex Development (DSD). Bundesgesundheitsbl. 56, 1686–1694 (2013). https://doi.org/10.1007/s00103-013-1850-y. Die in der Literatur teilweise verschiedenen Zahlen hängen unter anderem davon ab, wie viele von dem wesent-lich weiteren Begriff der DSD man auch in das Begriffsfeld der Intersexualität miteinschließt. Siehe hier-zu: Sax L. How common is intersex? a response to Anne Fausto-Sterling. J Sex Res. 2002 Aug;39(3):174-8. doi: 10.1080/00224490209552139. Je mehr man die klaren und häufigeren Fälle mit einbezieht, desto mehr Intersexuelle zählt man zum Beispiel auch in Deutschland. Siehe dazu auch: Helms, Tobias. Brauchen wir ein drittes Geschlecht? Reformbe-darf im deutschen (Familien-) Recht nach Einführung des § 22 Abs. 3 PStG, Berlin, München, Boston: De Gruyter, 2015. https://doi.org/10.1515/9783110435702.
[34] Hauck L., Richter-Appelt H., Schweizer K. Zum Problem der Häufigkeitsbestimmung von Intergeschlecht-lichkeit und Varianten der Geschlechtsentwicklung: Eine Übersichtsarbeit. Z Sex Forsch 2019 Vol. 32 Issue 02 Pages 80-89. DOI: 10.1055/a-0897-0404
[35] Menkens, S. (09.11.2017). Das dritte Geschlecht. WELT. https://www.welt.de/print/welt_kompakt/article170454356/Das-dritte-Geschlecht.html (abgerufen am 21.06.2023), Schmitt, P.-P. (08.11.2017). Das empfundene Geschlecht. Frankfurter Allgemeine Zeitung. https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/ geschlecht-etwa-100-000-intersexuelle-indeutschland-15283406.html#:~:text=In%20 Deutschland%20leben%20etwa%20100.000,das%20war%20Hermaphroditos%20bei%20Ovid (abgerufen am 21.06.2023).
[36] BVerfG. (2017). Beschluss des Ersten Senats vom 10. Oktober 2017 – 1 BvR 2019/16 -, Rn. 1-69. http://www.bverfg.de/e/rs20171010_1bvr201916.html (abgerufen am 21.06.2023).
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