Screentime statt Greentime – der Verlust der spielenden Kindheit und die Folgen

Autoren: Alexander und Liane Blank

Ich (Alexander) war fünf Jahre alt, als ich mit meinem achtjährigen Bruder beim Spielen in Schwierigkeiten geriet. Wir wuchsen im Zentrum einer deutschen Großstadt auf, aber unsere Eltern trauten uns zu, draußen alleine zurechtzukommen. Wir fuhren mit dem Aufzug aus dem Hochhaus in die Fußgängerzone, nahmen die Rolltreppe hinaus aus dem Zentrum, überquerten eine Brücke über den Fluss und dort begann unser Abenteuer. Wir schauten über das Brückengeländer und sahen unten ein dichtes Gebüsch. Es war dunkel und dicht, aber wir entdeckten einen freien Platz, der irgendwie gemütlich wie ein Nest aussah. Also hüpften wir über das Geländer, ließen uns an der Betonwand herunterhängen, ein Sprung und dann saßen wir in unserer „Höhle“. Der Bewegungsraum war ziemlich begrenzt und wir hatten nicht darüber nachgedacht, wie wir wieder herauskommen würden. Die Betonwand bot keinen Halt und das Gebüsch war zu dicht und stachelig, um hindurch zu klettern. Also machte ich eine Räuberleiter und schob meinen Bruder hoch. Er konnte nach dem Geländer greifen und sich hochziehen. Er war wieder auf der Brücke, aber ich saß fest. Mein Bruder lief nach Hause und holte unseren Vater zu Hilfe. Auch über 30 Jahre später erinnere ich mich gut daran, wie ich ununterbrochen nach oben schaute, nur ein kleiner Fleck Himmel über mir, und auf Rettung wartete.

1. Vom Spielen zum Glotzen

Eine Kindheit, wie wir sie in den 90er Jahren erlebten, ist heutzutage für die meisten Kinder in Städten und Vororten sehr weit von der Realität entfernt. Eltern bevorzugen es, ihre Kinder in professionelle Obhut zu geben oder zu Hause mit digitalen Medien zu beschäftigen. Im letzten Jahrzehnt haben Gesundheit und Leistungsfähigkeit bei Kindern und Jugendlichen in fast allen Bereichen abgenommen. Das Übergewicht hat um 50 % zugenommen. Die psychische Gesundheit der jungen Generation ist so stark beeinträchtigt, dass von einer Krise gesprochen wird: Autismus und Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) werden häufiger diagnostiziert, Ängstlichkeit und die Suizidrate bei Jugendlichen steigen an. Depressionen haben sich bei 15- bis 19-Jährigen in Deutschland im Zeitraum von 2009 bis 2017 verdoppelt. Auch die kognitiven Leistungen sind beeinträchtigt. Der Intelligenzquotient nimmt in den westlichen Staaten ab, und laut PISA-Studie werden Lese- und Rechenfähigkeiten schlechter. Die Ursachen dafür sind bisher nicht vollständig verstanden, aber da diese Entwicklungen so rasant voranschreiten, geraten Umweltfaktoren der letzten 10 bis 15 Jahre in den Blick: Das Internet wurde um die Jahrtausendwende für den Normalbenutzer zugänglich, kurz darauf entstanden die großen Social-Media-Plattformen. Das iPhone wurde 2007 vorgestellt, und 2010 wurde die Frontkamera für Selfies eingeführt. Und obwohl die noch jüngeren Kinder meistens kein eigenes Gerät besitzen, sind sie täglich digitalen Medien ausgesetzt. Manche Eltern halten es bereits im Alter von wenigen Monaten für eine gute Idee, ihre Kinder mit Medienkonsum zu beruhigen, oder besser gesagt zu sedieren. Die Sicherheit der Mediennutzung für die physische und psychische Gesundheit sowie die Entwicklung wurde vor der Einführung nicht systematisch oder experimentell untersucht, wie es beispielsweise bei Medikamenten, Chemikalien oder technischen Geräten üblich ist. In den letzten Jahren häufen sich jedoch Hinweise auf negative Folgen.

2. Wieso sind digitale Medien so erfolgreich?

Die ständige Verfügbarkeit eines Geräts in der Hosentasche, das sofort einsatzbereit ist und keine Hürden bei der Nutzung aufweist, ist ein verlockender Grund dafür, dass Eltern es in herausfordernden Situationen als Babysitter verwenden und bereits Säuglingen und Kleinkindern anbieten. Die Wahrnehmung anderer Eindrücke, auch negativer, nimmt messbar ab. In der Medizin wird dieser Effekt beispielsweise genutzt, um Patienten bei schmerzhaften Interventionen abzulenken. Es funktioniert hervorragend als „Stillhalter“. Wird dem Kind der Bildschirm angeboten, können sich die Erwachsenen plötzlich in Ruhe unterhalten. Diese „positiven“ Erfahrungen üben auf beide Seiten, bei Eltern und Kindern, einen starken Wiederholungsreiz aus. Wenn Kinder selbstständig beginnen, mit Smartphones und Tablets zu interagieren, haben sie bei digitalen Geräten ein intensives, unmittelbares Erleben und nur ein geringes Frustrationsrisiko. Während beim Spielen mit Bausteinen der Turm immer wieder bei Ungeschicklichkeit zusammenfällt, rufen die intuitiv gestalteten Basisfunktionen von Smartphone und Tablet schnelle Erfolgserlebnisse hervor. Das digitale Spielen übt einen noch größeren Reiz aus, weil die Erfahrungen von Macht, Schönheit und Größe in der realen Welt in diesem Alter nicht zu erleben sind. Ein behüteter Alltag, der zunehmend als langweilig empfunden wird, wo Kinder natürlicherweise mit Frust, Niedergeschlagenheit und Hilflosigkeit zurechtkommen müssen, ist eine schwache Alternative. Die negativen Gefühle aus der Realität können am digitalen Gerät herabreguliert werden, da großartige Erfahrungen schnell erreicht werden. Unangenehme Dinge werden durch digitales Erleben schnell vergessen gemacht. Dies führt zu selbstverstärkendem Verhalten. Kinder fühlen sich nur noch wohl, wenn sie vor dem Gerät sitzen.

3. Freies und riskantes Spiel ist gesund

In den ersten drei Lebensjahren durchläuft das kindliche Gehirn wesentliche Prozesse der neuronalen Reifung und Strukturierung, die in vielen Bereichen, insbesondere in der sensomotorischen Entwicklung, abgeschlossen werden. Kinder benötigen daher umfassende Gelegenheiten, sich kreativ in der dreidimensionalen Welt zu betätigen und vielfältige reale Erfahrungen mit allen Sinnen zu sammeln. Die Effekte des zunehmenden digitalen Medienkonsums und des Verlusts von freiem Spiel sind schwer voneinander zu trennen, da sie sich gegenseitig bedingen. Unstrukturiertes und unbeaufsichtigtes Spiel wird zusätzlich durch professionelle Betreuung und ein erhöhtes Sicherheitsbedürfnis der Eltern reduziert. Freies Spiel ist jedoch für die Entwicklung von Kindern sowie für ihre körperliche, geistige und soziale Gesundheit essenziell. Der Drang, auf riskante Weise zu spielen, ist für Kinder entscheidend, um Mut, Selbstvertrauen und körperliche Fähigkeiten zu entwickeln. Mit diesem Wissen können sie die Herausforderungen und Notfälle des Lebens meistern. Diese Fähigkeit wird als Resilienz bezeichnet. In den letzten Jahrzehnten wurde Kindern im Westen zunehmend die Freiheit genommen, auf eigene, selbstbestimmte und riskante Weise zu spielen, fernab der Kontrolle durch Erwachsene. Dies liegt zum Teil daran, dass Sicherheitsmaßnahmen darauf abzielen, alle spielbezogenen Verletzungen zu verhindern, anstatt sich auf ernsthafte und tödliche Verletzungen zu konzentrieren. Langfristig sind Kinder jedoch einem größeren Risiko ausgesetzt, wenn wir ihnen riskantes Spiel vorenthalten, als wenn wir es zulassen. Das Verletzungsrisiko unstrukturierten Spiels ist niedriger als bei Sportarten, die von Erwachsenen angeleitet werden, zum Beispiel beim Fußballtraining. Während Eltern, Pädagogen und Ärzte in den letzten Jahren immer mehr und sehr erfolgreiche Regeln zur Risikoreduktion vor Verletzungen eingeführt haben, wurde der Medien- und Onlinebereich, wo es viele Gefahren für Kinder gibt, vernachlässigt. Ein 14-jähriges Mädchen beschrieb im Rückblick ihre unbeaufsichtigte Onlinezeit als Zehnjährige in einem Essay für eine amerikanische Zeitung folgendermaßen: „Wo war meine Mutter? Im Raum nebenan, und sorgte dafür, dass ich täglich neun unterschiedlich gefärbte Früchte und Gemüsesorten aß. Sie war aufmerksam, fast eine Helikoptermutter, aber trotzdem stieß ich im Internet zufällig auf Pornographie. Meine Freunde auch.“ Dies ist ein Beispiel für den beschriebenen Sachverhalt, dass wir unsere Kinder in der realen Welt zu sehr schützen, während wir es online zu wenig tun.

4. Die negativen Effekte von audiovisuellen Medien

Der Unterschied zwischen dem Spielen mit Kameraden und Gegenständen und dem einsamen, unbeweglichen Ansehen von YouTube-Videos im Autoplay-Modus ist enorm. Digitale Medien sind „Erfahrungsblocker“. Selbst wenn Kinder stundenlang gefesselt Filme über Fußball, Fußballer und Fußballtricks ansehen, werden sie dadurch nie das Spielen selbst erlernen. Ein Säugling lernt das Gehen nur durch Übung und nicht am Bildschirm. Für jede Stunde, die ein Kind am Bildschirm verbringt, nimmt seine Interaktion mit Eltern und Geschwistern um circa 1,5 Stunden ab. Offensichtlich benötigt die Verarbeitung des Gesehenen auch Zeit, in der das Kind nicht interagiert. Im Kleinkindalter sind zahlreiche nachteilige Folgen des Konsums von Bildschirmmedien dokumentiert. Kleinkinder können Emotionen schlechter regulieren, neigen zu autistischen Verhaltensweisen und ihre soziale Interaktion ist beeinträchtigt. Das Schlafmuster ist gestört: Widerstand beim Schlafengehen, nächtliches Erwachen und Tagesschläfrigkeit treten häufiger auf. Die Eltern-Kind-Beziehung ist beeinträchtigt und es treten mehr Verhaltensstörungen auf. Kognitive, sprachliche und motorische Verzögerungen bei Kleinkindern hängen signifikant mit der Bildschirmzeit zusammen. Das Vokabular ist geringer und exekutive Funktionen (zum Beispiel Planen und Entscheidungsfindung) bilden sich schlechter aus. Für die Computerspielsucht im Schulalter wird der Grundstein schon im Kleinkindalter gelegt. Auch wird der spätere Schulerfolg negativ beeinflusst und der BMI dieser Kinder ist nachhaltig höher. Außerdem muss die elterliche Seite beachtet werden. Durch die Mediennutzung der Eltern im Beisein der Kinder sinken die Zahl und die Qualität der Interaktionen mit den Kindern, welche die Grundlage für die Sprachentwicklung bilden. Kleinkinder, deren Eltern gestresst sind, nutzen Bildschirmmedien intensiver. Die Kinder lernen hier am Modell. Im Gegensatz zu den negativen Effekten von Bildschirmmedien zeigen zahlreiche Studien positive Effekte des Spiels im Grünen auf die physische und psychische Gesundheit in dieser Altersgruppe. Beispielsweise werden traurige Emotionen, Aggressionen und Unaufmerksamkeit reduziert. Es ist Konsens, dass die Dauer der Bildschirmzeit Auswirkung auf die Kognition hat. Je mehr Zeit mit Bildschirmmedien verbracht wird, desto größer sind die Auswirkungen auf die kognitive Entwicklung. Bisher ist noch nicht geklärt, ob das Betrachten von Bildschirmen an sich eine direkte schädliche Wirkung hat, oder ob andere wichtige tägliche Aktivitäten wie Schlafen, sportliche Aktivität und soziale Interaktion verdrängt werden, die Bildschirmzeit also als Zeiträuber fungiert. In einigen Studien wurde eine Unterscheidung zwischen sitzendem Verhalten am Bildschirm und sitzendem Verhalten ohne Bildschirm (zum Beispiel Lesen) getroffen, wobei nur das Sitzen am Bildschirm mit psychischen Auffälligkeiten verbunden war. Zusammengefasst spricht vieles dafür, dass es direkte Effekte vom Bildschirmkonsum gibt. Die Auswirkungen auf lebenswichtige Fähigkeiten wie Einfallsreichtum, Handlungskompetenzen, handwerkliches Geschick sowie künstlerische, sportliche und musikalische Fähigkeiten und Neigungen sind derzeit nur schwer abschätzbar. Es ist jedoch zu befürchten, dass diese erheblich in Mitleidenschaft gezogen werden könnten. In der Zusammenstellung der Studienlage bleiben inhaltliche Aspekte, welche durch die Medien transportiert werden, unbeachtet. Viele Medienschaffende richten ihre politischen Botschaften mit Eifer speziell an Kinder, die sich als Heranwachsende in einer besonders sensiblen Phase befinden. Dies spielt beispielsweise bei von Genderdysphorie betroffenen Kindern eine nachgewiesene Rolle. Hierbei sollte der Einfluss von Medien auf die Entwicklung von Überzeugungen und Verhaltensweisen nicht unterschätzt werden.

5. Positive Effekte mit Nebenwirkungen

Aber was ist mit den positiven Effekten? Wie steht es um Lernprogramme und Lernvideos? Es gibt Nachweise, dass altersgerechte, hochwertige Videos das Vokabular und Wissen fördern. Dieser Effekt tritt jedoch erst ab einem Alter von etwa 2,5 Jahren ein und beschränkt sich auf hochwertige Inhalte, die unter elterlicher Begleitung genutzt werden. Die meisten angebotenen Programme sind jedoch stark auf Unterhaltung ausgerichtet und fördern antisoziales und aggressives Verhalten. Für Kinder unter 2,5 Jahren sind keine positiven Effekte von Lernvideos erkennbar. Sie können jedoch davon profitieren, über Videotelefonie Kontakt zu ihren Bezugspersonen zu halten. Jugendliche können durch die Nutzung digitaler Medien Fähigkeiten erlangen, die in ihrem späteren Berufsleben sonst schwerer zu erlernen wären. Beispielsweise zeigt sich ein verbessertes räumliches Verständnis. Dies bietet Chirurgen Vorteile beim Erlernen minimalinvasiver Verfahren, da das Gehirn auf eine gute Koordination von Hand und Bildschirm zurückgreifen kann. Dasselbe gilt auch für Piloten und Architekten. Sehr spezifische Fähigkeiten können an digitalen Geräten gut erlernt werden. Für Kleinkinder, die vor allem mit dem Erlernen von Motorik, Sprache und Verhalten beschäftigt sind, sind dies jedoch keine Bildungsziele, die zu ihren Schlüsselkompetenzen gehören und den Raum für neues Lernen eröffnen. Der Begriff „Medienkompetenz“ wird oft als wichtiger Bildungsbaustein in der modernen Welt propagiert. Er umfasst die Fähigkeit, Medien bewusst und kritisch zu nutzen, zu verstehen und selbst zu gestalten. Doch bei Kleinkindern fehlen die kognitiven Voraussetzungen, um Fiktion von Realität zu unterscheiden und eine kritische Distanz zum Medium zu entwickeln. Das Bedienen eines Touchscreen-Geräts ist keine Medienkompetenz im eigentlichen Sinne. Im Gegenteil, zu frühes Heranführen an digitale Medien kann dazu führen, dass ein tieferes Verständnis ausbleibt.

6. Die Empfehlungen der Fachgesellschaften

Die deutsche AWMF-Leitlinie „Leitlinie zur Prävention dysregulierten Bildschirmmediengebrauchs in Kindheit und Jugend“ empfiehlt:11

– Kinder unter drei Jahren sollten von jeglicher passiven und aktiven Nutzung von Bildschirmmedien ferngehalten werden.
– Wenn Eltern ihre Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren an die Nutzung von Bildschirmmedien heranführen möchten, sollte dies höchstens 30 Minuten an einzelnen Tagen gestattet werden und stets in Anwesenheit der Eltern erfolgen.
– Für Kinder im Alter von sechs bis neun Jahren sollte die freizeitliche Nutzung von Bildschirmmedien auf höchstens 30 bis 45 Minuten an einzelnen Tagen beschränkt sein.
– Bildschirmmedien sollten weder zur Belohnung,
Bestrafung noch zur Beruhigung eingesetzt werden.
– Während des Essens, insbesondere bei gemeinsamen Mahlzeiten, sollten keine Bildschirmmedien genutzt werden und es sollte auch nicht während der Nutzung von Bildschirmmedien gegessen werden.
– Eltern sollten sich für die digitalen Aktivitäten ihrer Kinder interessieren und diese kritisch begleiten. Die Fachgesellschaften aus dem angelsächsischen Raum sind in ihren Empfehlungen etwas liberaler, empfehlen aber, dass Kinder unter zwei Jahren grundsätzlich auf Bildschirme verzichten, und Kinder bis fünf Jahre nur hochwertige pädagogische Programme mit maximaler Dauer von 30 bis 60 Minuten pro Tag nutzen sollten.

Die Canadian Pediatric Society hat im Januar 2024 eine explizite Empfehlung zum riskanten Spiel herausgegeben und benennt dabei folgende Situationen, denen Kinder ausgesetzt werden sollen:12

– Höhe: Klettern, Springen, Balancieren in der Höhe
– Geschwindigkeit: Radfahren mit hoher Geschwindigkeit, Rodeln, Rutschen, Rennen
– Werkzeuge: Überwachte Aktivitäten mit Axt, Säge, Messer, Hammer oder Seilen (zum Beispiel Bau eines Unterschlupfs oder Schnitzen)
– potenziell gefährliche Elemente: Spielen in der Nähe von Feuer oder Wasser
– Raues und turbulentes Spiel: Ringen, spielerische Kämpfe, Fechten mit Stöcken
– Spiel mit Risiko des Verschwindens oder Verlorengehens: Erkunden von Spielplätzen, Nachbarschaften oder Wäldern ohne Aufsicht durch Erwachsene, oder im Fall von Kleinkindern mit begrenzter Aufsicht (zum Beispiel Verstecken hinter Büschen)

7. Unsere Empfehlung für Eltern

Wie lassen sich diese Empfehlungen konkret in den Alltag integrieren? Beginnen Sie mit der Reflexion Ihres eigenen Medienkonsums. Interessieren Sie sich für die Gedanken und Ideen Ihrer Kinder. Schaffen Sie Möglichkeiten zum Erleben von Abenteuern und Unabhängigkeit, zum Beispiel durch das Klettern auf Bäume oder das Schnitzen mit einem Taschenmesser. Wenn bereits eine problematische Mediennutzung vorliegt, schaffen Sie attraktive Alternativen. Klare Familienregeln, die alle Familienmitglieder kennen und einhalten, sind für Kinder leichter zu akzeptieren, als wenn täglich neue Bildschirmzeiten ausdiskutiert werden müssen. Wenn Sie Bildschirmmedien zulassen, setzen Sie sich zu Ihrem Kind und begleiten Sie die Nutzung. Videotelefonate mit Bezugspersonen, wie den Großeltern, oder das Anschauen von Fotos vergangener Ereignisse sind unproblematisch. Aber auch hier sehen wir bei unseren Kindern einen kaum zu sättigenden Hunger. Eine Zeitbegrenzung ist auch bei diesen harmlosen Tätigkeiten sinnvoll. Verwenden Sie Medien nicht als Trost- oder Beruhigungsmittel. Kinder verinnerlichen, dass negative Emotionen mit digitalen Medien in den Hintergrund gedrängt werden können, sollen aber andere Bewältigungsstrategien entwickeln.

8. Fazit

Es besteht in unserer Gesellschaft für Mediennutzung im Kindesalter erstaunlich wenig Problembewusstsein. Die Datenlage ist gerade für das Kleinkindalter eindeutig und die Folgen auf das kindliche Gehirn sind beklemmend. Das Narrativ von früh erlernter Medienkompetenz hält sich aber selbst unter sonst kritischen und reflektierten Eltern aufrecht. Es ist höchste Zeit, dass wir den Wert des freien Spiels wiederentdecken und den Bildschirm gegen das echte Leben eintauschen.

1 Norddeutscher Rundfunk, Krankhaftes Übergewicht bei Kindern nimmt zu. [Online]. Verfügbar unter: https://www.tagesschau.de/ wissen/gesundheit/kinder-uebergewicht-101.html.
2 Ärzteblatt, Depressionen machen Kindern und Jugendlichen zunehmend zu schaffen. [Online]. Verfügbar unter: https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/105287/Depressionen-machen-Kindern-und-Jugendlichen-zunehmend-zu-schaffen.
3 Deutschlandfunk, Deutsche Schulleistungen sinken weiter. [Online]. Verfügbar unter: https://www.deutschlandfunk.de/pisa-studie-2022-102.html.
4 Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest, JIM-Studie & KIM-Studie. [Online]. Verfügbar unter: mpfs.de (Zugriff am: 21. Juli 2024).
5 M. Brussoni et al., „What is the Relationship between Risky Outdoor Play and Health in Children? A Systematic Review“ (eng), International journal of environmental research and public health, Jg. 12, Nr. 6, S. 6423–6454, 2015, doi: 10.3390/ijerph120606423.
6 J. Haidt, The anxious generation: How the great rewiring of childhood is causing an epidemic of mental illness. New York: Penguin Press, 2024. Inzwischen in deutscher Übersetzung unter dem Titel „Generation Angst“ erhältlich Online-Ressourcen mit den kollaborativen Reviews zu diesem Buch sind ein wahrer Schatz. Zu finden unter: https://www.anxiousgeneration.com/research/collaborative-review-docs
7 T. K. Oswald, A. R. Rumbold, S. G. E. Kedzior und V. M. Moore, „Psychological impacts of „screen time“ and „green time“ for children and adolescents: A systematic scoping review“ (eng), PloS one, Jg. 15, Nr. 9, e0237725, 2020, doi: 10.1371/journal.pone.0237725.
8 B. Guellai, E. Somogyi, R. Esseily und A. Chopin, „Effects of screen exposure on young children’s cognitive development: A review“ (eng), Frontiers in psychology, Jg. 13, S. 923370, 2022, doi: 10.3389/fpsyg.2022.923370.
9 S. P. Suggate und P. Martzog, „Screen-time influences children’s mental imagery performance“ (eng), Developmental science, Jg. 23, Nr. 6, e12978, 2020, doi: 10.1111/desc.12978).
10 A. Leonhardt, M. Fuchs, M. Gander und K. Sevecke, „Geschlechtsdysphorie in der Adoleszenz: Die Rapid-Onset-Hypothese auf dem Prüfstand“ (eng), Neuropsychiatrie: Klinik, Diagnostik, Therapie und Rehabilitation: Organ der Gesellschaft Österreichischer Nervenärzte und Psychiater, 2024, doi: 10.1007/s40211-024-00500-8.
11 Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e. V., Leitlinie zur Prävention dysregulierten Bildschirmmediengebrauchs in Kindheit und Jugend. [Online]. Verfügbar unter: https://leitlinie.bildschirmfrei-bis-3.de/.
12 E. Beaulieu und S. Beno, Healthy childhood development through outdoor risky play: Navigating the balance with injury prevention. [Online]. Verfügbar unter: https://cps.ca/en/documents/position/outdoor-risky-play.


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