Was soll meine Seele heilen? Eine Untersuchung zu Psychotherapie und Seelsorge
Autor: Jonas Janik Ralf Koberschinski & Dr. med. Mira Pankratz
Immer mehr Menschen leiden an psychischen Erkrankungen. 2022 verzeichnete die Kaufmännische Krankenkasse 16 % mehr Krankschreibungen aufgrund seelischer Erkrankungen.1 Folglich rücken Psychopharmaka und Psychotherapie als zunehmend gefragte Heilmittel in den Fokus unserer Gesellschaft. Letzteres wollen wir in diesem Artikel näher untersuchen, da in der Psychotherapie und ihren zahlreichen Schulen eine gute Lösung gesehen wird. Auch in den Gemeinden erfahren wir einen großen Bedarf an Seelsorge. In Anbetracht der gesellschaftlichen Präsenz der Psychotherapie mit ihren zahlreichen Schulen und ihrer (scheinbaren) Professionalität, drängt sich immer wieder die Frage auf, ob die Seelsorge durch psychotherapeutische Methoden bereichert werden sollte. Sind wir mit der Bibel im Einklang, wenn wir als Christen Psychotherapie praktizieren? Verschiedene Stimmen plädieren dafür.2 Einer der Gründe dafür besteht in der ihr zugeschriebenen hohen Wirksamkeit und man meint pragmatisch, dass diese wirkmächtige Methode die Seelsorge ergänze.
1. DIE WIRKSAMKEIT DER PSYCHOTHERAPIE
Dass Psychotherapie eine wirksame Methode zur Behandlung zahlreicher psychischer Erkrankungen ist, wird inzwischen weithin, obgleich nicht ohne Widerspruch, angenommen.3 Mehr als 35.000 Primärstudien4 sprechen dafür. Dazu kommen circa 6000 Metaanalysen.5 In Metaanalysen werden Ergebnisse aus vielen Primärstudien zusammengefasst und nach verschiedenen Schwerpunkten in einem deutlich größeren Datenkontext bewertet. Durch dieses systematische Bündeln vieler Einzelstudien erhöht sich der Evidenzgrad (Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein Ergebnis der Wahrheit entspricht) einer wissenschaftlichen Aussage. In Bezug auf die Frage nach der Wirksamkeit einer Intervention, kommen Metaanalysen deshalb eine besondere Relevanz zu.6 Jede Einzelstudie kann nur eingeschränkt und in unterschiedlichem Ausmaß die Wirksamkeit einer Behandlung begründen. 7 In Anbetracht der schieren Datenmenge wird heutzutage allgemeinhin angenommen, dass Psychotherapie wirklich wirkt. Gemeinsame Wirkfaktoren Nun gibt es viele unterschiedliche Psychotherapieschulen (zum Beispiel psychodynamische oder verhaltenstherapeutische Psychotherapie), die in ihrem Problem- und Therapieverständnis stark voneinander abweichen. Hier drängt sich die Frage auf, welche dieser Schulen die am besten wirksame ist. Überraschenderweise sieht sich die Psychotherapieforschung mit der Erkenntnis konfrontiert, dass keine bestimmte Therapieschule der anderen überlegen ist.8 Dieser Umstand wurde bereits 1936 von dem US-amerikanischen Psychologen und Psychotherapieforscher Saul Rosenzweig erwähnt.9 Die Erkenntnis über die Gleichwertigkeit der verschiedenen Psychotherapieansätze (bezogen auf die Wirksamkeit) lässt die Schlussfolgerung zu, dass es gemeinsame Wirkfaktoren geben muss, die zum Erfolg der Psychotherapie im Allgemeinen führen. Das stellt die Unterteilung in Schulen ein Stück weit infrage. Denn die einzelnen Schulen gehen gerade davon aus, dass aufgrund ihrer speziellen Methodik die Behandlung wirksam ist und nicht aufgrund allgemeiner Wirkfaktoren, die, egal welcher Schule man angehört, wirken, sodass die Schulzuordnung letztlich mehr oder minder überflüssig sei. Über die Jahrzehnte wurden verschiedene Modelle entwickelt, die diese gemeinsamen Wirkfaktoren darstellen sollen. Eines dieser Modelle, das Kontextuelle Metamodell, 10 wurde von Wampold et al. konzipiert. Es nimmt an, dass die Psychotherapie ihre Wirkung aufgrund eines bestimmten Kontextes entfaltet, in dem Therapeut und Patient interagieren. Dieser Kontext wird durch drei wesentliche Aspekte geschaffen: Zuerst braucht es eine echte Beziehung zwischen Therapeut und Patient. Diese Beziehung soll vertraulich, authentisch und über das Pflichtmaß an Freundlichkeit hinausgehend sein. Zweitens müssen sowohl der Patient als auch der Therapeut eine Erwartung an die Therapie haben. Der Patient muss tatsächlich davon ausgehen, dass der Therapeut seine Probleme erklären und passende Lösungsmöglichkeiten anbieten kann. Aber auch der Therapeut braucht eine positive Erwartungshaltung. Er muss davon überzeugt sein, dass die durch ihn durchgeführte Therapie hilft.
Der dritte und letzte Wirkmechanismus umfasst die tatsächliche Durchführung der Therapie durch einen ausgebildeten Therapeuten. Bei der Behandlung selbst wird die Wirkung nicht psychotherapieschulen- spezifischen Faktoren zugeordnet, sondern der Annahme, dass gesundheitsfördernde Verhaltensweisen besprochen und trainiert werden. Dazu gehören Bereiche wie ein verändertes Denken und eine Veränderung der Sicht auf die Welt, eine Erklärung für die bestehenden Probleme zu haben, Selbstreflexion oder auch das Anleiten bei sozialer Interaktion. Außerdem soll ein gestärktes Selbstwertgefühl das Bewusstsein der Selbstwirksamkeit schaffen. Erzielt der Patient eine Verbesserung in einem dieser Lebensbereiche, so wirkt sich dies positiv auf die anderen beispielhaft genannten Felder aus. Wenn sich die eigentliche Wirksamkeit der Psychotherapie entsprechend des Kontextuellen Metamodells in einer „echten Beziehung“, einer „bestimmten, positiven Erwartung“ und der „Durchführung von geschultem Personal“ finden lässt, kann dadurch auch die Effektivität von Interventions-Apps und Laientherapie erklärt werden.11 Die abstrahierten, gemeinsamen Wirkfaktoren lassen sich teilweise auch in anderen Kontexten wiederfinden, wie zum Beispiel in der Seelsorge. Worin sich Psychotherapie und Seelsorge ähneln und worin sie sich grundlegend unterscheiden, wird im Folgenden am Beispiel der kognitiven Verhaltenstherapie gezeigt.
2. KOGNITIVE VERHALTENSTHERAPIE
Die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) wird hier als ein Psychotherapiekonzept herausgegriffen, das Einzug in die christliche Seelsorge erhalten soll.12 Auf den ersten Blick könnte man meinen, die KVT sei im Vergleich zur von Siegmund Freud begründeten Psychoanalyse weltanschaulich neutral. Kann sie daher problemlos in die Seelsorge integriert oder gar losgelöst von der Seelsorge von Christen angeboten werden? Wir können die Kernfrage unserer Untersuchung zuspitzen: Sollten Christen „Kognitive Verhaltenstherapie“ praktizieren? Lerntheoretische Grundlagen Verhaltenstherapien sind aus den lernpsychologischen Erkenntnissen des Behaviorismus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hervorgegangen. Zu dieser Zeit wurden Lerntheorien (zum Beispiel klassische und operante Konditionierung)13 formuliert, die bis heute an den Universitäten gelehrt werden. Die Grundannahme der Verhaltenstherapie ist, dass das Verhalten eines jeden Menschen zu einem Großteil erlernt und in der Konsequenz auch modifizierbar ist. Wir können also neue Verhaltensweisen lernen und alte wieder verlernen. Das Attribut „kognitiv“ wendet die eben genannten Überlegungen auf das Denken an, was bedeutet, dass auch unsere Denkweisen modifiziert werden können. Durch die KVT sollen „falsche“ Überzeugungen oder „nicht dienliche“, die den Patienten belasten, erkannt und verändert werden. Es soll also ein schädliches Gedankenverhalten modifiziert und in produktive Bahnen gelenkt werden. Unser Denken und unser Verhalten haben Auswirkungen auf unser gesamtes Leben. Ständig finden wir uns in verschiedenen Situationen wieder, die wir bewerten und auf die wir reagieren müssen. Diese Reaktionen können gewollte oder ungewollte Gefühle, körperliche Erregungszustände oder Verhaltensweisen sein. Wenn wir infolge einer durch uns als kritisch bewerteten Situation ein bestimmtes negatives Denk- und Verhaltensmuster erlernen, können wir dieses unbewusst auf weniger kritische Situationen übertragen. Die Kopplung von Bewertung und Reaktion führt dann zu unangemessenem Denken und Handeln. Die KVT setzt an dieser Stelle an und möchte die unangemessen negativen Gedanken durch angebrachtere Vorstellungen ersetzen. Durch die Therapie soll der Patient befähigt werden, seine Gedanken besser kontrollieren zu können und zur Bewertung von Situationen Maßstäbe heranzuziehen, die ihn eine Gegebenheit positiver erleben lassen. Die KVT lässt sich auf vier grundlegende Prinzipien reduzieren.15 Erstens ist sie zielorientiert. Sie beschäftigt sich mit der Bewältigung konkreter Probleme. Im Gegenteil dazu versucht die Psychoanalyse zuerst verborgene Traumata zu ergründen, um sie anschließend zu bewältigen. Zweitens ist die KVT im Hier und Jetzt verankert. Änderungen des Denkens und Verhaltens sollen vor Ort und in der Gegenwart vollzogen werden. Drittens ist das handelnde Subjekt der Patient selbst. Der Therapeut gibt lediglich eine Hilfe zur Selbsthilfe (Stichwort: Selbstwirksamkeit). Viertens zielt die KVT darauf ab, negative Gedankenautomatismen zu erkennen und zu durchbrechen. Klinische Anwendung Für die KVT gibt es viele Indikationen: Depression,16 Angststörungen,17 Panik,18 Schlafstörungen,19 Zwangsstörungen, Reizdarm-Syndrom, Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung, chronische Schmerzen, Tinnitus, rheumatische Erkrankungen, überaktive Blase, et cetera.20 Ein Vorzug dieser Therapieschule besteht darin, dass bis zum Eintreten einer Besserung der Beschwerden im Durchschnitt weniger Therapiesitzungen benötigt werden als bei anderen Psychotherapieformen.21 Grob skizziert läuft die KVT wie folgt ab: Ein Hilfesuchender sucht einen Therapeuten aus. In ersten Gesprächen wird überprüft, ob zwischen den beiden Parteien die nötige, vertrauensvolle Beziehung hergestellt werden kann (siehe oben). Anschließend wird eine Problem- und Verhaltensanalyse durchgeführt und ein Therapieplan aufgestellt. Dann werden Methoden besprochen, die vom Patienten regelmäßig geübt werden sollen. Hausaufgaben sind Teil der Therapie. Ein Beispiel für eine Technik, die in einer Situation mit destruktiven Gedanken zum Einsatz kommen kann, ist die kognitive Umstrukturierung. Allerlei Gedanken schwirren durch unsere Köpfe und werden selten reflektiert. Dieses Reflektieren ist der Arbeitsauftrag bei der „kognitiven Umstrukturierung“. Der Patient soll Gedanken, die ihn beeinträchtigen, identifizieren, kritisch reflektieren und gegebenenfalls modifizieren lernen. Ein kurzes Beispiel: Ein Patient hat eine Depression.22 Er identifiziert Gedanken nach dem Muster: „Was kann ich eigentlich? Ich bin nutzlos.“ Diese werden beispielsweise umstrukturiert in: „Nein, ich denke, ich bin nutzlos.“ Das Hinzufügen der Einordnung „ich denke“ bewirkt eine bewusste Distanzierung vom eigenen Denken. Erst dadurch wird eine Überprüfung des Wahrheitsgehalts ermöglicht. So kann es gelingen den „Circulus vitiosus“ in einen „Circulus virtuosus“23 zu überführen (von „fehlerhaft“ zu „fähig“). Wenn das erreicht ist und beim Hilfesuchenden zur Gewohnheit geworden ist, hat die KVT ihr Zeil erreicht.
3. BIBLISCHE BEURTEILUNG DER KVT
Diese kurze Übersicht befähigt uns bereits, eine kritische Analyse und Beurteilung dieses Therapiekonzepts im Rahmen des christlichen Weltbilds vorzunehmen. Die eben dargestellte Methode der „kognitiven Umstrukturierung“ und Distanzierung zu akzidentellen Gedankengängen weist positive Elemente auf. Was Paulus Christen aufträgt, klingt ähnlich: „Denn die Waffen unseres Kampfes sind nicht fleischlich, sondern mächtig für Gott zur Zerstörung von Festungen; so […] nehmen [wir] jeden Gedanken gefangen unter den Gehorsam Christi“ (2. Korinther 10,4). Insofern trägt uns Paulus lange vor der Begründung der KVT in gewisser Weise das Prinzip der „kognitiven Umstrukturierung“ auf. Wir sollen unsere (respektive alle) Gedanken umstrukturieren, indem wir unsere Gedanken anhand der Bibel überprüfen und sie mithilfe der uns zugesprochenen Verheißungen hinterfragen. Dazu schreibt Paulus in Philipper 4,8: „Übrigens, Brüder, alles, was wahr, alles, was ehrbar, alles, was gerecht, alles, was rein, alles, was liebenswert, alles, was wohllautend ist, wenn es irgendeine Tugend und wenn es irgendein Lob [gibt], das erwägt!“ Die KVT macht sich an dieser Stelle eine gute Methode zu eigen, weil sie unbewusst auf biblische Prinzipien zurückgreift. Neben dieser einen Methode, die wir in der KVT finden und die durchaus biblisch begründbar nachzuahmen ist, treten andere Faktoren hervor, die sich nicht mit dem christlichen Weltbild vereinbaren lassen. Was der KVT den Anschein der Neutralität nimmt, ist das zugrundeliegende Menschenbild. Im gängigen Standardwerk „Lehrbuch der Verhaltenstherapie“ heißt es dazu: „Jeder psychotherapeutische Ansatz – jede Richtung, jede ‘Schule‘ – vermittelt über die eigenen Modellvorstellungen auch ein bestimmtes Bild vom Menschen. Dies wird oft nicht explizit ausformuliert, sondern in den Behandlungsempfehlungen zeigt sich indirekt, welchen Zusammenhängen besonderes Gewicht beigemessen wird.“24 Demgemäß handelt es sich bei der KVT nicht um eine objektive und neutrale Beobachtungsmethode, sondern die gewonnenen Erkenntnisse werden innerhalb der jeweiligen Weltanschauung weiterverarbeitet. Im Fall der KVT handelt es sich um ein materialistisch geprägtes Weltbild, welches sich von geistlichen Realitäten distanziert. Damit zeichnet sich ein erster gravierender Unterschied zur Grundausrichtung der Seelsorge ab. Die Unterschiede lassen sich kategorisch in drei Punkten25 zusammenfassen:
a) Gottlos Die KVT ist gottlos aufgebaut. Gott ist nicht Teil der Gleichung, die zum Ergebnis einer gelungenen Therapie führen soll. Ausgangspunkt und handelndes Subjekt in der KVT ist nicht der heilige und gerechte Gott, wie er in der Bibel in Römer 3 oder Jesaja 6 beschrieben wird. Sondern der Fokus liegt auf menschlichen Gedanken, die für das Leben einer Person zuträglich oder hinderlich sein können. Die KVT kreist von ihrem Wesen her einzig und allein um den Menschen, während die echte Seelsorge um Gott kreist.
b) Relativistisch Die KVT hält sich weder an Gottes Maßstab (die Bibel) noch an irgendein anderes für alle Teilnehmer verbindliches Wertegerüst. Jeder Hilfesuchende muss sich zuerst seine eigene Lebens- und Moralvorstellung konzipieren, um anschließend innerhalb dieser Vorstellungen, die für niemanden sonst eine Verbindlichkeit haben, eine Lösung für seine Probleme finden. Offen bleibt die Frage, woran sich der Patient beim Erstellen seiner persönlichen Maßstäbe orientieren soll. Was ist zuträglich und was ist hinderlich? Es liegt nahe, dass die Bewertung von Patient zu Patient, aber auch von Therapeut zu Therapeut divergieren und sich jederzeit ändern, also relativieren, kann. Seelsorge entscheidet anders. Sie ist in Gottes Wort gegründet und hat damit feste, für jeden anhand der Bibel überprüfbare Werte. Denn nur Gott allein hat das Recht, die Macht und die Weisheit, gute und richtige Maßstäbe festzulegen. Und deshalb orientiert sich der Christ an ihm.
c) Menschenzentriert Weil bewusst keine definierte Transzendenz und insbesondere nicht der Gott der Bibel im Mittelpunkt der Verhaltenstherapie steht, rückt der einzelne Mensch an diesen Platz. Insofern spielen für die KVT grundsätzliche theologische Wahrheiten keine Rolle. Zwei wesentliche konstitutive Merkmale des Christentums sind die Geschöpflichkeit und die Sündhaftigkeit des Menschen, der seinem vollkommenen, heiligen Schöpfer gegenüber steht. Indem die Geschöpflichkeit geleugnet wird, erleidet der Mensch den Verlust entscheidender Bestandteile seines Wertes. Auf welcher Basis soll ich den Gedanken „ich bin wertlos“ umstrukturieren, wenn ich – zugespitzt gesprochen – arm, arbeitslos und in zerrütteten Verhältnissen lebe? Worin kann ich einen Wert finden, der nicht durch mein eigenes Denken oder das Urteilen anderer zunichte gemacht werden kann? Die Seelsorge hat keine Probleme damit, eine feststehende Lösung für diese Gedanken zu bieten, was nicht leugnet, dass es eine Herausforderung ist. Der Mensch hat einen Wert aufgrund seines Schöpfers (1. Mose 1,26). Und diesem Schöpfer sind seine Geschöpfe so viel wert, dass er trotz des Sündenfalls seinen geliebten Sohn Jesus Christus geschickt hat, um Sündern den einzigen Weg zum unverdienten Heil zu ebnen (Johannes 3,16 und 14,6). Nur über diesen gottzentrierten Ansatz kann man dem Menschen gerecht werden und seinem tiefsten Problem – der Verlorenheit vor Gott – begegnen. Die KVT missachtet diese Verlorenheit und kennt auch keine Ewigkeit. Sie verspricht „die Lösung“ von Problemen allein aus menschlicher Kraft mit täuschenden Gedanken, wie „ich bin gut“ oder „ich muss nur mir selbst gefallen“. Solche menschenzentrierten Gedanken verhüllen Hilfsbedürftigen den Blick auf ihre wahre Hilfsbedürftigkeit, die Möglichkeit der Buße und das Heil. Außerdem können sie auch zu direkt spürbaren Schäden führen. Der Berliner Psychiater Prof. Bschor verweist auf weitere, bedenkenswerte Wirkungen der Psychotherapie: „Immer wieder kommt es dazu, dass sich Menschen im Rahmen einer Psychotherapie vom Partner trennen oder die Arbeit kündigen. […] Auch wurden Psychotherapie- Patienten beobachtet, bei denen sich durch die intensive Beschäftigung mit der eigenen Person ausgeprägte egoistische Züge entwickelt haben.“26 Insofern verliert die KVT die Verlorenheit des Menschen aus den Augen – seine prekäre Situation vor Gott. Indem die Sündennatur missachtet wird, wird der Weg zum Kreuz und zur Buße verbaut, den Gott jedem von uns eröffnet hat. Vermeintlich positive Gedanken, die helfen sollen, den Menschen aus seiner emotionalen Tiefe zu befreien, täuschen ihn vielmehr und verdecken ihm, wie bereits erwähnt, die Sicht auf seine Verlorenheit, seine wahre Hilfsbedürftigkeit und auf das Heil Gottes.
4. FAZIT
Die kognitive Verhaltenstherapie und die biblische Seelsorge27 haben eine nicht miteinander zu vereinbarende Anthropologie. Können Christen dennoch kognitive Verhaltenstherapie praktizieren? Hierauf können wir eine klare Antwort geben: Nein. Denn Christen würden, wenn sie sich der KVT bedienten, eine Methode anwenden, die entgegengesetzt zum christlichen Weltbild konzipiert wurde, auch wenn das nicht immer direkt offensichtliche Konsequenzen haben muss. Eine „normale“ KVT ersetzt und ergänzt keine Seelsorge, weil sie dahin leitet, dass man sich selbst helfen kann und Gott nicht nötig hat. Sie führt weg von der Sündenerkenntnis und arbeitet daher entgegen der Seelsorge. Nur weil Seelsorge, die es schon länger gibt, Prinzipien verwendet, die die KVT ebenfalls anwendet, heißt es nicht, dass man alles andere aus der KVT in die Seelsorge integrieren sollte. Dessen muss man sich bewusst sein, wenn man sich einst einer solchen Therapie unterzogen hat oder vielleicht gerade unterzieht. Dabei können einem Fragen helfen wie: Welche Denk-Prinzipien bekomme ich vermittelt? Stimmen diese mit der Bibel überein? Wo muss ich Buße tun? Glücklicherweise verlieren wir nichts, wenn wir uns der KVT nicht bedienen. Die oben genannten, allgemeinen Wirkfaktoren der Psychotherapie lassen sich großteils auch auf eine liebevolle, sorgfältige seelsorgerliche Begleitung im Rahmen der Gemeinde übertragen. Insofern können wir genauso einen wirksamen Kontext schaffen, in dem wir unserem Gegenüber wertschätzend und authentisch begegnen, mit der festen Überzeugung, dass unsere Methodik (Seelsorge) wirksam ist. „Alle Schrift ist von Gott eingegeben und nützlich zur Lehre, zur Überführung, zur Zurechtweisung, zur Unterweisung in der Gerechtigkeit, damit der Mensch Gottes ganz zubereitet sei, für jedes gute Werk ausgerüstet.“ (2. Timotheus 3,16–17) Wie Paulus können wir darauf vertrauen, dass Gott dazu fähig ist, durch sein Wort Christen, in egal welcher Lebenssituation sie sich befinden mögen, zu befähigen, ein ihm wohlgefälliges und zugerüstetes Leben zu führen. Jeder Christ steht in der Verantwortung „Seelsorge“ anzubieten, also sich den Problemen seiner Glaubensgeschwister anzunehmen, beziehungsweise jemanden zu suchen, der sich dessen annehmen kann und der einem hilft, die Wahrheit aus 2. Timotheus 3,16–17 auf das eigene Leben anzuwenden. Dabei mag es sicher nicht schaden, wenn der Seelsorger sich theoretisch (und natürlich auch praktisch) darin übt, Hilfesuchende anhand der Bibel und im liebevollen Gespräch zu überführen und zu begleiten. Von der Bibel her findet sich das Konzept des professionellen Seelsorgers nicht. Aber es findet sich, dass die Ortsgemeinde der Ort ist, in dem Seelsorge primär ausgeübt werden soll. Hebräer 10,23–25: „Lasst uns das Bekenntnis der Hoffnung unwandelbar festhalten – denn treu ist er, der die Verheißung gegeben hat –, und lasst uns aufeinander achthaben, um uns zur Liebe und zu guten Werken anzureizen, indem wir unser Zusammenkommen nicht versäumen, wie es bei einigen Sitte ist, sondern [einander] ermuntern, und [das] umso mehr, je mehr ihr den Tag herannahen seht!“ Jeder Christ ist generell angehalten, sich in einer Ortsgemeinde einzubringen. Durch ihren objektiven Wahrheitsgehalt, dadurch, dass sie zu Gott hinführt, dadurch, dass sie Befreiung durch Vergebung bietet und um Ewigkeit bemüht ist, bietet uns die Seelsorge so viel mehr als eine KVT. Und dadurch kann der Christ zu guter Letzt im Gegensatz zum Gottlosen, der allein auf seine Selbstwirksamkeit zurückgeworfen ist, auf Gottes Wirksamkeit hoffen. Hebräer 4,14–16 bestätigt uns dies : „Weil wir denn einen großen Hohenpriester haben, Jesus, den Sohn Gottes, der die Himmel durchschritten hat, so lasst uns festhalten an dem Bekenntnis. Denn wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht könnte mit leiden mit unserer Schwachheit, sondern der versucht worden ist in allem wie wir, doch ohne Sünde. Darum lasst uns hinzutreten mit Zuversicht zu dem Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zu der Zeit, wenn wir Hilfe nötig haben.“
[Quellen] siehe PDF
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