Körperliche Ursachen psychischer Störungen
Unspezifische Verhaltens- und Stimmungsänderungen sind oft das erste und manchmal für längere Zeit das einzige und ausschließliche Anzeichen für eine unerkannte körperliche Erkrankung. Durch ihre offensichtliche und überzeugende „psychologische“ Natur und Präsentation führen solche maskierten körperlichen Zustände den Arzt häufig in die Irre und verhindern so jede weitere medizinische (d.h. somatische) Untersuchung, was zu Fehldiagnosen und damit zwangsläufig zu einer fehlgeleiteten Behandlung führt.
Erwin Koranyi (1924 – 2012), kanadischer Psychiatrieprofessor
Depressionen, Psychosen, Zwänge, Ängste und Panik – was ist die Ursache all dieser und anderer psychischen Störungen? Die Antwort auf diese Frage ist nicht so eindeutig, wie viele es sich wünschen würden. Manche sind überzeugt, dass die Ursache psychischer Probleme in den Sünden der Leidenden oder ihrer mangelhaften Gottesbeziehung liegt, andere orten sie in unverarbeiteten Konflikten der Kindheit, erlittenen Traumata, negativen Einflüssen der Umwelt, den Genen oder in einem Ungleichgewicht der Neurotransmitter.
Der Mensch ist ein komplexes Geschöpf, der zudem auch noch Teil sozialer Systeme wie Familie und Gesellschaft ist. Er ist eine Einheit aus Körper und Geist-Seele (1Mo 2,7), die sehr eng miteinander verbunden sind und sich gegenseitig beeinflussen. Diese einfachen Feststelllungen deuten schon darauf hin, dass es viele verschiedene mögliche Ursachen psychischer Störungen gibt. Der Einfluss der Seele (gr. Psyche) auf den Körper (gr. Soma) ist den meisten gut bekannt und wird auch in der Bibel bezeugt (z. B. Spr 17,22; Ps 32,3). Mit dieser Thematik beschäftigt sich die medizinische Fachrichtung der Psychosomatik. Es gibt jedoch in umgekehrter Richtung auch den Einfluss des Körpers auf den Geist, der weniger gut bekannt ist. Dieser spezielle Zusammenhang und sein Einfluss auf die seelische Gesundheit soll der Gegenstand dieses Artikels sein.
Mögliche Ursachen psychischer Störungen
Über die Ursache(n) psychischer Probleme gibt es unter Christen sehr unterschiedliche Meinungen. In der modernen Psychiatrie dominiert ein biologisches Modell psychischer Störungen. Dieses Modell konzentriert sich auf die Gene, die Morphologie und die Neurochemie des Gehirns („Ungleichgewichte“ von Neurotransmittern wie Serotonin, Dopamin und Glutamat). Jedoch haben weder das Humangenomprojekt (1990-2003), die Dekade des Gehirns (1990-1999), noch die Einführung moderner bildgebender Verfahren (MRI/MRT, PET, SPECT) das Rätsel der Ursachen psychischer Störungen lösen können.
Der amerikanische Psychiater Dr. Thomas Insel war von 2002 bis 2015 Direktor des Nationalen Instituts für seelische Gesundheit der USA (NIMH), der weltweit grössten Forschungsorganisation für psychische Erkrankungen. In einem Interview im September 2015 sagte er: „Ich habe 13 Jahre am NIMH verbracht, um die Neurowissenschaften und die Genetik psychischer Störungen voranzubringen, und wenn ich zurückblicke, stelle ich fest, dass es mir zwar gelungen ist, eine Menge wirklich cooler Publikationen von coolen Wissenschaftlern zu veröffentlichen, und das zu ziemlich hohen Kosten – ich glaube, 20 Milliarden Dollar -, aber ich glaube nicht, dass wir die Nadel bei der Reduzierung von Selbstmorden, der Verringerung von Krankenhausaufenthalten und der Verbesserung der Genesung von Millionen von Menschen mit psychischen Erkrankungen bewegt haben.“ Das ist ein ziemlich ernüchterndes Fazit. Tatsächlich gibt es bis heute keine biologischen, chemischen oder physikalischen Tests, die eine psychische Störung mit ausreichender Zuverlässigkeit diagnostizieren können. In der Praxis ist es daher üblich, dass ein Psychiater aufgrund eines Gesprächs eine Diagnose stellt. Umfangreiche Laboruntersuchungen, bildgebende Verfahren, genetische Analysen usw. werden in der Regel nicht durchgeführt.
Das triadische System der deutschen Psychiatrie teilt die psychischen Störungen nach den folgenden drei möglichen Ursachen ein:
1. Endogen („im Inneren erzeugt“, bisher unbekannte Ursache, genetische Komponente wird vermutet)
2. Psychogen („in der Psyche begründet“, oft auch neurotisch oder reaktiv genannt)
3. Exogen („durch äussere Einflüsse entstehend“, körperlich/somatisch/organisch bedingt)
Zur ersten Gruppe gehören die endogenen Psychosen (melancholische Depression, Manie, bipolare Störungen und Schizophrenien), deren Ursachen noch nicht bekannt sind, man aber von einer organischen Erkrankung ausgeht.
Störungen mit einer exogenen Ursache beruhen auf körperlichen Erkrankungen (nicht nur des Gehirns). Dies ist der Fokus dieses Beitrags. In der Geschichte der Psychiatrie waren die Entdeckungen zur Neurosyphilis grundlegend, da dadurch erstmals eine psychische Krankheit auf eine somatische Ursache (nämlich der Infektion des Gehirns mit dem Bakterium Treponema pallidum) zurückgeführt werden konnte. Eine weitere wichtige Entdeckung auf diesem Gebiet war die Verursachung einer Psychose durch den Mangel eines Vitamins (Niacin/Vitamin B3), der sog. Pellagrapsychose. In dem von der WHO herausgegebenen und bei uns verbindlichen Diagnosemanual ICD-10 werden im Kapitel V, Gruppe F00-F09 (besonders F06 und F07, siehe auch die Einträge unter F02.8), „Organische psychische Störungen“ vorgestellt, die für uns von Interesse sind und eine passende Diagnose bzw. Klassifizierung erlauben. Das Wissen über die körperlichen Ursachen ist also vorhanden, kommt jedoch in der Praxis oft nicht zur Anwendung.
Die psychogenen Ursachen seelischer Störungen sind sehr vielfältiger Natur (z. B. eine schwierige Kindheit, belastende Lebensumstände, Stress, Verluste, Beziehungsprobleme, erlittene Traumata). Die Persönlichkeit/das Temperament der Betroffenen spielt auch eine wichtige Rolle. Auch Auswirkungen der modernen Gesellschaft wie fehlende Beziehungen und Einsamkeit, übermässige Beschäftigung mit elektronischen Medien, ungesunde Ernährung („Fastfood“) oder Schlafmangel sind mögliche Gründe. Das Aussehen solcher psychogen verursachter Störungen umfasst die ganze Breite der psychiatrischen Krankheitsbilder. Zu dieser Gruppe gehört die Mehrzahl der auftretenden psychischen Störungen.
Sogar schizophrenieähnliche Krankheitsbilder können psychogen verursacht werden. In der Regel treten diese Krankheitsbilder spontan auf, dauern nur wenige Wochen und haben bei Elimination der auslösenden Faktoren eine gute Prognose.
In der Psychiatrie hat man vor etwa 40 Jahren die Diagnose psychischer Störungen auf das Vorhandensein bestimmter Symptome (ohne Berücksichtigung der Ursache) umgestellt. Dies ist mit verschiedenen Risiken verbunden, da psychiatrische Symptome unspezifisch sind. So können ganz verschiedene Ursachen wie z. B. ein Karzinom, ein Vitaminmangel oder der Tod eines Kindes das gleiche Krankheitsbild einer Depression hervorrufen. Auf der anderen Seite ist es so, dass eine bestimmte Ursache, z. B. Syphilis, ganz verschiedene psychiatrische Krankheitsbilder verursachen kann. Dies deutet schon die Wichtigkeit einer sorgfältigen internistisch-neurologischen Untersuchung zur Abklärung der möglichen Ursache an.
Eine Fallgeschichte
Um die Relevanz und Wichtigkeit des Erkennens der wahren Ursache einer psychischen Störung besser zu verstehen, wollen wir uns nun eine wahre Krankengeschichte vor Augen führen (Lamparter 2018). Ein verheirateter 40-jähriger Verkaufsleiter leidet seit 15 Jahren an ausgeprägten Kopfschmerzen, zeitweisem Schwindel und seit 5 Jahren an einer Abgeschlagenheit, die ihn bei der Ausübung seines anspruchsvollen Berufs behindert. Seine Stimmung ist ängstlich-depressiv. Der Patient ist als Einzelkind, dessen Eltern sich im Alter von 4 Jahren scheiden liessen und ist unter schwierigen Umständen aufgewachsen. In der Berufswelt hatte er wiederholt Probleme mit Autoritätspersonen. Eine internistische Abklärung ist ohne Befund. Von einem Neurologen, der seine Kopfschmerzen erfolglos behandelt hat, wird er zur Psychotherapie überwiesen, die er jedoch nach 9 Sitzungen abbricht. Die Diagnose lautet „Chronische Kopfschmerzsymptomatik bei Autonomiekonflikt und selbstunsicherer Persönlichkeit“. Eine weitere, später durchgeführte erfolglose Psychotherapie wird nach 22 Sitzungen vom Patient abgebrochen. Starke einschiessende Schmerzen wurden vom Psychotherapeuten als „Aufschrei der Seele“ interpretiert. Der Chefarzt einer Schmerzklinik stelle aufgrund einer „bizarren Schmerzschilderung“ gar die Diagnose einer Schizophrenie. 8 Jahre nach dem ersten Arztbesuch hat sich die gesundheitliche Situation körperlich und psychisch sehr verschlechtert. Der Patient ist bettlägerig und berentet. Eine erneute umfassende medizinische Untersuchung zeigt nun die Ursache all der verschiedenen körperlichen und psychischen Symptome: Neurosyphilis. Nach all den Leidensjahren, von denen er die meisten auf der „Psychoschiene“ war, starb der Patient an seiner Syphilisinfektion. Diese wäre in den ersten Jahren seiner Erkrankung sehr gut behandelbar gewesen.
Wie obige Fallgeschichte zeigt, kann die Fehldiagnose einer körperlichen Erkrankung als psychogen („Psychogener Fehler“) schwerwiegende Folgen haben.
Mögliche körperliche Ursachen psychischer Störungen
Im Prinzip kann jede Krankheit oder Substanz, die im Gehirn einen pathologischen Zustand erzeugen kann, eine psychische Störung hervorrufen.
Wie die untenstehende Auflistung andeutet, gibt es eine sehr grosse Zahl an möglichen körperlichen Ursachen psychischer Probleme. Fast alle Medikamente (insbesondere wenn man mehrere gleichzeitig nimmt) können bei prädisponierten Menschen psychische Probleme verursachen, dies gilt insbesondere für Ältere. Unter den Medikamenten sind diejenigen mit einer anticholinergen Wirkung besonders problematisch (es ist eine gewisse Ironie, dass auch manche Psychopharmaka zu dieser Gruppe gehören). Auch viele „normale“ Erkrankungen können psychische Störungen verursachen. Nun werden sich sicher manche die Frage stellen, warum diese Krankheiten nicht behandelt werden und dadurch die psychischen Probleme gar nicht erst entstehen oder wieder verschwinden. Oft ist es so, dass psychische Symptome die ersten Anzeichen sind und die eigentliche körperliche Erkrankung mit ihrer typischen Symptomatik sich erst viel später manifestiert. Hausärzte haben oft eine nicht ausreichende Kenntnis auf dem Gebiet der somato-psychischen Medizin. Dadurch werden wichtige Labortests und andere Untersuchungen nicht angefordert und so das grundlegende Problem nicht erkannt. Psychiater und Psychotherapeuten führen in der Regel keine körperlichen Untersuchungen durch und vertrauen darauf, dass alles Nötige schon vom Hausarzt oder dem überweisenden Arzt abgeklärt wurde. Auch legen sie ihr Hauptaugenmerk auf die psychiatrischen Symptome, die jedoch leider keinen Rückschluss auf die Ursache zulassen. Die ausgeprägte Spezialisierung in der Medizin (statt einer gesamtheitlichen Betrachtung des Menschen) und die jetzige Situation in der medizinischen Versorgung mit langen Wartezeiten und einem zeitlich nur kurzen Kontakt mit dem Arzt tragen zu dieser Misere bei.
Körperliche Erkrankungen, die psychische Störungen hervorrufen können
Die untenstehende Auflistung zeigt eine Übersicht der möglichen Ursachen psychischer Störungen mit einigen Beispielen. Weitere körperliche Krankheiten und die am häufigsten von ihnen verursachten psychischen Symptome werden im Anhang gezeigt. Die Anzahl der möglichen Ursachen ist sehr gross und füllt ganze Bücher. So wurden z. B. für die Symptomatik einer Depression hunderte möglicher körperlichen Ursachen beschrieben.
– Hirntumore, Hirnabzess, Schädel-Hirn Trauma
– Epilepsien (Temporallappenepilepsie)
– Endokrine Erkrankungen (Schilddrüse, Nebenschilddrüse, Nebenniere)
– Gehirnentzündungen (Bakterien, Viren, Pilze, Protozoen, Würmer, Autoimmun)
– Erbkrankheiten (Chorea Huntington, Morbus Wilson, Porphyrie)
– Elekrolytstörungen (Hyponaträmie)
– Krebs (Pankreas, Lunge, Brust, Eierstock, Prostata, Hypophyse)
– Mangelzustände (Eisen, B-Vitamine, Mineralien, Spurenelemente)
– Intoxikationen (Schwermetalle, Organische Gifte)
– Medikamente (Fluorchinolon-Antibiotika, Isoretinoine, Kortison, „Antibabypille“)
– Autoimmunerkrankungen (Lupus, Multiple Sklerose, Hashimoto, Diabetes Typ I, Zöliakie)
– Allergien/Unverträglichkeiten (Fruktose-, Laktoseintoleranz)
– Organerkrankungen (Herz, Niere, Leber, Pankreas)
– Neurologische Erkrankungen (Multiple Sklerose, Parkinson, Demenz)
– Infektionen (Influenza, Syphilis, Borreliose, HIV, Herpes-Viren, Toxoplasmose)
In den letzten Jahren wurde die Wichtigkeit von Autoimmun-Gehirnentzündungen (Enzephalitiden) ohne begleitende neurologische Auffälligkeiten als Ursache von schwerwiegenden Erkrankungen wie Psychosen, Depressionen, Bipolaren Störungen und Zwangsstörungen erkannt und erfolgreich mit immunsuppressiven Therapien behandelt.
Für das Krankheitsbild einer Schizophrenie wird eine Vielzahl organischer Ursachen beschrieben (Tebartz van Elst 2021), was für Betroffene ganz neue Möglichkeiten der Behandlung und ursächlichen Heilung aufzeigt. Auch Infektionen des Gehirns mit allen möglichen Erregern können die verschiedensten psychischen Störungen hervorrufen (Niehaus 2021), die dann nicht mit Psychopharmaka, sondern mit Antibiotika, Virostatika u. ä. behandelt werden sollten. Hier sollte z. B. an eine Borreliose und an Syphilis, die wieder auf dem Vormarsch ist, gedacht werden.
Wie gross ist das Ausmass dieser Problematik?
Die Psychiater Koranyi & Potoczny haben 1998 eine Übersichtsarbeit publiziert, in der sie 21 Studien über die Häufigkeit körperlicher Erkrankungen bei Psychiatriepatienten aus den Jahren 1937 bis 1991 ausgewertet haben. Bei insgesamt 9200 Patienten wurde bei einer unabhängigen Untersuchung bei 50% eine körperliche Erkrankung festgestellt. Bei 58% dieser Patienten war die Diagnose vorher nicht bekannt und bei 27% hatte die körperliche Erkrankung eine direkte Beziehung zum psychiatrischen Krankheitsbild. Es bestand also bei ca. 14% (dieser Wert umfasst bei den o. g. 21 Studien den Bereich von 7 bis 37%) der psychiatrischen Patienten eine körperliche Erkrankung, die nachträglich als Ursache des psychiatrischen Krankheitsbildes identifiziert wurde. Die meisten dieser Patienten waren stationär in psychiatrischen Kliniken untergebracht. Unter Beachtung der Tatsache, dass früher moderne bildgebende Verfahren (MRT, CT) und manche Labormethoden noch nicht verfügbar waren, ist die mittle Häufigkeit von 14% wohl nach oben zu korrigieren. Auch ist zu berücksichtigen, dass die Verursachung psychiatrischer Krankheitsbilder durch Autoimmun-Entzündungen des Gehirns erst im Jahr 2007 entdeckt wurde. In diesem Sinn wird der Anteil körperlich bedingter psychischer Störungen immer grösser und aus psychiatrischen „Fällen“ werden solche für die Neurologie oder Innere Medizin.
Hinweise auf eine körperliche Ursache
Wenn mit dem Auftreten von psychischen Symptomen die folgenden Beobachtungen oder Bedingungen vorhanden sind, oder diesen vorausgehen, sollte immer an eine körperliche Ursache der psychischen Störung gedacht werden und eine entsprechende medizinische Untersuchung veranlasst werden.
– Optische/visuelle Halluzinationen
– Erhöhte Körpertemperatur
– Neurologische Symptome (Bewegung, Sprache, Kognitive Probleme, Bewusstseinstrübung)
– Höheres Alter (ohne frühere psychische Probleme)
– Einnahme von Medikamenten oder Drogen
– Einseitige Ernährung (vegetarisch, vegan, „Fastfood“)
– Ungewöhnliche Kopfschmerzen
– Plötzliche Verhaltensänderung
– Steifer Nacken
– Geschmacksverlust
– Plötzliche Angst vor Auslöschung der Existenz
Häufige Ursachen psychischer Störungen
Es gibt einige körperliche Ursachen, die relativ häufig vorkommen und mit wenig Aufwand und Kosten abgeklärt werden können. Der Hausarzt kann die entsprechenden Laboruntersuchungen veranlassen. Triviale Faktoren wie Schlaf- und Bewegungsmangel, Übergewicht, übermässiger Konsum von koffeinhaltigen oder alkoholischen Getränken, usw. sollten nicht vergessen werden.
Ein Eisenmangel kommt, insbesondere bei menstruierenden Frauen, relativ häufig vor. Solch ein Eisenmangel darf nicht mit einer Anämie (Hämoglobinwert/Hb erniedrigt) verwechselt werdet, die einen schwerwiegenderen Zustand darstellt. Eine Anämie kann verschiedene Ursachen haben, die immer abgeklärt und entsprechend behandelt werden sollten. Bei einem Eisenmangel können psychische Symptome auftreten, obwohl der Hb-Wert noch im Normalbereich liegt. Laboranalytisch sollten der Ferritinwert (Soll: > 80 µg/l) und die Transferritinsättigung (Soll: >30 %) bestimmt werden. Des Weiteren ist eine gute Funktion der Schilddrüse für die psychische Gesundheit von grosser Wichtigkeit. Sowohl eine Unter- (Hypothyreose) als auch eine Überfunktion (Hyperthyreose) gehen oft mit psychiatrischen Symptomen einher. Hier bringen die Laborwerte TSH (Soll: 0.4 – 2.5 mU/l), fT3 und fT4 Klarheit. Auch die Funktion der Nebenniere sollte überprüft werden. Dies geschieht am besten mit einem Cortisol-Tagesprofil, das einfach mit 3-4 Speichelproben erstellt werden kann. Zur Abklärung von (unerkannten) Autoimmunerkrankungen sollten ein ANA-Test (Antinukleäre Antikörper) gemacht werden. Weiterhin werden Laboranalysen der B-Vitamine (insbesondere B1, B3, B6, B12 und Folsäure) empfohlen. Routineuntersuchungen wie das Blutbild, Elektrolyte, Gesamteiweiss, Nieren- und Leberwerte und CRP/Blutsenkung stellen eine notwenige Ergänzung dar.
Was ist zu tun?
Wenn eine psychische Störung so schwerwiegend ist, dass eine stationäre Behandlung nötig ist, mit grossem Leid verbunden ist, oder hartnäckig über längere Zeit bestehen bleibt, sollte eine umfassende somatische Untersuchung veranlasst werden. Dies ist auch bei jedem erstmaligen Auftreten einer Psychose angezeigt.
Neben einer ausführlichen Anamnese sollte eine körperliche Untersuchung, umfassende Laboranalysen von Blut und Liquor (Nervenwasser), ein MRT (oder CT) des Kopfes, und ein EEG gemacht werden.
Wir wollen dabei nicht aus den Augen verlieren, dass in den meisten Fällen von psychischen Problemen psychogene, und nicht endogene oder körperliche Ursachen vorliegen.
Literaturverzeichnis
Tebartz van Elst, Vom Anfang und Ende der Schizophrenie. Eine neuropsychiatrische Perspektive auf das Schizophrenie-Konzept. Kohlhammer 2021
Eine ausführliche Buchrezension findet man hier:
Bock, Das entzündete Gehirn – wenn der Körper die Seele krank macht. Die versteckte Ursache von Depressionen, Angststörungen und anderen psychischen Erkrankungen bei Jugendlichen verstehen und behandeln. Riva 2022
Bullmore, Die entzündete Seele. Ein radikal neuer Ansatz zur Heilung von Depressionen. Goldmann 2019
Lamparter & Schmidt, Wirklich psychisch bedingt? Somatische Differenzialdiagnosen in der Psychosomatischen Medizin und Psychotherapie. Schattauer 2018
Morrison, Der zweite Blick: Psychische Störungen als Symptome somatischer Krankheiten. Hogrefe 2000 (nur noch über Fernleihe erhältlich, englisches Original siehe nächster Eintrag)
Morrison, When Psychological Problems Mask Medical Disorders. Guilford Publications 2015
Welch, Ist das Gehirn schuld? 3L-Verlag 2004
Kasten, Somatopsychologie. Körperliche Ursachen psychischer Störungen von A bis Z.
Ernst Reinhardt Verlag 2010
Kapfhammer, Depression, Angst, traumatischer Stress und internistische Erkrankungen. Eine psychosomatische und somatopsychische Perspektive. Springer 2023
Niehaus & Pfuhl, Die Psycho-Trojaner. Wie Parasiten uns steuern. Hirzel 2021
Dilling, Mombour & Schmid, Internationale Klassifikation psychischer Störungen. ICD–10 Kapitel V (F). Hogrefe 2015
Eine Onlineversion kann hier eingesehen werden:
https://www.dimdi.de/static/de/klassifikationen/icd/icd-10-gm/kode-suche/htmlgm2020/chapter-v.htm
In englischsprachiger Sprache gibt es eine umfassende und detaillierte Literatur zu dieser Thematik. Empfehlungen auf Nachfrage.
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