1. Wer bestimmt, wer ich bin – Ideologie, Gefühle oder Normen?

Stellungnahme zum Selbstbestimmungsgesetz

Am 12. April wurde das „Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag (SBGG)“[1], besser bekannt als das „Selbstbestimmungsgesetz“ vom deutschen Bundestag verabschiedet.[2] Es soll am 1. November 2024 in Kraft treten.[3] Nun ist es gem. § 5 Abs. 1 SBGG in Verbindung mit § 2 SBGG einmal jährlich möglich, die Eintragung seines Geschlechts oder des Vornamens per Selbsterklärung beim Standesamt (§ 2 Absatz 1, § 4 SBGG) ändern zu lassen. Dabei darf man zwischen männlich, weiblich, divers oder völligem Fehlen eines Geschlechtseintrags wählen (§ 2 Absatz 1 SBGG in Verbindung mit § 22 Absatz 3 Personenstandsgesetz (PStG).

Offenbarungsverbot

Ab diesem Zeitpunkt kann gem. § 14 SBGG mit einem Bußgeld von bis zu 10.000 € belegt werden, wer den früheren Geschlechtseintrag oder einen Vornamen offenbart und dadurch die betroffene Person absichtlich schädigt (sogenanntes „Offenbarungsverbot“). Bezug genommen wir hierbei auf § 13 SBGG Absatz 1 Satz 1 SBGG, wonach die früheren Angaben nicht ohne Zustimmung der betroffenen Person offenbart werden dürfen. Was „offenbaren“ genau bedeutet, lässt sich nur erahnen. Jedenfalls fällt die unerwünschte Ansprache mit einem vorherigen Vornamen im Beisein von solchen, die diesen noch nicht kennen, darunter. Wer also erkennt, dass er ein Mädchen vor sich hat, die aber statt Andrea nun mit Andreas angesprochen werden möchte, hat die Wahl zwischen einem möglichen Bußgeld oder Einstimmen in die gefühlte Lebenswirklichkeit des Mädchens, welche im schroffen Kontrast zur biologischen Realität steht. So wird Druck ausgeübt in die gefühlte Wahrnehmungswelt des Betroffenen einzusteigen und diese – auch entgegen der eigenen Überzeugungen – in ihrer Illusion zu bestärken.

Wo sonst wird man gezwungen biologische Realitäten zu leugnen? Wenn ein 60-jähriger Mann behauptet, 15 Jahre alt zu sein, weil dies seiner empfundenen Wirklichkeit entspricht, sind wir als Bürger nicht gesetzlich verpflichtet, seiner Fantasie zuzustimmen. Wohl eher im Gegenteil, hier ist man aufgerufen der Person zu helfen ihre Illusion zu überwinden. Die Klage des Holländers Emile Ratelband aus 2018 auf Feststellung, dass er keine 69 Jahr als sei, sondern nur 49, wurde von einem holländischen Gericht abgewiesen.[4] In der Sache wurde die Abweisung damit begründet, dass man sein Alter nicht anpassen könne. Es gingen Registeraufzeichnungen verloren und Pflichten wie die Schulpflicht hingen an dem Alter. Für die Schulpflicht ist es demnach wichtig an den objektiv feststellbaren biologischen Tatsachen festzuhalten. Für die Frage, ob man Mann oder Frau ist, soll aber etwas anderes gelten? Die Absurdität wird im Gesetz selbst deutlich (in § 8 SBGG). Hier muss geregelt werden, was eine Frau oder ein Mann ist, ohne dies explizit zu sagen. Es soll unabhängig vom Personenstandsregister beispielsweise festgestellt werden, wer gebärfähig ist. Das ist wenig überraschend die Person, die schwanger oder gebärfähig ist – bisher auch schlicht „Frau“ genannt. Jetzt angeblich nicht mehr unbedingt! Aber für die biologischen Fragestellungen müssen wir – auch gesetzlich – letztlich doch auf die medizinischen Tatsachen abstellen.

Eine Lawine wird losgetreten

Eine Verunsicherung hinsichtlich der geschlechtlichen Identität in der Phase der Pubertät ist nicht ungewöhnlich. Diese Verunsicherung klingt in der Regel mit Abschluss der Pubertät ab. Greift man nun jedoch in diese volatile Phase ein und bestärkt die Verunsicherung mittels sozialer Transition (wozu neben der Änderung des Vornamens auch das Tragen gegengeschlechtlicher Kleidung und Frisuren gehört), mit sogenannten Pubertätsblockern oder gegengeschlechtlicher Hormongabe, führt dies in so gut wie allen Fällen dazu, dass der Heranwachsende sich letztlich auch für operative Maßnahmen entscheidet, um den Wechsel zum anderen Geschlecht „ganz“ zu vollziehen. Wer also die erste Stufe der Transition nimmt, wird sich so gut wie immer auch für alle weiteren Schritte entscheiden.[5]

Statt, wie in vielen Ländern in den letzten Jahren geschehen, Pubertätsblocker zu verbieten, wird den Heranwachsenden nun mit dem neuen Selbstbestimmungsgesetz noch eine Möglichkeit geboten, die Verunsicherung hinsichtlich des eigenen Geschlechts zu bestärken und damit letztlich unumkehrbare Maßnahmen mittels Medikamente und Operationen an sich vollziehen zu lassen: die Eintragung des Geschlechts mit dem Wechsel des Vornamens. Es ist davon auszugehen, dass dieser Akt per Selbsterklärung eine ähnliche Wirkung entfalten wird wie die Gabe von Medikamenten. Der Jugendliche wird bestätigt auf seinem Weg hin zur Trans-Behandlung. Ist die Lawine erst ins Rollen gebracht, kann sie kaum noch aufgehalten werden. Der Kinder- und Jugendpsychiater Prof. Korte sowie der Psychologe Prof. Tschuschke fragen daher kritisch:

„Ist es aber realistisch, anzunehmen, dass die betroffenen Kinder im Falle einer frühzeitigen, bereits in jungen Jahren durchgeführten personenstandsrechtlichen Transition imstande sind, gegen die dadurch geschaffenen Fakten anzugehen, sprich die getroffene juristische Entscheidung mit all ihren Konsequenzen später wieder rückgängig zu machen und einen anderen, alternativen Weg einzuschlagen? Oder droht nicht vielmehr die Gefahr, mit einer ungeprüft durchgewunkenen (in Form eines Verwaltungsaktes vorgenommenen) Personenstandsänderung eine Persistenz der Geschlechtsdysphorie zur Transsexualität als einzige Option für das Kind zu präjudizieren? Jüngere Studien liefern Hinweise, was eine frühzeitige soziale Transition tatsächlich bewirkt: Sie treibt die Rate der Persister nach oben.“[6]

Wer die juristische Transition kritisch hinterfragt, wer auch nur zur Vorsicht mahnt und darauf hinweist, dass die Verunsicherung hinsichtlich des eigenen Geschlechts in den meisten Fällen von alleine verschwindet, der wird als transphob abgestempelt oder ab 2024 gar mit einem Bußgeld abgestraft.

Wer entscheidet zum Wohle des Kindes?

Für die Selbsterklärung vor dem Standesamt ist für 14 – 17-jährige keinerlei Beratung oder ärztliche Stellungnahme notwendig, sondern lediglich die Zustimmung der Eltern (§ 3 Absatz 1 SBGG). Diese kann notfalls auch durch ein Familiengericht ersetzt werden, wenn die Änderungen dem Kindeswohl nicht widersprechen. Man achte auch auf die Beweislast hier: Es muss also nicht festgestellt werden, dass die Änderungen dem Kindeswohl entsprechen, sie dürfen nur dem Kindeswohl nicht widersprechen. Eine ungleich niedrigere Hürde als die Feststellung, dass die Änderungen dem Kindeswohl entsprechen.

Für Minderjährige bis zum 14. Lebensjahr genügt laut § 3 Absatz 2 SBGG eine Erklärung der Eltern, der Minderjährige muss lediglich anwesend sein bei Abgabe der Erklärung.[7] Dies von einer Familienministerin, die sogenannten Kinderrechte ins Grundgesetz schreiben möchte, womit man als Staat die Kinder vor den eigenen Eltern schützen können möchte.[8] Wo bleiben beim SBGG die Kinderrechte? Warum sollen die Kinder im SBGG dem elterlichen Willen ausgeliefert sein, bei anderen Fragen aber der Staat zum Wohle des Kindes gegen die Eltern vorgehen können? Welcher Maßstab wird für die Bewertung herangezogen, wann es auf die elterliche Einschätzung ankommt und wann man als Staat zum Wohle der Kinder in eine Familie eingreifen muss?

In der bisherigen Regelung war zumindest ein gutachterliches Vorgehen vorgesehen, in dem bestätigt werden musste, dass die geschlechtliche Verunsicherung einen echten Krankheitswert beinhaltete. Krankheitswert bedeutete bis dato, dass das Auseinanderklaffen von biologischem und empfundenem Geschlecht als anhaltend leidvoll erfahren wurde. Da jedoch im Progress der neu geschaffenen Geschlechtsinkongruenz (statt vormals Genderdysphorie oder Geschlechtsidentitätsstörung) eine Entpathologisierung vorgenommen werden soll, darf mithin auch nicht von Krankheit die Rede sein. Was aber soll sowohl eine langjährige Medikamenteneinnahme als auch zahlreiche Operationen anderes sein, wo doch vermeintlich keinerlei Erkrankung vorliegt, als eine Behandlung?

Zu Recht muss hier, auch angesichts der geplanten großen Umwälzungen im Familienrecht zugunsten gleichgeschlechtlicher Paare mit Kinderwunsch,[9] gefragt werden: wer entscheidet über die Zukunft der Kinder? Drohen hier nicht Verschiebungen hin zu Aktivisten, flüchtigen Gefühle oder genderaffine Eltern? Vor diesem Hintergrund gewinnt der Ausdruck SELBST-Bestimmungsgesetz erst recht eine perfide Note. Denn das Selbst ist bei Minderjährigen derart beschaffen, dass es weitreichende Konsequenzen der medikamentösen und operativen Eingriffe nicht abschätzen, Gefühle nicht seinen angemessenen Stellenwert einräumen kann und zu guter Letzt nicht abschätzen kann, wie sehr dieses Selbst durch die omnipräsenten Genderpropaganda beeinflusst und manipuliert wurde.

Die große Hoffnung, die Jugendliche in die Transbehandlung setzen, platzt nur zu oft wie Seifenblasen. Sie erwachen in einem Körper, der durch viele Operationen unumkehrbar gezeichnet ist, sie erleben häufig anhaltende Nebenwirkungen wie Inkontinenz oder fehlender genitaler Empfindung. Sie merken, dass ihre Probleme nicht gelöst sind, weil sie immer noch dieselben Personen sind, auch wenn in einem veränderten Körper. Immer mehr entscheiden sich daher, wieder zu ihrem ursprünglichen Geschlecht zurückzukehren, zu detransitionieren. Eine echte Wiederherstellung der vorherigen Bedingungen eines gesunden Körpers ist jedoch leider nicht mehr möglich.

Fazit

Als Christen im Dienst an Kranken e. V. setzen wir uns dafür ein, die Lügen der haltlosen Versprechen der Transbehandlungen als solche zu entlarven. Wir wollen Eltern, Jugendliche und Kinder davor warnen, den Heilsversprechen der Genderideologie Glauben zu schenken und sich auf letztlich unumkehrbare Behandlungen einzulassen. Wir sind überzeugt, dass ein gedeihliches Leben nur möglich ist, wenn wir in Übereinstimmung mit dem Geschlecht leben, welches unser Schöpfer uns gegeben hat. Was Jugendliche und Kinder benötigen, ist nicht eine Stärkung ihrer flüchtigen und häufig verwirrenden Gefühle, sondern starke und stabile Normen, die ihnen Halt geben. Wir machen uns für diejenigen stark, die eine Behandlung bereits durchgeführt haben und feststellen, dass die Therapie mehr geschadet als genutzt hat. Und wir halten den Politikern und Aktivsten entgegen, dass nicht das Gefühl über unser Geschlecht entscheiden kann, sondern allein derjenige, der den Menschen „als Mann und Frau“ (Gen 1,27) erschuf. Eine Separation vom biologischen zum empfundenen Geschlecht, wie es das Selbstbestimmungsgesetz vorsieht, zerstört den Menschen. Nicht der Mensch, sondern Gott bestimmt die Zuordnung zu männlich oder weiblich. Wer dies negiert, setzt sich nicht für das Wohl des Menschen ein.

 

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Quellen-Nachweis

[1] BT Drucksache 20/9049

[2] Die 2. und 3. Lesung, sowie die Abstimmung nachzulesen unter: https://dserver.bundestag.de/btp/20/20164.pdf#P.21102 aufgerufen am 18.4.2024

[3] https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/tipps-fuer-verbraucher/selbstbestimmungsgesetz-2215426#:~:text=Das%20Gesetz%20tritt%20in%20zwei,Transsexuellengesetz%20von%201980%20endgültig%20ab. abgerufen am 20.04.2024

[4] https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/niederlande-positiv-guru-ratelband-scheitert-mit-klage-auf-amtliche-verjuengung aufgerufen am 18.04.2024

[5] Vgl. Olson KR, Durwood L, Horton R, Gallagher NM, Devor A. Gender Identity 5 Years After Social Transition. Pediatrics. 2022 Aug 1;150(2):e2021056082. doi: 10.1542/peds.2021-056082.

[6] Korte, A. und Tschuschke, V.: Sturm und Drang im Würgegriff der Medien – Die Leiden der jungen Generation am eigenen Geschlecht. Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie. 2023. 51 (5), 356.

[7] https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/gleichstellung/queerpolitik-und-geschlechtliche-vielfalt/gesetz-ueber-die-selbstbestimmung-in-bezug-auf-den-geschlechtseintrag-sbgg–199332 aufgerufen am 18.4.2024

[8] https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/alle-meldungen/lisa-paus-gratuliert-allen-kindern-und-jugendlichen-zum-weltkindertag-201704aufgerufen am 18.04.2024

[9] https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/eckpunkte-familienrecht-kindschaftsrecht-eltern-sorgerecht-umgang-wechselmodell-vater-mutter/aufgerufen am 18.04.2024

Foto von Tim Mossholder auf Unsplash