Viel hilft viel – maximale Erfolge durch maximale Therapie?

Autor: Markus Vogel

Eine der vielen Spritzenpumpen gibt lautstark Alarm, bald muss das in ihr befindliche Medikament erneuert werden. Es dient der Kreislaufunterstützung und wird als eines von vielen Medikamenten kontinuierlich in einen Zugang am Hals des Patienten geleitet. Am Kopfende des Bettes meldet sich das Beatmungsgerät, denn die Beatmungsdrücke, mit denen der Apparat Luft in die Lunge drückt, müssen angepasst werden. An der anderen Seite übernimmt eine große Maschine den Nierenersatz, indem sie stetig das Blut von Schadstoffen befreit. Der Patient bekommt von alldem wenig mit, er befindet sich in einem tiefen künstlichen Koma. Ein solches Szenario ist wohl für die meisten Menschen hierzulande eine schreckliche Vorstellung, sowohl als Patient als auch als Angehöriger. Viele wünschen sich, nie eine Intensivstation betreten zu müssen. Und doch kann es für viele Menschen plötzlich zur Realität werden. Diese Station gilt als Schnittstelle zwischen Leben und Tod und als Inbegriff des medizinischen Konzepts der Maximaltherapie, in der das komplette medikamentöse und technische Repertoire moderner Medizin ausgenutzt wird. Seit Jahren und spätestens seit der Coronapandemie ist diese „Höchstform“ der Medizin heiß diskutiert worden. Wer soll eine Maximaltherapie erhalten? Wann ist Maximaltherapie sinnvoll? Wie lässt sich Übertherapie als Abgrenzung zur Maximaltherapie verhindern? Und was genau ist unter Maximaltherapie überhaupt zu verstehen? Solche und viele weitere Fragen stellen sich in der Diskussion um das Prinzip der Maximaltherapie.

1. Großes Spektrum

Der Begriff legt es bereits nahe: Bei der Maximaltherapie handelt es sich um die Ausschöpfung der am Patienten anwendbaren Therapiemöglichkeiten, seien sie medikamentös, maschinell oder interventionell. Im Allgemeinen wird Maximaltherapie mit intensivmedizinischer Behandlung gleichgesetzt, jedoch gibt es auch hier wichtige Aspekte zur Einordnung des Begriffs. Zum einen ist Maximaltherapie oft standortabhängig. In der Coronapandemie bestand die Maximaltherapie beim schweren Lungenversagen aus dem Lungenersatz mittels ECMO (Extrakorporale Membranoxygenierung), bei der das Blut außerhalb des Körpers mit Sauerstoff angereichert wird. Diese Therapie können nur große Kliniken mit ausreichend erfahrenem Personal in begrenzter Menge anbieten. Deshalb war es durchaus möglich, dass Patienten mit Lungenversagen eben nicht immer die Maximaltherapie erhielten, auch wenn es die maximale Intensivtherapie des behandelnden Krankenhauses war. Zum anderen ist Maximaltherapie auch ein situativer Begriff, denn nicht nur Patienten auf Intensivstationen nehmen eine Maximaltherapie in Anspruch, auch viele andere Fachgebiete setzen dieses Konzept um. In der Onkologie existieren beispielsweise viele für den Patienten sehr belastende maximale Therapieansätze. Ein Blasenkrebs, der die Muskelschicht des Organs befallen hat, wird in der Regel mit einer relativ nebenwirkungsreichen Chemotherapie vor- und nachbehandelt und zieht die komplette Entfernung der Blase mit kompliziertem und funktionell eingeschränktem Blasenersatz nach sich. Auch Strahlentherapien können zum Einsatz kommen. Ein Patient, der eine Maßnahme dieses Therapieschemas ablehnt, erhält formal keine Maximaltherapie seiner Erkrankung mehr. Ebenso ein sehr betagter Patient mit weit fortgeschrittener Nierenerkrankung, der eigentlich eine dauerhafte Dialysetherapie erhalten müsste, sich aber dagegen entscheidet. Auch er lehnt die Maximaltherapie in seiner Situation ab. Es wird deutlich, dass Maximaltherapie ein sehr vielgestaltiger Begriff ist und vorrangig, aber nicht ausschließlich, für die Intensivtherapie verwendet wird. Große Leistungen Die Medizin hat in den letzten 100 Jahren große Fortschritte gemacht. Viele Verfahren wurden entwickelt, um Krankheiten zu behandeln, hinauszuzögern und Symptome zu lindern. Es darf als Geschenk Gottes verstanden werden, in einer Zeit zu leben, in der viele Krankheiten als Banalitäten und nicht lebensverkürzend gelten. Und auch auf dem Gebiet der maximalen Intensivtherapie dürfen wir neben dem kritisch zu hinterfragenden Umfang dankbar sein, dass in schweren Krankheitssituationen ein künstlicher Organersatz flächendeckend zur Verfügung steht. Die Funktion von Lunge, Nieren und dem Herzen können heute unterstützt und ersetzt werden. Dazu steht ein großes Repertoire an hochwirksamen Medikamenten zur Kreislaufunterstützung, Schmerztherapie und Narkose bereit. In kritischen Situationen kann eine maximale Intensivtherapie Großes leisten. Auch wenn nur bei wenigen Patienten eine Restitutio ad integrum, also die vollständige Wiederherstellung der Gesundheit zu erreichen ist, so hilft die Maximaltherapie oft eine gewisse Lebensqualität wiederherzustellen. Im Mittel verlassen knapp 85 % aller schwerkranken Behandelten die Intensivstation lebend.

2. Großes Konfliktpotential

Jedoch muss ein maximaltherapeutischer Ansatz auch in sinnvollen Grenzen stattfinden. Nicht zuletzt, weil eine Übertherapie, also das Hinausgehen über die für den Patienten in seiner Situation angezeigte Therapie, medizinisch, ethisch und auch wirtschaftlich höchst bedenklich ist. Zum einen ist die richtige Indikation, also die fachgerechte Begründung für eine Maximaltherapie, sorgfältig zu stellen. In diese Entscheidungsfindung sollten einige wichtige Faktoren eingehen, wie etwa die zugrunde liegende Erkrankung, der körperliche und psychische Zustand des Patienten und nicht zuletzt der (manchmal auch nur mutmaßliche) Patientenwille. Gerade letzterer spielt in der Entscheidungsfindung eine wichtige Rolle, denn hier sind Konflikte im Behandlungsteam und mit Angehörigen nicht selten. Für den Behandler ist es von großer Bedeutung, durch gute Aufklärung und Gespräch eine fundierte Entscheidung mit dem Patienten zu erarbeiten. Denn es kann sowohl sein, dass ein Patient eine mögliche Maximaltherapie, entgegen der ärztlichen Empfehlung ablehnt, als auch eine Maximierung der Therapie entgegen des ärztlichen Rats fordert. Doch ebenso wichtig wie die Entscheidung zum Beginn einer Maximaltherapie, ist die Entscheidung zur Aufrechterhaltung dieser. Im Prozess muss regelmäßig evaluiert werden, ob das gesetzte Ziel noch erreichbar ist und wie der Verlauf der Erkrankung verbessert werden könnte. Gegebenenfalls müssen dann Therapie und Ziele neu angepasst werden und in manchen Fällen die Therapie deeskaliert oder sogar beendet werden.

3. Große Verantwortung

In vielen Szenarien ist es nur schwer möglich, ausführliche Gespräche in den Entscheidungsprozess mit einzubeziehen, denn viele kritische Situationen gehen mit eingeschränkter Kommunikationsfähigkeit seitens des Patienten einher. Wird dann die medizinische Indikation zur Maximaltherapie gestellt und ist der Standpunkt des Patienten zu dieser nicht eindeutig, wird eine Maximaltherapie regelhaft begonnen, um auch im Zweifelsfall keine lebenserhaltenden Maßnahmen unterlassen zu haben. Hierbei kann eine Patientenverfügung hilfreich sein, um die Ärzte bei der Erörterung des Patientenwillens zu unterstützen. Um diesen Zweck zu erfüllen, sollte das Dokument so unmissverständlich wie möglich formuliert sein. Insbesondere sind in diesem Zusammenhang allgemein gehaltene Aussagen weniger hilfreich. „Ich lehne lebenserhaltende Maßnahmen ab“, ist ebenso ungeeignet wie „ich verweigere jede Form der Maximaltherapie“, um zur Willensbildung beizutragen. Vielmehr sollten konkrete Maßnahmen nach einzelner Prüfung angenommen oder abgelehnt werden (Invasive Beatmung, Dialyse, künstliche Ernährung, et cetera). Eventuell sollte dann auch die Therapie erklärt und die möglichen Konsequenzen der Ablehnung dieser dargelegt werden, um dem Behandlungsteam ein informiertes Bild des Patientenwillens zu verschaffen. Außerdem kann es hilfreich sein, einen Zeitraum zu wählen, in dem zunächst die komplette maximaltherapeutische Bandbreite in Anspruch genommen wird. Dieser Zeitraum kann individuell gewählt werden. Sinnvoll ist hier sicherlich eine Festlegung, die sich am eigenen Gesundheitszustand, dem Verständnis von Lebensqualität und dem Alter orientiert. Nach dieser Zeit soll dann eine Neubewertung der Ziele und der klinischen Situation erfolgen und eventuell eine Anpassung stattfinden. Hier ist es auch wichtig zu betonen, dass ein palliativmedizinischer Ansatz auch bei laufender Maximaltherapie auf einer Intensivstation stattfinden und in der Patientenverfügung gewünscht werden kann. Weiterhin kann man das Behandlungsteam in seinen Entscheidungen unterstützen, indem eigene Überzeugungen über das Leben und den Tod kurz dargelegt werden. Für Christen ist es hier zum Beispiel möglich, die Heiligkeit und den Wert des Lebens zu unterstreichen, aber auf der anderen Seite auch darzustellen, dass das Sterben nicht das Ende, sondern einen Übergang darstellt. Diese Überzeugung sollte nicht nur niedergeschrieben, sondern auch im Kreis der Angehörigen bekannt sein. So kann sich eine differenzierte Vorstellung des Patientenwillens verschafft werden. Überhaupt ist die Vorsorgevollmacht eine Alternative zur Patientenverfügung. Im Gespräch mit dem Vorsorgebevollmächtigten können dann die möglichen medizinischen Szenarien erörtert und besprochen werden und gemeinsam die beste Entscheidung für den Patienten getroffen werden. Außerdem erspart sie die gerichtliche Bestellung eines Betreuers.

4. Großer Gott

Maximaltherapie ist ein medizinischer Ansatz, der zeitlich, örtlich und situativ gedeutet werden muss. Mit den richtigen individuellen Grenzen kann dieses Konzept zum Vorteil des Patienten dienen und Übertherapie vermieden werden. Christen steht die Möglichkeit, eine Maximaltherapie in Anspruch zu nehmen, offen, jedoch sollte die individuelle Entscheidung gut durchdacht und erbetet sein. Dazu gehört zum Beispiel auch das Einholen von Informationen zur gewünschten Therapie und die kritische Betrachtung dieser. Auch ein seelsorgerliches Gespräch kann in der Entscheidungsfindung helfen, die eigenen Wünsche und Ansichten mit dem Wort Gottes abzugleichen und zu einer informierten individuellen Entscheidung zu kommen. Eine Anpassung des Patientenwillens kann jederzeit vorgenommen werden, sobald sich die Ausgangssituation ändert. Im Zweifelsfall überstimmt der aktuell geäußerte Wille die Patientenverfügung. Als Christ darf man vertrauens- und verantwortungsvoll dem uns liebenden Gott die eigene Fügung anbefehlen, in dem Wissen, dass es Seine Gnade ist, die das eigene Leben erhält. Gott steht über den schwierigen Umständen des Einzelnen und verspricht uns Seinen Beistand. Das darf Hoffnung geben: Zum einen den Blick auf das Irdische und die damit verbundenen und verbleibenden Aufgaben und Möglichkeiten zu richten und zum anderen vorausschauend auf das kommende Reich Gottes zu warten. Ein Zwiespalt, den schon Paulus kannte: „Ich werde aber von beidem bedrängt: Ich habe Lust, abzuscheiden und bei Christus zu sein, denn es ist weit besser; das Bleiben im Fleisch aber ist nötiger um euretwillen.“ (Philipper 1, 23–24)


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