Basismaßnahmen bei Depressionen
Basismaßnahmen bei Depressionen
Autor: Dr. med. Matthias Klaus
Wer depressiv ist, sieht kein Licht am Ende des Tunnels. Die Stimmung ist anhaltend trübe, die Motivation und die Freude fehlen. Häufig gesellen sich Schlaflosigkeit und rasche Erschöpfung hinzu. Die Gedanken kreisen – insbesondere in der Nacht – und lassen sich nicht stoppen. Dies sind nur einige der möglichen Symptome, die eine Depression kennzeichnen. Doch wie findet man heraus aus dem tiefen Loch? Wie kann eine Leiter nach oben gebaut werden? Der erste Schritt ist die ärztliche Einordnung, warum diese Symptome auftreten. Liegt eine körperliche Erkrankung oder eine familiäre Belastung vor oder sind die Symptome eine Reaktion auf schwere Lebensumstände? Unabhängig von der sich aus den jeweiligen Ursachen ergebenden spezifischen Behandlung, greifen die in diesem Artikel entfalteten Basismaßnahmen[1] bei jeder Art der Depression und helfen, die Symptome zu lindern oder gar zu überwinden. Die Basismaßnahmen bei Depressionen sind also nicht anstelle der spezifischen ärztlichen oder seelsorgerlichen Behandlung anzusehen, sondern als Grundlage, auf der die spezifischen Interventionen aufbauen.
1. Das vertrauensvolle Gespräch
Die wichtigste Säule bei der Behandlung von depressiven Symptomen ist das Gespräch. Der Betroffene braucht eine Beratung, in der er vermittelt bekommt, dass er mit seinen Beschwerden nicht isoliert dasteht. Die unterschiedlichen Puzzleteile, wie zum Beispiel Schlaflosigkeit, innere Unruhe und starke Stimmungsabsenkung, sind Ausdruck eines Gesamtbilds, nämlich eines depressiven Syndroms.[2] Es gilt, diese Symptome empathisch einzuordnen und in einem zweiten Schritt Hoffnung aufzuzeigen. Die meisten Depressionen klingen nach Wochen bis Monaten von selbst ab, die Prognose ist außerordentlich gut, auch wenn ein langer Atem nötig ist. Die Hintergründe, Symptome und typischen Verläufe einer Depression zu erklären, wirkt bereits therapeutisch (sogenannte Psychoedukation). Der Depressive ist seinen Krankheitszeichen nicht hilflos ausgeliefert, sondern kann ihnen durch wirksame Maßnahmen entgegentreten. Er ist also nicht Opfer einer Erkrankung, die über ihn kommt, sondern kann aktiv an seiner Genesung mitwirken. Das Gespräch muss schließlich den ins Zentrum rücken, der unser Erschaffer und zugleich unser Erlöser ist – Jesus Christus. Durch ihn gibt es tragfähige Hoffnung, die auch in die tiefste Dunkelheit hineinleuchtet. Er ruft: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, so will ich euch erquicken! Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen! Denn mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht.“ (Matthäus 11,28–30) Im Zusammenhang mit einer Depression treten häufig aussichtlose Betrachtungsweisen bis hin zu Selbstmordgedanken auf. Wozu leben? Echte Antworten hierauf bietet allein Jesus Christus: Es lohnt sich zu leben, weil wir nicht nur von unserem Schöpfer gewollt, sondern auch innig geliebt sind. Wer Christus gehört, wer ihn mit Buße und im Glauben annimmt, darf aus den großen Verheißungen der Bibel Trost und Hoffnung schöpfen – und er bekommt täglich Kraft, gegen die Übermacht der lähmenden Gefühle anzukämpfen.[3]
2. Tagesstruktur
Eine wesentliche Basismaßnahme, um depressive Symptome zu bekämpfen, liegt in der Tagesstrukturierung. Aufgrund der raschen Ermüdbarkeit sowie dem fehlenden Antrieb werden häufig natürliche, tagesstrukturierende Elemente wie beispielsweise der Gang zur Arbeit oder zur Schule, sportliche Aktivitäten, Gemeinschaftsaktionen wie Treffen mit Familie und Freunden, Gottesdienstbesuche oder regelmäßige Mahlzeiten aufgegeben. Häufig steht dahinter die Überzeugung, dass die zusätzliche Ruhe und Entlastung zu einer Linderung der Depression beitragen. Leider ist jedoch häufig das Gegenteil der Fall. Beim Aufbau einer gesunden Tagesstruktur ist darauf zu achten, dass der Betroffene nicht überfordert wird. Dies gelingt durch einen schrittweisen Auf- und Ausbau einzelner Elemente im Tagesplan. Hilfreich sind klar definierte, konkrete Aufgaben, die täglich abgehakt werden können (beispielsweise Spaziergänge, regelmäßige Mahlzeiten, im Verlauf Sport, Erledigung von häuslichen Tätigkeiten, überschaubare Hilfeleistungen für Dritte). Geplante häufige Pausen zu Beginn des Strukturaufbaus werden sukzessive verkürzt. Entgegen der Neigung, sich zurückzuziehen, ist eine regelmäßige Teilnahme am Gottesdienst wichtiger Teil der Strukturierung. Das Ziel dieser Maßnahme besteht nicht darin, wieder das „alte“ Tagespensum zu erreichen. Wenn beispielsweise eine hohe körperliche Belastung, wie etwa das Pflegen von Angehörigen, zur depressiven Symptomatik geführt hat, dann ist an dieser Stelle eine Entlastung und Umstrukturierung der Lebenssituation vonnöten.[4]
„Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, so will ich euch erquicken! Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen! Denn mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht.“
Matthäus 11,28–30
3. Sport
Eine der wirksamsten Methoden gegen depressive Symptome besteht in sportlicher Betätigung aller Art. [5] Dabei ist bemerkenswert, dass schon ein täglicher Spaziergang einen langanhaltenden positiven Effekt auf die Stimmungslage und Motivation hat. Wichtig bei der körperlichen Aktivität ist nicht so sehr die Intensität der Bewegung, sondern vielmehr die Regelmäßigkeit und eine ausreichende Dauer (mindestens 30 Minuten pro Tag). Häufig hilft es daher, Sport in einer Gruppe zu betreiben. Wer Sport treibt, verspürt einen nachhaltig stressmildernden Effekt, stärkt das Immunsystem, fördert die Schlafqualität und baut soziale Kontakte aus. Glückshormone werden ausgeschüttet, Stresshormone abgebaut, natürliche Killerzellen (Teil des Immunsystems) produziert und allgemein Herz und Muskeln gestärkt.[6]
4. Schlaf
Fast immer leiden Depressive unter Ein- oder Durchschlafstörungen, Früherwachen, Tagesmüdigkeit oder seltener an einer deutlich verlängerten Schlafdauer von bis zu 14 Stunden. Wer immer wieder erwacht und von Gedankenkreisen geplagt ist, fühlt sich tagsüber nicht erholt. Wenn am Tag versucht wird, den nächtlichen Schlafmangel auszugleichen, verstärken sich jedoch nachweislich depressive Symptome – eine Abwärtsspirale. Die Schlafqualität zu verbessern ist daher eine wesentliche Säule der Basismaßnahmen gegen Depressionen. Dies gelingt mittels konsequenter Schlafhygiene. Die fünf wesentlichen Schritte finden sich in der Infographik „5 Schritte zu einem erholsamen Schlaf‟.
5. Wachtherapie
Die Wachtherapie ist ein effektives Mittel, um kurzfristig und rasch depressive Symptome zu lindern. Hierfür wird eine Nacht lang ganz auf Schlaf verzichtet. Man bleibt also eine Nacht lang wach, macht weder vorher einen Mittagsschlaf noch in der Nacht kurze Nickerchen. Um eine gesamte Nacht wach zu bleiben, braucht es Verbündete, beispielsweise eine weitere Person, mit der man die Nacht über aufbleibt. Unterstützende Maßnahmen, damit es gelingt sind: ein nächtlicher Spaziergang, Bewegung mit Fitnessübungen oder Gesellschaftsspiele. Erst am Folgetag geht man zur üblichen Zeit ins Bett. Viele Depressive berichten, dass sie nach einer durchwachten Nacht bereits am nächsten Vormittag prompt eine verbesserte Stimmung und einen gesteigerten Antrieb verspüren. Dies stimmt hoffnungsvoll, da es zeigt, dass die Betroffenen tatsächlich noch gute Gefühle und Motivation wahrnehmen können. Der Nachteil besteht darin, dass die Wirkung nur von kurzer Dauer ist und meist am Folgetag bereits die depressive Grundstimmung zurückkehrt. Eine Wachtherapie kann beliebig häufig wiederholt werden, einige führen sie einmal pro Woche durch. Nur wenigen Personen ist von einer Wachtherapie abzuraten, hierzu gehören Patienten mit einer Epilepsie oder mit der Diagnose einer bipolaren Erkrankung.
6. Lichttherapie
Für die saisonal betonte Depression eignet sich in vielen Fällen eine Lichttherapie. In den dunklen Monaten kommt es bei einigen Menschen durch die nur kurze Sonnenscheindauer zu einer regelmäßig im Herbst und Winter auftretenden Depression. Der fehlende Sonnenschein wird mit einer speziellen Lichtlampe mit einer Helligkeit von 10.000 Lux ausgeglichen (zu beziehen via Rezept oder frei verkäuflich über eine Apotheke). Hierfür setzt man sich in einem Abstand von circa einem halben Meter von der Lampe entfernt hin, ohne direkt in die Lampe zu blicken. Dies sollte täglich je 30 Minuten lang für mindestens 30 Tage angewandt werden. Anschließend kann beurteilt werden, ob die Lichttherapie wirksam ist und die depressiven Beschwerden gemildert wurden. Bei guter Wirksamkeit sollte die Lichttherapie konsequent während der gesamten Wintermonate fortgeführt werden.
7. Ernährung
Eine gesunde Ernährung fördert das allgemeine Wohlbefinden. Sie sollte praktisch, schmackhaft und sättigend sein. Nicht die zeit- und kostenintensive Diät führt zum Ziel, sondern einfache Schritte: ein hoher Anteil an Gemüse, Obst und gesunden Ölen, sättigende Beilagen, weitgehender Verzicht auf Fastfood, Süßigkeiten oder Knabbergebäck. Außerdem sind regelmäßige Mahlzeiten (drei- bis viermal täglich), am besten in Gemeinschaft dienlich.[7]
8. Fazit
Mit Hilfe der Basismaßnahmen kann der Depressive unter Anleitung und Motivation durch Angehörige, Seelsorger und Ärzte das Heft des Handelns (wieder) in die Hand nehmen.
"Du hast mir meine Klage in einen Reigen verwandelt; du hast mein Trauergewand gelöst und mich mit Freude umgürtet, damit man dir zu Ehren lobsinge und nicht schweige. O HERR, mein Gott, ich will dich ewiglich preisen!"
Psalm 30,12–13
[1] Siehe hierzu Selalmazidou, A.-M. et. al.: Depression: Niedrigschwellige Kardinalmaßnahmen als Basis jeder Behandlung. Fortschr Neurol Psychiatr 2023; 91(12): 523-534. DOI: 10.1055/a-2169-2120
[2] Hier kann nicht genauer darauf eingegangen werden, dass die Psychiatrie vorrangig deskriptiv, also beschreibend vorgeht. Das depressive Syndrom (also das Nebeneinander von verschiedenen charakteristischen Symptomen über mehr als mindestens zwei Wochen) wird als Depression bezeichnet. Dabei meint Depression nicht, dass es sich um eine eigentliche Krankheit handelt, sondern beschreibt lediglich den Zustand des Patienten. Die Ursache ist damit keineswegs geklärt.
[3] In einem zweiten Schritt werden hier spezifische Maßnahmen folgen: Welche Grundüberzeugungen verbergen sich hinter den Depressionen? Welche biblische Wahrheit steht diesen Grundüberzeugungen entgegen? Wie können sie überwunden werden? Vergleiche hierzu Antholzer, R.: Lehrbuch Biblische Seelosrge, Band IV. Hamburg: tredition. 2021. S. 113–154.
[4] Vergleiche hierzu Somerville, R. B.: Christ & depressiv. Wie kann das sein? Dübendorf: Verlag Mitternachtsruf und Christliche Verlagsgesellschaft. 2. Auflage 2019. S. 65–67.
[5] Noetel, M. et al.: Effect of exercise for depression: systematic review and network meta-analysis of randomised controlled trials. BMJ. 2024 Feb 14; doi: 10.1136/bmj-2023-075847.
[6] Hier sei exemplarisch auf eine Studie verwiesen. Mathot, E. et al.: Systematic review on the effects of physical exercise on cellular immunosenescence-related markers - An update. Exp Gerontol. 2021 Jul 1. doi: 10.1016.
[7] Zur weiteren Lektüre empfohlen: Prock, P.: Welchen Stellenwert hat Lebensstilmedizin in der Seelsorge. Waldems: 3L Verlag. 2019. und Prock, P. u. G.: Essen ist mehr. Ernährung aus biblischer, wissenschaftlicher und praktischer Sicht. Augustdorf: Betanien. 2019.
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STIKO – noch vertrauenswürdig? Ein Kommentar
STIKO – noch vertrauenswürdig?
Autor: Dipl. med. Sabine Kirchner
Die Ständige Impfkommission (STIKO) ist ein unabhängiges, ehrenamtliches Expertengremium, das Impfempfehlungen für die Bevölkerung in Deutschland entwickelt. Dabei orientiert sie sich an den Kriterien der evidenzbasierten Medizin und berücksichtigt sowohl den individuellen Nutzen für geimpfte Personen als auch den Nutzen für die gesamte Bevölkerung.
Ihre Arbeit wird von der STIKO-Geschäftsstelle im Fachgebiet Impfprävention des Robert Koch-Instituts koordiniert und durch systematische Analysen der Fachliteratur unterstützt. Ziel ist es, die Impfempfehlungen an neue Impfstoffentwicklungen und Erkenntnisse aus der Forschung optimal anzupassen. Die STIKO gibt neben den Empfehlungen zu Standardimpfungen auch Empfehlungen zu Indikationsimpfungen bei besonderen epidemiologischen Situationen oder Gefährdungen für bestimmte Personengruppen. Diese umfassen auch Impfungen aufgrund von beruflichen beziehungsweise arbeitsbedingten Risiken sowie Reiseimpfungen.
Für die Zulassung eines Impfstoffs ist dessen Wirksamkeit (im Vergleich zu Placebo oder einem bereits verwendeten Impfstoff) und Sicherheit (unter anderem Häufigkeit von Impfreaktionen und Nebenwirkungen) relevant. Darauf aufbauend analysiert die STIKO das Nutzen-Risiko-Verhältnis für die zu impfende Gruppe, unter Einbeziehung der Epidemiologie auf Bevölkerungsebene und der Effekte verschiedener Impfstrategien für Deutschland. Außerdem entwickelt die STIKO Kriterien zur Abgrenzung einer üblichen Impfreaktion von einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung. (1)
Neuausrichtung der STIKO
Am 12. Februar 2024 gab Karl Lauterbach die Bildung einer neuen STIKO bekannt: 14 der insgesamt 19 Sachverständigen kamen neu hinzu. Die konstituierende Sitzung fand am 13. und 14. März 2024 in Berlin statt.
Von den bislang 17 Mitgliedern blieben nur 5 in dem Gremium vertreten.
„Die STIKO hat in der Pandemie große Leistungen erbracht“, erklärt Lauterbach.
„Jetzt wird sie mit vielen neuen Mitgliedern aus sehr unterschiedlichen Fachbereichen jünger und noch interdisziplinärer besetzt. Auch wissenschaftliche und praktische Spitzenkräfte bauen das neue Team auf. Auch in Zukunft werden die Impfkampagnen der Bundesregierung auf der Grundlage der STIKO-Empfehlungen beruhen. Die Unabhängigkeit der STIKO von politischer Einflussnahme hat sich bewährt und bleibt weiter bestehen.“
Neben Expertinnen und Experten aus Immunologie, Mikrobiologie, Pädiatrie, Gynäkologie, Allgemein- und Arbeitsmedizin werde die STIKO künftig um Fachkenntnisse in Modellierung und Kommunikation erweitert. So werden ihr die Kommunikationswissenschaftlerin Prof. Dr. Constanze Rossman von der Ludwig-Maximilians-Universität München sowie die Epidemiologin Dr. Berit Lange vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung angehören. Lange ist Leiterin der Deutschen Gesellschaft für Epidemiologie und Sprecherin des Modellierungsnetzwerkes für schwere Infektionskrankheiten.
Kritiker mahnen an, dass der personelle Austausch von zweidritteln des Gremiums einen erheblichen Erfahrungsverlust bedeute. So äußert sich beispielsweise der Kinderarzt Prof. Dr. med. Fred-P. Zepp, der seit 1998 über zwei Jahrzehnte in der STIKO tätig war: „Die neue STIKO wird wahrscheinlich eine gewisse Zeit benötigen, um sich in die anstehenden Themen einzuarbeiten und belastbare Empfehlungen vorzubereiten Das ist dem Bundesministerium für Gesundheit aber sicher auch bewusst“. (3)
Politische Einflussnahme auf STIKO-Empfehlungen
Doch bleibt die STIKO wirklich frei von politischer Einflussnahme? Dass die STIKO mitnichten ein unabhängiges Gremium, sondern leit- und lenkbar ist, soll das Beispiel der Corona-Impfempfehlungen für Kinder zeigen.
Neben dem bisherigen Vorsitzenden der STIKO Prof. Dr. Thomas Mertens und seiner Stellvertreterin Prof. Dr. Dr. med. Sabine Wicker schied auch der Immunologe Prof. Dr. med. Christian Bogdan, der sich 2021 gegen eine generelle Kinderimpfkampagne aussprach, welche die Bundesregierung an der Ständigen Impfkommission vorbei vorantrieb, aus dem Gremium aus. Es fehle an ausreichend Daten über Nebenwirkungen, so Bogdan. „Eine Impfempfehlung kann nicht einfach deswegen ausgesprochen werden, weil es gerade gesellschaftlich oder politisch opportun erscheint“. Die Wirksamkeit für Kinder und Jugendliche ab zwölf Jahren sei zwar nachgewiesen, aber in Sachen Nebenwirkungen fehlen noch ausreichend Daten. Die Immunantwort eines Kindes kann anders verlaufen als bei einem Erwachsenen. Deswegen braucht man da mehr Daten.“ Beim BioNtech-Impfstoff habe das Paul-Ehrlich-Institut beispielsweise „Hinweise für ein erhöhtes Auftreten von Herzmuskelentzündungen im zeitlichen Kontext zur Impfung, vor allem bei jüngeren Männern mitgeteilt. Ich will nicht die Pferde scheu machen. Aber wir brauchen eben Daten und sollten nicht eine generelle Kinderimpfkampagne starten.“
Ziel müsse es sein, in erster Linie diejenigen durch eine Impfung zu schützen, die ein erhöhtes Risiko haben schwer zu erkranken oder sogar zu sterben. „Eine Impfung von Kindern nur zum Zwecke des indirekten Schutzes anderer ist keine ausreichende Impfindikation. Eine Impfquote von 70 bis 80 Prozent, die als Schwelle für eine sogenannte Herdenimmunität gilt, sei auch ohne die umfassende Impfung von Kindern zu erreichen.
Der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn begrüßte das grüne Licht der EU-Arzneimittelbehörde EMA für eine Zulassung des ersten Corona-Impfstoffs für Kinder. Es sei „eine großartige Nachricht“, dass das in Deutschland entwickelte Präparat auch sicher und wirksam für Kinder ab zwölf Jahren sei, sagte der CDU-Politiker damals in Pretoria am Rande eines Südafrika-Besuchs. Die EMA hatte am Vortag eine EU-Zulassung des BioNtech-Präparats für Kinder von zwölf bis 15 Jahren befürwortet. (4)
Im August 2021 empfahl die STIKO die Corona-Impfung für alle zwölf- bis siebzehn jährigen Jugendlichen (Epidemiologisches Bulletin 33/2021), im Mai 2022 zusätzlich für alle Kinder von fünf bis elf Jahren (Epidemiologisches Bulletin 21/2022). Im November 2022 kam die Impfempfehlung für Kinder mit Vorerkrankungen von sechs Monaten bis vier Jahren, die Impfempfehlung für gesunde fünf bis elf Jährige wurde im gleichen Atemzug zurückgenommen (Epidemiologisches Bulletin 46/2022). Im Mai 2023 wurde Gott sei Dank die Impfempfehlung für Säuglinge, Kinder und Jugendliche ohne Grunderkrankungen zurückgenommen, auch angefangene Grundimmunisierungen sollten nicht mehr vervollständigt werden (Epidemiologisches Bulletin 21/2023).
Was gibt es seit März 2024 neues von der STIKO?
Wie die dts-Nachrichtenagentur am 24. März 2024 aus Berlin berichtete, spricht sich der STIKO-Vorsitzende Prof. Dr. Klaus Überla für Impfungen in Schulen aus. Um die Impfquote gegen HPV-Infektionen bei Jugendlichen zu steigern, sollten dringend neue Wege bestritten werden. Überla kündigte außerdem eine Impfempfehlung gegen RSV-Infektionen bei Kleinkindern an.
Zum HPV-Schulimpfprogramm gibt es bereits eine Etablierung eines HPV-Schulimpfprojektes in Leipzig und Umgebung.
Mit dem Ziel der Verbesserung der Impfbereitschaft und der Erhöhung der HPV-Impfrate gründete 2018 eine Initiative von Ärzten, Apothekern und Gesundheitswirten in Leipzig das HPV-Schulimpfprojekt. Es beinhaltet die Information und Aufklärung der Eltern über HPV innerhalb der regulär stattfindenden Elternabende und das niederschwellige Angebot der Impfung der Kinder im schulischen Umfeld im Intervall. 87,1 % der Eltern beurteilen die Möglichkeit einer Impfung in der Schule positiv. Zudem äußerten 73,9 % den Wunsch nach weiteren Informationen zur Impfung an Schulen. Zum aktuellen Schuljahr 2023/2024 erhielten 147 von 505 angesprochenen Schülerinnen und Schülern in ausgewählten vierten und fünften Klassen ihre erste Impfdosis. (5)
Erinnerungen…
Unser Bruder im HERRN Nico Rudat aus Schorndorf, der in der ehemaligen Sowjetunion geboren wurde, berichtete einmal, dass vor seiner Schule ein Bus vorfuhr aus dem zwei Krankenschwestern ausstiegen und nach der Order die Ärmel hochzukrempeln alle Kinder eine Impfung erhielten. Weder er noch seine Eltern wissen bis heute, um welche Impfung es sich dabei handelte.
Das erinnert mich schon an meine Facharztausbildung in einer Kinderklinik in der ehemaligen DDR. Jeder Assistenzarzt hatte nach Zuteilung eine Kinderkrippe zu betreuen. Dort fanden dann einmal wöchentlich „Mütterberatungen“ ohne Mütter statt. Die Erzieherinnen brachten die Kinder, manche noch im Säuglingsalter und nach der Untersuchung erhielten sie die erforderlichen Impfungen. In der DDR gab es nur Pflichtimpfungen. Bei bestimmten Erkrankungen zum Beispiel bei Frühgeborenen oder neurologischen Erkrankungen durften wir eine Impfrückstellung attestieren. Ein Satz einer älteren Kollegin ist mir bis heute in Erinnerung geblieben: „Beim Impfen sind wir immer mit einem Fuß im Knast!“ Auch das Gesundheitsamt hat regelmäßig die Schüler in den Schulen geimpft. Ich wünsche mir solche Zustände nicht zurück!
Nach § 223 StGB ist eine Impfung ohne Einwilligung des Impflings beziehungsweise bei Minderjährigen seiner Sorgeberechtigten eine Körperverletzung und kann mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren geahndet werden.
Fazit
Wir leben in einer gefallenen Welt mit Krankheiten und Tod und sind dankbar, dass es für viele schwere Erkrankungen die Möglichkeit einer Impfprävention gibt, die wir auch nutzen sollten. Über viele Jahre stand die STIKO für freie und wirtschaftlich wie politisch unabhängige Empfehlungen. Durch die jüngsten Ereignisse zeigt sich jedoch, dass auch STIKO-Mitglieder stark beeinflussbare Menschen sind. Aus der Corona-Impfmisere sollten wir gelernt haben, STIKO-Empfehlungen nicht unkritisch zu übernehmen. Gott hat uns einen Verstand gegeben oder um es mit Paulus zu sagen: „Prüfet aber alles, das Gute haltet fest!“ (1. Thessalonicher 5,21)
Leider verfolgen viele Wissenschaftler stur ihr Ziel ohne nach rechts und links zu schauen, aus welcher Motivation auch immer. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass die neuesten Empfehlungen sich eher an dem aktuellen politischen Kurs als an medizinischer Maßgabe orientieren.
Wenn wir wiedergeborene Christen sind, ist unser Leib ein Tempel des Heiligen Geistes und Gott ist es nicht egal, wie wir mit unserem Körper – seinem Tempel – umgehen. Wir gehören nicht mehr uns selbst, sondern Gott, deshalb sollen wir ihn mit unserem ganzen „Sein“ verherrlichen. (1. Korinther 6,19-20)
Als Ärzte sind wir verpflichtet unsere Patienten aber auch unsere Geschwister in der Gemeinde, die oftmals medizinische Laien sind, nach bestem Wissen und Gewissen aufzuklären und Impfnebenwirkungen sowie Impfversager an das Paul-Ehrlich-Institut zu melden, auch wenn das alles andere als bequem ist und nicht honoriert wird.
Quellen:
- RKI Stand 29.8.2023
- Express.de 9.12.2021
- FAZ online 12.2.2024
- Weltplus 29.5.2021
- Ärzteblatt Sachsen 4/2024
- https://www.24vita.de
Volkskrankheit Einsamkeit
Volkskrankheit Einsamkeit
Autor: Inge Fischer, im Juni 2024
Scheinbar sind wir Menschen doch eng zusammengerückt seit World Wide Web und social media. In großer Schnelligkeit können wir mit Menschen in der ganzen Welt und zu jeder Zeit kommunizieren. Und doch: die Einsamkeit ist groß, wenn auch (auf den ersten Blick) nicht unbedingt sichtbar.
1. Einsamkeit ist zu einem gesamtgesellschaftlichen Problem geworden
Wenn Sven freitagabends am Stammtisch in der Kneipe sitzt, würde kaum einer auf die Idee kommen, dass er sich einsam fühlt. Aber der 49-Jährige sagt: „Meine Einsamkeit sieht man mir nicht an.“ Sogar Freunde wüssten nicht, dass er sich oft einsam fühle. Die 30-jährige Merle hat sich vor Kurzem einen Hund zugelegt. Etwas besser erträgt sie jetzt ihre Einsamkeit, sagt sie. Trotzdem schaltet sie täglich den Fernseher an, um wenigstens eine Stimme zu hören und eine Geräuschkulisse in der Wohnung zu haben. Gerne würde sie etwas mit anderen Leuten gemeinsam unternehmen, aber ihr fällt keiner ein, den sie fragen kann. Im Dezember 2019 berichtete der Deutschlandfunk darüber, dass Großbritannien der Einsamkeit den Kampf ansagen will und ein eigenes Ministerium gegen Einsamkeit gründen wird: Einsamkeit wird sogar Regierungssache. Neun Millionen Briten gelten als einsam.[1]Laut einer Umfrage im Jahr 2021[2] gaben etwa 41% der Menschen in Deutschland an, sich einsam oder sehr einsam zu fühlen. Der bekannte Neurowissenschaftler und Psychiater Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer[3] gab seinem in 2018 erschienenen Buch den Titel „Einsamkeit – die unerkannte Krankheit“. Einsamkeit ist zur Volkskrankheit geworden.
Vor „Corona“ gaben nur etwa 17% an, sich einsam zu fühlen. Mir fiel in meinen Recherchen auf, dass vor allem seit 2020 bis heute verschiedenste Medien über Einsamkeit berichteten und weiterhin berichten.[4] Der Zusammenhang zwischen den Coronaverordnungen durch die Regierung (2020-2022) und den Auswirkungen wie eben die enorme Zunahme der Einsamkeit lässt sich unschwer erkennen.
Nun will die Bundesregierung gegen Einsamkeit vorgehen.[5]
Im Juni 2024 fand eine Aktionswoche gegen Einsamkeit (vom 17. bis 23. Juni) statt. Zum Auftakt veranstalteten das Kompetenznetz Einsamkeit (KNE) und das Bundesfamilienministerium zum dritten Mal in Folge eine Konferenz zum Problem Einsamkeit.[6] Der 17. Juni 204 wurde als Tag der Einsamkeit deklariert. Bundesfamilienministerin Lisa Paus erklärte ihr Vorhaben, die Öffentlichkeit stärker für das Thema Einsamkeit zu sensibilisieren und es aus der Tabuzone herausholen. „Ob jung oder alt, das Gefühl kann in jedem Alter und in jeder Lebenssituation entstehen“, sagte Paus zum Auftakt der Aktionswoche „Gemeinsam aus der Einsamkeit“. Das Ziel: Menschen zusammenbringen, Hilfsangebote aufzeigen. Millionen von Menschen in Deutschland seien von Einsamkeit betroffen.
Frau Paus nannte Einsamkeit ein „unterschätztes Phänomen“, das langfristig auch der Demokratie schaden kann. „Wer Vertrauen in die Gesellschaft verliert, verliert auch Vertrauen in die Demokratie, politische Teilhabe nimmt ab, genauso wie die Bereitschaft wählen zu gehen“, sagte die Grünen-Politikerin den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Einsamkeit sei nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO genauso schädlich wie Fettleibigkeit, tgl. 15 Zigaretten Rauchen und Luftverschmutzung.
2. Die Coronamaßnahmen haben zu großer Einsamkeit geführt
Trotz vorliegender wissenschaftlicher Erkenntnisse setzte die Regierung umstrittene und unwirksame Coronamaßnahmen durch, die viele junge und ältere Menschen einsam werden ließen. Schulschließungen und Kontaktverbote führten zu schweren psychischen Folgen, besonders bei Kindern, Jugendlichen und Alten[7]. Die Folgen reichen noch in die Gegenwart, beispielsweise durch den Anstieg der psychischen Krankheiten. Die Ärztezeitung warf bereits am 19.10. 2020 die Frage auf, ob mit Corona nicht gleichzeitig auch eine Epidemie der Einsamkeit drohe.
Auch das Ministerium für Familie, Senioren Frauen und Jugend (BMFSFJ) gibt zu, dass sich seit der Corona-Pandemie wesentlich mehr Menschen sozial isoliert fühlen: „Wir wissen, dass das während Corona hochgeschnellt ist auf 40 Prozent in Deutschland“, so die Ministerin. Auch nach Corona habe sich das nicht wieder verflüchtigt. „Wir haben nach wie vor hohe Werte, und besonders junge Menschen und sehr alte Menschen sind davon betroffen.“
3. Wen betrifft Einsamkeit?
Es zeigt sich, dass jeder betroffen sein kann, besonders Jugendliche und im Alter mit jeweils anderen Ursachen und Folgen: im Jugendalter gibt es eine besondere Empfindlichkeit gegenüber sozialem Ausschluss und Einsamkeit. Ursachen für Einsamkeit bei den Jugendlichen gehen auf zwei wesentliche Trends zurück: einmal durch die Urbanisierung. Menschen in Städten fehlen oft persönliche Kontakte und ihr Leben wird für sie anonymer. 1900 lebten 13% der Weltbevölkerung in Städten, heute sind es 50%, 2050 werden es voraussichtlich 70 % sein. Und dann kommt die Mediatisierung zum Tragen: Digitalisierung, Internet, social Media[8], Smartphone. Die Kinder und Jugendlichen von heute haben viel weniger reale Kontakte. Junge Menschen halten sich inzwischen mehr in virtuellen Welten als in der Realität unter echten Freunden auf Die Onlinenutzung ist inzwischen ein wesentlicher Teil der Alltagsgestaltung. [9]
Immer mehr Menschen leben im Alter allein (bundesweit 40% der über 65-jährigen, in Großstädten noch mehr), davon 85% Frauen. Besonders gefährdet sind Menschen in Übergangssituationen im Leben, wie dem Einstieg in Studium, Ausbildung, Beruf und Rente oder wenn die Person einen Schicksalsschlag bewältigen muss, etwa eine Trennung oder den Verlust eines geliebten Menschen. Alleinlebende, Alleinerziehende, pflegende Angehörige sowie Menschen mit eingeschränkter Mobilität, gesundheitlichen Problemen, niedriger Bildung oder geringen finanziellen Möglichkeiten sind mit einem erhöhten Risiko, von Einsamkeit betroffen zu sein, behaftet.
4. Was genau eigentlich ist Einsamkeit? (Merkmale/ Definition)
Einsamkeit wird beschrieben als ein empfundener Mangel an engen, emotionalen Bindungen oder weniger Kontakt zu anderen Menschen zu haben, als man es gerne möchte.[10]
Prof. Dr. Luhmann, eine der führenden deutschen Einsamkeitsforscher, definiert Einsamkeit in Anlehnung an Peplau/Perlman (1982) als „eine wahrgenommene Diskrepanz zwischen den gewünschten und den tatsächlichen sozialen Beziehungen“. Dabei ist die Qualität der sozialen Beziehungen wichtiger als die Quantität (Hawkley et al., 2008). „Einsamkeit ist ein subjektives Gefühl, das von den Betroffenen als schmerzhaft wahrgenommen wird. Im deutschen Sprachgebrauch wird Einsamkeit manchmal auch synonym mit Alleinsein verwendet, z. B. wenn man die Einsamkeit in der Natur aufsucht. Diese Art von Alleinsein wird häufig als positiv empfunden, Einsamkeit (im wissenschaftlichen Sinne) ist dagegen immer negativ.“
Problematisch wird Einsamkeit, wenn das Gefühl der Einsamkeit sich verfestigt und mit einem dauerhaften Leidensdruck einhergeht. Chronische Einsamkeit macht nicht nur unglücklich, sondern ist mit einer Vielzahl an körperlichen und psychischen Erkrankungen verbunden.
Einsam ist man also letztendlich, wenn man sich einsam fühlt!
Ist Einsam oder allein sein das gleiche? Nein, sagen Studien und es hängt auch nicht so stark damit zusammen, wie man denken könnte. Einsamkeit beschreibt das subjektive Gefühl, während „alleine sein“ ein objektiv sichtbarer Zustand ist. Zwar tritt beides häufig zusammen auf, ist aber nicht notwendigerweise miteinander verknüpft.
Es gibt verschiedene Arten von Einsamkeit:
So wird am häufigsten unterschieden zwischen:
- „Sozialer Einsamkeit“ (die Einbindung in ein soziales Netzwerk)
- „Emotionaler Einsamkeit“ (die Qualität der Kontakte)
- „Kultureller Einsamkeit“ (man fühlt sich nicht als Teil der umgebenden Gesellschaft)
5. Was sind Ursachen für Einsamkeit?
Um gegen Einsamkeit vorzugehen, sollten die Ursachen dafür herausgefunden und analysiert werden. Nur so können wirksame Lösungen in den Blick genommen werden.
5.1. Mediennutzung
Unsere Kommunikation hat sich im Vergleich zu früher stark verändert. Einige Beispiele: früher war das Einkaufen im Tante- Emma- Laden zugleich eine persönliche menschliche Begegnung. Es kam zu Gesprächen und Austausch. Seit den später entstandenen Supermärkten geht es beim Einkaufen anonymer zu. Ganz zu schweigen vom Online-Shopping. Wir fragen das Navigationsgerät nach dem Weg und regeln die Bankgeschäfte daheim am PC. Diese und andere modernen Kommunikationswege reduzieren den direkten menschlichen Kontakt und machen uns einsamer.
Wer sich früher unterhalten wollte, ging in die Kneipe. Heute sitzen die meisten Leute stattdessen vor dem Fernseher. Der Zusammenhang zwischen TV-Konsum und Einsamkeit ist schon länger kein Geheimnis mehr.
Die menschliche direkte Dienstleistung wird mehr und mehr wegrationalisiert. Wir reden viel weniger von Mensch zu Mensch. Wir erleben telefonische Warteschleifen oder holen uns Informationen an Automaten. Es wird auch überlegt bzw. schon ausprobiert, über digitale Medien mit dem Hausarzt zu kommunizieren, anstatt von ihm persönlich angehört und untersucht zu werden.
Aber es besteht ein großer Unterschied zwischen medialen Kontakten und dem direkten Umgang mit einem anderen Menschen. Ein direkter Kontakt ist durch nichts zu ersetzen! Selbst große Unternehmen, die mit Geschäftspartnern in fernen Ländern kommunizieren, legen Wert auf eine wenigstens initiale reale Begegnung. Bilder können täuschen und zu falschen Eindrücken führen.
- Veränderungen der Familienstruktur und des Familienlebens:
Eine weitere Entwicklung ist es, dass es immer mehr alleinlebende Zeitgenossen gibt. In 2015 zählte man knapp 41 Mio. Haushalte, davon 17 Mio. Singlehaushalte. Der Anteil der klassischen Familie (Eltern und Kinder) nimmt ab. Gemeinsame Zeiten in der Familie werden seltener, wie z.B. die gemeinsamen Mahlzeiten. Scheidungen nehmen zu, dafür steigt die Anzahl der Alleinerziehenden.
- Auswirkungen der Ichbezogenheit und der Omnipräsenz digitaler Informationstechnik:
Auch mancher Erziehungsstil und Einflüsse von Medien leisten dem Entstehen von Einsamkeit Vorschub. Zum Beispiel wird Kindern eine überbordende Selbstbezogenheit anerzogen. In Medien und Castingshows werden Kinder durch teils fragwürdige „Leistungen“ zu angeblichen Stars hofiert. Anerkannt werden nicht mehr erarbeitete Leistungen, sondern eher verrückte, auffällige Eigenschaften, wer am „schönsten“ oder „verrücktesten“ ist, usw. Unrealistische Vorstellungen, ein bequemes Leben ohne Anstrengung führen zu können, werden genährt. Selfies zählen längst als häufige Fotoobjekte, mittels derer man sich regelrecht wettbewerbsverdächtig präsentieren möchte. All das fördert Selbstverliebtheit mit dem Potential zum Narzissmus[11]. Wesentlicher für eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung ist es aber, Empathie zu entwickeln und sich für das Wohlergehen des Mitmenschen zu interessieren. Stattdessen wird maßloser Individualismus und ausgeprägte Ichbezogenheit gefördert. Die heutige Generation, die sogenannten Millennials werden bezeichnenderweise auch als „Generation Ich“/ „Generation Me“ betitelt. Ichbezogenheit ist im Prinzip kein neues Phänomen, aber laut Manfred Spitzer besteht der größte Unterschied im Vergleich zu vor 40 Jahren darin, dass die digitale Informationstechnik[12] omnipräsent ist. Das führte inzwischen zu Veränderungen der Werte, Haltungen, Kommunikation, Aufmerksamkeit und des ganz normalen Handelns im Alltag und ist sehr stark für das Aufkommen von Einsamkeit verantwortlich. Die Veränderungen der Werte zeigen sich beispielsweise darin, dass Mitgefühl und praktische Anteilnahme am Mitmenschen auf der Strecke bleiben.
Inzwischen zeigen Beobachtungen, dass die Digitalisierung die Menschen nicht zusammenbringt, sondern eher eine Zunahme von Unzufriedenheit, Depression und Einsamkeit bewirkt. Insbesondere die Nutzung von sozialen Online-Netzwerken fördert diese Entwicklung.
Ein klarer Zusammenhang zwischen dem Erleben von Einsamkeit und der Nutzung von sozialen Online-Netzwerken wurde nachgewiesen. [13] Es wird auch festgestellt, dass sich Facebook-Nutzung negativ auf das subjektive Befinden auswirkt. Manche werden unzufriedener, werden durch häufiges Vergleichen mit anderen schlechter gelaunt und gefährden sogar ihre realen Beziehungen. „Viele Freunde“ bei Facebook haben und dennoch kann man einsam sein!
Auch das Problem des Cybermobbing mit teils krimineller Ausprägung bis zu Suizidgedanken bei den Betroffenen in der Bevölkerung nicht mehr unbekannt. Jedes 6. Schulkind ist von Cybermobbing betroffen. [14]
6. Auswirkungen der Einsamkeit:
Die Auswirkungen von Einsamkeit sind vielfältig und werden zunächst oft nicht bewusst wahrgenommen.
6.1 Einsamkeit tut weh (neurobiologische Ergebnisse)
Gemeinschaft macht Freude, aber ausgestoßen, von anderen verlassen zu sein und nicht dazu zu gehören, ist schmerzlich. Amerikanische Wissenschaftler haben schon vor über 15 Jahren mittels Nachstellung von Alltagssituationen, in denen eine Person ausgestoßen wird, nachgewiesen, dass dadurch eine gesteigerte Aktivierung in einem bestimmten Bereich des Gehirns messbar ist. (Untersuchungen im MRT). Einsamkeit und Schmerzen werden im gleichen Areal des Gehirns verarbeitet![15]Die Schlussfolgerung liegt auf der Hand: Gemeinschaftserlebnis lindert Schmerzen!
6.2 Einsamkeit löst (Dauer-)Stress aus – Gedanken und Gefühle können krank machen
Akuter Stress durch eine Notfallreaktion kann Lebensrettend sein. Zugleich hat er durch die Ausschüttung von Stresshormonen (Cortisol, Adrenalin, Noradrenalin) aber auch Nebenwirkungen. Dauerstress schädigt das Immunsystem, weil ständig ein Zuviel an Entzündungsstoffen im Körper zirkuliert.
Chronischer Stress ist krankmachend und wird oft nicht bewusst wahrgenommen. Man weiß heute, dass Einsamkeitserlebnisse in der Kindheit (z.B. Vernachlässigung durch die Eltern) sich stärker negativ auswirken als beruflicher Dauerstress! Andersherum gilt: Das Leben in Gemeinschaft senkt das Stressniveau, baut Stress ab.
Ein zurückgezogenes Leben, sich dauerhaft einsam fühlen, senkt die Lebensqualität und wirkt sich negativ auf die körperliche Gesundheit aus. Das Risiko eines erhöhten Sterbe- und Krankheitsrisikos kann daraus entstehen, wie nachfolgend dargestellt wird.
6.3. Einsamkeit als Krankheitsrisiko
Durch Einsamkeit steigt Wahrscheinlichkeit folgende Krankheiten zu bekommen:
Hypertonie, Stoffwechselstörungen (Übergewicht, Diabetes), Gefäßkrankheiten (Schlaganfall, koronare Herzkrankheit, Herzinfarkt), Schlafstörungen, Depression, Lungenkrankheiten, Infektionskrankheiten (Schwächung des Immunsystems), Krebs.
Einsame Kinder und Jugendliche weisen als junge Erwachsene mehr Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen auf und haben ein um 37 Prozent höheres Risiko, Herz-Kreislauf- Erkrankungen zu entwickeln, unabhängig von anderen bekannten Risikofaktoren wie Stress durch ungünstige Lebensereignisse, Armut, geringer IQ, Übergewicht als Kind, Bewegungsmangel sowie Alkohol- und Tabakkonsum. Das Erkrankungsrisiko dieser jungen Erwachsenen (für jegliche Erkrankungen) war gegenüber Studienteilnehmern, die während ihrer Kindheit und Jugend nicht einsam waren, um 158 Prozent erhöht. [16]
Einsamkeit im Alter verstärkt den Abbau der geistigen Leistungsfähigkeit und ein schnelleres Fortschreiten einer Demenz. Bei Menschen, die wenig soziale Kontakte haben und älter als 50 Jahre sind, nimmt die Struktur der grauen Hirnsubstanz im Zeitverlauf stärker ab als bei Personen, die weniger isoliert sind. [17]
- Einsamkeit verstärkt Sucht und viele Psychosen. Das Ziel psychiatrischer Prävention und Therapie ist deshalb die soziale Teilhabe und Gemeinschaft.
- Einsamkeit ist auch oft das Problem psychisch Kranker. Das Suizidrisiko ist hoch.
6.4. Mortalität durch Einsamkeit
Sowohl objektiv bestehende soziale Isolation als auch das Erleben von Einsamkeit gehen mit einem erhöhtem Sterberisiko einher (Studienergebnisse groß angelegter Studien, USA, Schweden, Finnland mit tausenden Teilnehmern)[18]. Forscher der Harbin Medical Universitiy in China werteten 90 Untersuchungen mit mehr als 2,2 Millionen Teilnehmern aus und stellten fest, dass ein Mangel an sozialen Kontakten im Mittel mit einem um etwa 32 Prozent höheren Sterberisiko einhergehe, das Gefühl von Einsamkeit mit einem um etwa 14 Prozent höheren Risiko. [19]
Die negativen Auswirkungen von Einsamkeit und sozialer Isolation auf Gesundheit und Lebenserwartung sind größer als die Risikofaktoren Luftverschmutzung, Bewegungsmangel, mangelhafte Ernährung, Übergewicht, starker Alkoholkonsum![20]
Dass Verheiratete grundsätzlich länger leben würden als Unverheiratete, lässt sich nicht so einfach behaupten. Die Qualität einer Beziehung muss als wesentlicher Faktor dazu kommen. Dabei kommt noch hinzu, dass sich Frauen eher einsam fühlen als Männer, obwohl sie durchschnittlich mehr soziale Kontakte als Männer haben.
7. Auswege aus der Einsamkeit
Aus der Einsamkeit herauskommen, aber wie? Im Folgenden werden verschiedene Wege und Aspekte dargestellt. Ich beginne mit der Darstellung von vier unterschiedlichen Interventionen nach Erhebung einer Metanalyse, die zum Einsatz[21] kamen:
- Die Kontaktmöglichkeiten sollten vermehrt werden. Aber das brachte keine wesentlichen Auswirkungen auf das Erleben von Einsamkeit.
- Soziale Unterstützung minderte zwar die Einsamkeit, allerdings nur mittelmäßig.
- Soziale Fähigkeiten sollten trainiert werden. Aber auch das zeigte keine wesentlichen Auswirkungen auf das Erleben von Einsamkeit.
- Eine Kognitive Verhaltenstherapie zum Erlernen neuer Gedanken zeigte den größten Effekt.
Die Lösung nach den Studien lässt aufhorchen:
Beim einsamen Menschen treten oft automatisch negative Gedanken im Hinblick auf andere Menschen im Allgemeinen und spezielle Kontakte im Besonderen auf. Wie ein unsichtbares Gefängnisgitter umschließt es den Einsamen. Die Lösung bestünde darin, dieses Gefängnisgitter aufzubrechen. [22]
Aber können wir das aus eigener Anstrengung schaffen? „Negative Gedanken“ ändern? Was sagt Gottes Wort dazu?
„Lasst euch umgestalten durch die Erneuerung eures Sinnes, damit ihr prüfen könnt, was der gute und wohlgefällige und vollkommene Wille Gottes ist!“ (Römerbrief, 12,2)
„Jene rühmen sich der Wagen und diese der Rosse; wir aber des Namens des Herrn, unseres Gottes.“ (Psalm 20, 8)
„Meine Seele wird satt wie von Fett und Mark, und mit jauchzenden Lippen lobt dich mein Mund, wenn ich deiner gedenke auf meinem Lager.“ (Psalm 63,7)
„Was wahrhaftig, ehrbar, gerecht, rein, liebenswert, wohllautend, was irgendeine Tugend oder ein Lob ist, dem denket nach!“ (Philipper 4, 8)
Das heißt, Gott möchte unser Herz (unser Innerstes, unser Denken) verändern. Dazu müssen wir ihm unser ganzes Leben anvertrauen und ihn darüber Herr sein lassen. Entscheidend ist dann weiterhin, dass wir uns dazu entscheiden, uns auf das zu besinnen, was ihn ehrt.
Weitere Empfehlungen/ Angebote und Auswege aus unterschiedlicher Literatur:
- Geben: wir sollten lernen zu geben.
Das vermittelt uns längst das Wort Gottes: In Apostelgeschichte 20, 35 lesen wir, dass Geben seliger als nehmen ist und Paulus schreibt, dass Gott einen fröhlichen Geber liebhat. (2. Korintherbrief 9,7)
In Befragungen zeigte es sich: wer erhaltenes Geld (z.B. Bonus) für andere ausgegeben hatte, war danach glücklicher als einer, der es für sich behalten hatte. Mehr Geld bringt nicht mehr Glück! Geben macht glücklich. Egoismus macht nicht glücklich, das zeigte sich bei entsprechenden Versuchen!
- Geld nicht (nur) für Sachen ausgeben, sondern für gemeinsame Erlebnisse.
- Helfen: freiwillige Helfer erleben sich deutlich gesünder als Nicht-Helfer. Wer einem Ehrenamt nachgeht, ist im Mittel so gesund wie jemand, der volle fünf Jahre jünger ist und kein Ehrenamt ausführt. Natürlich spielen die Bedingungen des Helfens eine Rolle, denn ansonsten müssten alle Pflegepersonen glücklich sein.
- Musizieren, singen, tanzen
- Bewegung, wandern, etwas bauen/ sammeln – am besten gemeinsam.
- Singen! Es sollte wieder mehr gesungen werden: zuhause, in den Gemeinden, in den Schulen und den Kindertagesstätten.
Zu den vielfältigen Anregungen wie aus „einsam“ wieder „gemeinsam“ werden kann, sollte man sich vor Augen halten, dass nicht alles, was gut gemeint ist, auch immer funktioniert. Wie ein einsamer Mensch denkt und fühlt, ist für einen Außenstehenden nicht immer nachvollziehbar. Ratschläge wie „Geh doch in die Gruppe XY“, sind nicht immer das, was dem Betroffenen hilft. Manche Kontaktmöglichkeiten überfordern manch einen. Mancher Betroffene ist sehr sensibel und verletzbar. Deshalb reagiert er möglicherweise auf ein Gesprächsangebot mit Rückzug oder Ablehnung.
Zu bedenken ist auch, dass Einsamkeit kein Schicksal ist, denn jeder Einzelne kann sich um einen anderen kümmern und sei dieses Kümmern noch so unscheinbar. Der Anfang kann sein, dass man sich für das Wohlergehen des Nächsten überhaupt interessiert, z.B. danach fragt:
- Gehe ich auf andere zu bzw. helfe ich anderen, kümmere ich mich um andere?
- Habe ich Mitgefühl für sensible Menschen, die Hemmungen haben, zu schüchtern sind, um auf andere zuzugehen?
Jeder kann auch irgendetwas gut. Jeder kann mit seinen Gaben/ Fähigkeiten helfen und anderen Menschen dienen. Warum nicht selber aktiv werden und sich in der Gemeinde um Einzelne praktisch kümmern, besuchen oder mitarbeiten in der Seniorenarbeit oder Familien entlasten. Sich vornehmen, einen bestimmten Menschen regelmäßig anzurufen oder einen anderen, von dem man lange nichts mehr gehört hat.
- Nehme ich die anderen, z.B. die alleinstehenden und einsamen Menschen in meiner Umgebung/ in meiner Gemeinde wahr?
- Wird mein Glaube ganz praktisch, indem ich zum Beispiel Waise und Witwen besuche und ihnen helfe? (siehe Jakobus 1,27)
Statt auf Gemeinschaft lediglich zu warten, ist es viel besser, Gemeinschaft aktiv zu suchen und zu pflegen. Vor allem auch überlegen, wie man Gemeinschaft selber anbieten und mit anderen Menschen Unternehmungen teilen könnte.
Es gibt weitere Anregungen, die in verschiedenen Zeitschriften oder in Mitteilungen des Wohnortes zu finden sind. Solche sind z.B. Generationencafés, Spiel- und Musiknachmittage, Wanderungen, Ausflüge, Repaircafés, Mitfahrgelegenheiten nutzen, Tiere pflegen und hüten, als Lesepate an Schulen helfen, sich um Enkel kümmern, Alltagsbegegnungen nutzen zum Plaudern (Gartenzaun, Wartezimmer), ein neues Hobby, eine neue Sprache lernen. Durch freundliches Interesse werden menschliche Begegnungen zu bereichernden Erlebnissen. Manche sagen dazu, diese sind wie „Kitt“, der zusammenhält.
Das Ausmaß der eigenen Nutzung von Onlinemedien, social media sollte man auch einmal selbstkritisch prüfen!! Ob das vielleicht ein Grund ist, sich einsam zu fühlen? Ist man selbst zu viel online und zu wenig in wirklicher Gemeinschaft? Der Online-Gottesdienst ist nie das Gleiche wie persönlich am Gottesdienst teilzunehmen und mit den Glaubensgeschwistern Gemeinschaft zu pflegen!
Christen sollten nüchtern prüfen, welche der publizierten Anregungen/ Angebote zu einem Leben in der Nachfolge Jesu passen. Dazu gehört es auch zu überlegen, welche zeitliche Priorität diese bekommen sollen.
8. Gemeinschaft und Einsamkeit aus biblischer Sicht:
Gott hat das Bedürfnis nach Gemeinschaft geschaffen:
Er hat uns als Beziehungswesen geschaffen. Wir sind zur Gemeinschaft seines Sohnes, des Herrn Jesus Christus berufen (1. Kor. 1,9), Gott hat die menschliche Gemeinschaft geschaffen (Ehe, Familie, Gemeinde) und wir sollen sie mit seiner Hilfe zu Seiner Ehre gestalten.
Seit dem Sündenfall empfinden wir allerdings schmerzliche Lücken und manches Versagen. Die Gemeinschaft unter uns ist durch die Auswirkungen des Sündenfalls beschädigt. Das erschwert es uns, in ungetrübte Gemeinschaft mit anderen zu kommen.
Deshalb dürfen und sollten wir Gott um Hilfe bitten, wenn wir (gute) Gemeinschaft vermissen, ob allein, verheiratet, geschieden, verwitwet.
Als Christ allein
Manche Christen leben allein, weil sie ledig, geschieden oder verwitwet sind. Manche stehen allein mit dem Glauben an Jesus. Das kann in Ehe und Familie, am Arbeitsplatz, am Studienort oder Ausbildungsplatz oder am Wohnort sein. Durch Verfolgung und Gefängnisstrafen gehen manche Glaubensgeschwister in der ganzen Welt ihren Weg allein.
Man kann als Christ auch die Erfahrung machen, innerlich allein zu sein, weil Keiner in der Nähe ist, der im Wort Gottes geübt oder gewachsen ist, der gelernt hat zu unterscheiden und „feste Speise“ verträgt (s. Hebräerbrief 5, 11-14).
Paulus beschreibt die traurige Erfahrung, dass er niemanden von gleicher Gesinnung hat und dass alle nur für ihre eigenen Anliegen sorgen (Philipperbrief 2,19-21). Er kannte Verlassenheit: „Bei meiner ersten Verantwortung vor Gericht stand mir niemand bei, sondern alle verließen mich; es sei ihnen nicht zugerechnet! Der Herr aber stand mir bei und stärkte mich…“ (2. Tim. 4,16-17)
Elisa betet für den verängstigten Diener, der sich dem syrischen Heer ausgeliefert und verloren sieht: „Herr, öffne ihm doch die Augen, dass er sehe!“ Was soll er sehen? „Derer, die bei uns sind, sind mehr, als derer, die bei denen sind!“ (2. Könige 6,15-17).
Jeremia, unverstanden von einem unbußfertigen Volk, angefeindet und gehasst, leidet für das Wort, bleibt trotzdem furchtlos und treu. „Ich bin der Mann, der tief gebeugt worden ist durch die Rute seines Zorns… „(Klgl. 3, 1 ff.) Ab V.21: „Dieses aber will ich meinem Herzen vorhalten, darum will ich Hoffnung fassen:…V.26: „gut ist‘s, schweigend zu warten auf das Heil des Herrn.“
Wir können daraus lernen: in Zeiten der Bedrängnis, in denen das Alleinsein sogar bedrohlich werden kann, sollen wir unser Vertrauen weiterhin unerschütterlich auf Gott setzen, der sich der Seinen annimmt und auf seine Weise zur rechten Zeit helfen wird.
David gibt uns in einigen seiner Psalmen Einblick in seine eigene Not und Einsamkeit, z.B. Psalm 31 (s. V. 11,12, 13). Er entschließt sich dann aber, seinem Gott zu vertrauen: „Aber ich vertraue auch dich, o Herr; ich habe gesagt: Du bist mein Gott! In deiner Hand sind meine Zeiten;“ er gewann wieder Aufblick ab V. 15)
Samuel Lamb, China, konnte nach 20 Jahren Haft (Straflager und Gehirnwäsche) wegen seines Glaubens sagen: „Niemals allein“[23]. Er vertraute seinem Gott unerschütterlich.
9. Einsamkeit suchen kann auch mal geboten sein!
Einsamkeit ist nicht immer negativ, denn wir brauchen auch manchmal einen bewussten Rückzug. Zum Beispiel nach einem anstrengenden Tag, wenn man sich ausgelaugt und gestresst fühlt.
Möglichkeiten dazu gibt es ja viele. Verbunden mit Bewegung und Sport am besten hinaus ins Grüne oder ins Blaue gehen. Der Aufenthalt in der Natur wirkt sich positiv auf Körper und Seele aus. Ein 90-minütiger Spaziergang soll das Grübeln reduzieren, Ängste und negative Gedanken mindern und die Kreativität fördern.
Wir dürfen über die einzigartige und wunderbare Schöpfung Gottes staunen und uns darüber freuen: über den Sternenhimmel, über Wasserfälle, Berge, Täler, Blumen und vieles mehr. Darüber hinaus können wir zur Anbetung Gottes kommen.
Das iPhone hat leider dazu geführt, dass Kinder heute viel zu wenig draußen sind. Wir können sie dazu anleiten und sie dadurch vor Einsamkeit schützen.
10. Abschließende Gedanken
- Die Gefahr des Narzissmus als eine wesentliche moderne Ursache für Einsamkeit!
- Selbstprüfung und lernen von dem Jünger Johannes
- Nie allein: mit Jesus Christus Einsamkeit bewältigen aufgrund seiner Verheißungen und meines Platzes in Seiner Nähe
Narzissmus ist eine der modernen wesentlichen Ursachen dafür, an Einsamkeit zu leiden bzw. dafür gefährdet zu sein – Narzissmus im Licht des Wortes Gottes:
Wie bereits aufgeführt, kann der vor allem zeitlich intensive Umgang mit den modernen Onlinemedien und deren Plattformen dazu führen, sich viel zu viel mit sich selbst zu beschäftigen und dadurch unempfindlich für die Situation der Mitmenschen zu werden. Eine permanente Selbstbetrachtung bleibt nicht folgenlos: statt zufriedener zu werden, werden viele Zeitgenossen unzufriedener und auch einsamer. Das eigene Nabelschauhalten und das (vielleicht unbewusste) Suchen nach Selbstbestätigung und Selbstbewusstsein führt in die Sackgasse.
Was können wir aus Gottes Wort gewinnen, wenn wir uns die Frage stellen, wo wir Zufriedenheit finden und wie wir dahin kommen, dass wir uns nicht ständig mit uns selbst beschäftigen müssen oder uns in Konkurrenz zu anderen sehen?
Ich lese über den Jünger Johannes. Er schreibt über sich selbst: „Einer seiner Jünger aber, den Jesus liebte, hatte bei Tisch Platz an der Seite Jesu.“ (Johannesevangelium 13, 23; „er lehnte sich an die Brust Jesu“, V. 25). Etwas später schreibt er, wie im Zusammenhang mit der Auferstehung Jesu, Maria Magdalena zu Simon Petrus läuft und zu dem anderen Jünger, den Jesus lieb hatte.. (Joh. 20,2) -s. auch Joh. 19,26; 21,7. Er stellt sich also vor als „der Jünger, den Jesus liebte“ und als „der andere Jünger“.
Ich habe mir einmal die Frage gestellt: Hatte Jesus denn nur den Johannes lieb oder ihn sogar lieber als die anderen Jünger?
Nein, das kann nicht sein! Denn „Wie er die Seinen geliebt hatte, die in der Welt waren, so liebte er sie bis ans Ende.“ (Joh. 13,1). Er liebte alle die Seinen!
Aber Johannes lebte in engster Gemeinschaft mit dem Herrn. Er konnte sich deshalb „zurücknehmen“ (bis in seine Selbstbezeichnung hinein), weil er sich von Jesus geliebt wusste und das genügte ihm! Das prägte sein „Selbstbild“ und dann seine (Glaubens-)Praxis! Er musste sich nicht anderweitig Anerkennung verschaffen, nicht von sich reden, sich nicht in den Mittelpunkt stellen, sich nicht mit anderen vergleichen und wetteifern und zum selbstverliebten Egoisten werden. Denn das macht einsam!!
Es genügte ihm, sich als Schreiber des Johannesevangeliums „nur“ so zu nennen: „der andere Jünger“, „der Jünger, den Jesus liebhatte“. Die Nähe Jesu und das Wissen um seine Liebe reichten ihm aus.
Wenn ich mich nun selbst prüfen will, kann ich mir diese Fragen stellen:
- Wie ist das bei mir?
- Welche Nähe zu Jesus habe ich denn?
- Welchen (vertrauten) Umgang mit ihm pflege ich?
Brauche ich (so viel) Anerkennung von anderen, sogar aus dem weltweiten Netz, aus dem Vergleichen mit den anderen in ihrem „Status“, ihren Profilbildern, ihrer Anzahl der „Freunde“, der „Followers“, der „Likes“, usw.? Bin ich damit so beschäftigt, dass es mich daran hindert, um selbst Gemeinschaft zu suchen oder anzubieten?
- Bin ich zur Ruhe gekommen, weil meine Identität in Jesus gegründet ist, der mich wirklich liebt?
- Könnte ich mit dem Psalmisten sagen: „Mir aber ist die Nähe Gottes köstlich; ich habe Gott, den Herrn, zu meiner Zuflucht gemacht.“ (Psalm 73,28)
- Kann ich deswegen „los sein von mir selber“ und bereit sein zum Dienst, zur Gemeinschaft?
Unser Herr Jesus Christus – Verlassen von Menschen und von Gott:
Der Herr Jesus kennt Verlassenheit. In schwersten Stunden verließen ihn seine Jünger (Joh. 19, 25/ Markus 15,40).Unter dem Kreuz Jesu standen nur noch wenige Frauen und der Jünger Johannes. Bei der Gefangennahme Jesu flohen alle Jünger (Matthäus 26, 56). In Gethsemane während des Gebetskampfes Jesu schlafen alle Jünger ein (Matthäus 26, 36 ff.).
Und schließlich muss Gottes Sohn sogar die Gottverlassenheit in seinem Todeskampf erleiden! (Matthäus 27, 46).
Nie allein: Gottes zuverlässiger wahrer Zuspruch
Einsamkeit bei Christen? Ja, das ist möglich, denn Menschen können uns verlassen oder enttäuschen (und umgekehrt sind wir leider selbst in der Lage dazu, treulos oder feige zu sein), aber wir sind niemals von Gottverlassen!
Die Gottverlassenheit, wie sie der Herr Jesus Christus für uns Sünder in seinem Sterben erlitten hat, müssen wir niemals erleben. Dagegen sprechen die Zusagen, die Gott in seinem Wort garantiert. Denn er selbst hat gesagt:
„Ich will dich nicht verlassen noch versäumen!“ (Hebr. 13,5c)
„Jesus Christus ist gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit!“ (Hebr. 13,8)
„Ich bin jung gewesen und alt geworden und habe nie den Gerechten verlassen gesehen,
oder seinen Samen um Brot betteln.“ (Psalm 37,25)
Gott wird dich tragen (F. J. Crosby 1820-1915)[24]
Gott wird dich tragen, drum sei nicht verzagt,
treu ist der Hüter, der über dich wacht.
Stark ist der Arm, der dein Leben gelenkt,
Gott ist ein Gott, der der Seinen gedenkt.
Gott wird dich tragen, wenn einsam du gehst;
Gott wird dich hören, wenn weinend du flehst.
Glaub es, wie bang dir der Morgen auch graut,
Gott ist ein Gott, dem man kühnlich vertraut.
Gott wird dich tragen durch Tage der Not;
Gott wird dir beistehn in Alter und Tod.
Fest steht das Wort, ob auch alles zerstäubt;
Gott ist ein Gott, der in Ewigkeit bleibt.
Gott wird dich tragen mit Händen so lind.
Er hat dich lieb wie ein Vater sein Kind.
Das steht dem Glauben wie Felsen so fest:
Gott ist ein Gott, der uns nimmer verlässt.
[1] Deutschlandfunk, 23.12 2019
[2] Laut dem Sozio-ökonomisches Panel (SOEP), einer unabhängigen forschungsbasierten Infrastruktureinrichtung, 2021; zitiert in einer Meldung des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauen, 17.06.2024
[3] In meiner Bearbeitung des Themas bezog ich mich wesentlich auf das Buch von Manfred Spitzer, Einsamkeit, die unerkannte Krankheit, 2018. Spitzer ist Psychiater und einer der bedeutendsten deutschen Gehirnforscher. In seinem Buch bezieht er sich auf eine Vielzahl wissenschaftlicher Arbeiten. Er betont, dass diese Studien eine hohe methodische Strenge aufweisen würden.
[4] Beispiele: Ärztezeitung, Droht mit Corona auch eine Pandemie der Einsamkeit? 19.10. 2020; Stern, Einsamkeit im Corona-Lockdown, 1.7. 2020; Frankfurter Rundschau; Depression und Einsamkeit, 7.11. 2023; GEO, Einsame Menschen haben ein höheres Sterberisiko, 19.6. 23; Neue Westfälische Rundschau, Bielefelder Projekt will einsame Menschen aus ihrer Isolation holen, 11.6. 2023; WDR, Einsamkeit der Jugend – was kann die Landesregierung tun? 29.11. 2023; ARD alpha, Die Zahl einsamer Menschen in der BRD steigt, 13.12. 23; Deutschlandfunk Kultur, Was tun gegen Einsamkeit? 18.6. 2024; Tagesschau, Corona hat einsamer gemacht – vor allem Jüngere, 30.5. 2024
[5] Tagesschau, 13.12. 2023: Die Bundesregierung will gegen Einsamkeit vorgehen
[6] www.bundesregierung.de, 12.06. 2024
[7] In der Sendung „Nachtcafé“ am 21.06. 2024 mit dem Thema „Was von Corona bleibt“ berichtete ein betroffener Vater, dass eins seiner Kinder aufgrund der Schulschließung und der Kontaktverbote eine Depression entwickelte und magersüchtig wurde.
[8] Dazu zählen: Facebook, Twitter, WhatsApp, Youtube, Instagram, Snapchat
[9] Spitzer, 2018, S. 17 ff.
[10] Lt. dem Kompetenznetz Einsamkeit (KNE)
[11] Narzissmus: maßlose Ichbezogenheit, Selbstverliebtheit
[12] Spitzer, Einsamkeit, Die unerkannte Krankheit, S. 21 f.
[13] Veröffentlichte Studie im American Journal of Preventive Medicine, 2017, auf der Grundlage einer für die USA repräsentativen Studie von 1787 Erwachsenen im Alter von 19-32 Jahren. Es wurde darin der Zusammenhang zwischen dem Erleben von Einsamkeit und der Nutzung von Onlinemedien untersucht -zitiert in: Spitzer, 2018, S. 133
[14] Das Deutsche Schulportal der Robert-Bosch-Stiftung veröffentlichte am 2.4.2024 aus einem Bericht der WHO (veröffentlicht Ende März 2024), dass jedes 6. Schulkind von Cybermobbing betroffen ist.
[15] Spitzer, 2018, S. 46 f.
[16] Sozial isolierte Kinder“, eine Neuseeländische Längsschnittstudie (Herbst 1972-Frühjahr 1973): in einer Stadt wurden alle Neugeborenen erfasst (1037 Babys). Bis zu ihrem 26. Lebensjahr wurden diese im Rahmen einer Studie in Abständen von einigen Jahren immer wieder aufgesucht, befragt und teilweise untersucht, um festzustellen, wie es ihnen geht und wie sich ihr Leben entwickelt- zitiert in: Spitzer, 2018, S. 150-151
[17] Factum 5/ 2023, S. 31, Schwengeler Verlag AG
[18] Soziologen House/ Landis, beide University of Michigan, Soziologin Umberson, University of Texas: Social Relationships and Health, veröffentlicht im Fachblatt Science, 1988; zitiert in: Spitzer, Einsamkeit, die unerkannte Krankheit, 2018, S. 161
[19] factum 5/ 2023, S. 31, Schwengeler Verlag AG
[20] S. Spitzer, 2018, S. 166
[21] s. Spitzer, 2018, S. 194-196
[22] s. Spitzer, 2018, S. 195
[23] Ken Anderson, Niemals allein, clv Verlag
[24] Fanny Crosby erblindete als Kind. Ihr Anliegen war es, Gott mit ihrem Leben zu dienen. Sie schrieb viele Gedichte und Lieder bis ins hohe Alter. Sie ging oft in Gefängnisse. „Gott wird dich tragen“, das war ihre eigene Erfahrung. Darum konnte sie für andere da sein.
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Körperliche Ursachen psychischer Störungen
Körperliche Ursachen psychischer Störungen
Unspezifische Verhaltens- und Stimmungsänderungen sind oft das erste und manchmal für längere Zeit das einzige und ausschließliche Anzeichen für eine unerkannte körperliche Erkrankung. Durch ihre offensichtliche und überzeugende „psychologische“ Natur und Präsentation führen solche maskierten körperlichen Zustände den Arzt häufig in die Irre und verhindern so jede weitere medizinische (d.h. somatische) Untersuchung, was zu Fehldiagnosen und damit zwangsläufig zu einer fehlgeleiteten Behandlung führt.
Erwin Koranyi (1924 – 2012), kanadischer Psychiatrieprofessor
Depressionen, Psychosen, Zwänge, Ängste und Panik – was ist die Ursache all dieser und anderer psychischen Störungen? Die Antwort auf diese Frage ist nicht so eindeutig, wie viele es sich wünschen würden. Manche sind überzeugt, dass die Ursache psychischer Probleme in den Sünden der Leidenden oder ihrer mangelhaften Gottesbeziehung liegt, andere orten sie in unverarbeiteten Konflikten der Kindheit, erlittenen Traumata, negativen Einflüssen der Umwelt, den Genen oder in einem Ungleichgewicht der Neurotransmitter.
Der Mensch ist ein komplexes Geschöpf, der zudem auch noch Teil sozialer Systeme wie Familie und Gesellschaft ist. Er ist eine Einheit aus Körper und Geist-Seele (1Mo 2,7), die sehr eng miteinander verbunden sind und sich gegenseitig beeinflussen. Diese einfachen Feststelllungen deuten schon darauf hin, dass es viele verschiedene mögliche Ursachen psychischer Störungen gibt. Der Einfluss der Seele (gr. Psyche) auf den Körper (gr. Soma) ist den meisten gut bekannt und wird auch in der Bibel bezeugt (z. B. Spr 17,22; Ps 32,3). Mit dieser Thematik beschäftigt sich die medizinische Fachrichtung der Psychosomatik. Es gibt jedoch in umgekehrter Richtung auch den Einfluss des Körpers auf den Geist, der weniger gut bekannt ist. Dieser spezielle Zusammenhang und sein Einfluss auf die seelische Gesundheit soll der Gegenstand dieses Artikels sein.
Mögliche Ursachen psychischer Störungen
Über die Ursache(n) psychischer Probleme gibt es unter Christen sehr unterschiedliche Meinungen. In der modernen Psychiatrie dominiert ein biologisches Modell psychischer Störungen. Dieses Modell konzentriert sich auf die Gene, die Morphologie und die Neurochemie des Gehirns („Ungleichgewichte“ von Neurotransmittern wie Serotonin, Dopamin und Glutamat). Jedoch haben weder das Humangenomprojekt (1990-2003), die Dekade des Gehirns (1990-1999), noch die Einführung moderner bildgebender Verfahren (MRI/MRT, PET, SPECT) das Rätsel der Ursachen psychischer Störungen lösen können.
Der amerikanische Psychiater Dr. Thomas Insel war von 2002 bis 2015 Direktor des Nationalen Instituts für seelische Gesundheit der USA (NIMH), der weltweit grössten Forschungsorganisation für psychische Erkrankungen. In einem Interview im September 2015 sagte er: „Ich habe 13 Jahre am NIMH verbracht, um die Neurowissenschaften und die Genetik psychischer Störungen voranzubringen, und wenn ich zurückblicke, stelle ich fest, dass es mir zwar gelungen ist, eine Menge wirklich cooler Publikationen von coolen Wissenschaftlern zu veröffentlichen, und das zu ziemlich hohen Kosten – ich glaube, 20 Milliarden Dollar -, aber ich glaube nicht, dass wir die Nadel bei der Reduzierung von Selbstmorden, der Verringerung von Krankenhausaufenthalten und der Verbesserung der Genesung von Millionen von Menschen mit psychischen Erkrankungen bewegt haben.“ Das ist ein ziemlich ernüchterndes Fazit. Tatsächlich gibt es bis heute keine biologischen, chemischen oder physikalischen Tests, die eine psychische Störung mit ausreichender Zuverlässigkeit diagnostizieren können. In der Praxis ist es daher üblich, dass ein Psychiater aufgrund eines Gesprächs eine Diagnose stellt. Umfangreiche Laboruntersuchungen, bildgebende Verfahren, genetische Analysen usw. werden in der Regel nicht durchgeführt.
Das triadische System der deutschen Psychiatrie teilt die psychischen Störungen nach den folgenden drei möglichen Ursachen ein:
1. Endogen („im Inneren erzeugt“, bisher unbekannte Ursache, genetische Komponente wird vermutet)
2. Psychogen („in der Psyche begründet“, oft auch neurotisch oder reaktiv genannt)
3. Exogen („durch äussere Einflüsse entstehend“, körperlich/somatisch/organisch bedingt)
Zur ersten Gruppe gehören die endogenen Psychosen (melancholische Depression, Manie, bipolare Störungen und Schizophrenien), deren Ursachen noch nicht bekannt sind, man aber von einer organischen Erkrankung ausgeht.
Störungen mit einer exogenen Ursache beruhen auf körperlichen Erkrankungen (nicht nur des Gehirns). Dies ist der Fokus dieses Beitrags. In der Geschichte der Psychiatrie waren die Entdeckungen zur Neurosyphilis grundlegend, da dadurch erstmals eine psychische Krankheit auf eine somatische Ursache (nämlich der Infektion des Gehirns mit dem Bakterium Treponema pallidum) zurückgeführt werden konnte. Eine weitere wichtige Entdeckung auf diesem Gebiet war die Verursachung einer Psychose durch den Mangel eines Vitamins (Niacin/Vitamin B3), der sog. Pellagrapsychose. In dem von der WHO herausgegebenen und bei uns verbindlichen Diagnosemanual ICD-10 werden im Kapitel V, Gruppe F00-F09 (besonders F06 und F07, siehe auch die Einträge unter F02.8), „Organische psychische Störungen“ vorgestellt, die für uns von Interesse sind und eine passende Diagnose bzw. Klassifizierung erlauben. Das Wissen über die körperlichen Ursachen ist also vorhanden, kommt jedoch in der Praxis oft nicht zur Anwendung.
Die psychogenen Ursachen seelischer Störungen sind sehr vielfältiger Natur (z. B. eine schwierige Kindheit, belastende Lebensumstände, Stress, Verluste, Beziehungsprobleme, erlittene Traumata). Die Persönlichkeit/das Temperament der Betroffenen spielt auch eine wichtige Rolle. Auch Auswirkungen der modernen Gesellschaft wie fehlende Beziehungen und Einsamkeit, übermässige Beschäftigung mit elektronischen Medien, ungesunde Ernährung („Fastfood“) oder Schlafmangel sind mögliche Gründe. Das Aussehen solcher psychogen verursachter Störungen umfasst die ganze Breite der psychiatrischen Krankheitsbilder. Zu dieser Gruppe gehört die Mehrzahl der auftretenden psychischen Störungen.
Sogar schizophrenieähnliche Krankheitsbilder können psychogen verursacht werden. In der Regel treten diese Krankheitsbilder spontan auf, dauern nur wenige Wochen und haben bei Elimination der auslösenden Faktoren eine gute Prognose.
In der Psychiatrie hat man vor etwa 40 Jahren die Diagnose psychischer Störungen auf das Vorhandensein bestimmter Symptome (ohne Berücksichtigung der Ursache) umgestellt. Dies ist mit verschiedenen Risiken verbunden, da psychiatrische Symptome unspezifisch sind. So können ganz verschiedene Ursachen wie z. B. ein Karzinom, ein Vitaminmangel oder der Tod eines Kindes das gleiche Krankheitsbild einer Depression hervorrufen. Auf der anderen Seite ist es so, dass eine bestimmte Ursache, z. B. Syphilis, ganz verschiedene psychiatrische Krankheitsbilder verursachen kann. Dies deutet schon die Wichtigkeit einer sorgfältigen internistisch-neurologischen Untersuchung zur Abklärung der möglichen Ursache an.
Eine Fallgeschichte
Um die Relevanz und Wichtigkeit des Erkennens der wahren Ursache einer psychischen Störung besser zu verstehen, wollen wir uns nun eine wahre Krankengeschichte vor Augen führen (Lamparter 2018). Ein verheirateter 40-jähriger Verkaufsleiter leidet seit 15 Jahren an ausgeprägten Kopfschmerzen, zeitweisem Schwindel und seit 5 Jahren an einer Abgeschlagenheit, die ihn bei der Ausübung seines anspruchsvollen Berufs behindert. Seine Stimmung ist ängstlich-depressiv. Der Patient ist als Einzelkind, dessen Eltern sich im Alter von 4 Jahren scheiden liessen und ist unter schwierigen Umständen aufgewachsen. In der Berufswelt hatte er wiederholt Probleme mit Autoritätspersonen. Eine internistische Abklärung ist ohne Befund. Von einem Neurologen, der seine Kopfschmerzen erfolglos behandelt hat, wird er zur Psychotherapie überwiesen, die er jedoch nach 9 Sitzungen abbricht. Die Diagnose lautet „Chronische Kopfschmerzsymptomatik bei Autonomiekonflikt und selbstunsicherer Persönlichkeit“. Eine weitere, später durchgeführte erfolglose Psychotherapie wird nach 22 Sitzungen vom Patient abgebrochen. Starke einschiessende Schmerzen wurden vom Psychotherapeuten als „Aufschrei der Seele“ interpretiert. Der Chefarzt einer Schmerzklinik stelle aufgrund einer „bizarren Schmerzschilderung“ gar die Diagnose einer Schizophrenie. 8 Jahre nach dem ersten Arztbesuch hat sich die gesundheitliche Situation körperlich und psychisch sehr verschlechtert. Der Patient ist bettlägerig und berentet. Eine erneute umfassende medizinische Untersuchung zeigt nun die Ursache all der verschiedenen körperlichen und psychischen Symptome: Neurosyphilis. Nach all den Leidensjahren, von denen er die meisten auf der „Psychoschiene“ war, starb der Patient an seiner Syphilisinfektion. Diese wäre in den ersten Jahren seiner Erkrankung sehr gut behandelbar gewesen.
Wie obige Fallgeschichte zeigt, kann die Fehldiagnose einer körperlichen Erkrankung als psychogen („Psychogener Fehler“) schwerwiegende Folgen haben.
Mögliche körperliche Ursachen psychischer Störungen
Im Prinzip kann jede Krankheit oder Substanz, die im Gehirn einen pathologischen Zustand erzeugen kann, eine psychische Störung hervorrufen.
Wie die untenstehende Auflistung andeutet, gibt es eine sehr grosse Zahl an möglichen körperlichen Ursachen psychischer Probleme. Fast alle Medikamente (insbesondere wenn man mehrere gleichzeitig nimmt) können bei prädisponierten Menschen psychische Probleme verursachen, dies gilt insbesondere für Ältere. Unter den Medikamenten sind diejenigen mit einer anticholinergen Wirkung besonders problematisch (es ist eine gewisse Ironie, dass auch manche Psychopharmaka zu dieser Gruppe gehören). Auch viele „normale“ Erkrankungen können psychische Störungen verursachen. Nun werden sich sicher manche die Frage stellen, warum diese Krankheiten nicht behandelt werden und dadurch die psychischen Probleme gar nicht erst entstehen oder wieder verschwinden. Oft ist es so, dass psychische Symptome die ersten Anzeichen sind und die eigentliche körperliche Erkrankung mit ihrer typischen Symptomatik sich erst viel später manifestiert. Hausärzte haben oft eine nicht ausreichende Kenntnis auf dem Gebiet der somato-psychischen Medizin. Dadurch werden wichtige Labortests und andere Untersuchungen nicht angefordert und so das grundlegende Problem nicht erkannt. Psychiater und Psychotherapeuten führen in der Regel keine körperlichen Untersuchungen durch und vertrauen darauf, dass alles Nötige schon vom Hausarzt oder dem überweisenden Arzt abgeklärt wurde. Auch legen sie ihr Hauptaugenmerk auf die psychiatrischen Symptome, die jedoch leider keinen Rückschluss auf die Ursache zulassen. Die ausgeprägte Spezialisierung in der Medizin (statt einer gesamtheitlichen Betrachtung des Menschen) und die jetzige Situation in der medizinischen Versorgung mit langen Wartezeiten und einem zeitlich nur kurzen Kontakt mit dem Arzt tragen zu dieser Misere bei.
Körperliche Erkrankungen, die psychische Störungen hervorrufen können
Die untenstehende Auflistung zeigt eine Übersicht der möglichen Ursachen psychischer Störungen mit einigen Beispielen. Weitere körperliche Krankheiten und die am häufigsten von ihnen verursachten psychischen Symptome werden im Anhang gezeigt. Die Anzahl der möglichen Ursachen ist sehr gross und füllt ganze Bücher. So wurden z. B. für die Symptomatik einer Depression hunderte möglicher körperlichen Ursachen beschrieben.
– Hirntumore, Hirnabzess, Schädel-Hirn Trauma
– Epilepsien (Temporallappenepilepsie)
– Endokrine Erkrankungen (Schilddrüse, Nebenschilddrüse, Nebenniere)
– Gehirnentzündungen (Bakterien, Viren, Pilze, Protozoen, Würmer, Autoimmun)
– Erbkrankheiten (Chorea Huntington, Morbus Wilson, Porphyrie)
– Elekrolytstörungen (Hyponaträmie)
– Krebs (Pankreas, Lunge, Brust, Eierstock, Prostata, Hypophyse)
– Mangelzustände (Eisen, B-Vitamine, Mineralien, Spurenelemente)
– Intoxikationen (Schwermetalle, Organische Gifte)
– Medikamente (Fluorchinolon-Antibiotika, Isoretinoine, Kortison, „Antibabypille“)
– Autoimmunerkrankungen (Lupus, Multiple Sklerose, Hashimoto, Diabetes Typ I, Zöliakie)
– Allergien/Unverträglichkeiten (Fruktose-, Laktoseintoleranz)
– Organerkrankungen (Herz, Niere, Leber, Pankreas)
– Neurologische Erkrankungen (Multiple Sklerose, Parkinson, Demenz)
– Infektionen (Influenza, Syphilis, Borreliose, HIV, Herpes-Viren, Toxoplasmose)
In den letzten Jahren wurde die Wichtigkeit von Autoimmun-Gehirnentzündungen (Enzephalitiden) ohne begleitende neurologische Auffälligkeiten als Ursache von schwerwiegenden Erkrankungen wie Psychosen, Depressionen, Bipolaren Störungen und Zwangsstörungen erkannt und erfolgreich mit immunsuppressiven Therapien behandelt.
Für das Krankheitsbild einer Schizophrenie wird eine Vielzahl organischer Ursachen beschrieben (Tebartz van Elst 2021), was für Betroffene ganz neue Möglichkeiten der Behandlung und ursächlichen Heilung aufzeigt. Auch Infektionen des Gehirns mit allen möglichen Erregern können die verschiedensten psychischen Störungen hervorrufen (Niehaus 2021), die dann nicht mit Psychopharmaka, sondern mit Antibiotika, Virostatika u. ä. behandelt werden sollten. Hier sollte z. B. an eine Borreliose und an Syphilis, die wieder auf dem Vormarsch ist, gedacht werden.
Wie gross ist das Ausmass dieser Problematik?
Die Psychiater Koranyi & Potoczny haben 1998 eine Übersichtsarbeit publiziert, in der sie 21 Studien über die Häufigkeit körperlicher Erkrankungen bei Psychiatriepatienten aus den Jahren 1937 bis 1991 ausgewertet haben. Bei insgesamt 9200 Patienten wurde bei einer unabhängigen Untersuchung bei 50% eine körperliche Erkrankung festgestellt. Bei 58% dieser Patienten war die Diagnose vorher nicht bekannt und bei 27% hatte die körperliche Erkrankung eine direkte Beziehung zum psychiatrischen Krankheitsbild. Es bestand also bei ca. 14% (dieser Wert umfasst bei den o. g. 21 Studien den Bereich von 7 bis 37%) der psychiatrischen Patienten eine körperliche Erkrankung, die nachträglich als Ursache des psychiatrischen Krankheitsbildes identifiziert wurde. Die meisten dieser Patienten waren stationär in psychiatrischen Kliniken untergebracht. Unter Beachtung der Tatsache, dass früher moderne bildgebende Verfahren (MRT, CT) und manche Labormethoden noch nicht verfügbar waren, ist die mittle Häufigkeit von 14% wohl nach oben zu korrigieren. Auch ist zu berücksichtigen, dass die Verursachung psychiatrischer Krankheitsbilder durch Autoimmun-Entzündungen des Gehirns erst im Jahr 2007 entdeckt wurde. In diesem Sinn wird der Anteil körperlich bedingter psychischer Störungen immer grösser und aus psychiatrischen „Fällen“ werden solche für die Neurologie oder Innere Medizin.
Hinweise auf eine körperliche Ursache
Wenn mit dem Auftreten von psychischen Symptomen die folgenden Beobachtungen oder Bedingungen vorhanden sind, oder diesen vorausgehen, sollte immer an eine körperliche Ursache der psychischen Störung gedacht werden und eine entsprechende medizinische Untersuchung veranlasst werden.
– Optische/visuelle Halluzinationen
– Erhöhte Körpertemperatur
– Neurologische Symptome (Bewegung, Sprache, Kognitive Probleme, Bewusstseinstrübung)
– Höheres Alter (ohne frühere psychische Probleme)
– Einnahme von Medikamenten oder Drogen
– Einseitige Ernährung (vegetarisch, vegan, „Fastfood“)
– Ungewöhnliche Kopfschmerzen
– Plötzliche Verhaltensänderung
– Steifer Nacken
– Geschmacksverlust
– Plötzliche Angst vor Auslöschung der Existenz
Häufige Ursachen psychischer Störungen
Es gibt einige körperliche Ursachen, die relativ häufig vorkommen und mit wenig Aufwand und Kosten abgeklärt werden können. Der Hausarzt kann die entsprechenden Laboruntersuchungen veranlassen. Triviale Faktoren wie Schlaf- und Bewegungsmangel, Übergewicht, übermässiger Konsum von koffeinhaltigen oder alkoholischen Getränken, usw. sollten nicht vergessen werden.
Ein Eisenmangel kommt, insbesondere bei menstruierenden Frauen, relativ häufig vor. Solch ein Eisenmangel darf nicht mit einer Anämie (Hämoglobinwert/Hb erniedrigt) verwechselt werdet, die einen schwerwiegenderen Zustand darstellt. Eine Anämie kann verschiedene Ursachen haben, die immer abgeklärt und entsprechend behandelt werden sollten. Bei einem Eisenmangel können psychische Symptome auftreten, obwohl der Hb-Wert noch im Normalbereich liegt. Laboranalytisch sollten der Ferritinwert (Soll: > 80 µg/l) und die Transferritinsättigung (Soll: >30 %) bestimmt werden. Des Weiteren ist eine gute Funktion der Schilddrüse für die psychische Gesundheit von grosser Wichtigkeit. Sowohl eine Unter- (Hypothyreose) als auch eine Überfunktion (Hyperthyreose) gehen oft mit psychiatrischen Symptomen einher. Hier bringen die Laborwerte TSH (Soll: 0.4 – 2.5 mU/l), fT3 und fT4 Klarheit. Auch die Funktion der Nebenniere sollte überprüft werden. Dies geschieht am besten mit einem Cortisol-Tagesprofil, das einfach mit 3-4 Speichelproben erstellt werden kann. Zur Abklärung von (unerkannten) Autoimmunerkrankungen sollten ein ANA-Test (Antinukleäre Antikörper) gemacht werden. Weiterhin werden Laboranalysen der B-Vitamine (insbesondere B1, B3, B6, B12 und Folsäure) empfohlen. Routineuntersuchungen wie das Blutbild, Elektrolyte, Gesamteiweiss, Nieren- und Leberwerte und CRP/Blutsenkung stellen eine notwenige Ergänzung dar.
Was ist zu tun?
Wenn eine psychische Störung so schwerwiegend ist, dass eine stationäre Behandlung nötig ist, mit grossem Leid verbunden ist, oder hartnäckig über längere Zeit bestehen bleibt, sollte eine umfassende somatische Untersuchung veranlasst werden. Dies ist auch bei jedem erstmaligen Auftreten einer Psychose angezeigt.
Neben einer ausführlichen Anamnese sollte eine körperliche Untersuchung, umfassende Laboranalysen von Blut und Liquor (Nervenwasser), ein MRT (oder CT) des Kopfes, und ein EEG gemacht werden.
Wir wollen dabei nicht aus den Augen verlieren, dass in den meisten Fällen von psychischen Problemen psychogene, und nicht endogene oder körperliche Ursachen vorliegen.
Literaturverzeichnis
Tebartz van Elst, Vom Anfang und Ende der Schizophrenie. Eine neuropsychiatrische Perspektive auf das Schizophrenie-Konzept. Kohlhammer 2021
Eine ausführliche Buchrezension findet man hier:
https://biblische-seelsorge.org/2019/02/22/rezension-vom-anfang-und-ende-der-schizophrenie/
Bock, Das entzündete Gehirn – wenn der Körper die Seele krank macht. Die versteckte Ursache von Depressionen, Angststörungen und anderen psychischen Erkrankungen bei Jugendlichen verstehen und behandeln. Riva 2022
Bullmore, Die entzündete Seele. Ein radikal neuer Ansatz zur Heilung von Depressionen. Goldmann 2019
Lamparter & Schmidt, Wirklich psychisch bedingt? Somatische Differenzialdiagnosen in der Psychosomatischen Medizin und Psychotherapie. Schattauer 2018
Morrison, Der zweite Blick: Psychische Störungen als Symptome somatischer Krankheiten. Hogrefe 2000 (nur noch über Fernleihe erhältlich, englisches Original siehe nächster Eintrag)
Morrison, When Psychological Problems Mask Medical Disorders. Guilford Publications 2015
Welch, Ist das Gehirn schuld? 3L-Verlag 2004
Kasten, Somatopsychologie. Körperliche Ursachen psychischer Störungen von A bis Z.
Ernst Reinhardt Verlag 2010
Kapfhammer, Depression, Angst, traumatischer Stress und internistische Erkrankungen. Eine psychosomatische und somatopsychische Perspektive. Springer 2023
Niehaus & Pfuhl, Die Psycho-Trojaner. Wie Parasiten uns steuern. Hirzel 2021
Dilling, Mombour & Schmid, Internationale Klassifikation psychischer Störungen. ICD–10 Kapitel V (F). Hogrefe 2015
Eine Onlineversion kann hier eingesehen werden:
https://www.dimdi.de/static/de/klassifikationen/icd/icd-10-gm/kode-suche/htmlgm2020/chapter-v.htm
In englischsprachiger Sprache gibt es eine umfassende und detaillierte Literatur zu dieser Thematik. Empfehlungen auf Nachfrage.
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Was gibt dem Menschen Würde?
Lebensqualität oder die Heiligkeit des Lebens?
Im Jahr 2001 meldete Die Rheinpfalz[1]: „Junge erhält für seine Geburt Entschädigung – Umstrittenes Urteil zu Behinderten in Frankreich. Die französische Justiz hat ihre heftig kritisierte Rechtsprechung zu Behinderten bestätigt. Der Kassationsgerichtshof sprach einem sechs-jährigen Jungen mit Down-Syndrom einen Anspruch auf Entschädigung zu, weil er nicht abgetrieben wurde. Der Generalstaatsanwalt hatte vergebens vor ‚einem Recht‘, nicht geboren zu werden gewarnt. Behinderten-verbände reagierten mit Empörung.“
Bereits ein Jahr zuvor hatte das höchste Zivilgericht einem 17 Jahre alten schwer Behinderten eine Entschädigung zugesprochen, weil er geboren und nicht abgetrieben wurde. Was war hier geschehen? Die Rheinpfalz informiert weiter: „Die Eltern des sechsjährigen Jungen hatten geltend gemacht, der Frauenarzt hätte die Trisomie 21 in der Schwangerschaft erkennen müssen. Der Generalstaatsanwalt mahnte in seinem Plädoyer, ein solches Urteil verletze die Würde des Jungen, Mensch zu sein. Er warnte vor einer ‚Eugenik als Vorsichtsmaßnahme‘, die um jeden Preis die Geburt eines behinderten Kindes vermeiden wolle.“
Die Unsterblichkeit wohnt im Menschen wie ein unauslöschliches Feuer, das Gott durch seinen Atem verliehen hat. Er hauchte den Lebensodem in die Nase.
Dieses Urteil liegt nun über 20 Jahre hinter uns. Der Druck auf die Würde des Menschen ist seitdem keines-falls geringer geworden. Die Würde des Menschen steht heute noch viel mehr unter Druck. Das zeigen gerade auch manche Auswüchse in dieser so genannten Corona- Pandemie. Das Thema „Was gibt dem Menschen Würde – Lebensqualität oder die Heiligkeit des Lebens?“ ist hochaktuell und der Lauf der Zeit gibt ihm unverhofft weitere Brisanz. Einige Zitate mögen das noch unterstreichen[2] „Menschliches Glück und gewiss menschliche Fruchtbarkeit sind nicht so wichtig wie ein wilder und gesunder Planet: einige unter uns können nur darauf hoff en, dass das richtige Virus vorbeikommt.“ David Graber, Biologe, National Park Service „Wenn ich wiedergeboren werden könnte, würde ich als Killervirus wiederkommen, um die menschlichen Bevölkerungszahlen zu verringern.“ 9. April 2021), Schirmherr des World Wildlife Fund. „Das Christentum ist unser Feind. Wenn die Rechte der Prince Philip – Duke of Edindinburgh (10. Juni 1921–9. April 2021), Schirmherr des World Wildlife Fund. „Das Christentum ist unser Feind. Wenn die Rechte der Tiere vorankommen sollen, müssen wir die Jüdisch-Christliche-Tradition zerstören.“
Peter Singer, Professor für Bioethik an der Princeton University. „Die Erde ist eine Moschee.“ Ibrahim Abdul-Matin, muslimischer Umweltschützer. Die Absicht solcher Umweltschützer ist klar gegen das jüdisch-christliche Menschenbild gerichtet. Es triff t in die Mitte dessen, was Gott und auch uns Christen heilig ist! Naturschutz ist Gott wichtig, davon legt die Bibel Zeugnis ab. Aber der Mensch darf dabei nicht unter die Räder kommen.
1. Einige biblische Grundlagen zum Thema
Beim Thema „Würde und Heiligkeit des Menschen“ ist es wichtig, sich an den Anfang zu erinnern, den Gott gemacht hat. Das Leben kommt aus Gottes Hand. Es kam durch sein Wort: 1. Mose 1,1: „Im Anfang schuf Gott die Himmel und die Erde.“[3] So beginnt die Heilige Schrift. Der Schöpfungsbericht informiert uns, wie Gott an sechs Tagen die Welt erschuf. Er sprach und es geschah. Der Mensch ist die Vollendung und Krone der Schöpfung Gottes. Das menschliche Leben ist einzig-artig und steht mit seinem biblischen Konzept von der Unsterblichkeit über den später aufgekommenen heidnischen Konzepten. Die biblische Offenbarung über das menschliche Leben ist einzigartig im Vergleich zu den heidnisch mesopotamischen Vorstellungen vom Leben bis hin zu den vermeintlich modernen Vorstellungen unserer Zeit. Die biblische Unsterblichkeit ist keine bloße Anschauung vom Überleben der Seele, sondern die eines voll erfüllten Lebens des ganzen Menschen in Körper und Seele.
Der Mensch ist und bleibt eine lebendige Seele
„Ich habe erkannt, dass alles, was Gott tut, für ewig sein wird: Es ist ihm nichts hinzuzufügen und nichts davon wegzunehmen; und Gott hat es [so] gemacht, damit man sich vor ihm fürchte.“ (Prediger 3,14) Die Unsterblichkeit wohnt im Menschen wie ein unauslöschliches Feuer, das Gott durch seinen Atem verliehen hat. Er hauchte den Lebensodem in die Nase. „Und Gott, der HERR, bildete den Menschen, Staub vom Erdboden, und hauchte in seine Nase [den] Odem des Lebens; und der Mensch wurde eine lebendige Seele.“ (1. Mose 2,7) Man kann wohl behaupten, wir haben im Alten Testament keine detaillierte ausgestaltete Lehre von der Unsterblichkeit. Aber wir haben Unsterblichkeit von Beginn an – denn weil der Mensch ein Gebilde aus Gottes Hand ist und ihm zum Ebenbild erschaffen wurde, so wurde er auch zur Unsterblichkeit geschaffen. Eine wichtige und wesentliche Übereinstimmung mit Gott liegt gerade in der Eigenschaft der Unsterblichkeit der menschlichen Seele. Adam und Eva waren mit ihrer Erschaffung lebendig und damit zugleich unsterblich. Alle Atheisten, die sich wünschten, dass ihre Asche über das Meer verteilt würde, werden einst auferstehen.
Zum Leben bestimmt
Die Menschen sind zum Leben und nicht zum Tod bestimmt. Gott wollte die Unsterblichkeit des Menschen in dessen Wesen als Person mit Leib, Seele und Geist. Das ist der Ausgangspunkt und der Zielpunkt der göttlichen Schöpfung. Ja, wir wissen um die Tragödie des Sündenfalls. Wir lernen aus der Heiligen Schrift, dass der Tod durch die Sünde eine besondere Macht über den Menschen hat. Aber das tiefe Tal des Todes mitsamt den Leiden, in dem sich die Menschheit seit dem Sündenfall befindet, hat nicht das letzte Wort in der Geschichte der Menschheit. Es gibt eine Hoffnung der Auferstehung, die die Juden und die Christen vereint. Und so tödlich die Sünde auch wütet und den geistlichen und physischen Tod bewirkt – sie hat nicht die Macht, die Seele mitsamt ihrer Unsterblichkeit auszulöschen. Der Annihilationismus (Auslöschungslehre) lehrt, dass ein Teil der Menschen aufhören würde zu existieren. Dies ist nicht mit dem biblischen Befund vereinbar. Tod meint in der Bibel Trennung – nicht aber Auslöschung.
Kontroverse Ansichten über den Tod
In Mesopotamien wurden die Menschen gelehrt, dass sie als Sterbliche erschaffen wurden, sodass der Tod die natürliche Folge ihrer Beschaffenheit, also ihrer Existenz war. In Israel glaubte man hingegen, dass man für ein nie endendes Leben erschaffen wurde. Darum war der Tod etwas Unnatürliches. Es ist erstaunlich, dass weder die Aufzeichnungen der Babylonier noch die der Assyrer etwas von einer Auferstehung offenbaren, obwohl doch die Auferstehung so klar bei Daniel und Jesaja dargelegt ist. Der Assyrologe und Bibellehrer Heidel schlussfolgert dazu: „Diese Unterschiede trennen die Eschatologie der Mesopotamier von der der Hebräer so weit wie der Osten vom Westen entfernt ist.“[4]
Krebsgeschwür oder Krone der Schöpfung?
Dieser Hinweis auf Mesopotamien oder Babylon ist in-sofern wichtig, da die heutige so modern scheinende grüne Bewegung mit ihrer ökologischen Doktrin sich letztlich auf uralte heidnische Religionen zurückführen lässt. Es ist dabei erstaunlich, dass der Mensch als Krebsgeschwür und nicht als Krone der Schöpfung verstanden wird (Club of Rome). Mark Musser zeigt in seinem Buch „Nazi Ecology: The Oak Sacrifice of the Judeo-Christian Worldview in the Holocaust“ (Nazi Ökologie: Das Eichenopfer der jüdisch-christlichen Weltsicht im Holocoust), in welch alten heidnischen Quellen die Weltanschauung der Nazis verwurzelt ist. Nach Mussers Auffassung führten die Nazis ihr Vernichtungsprogramm als modernisierte Form von Menschenopfern unter ökologischer/biologischer Tarnung aus. Ihre Ideologie war in der „eichenopferlichen Bildsprache des antiken Heidentums verwurzelt“. Er betont: „Das Wort Holocaust selbst bedeutet ‚ganzes Brandopfer‘.“ Der Sozialdarwinismus, der Grundlage für die Nazis und den modernen Umweltschutz ist, hat seine Wurzeln in heidnischem Denken. Dieser Hintergrund ist hier wichtig. Denn für die von Gott gegebene Würde des Menschen ist in dieser heidnischen Weltanschauung kein Platz. Paulus erklärt im Römerbrief in Kapitel 1, wie der Mensch durch seine aktive Verwerfung von Gott als dem Schöpfer zur Verfinsterung kommt. Das wiederum führt zur „Entherrlichung“ und Entehrung Gottes und endet in der Verherrlichung und Verehrung der Schöpfung. Das Leben und die Würde des Menschen sind mit dem Heidentum aus den Angeln gehoben. Über das Leben, das aus Gottes Hand entstand, müssen wir biblisch denken. Denn bis heute stehen andere Vorstellungen über Ursprung, Sinn und Ziel des Lebens im Raum. Sie schweben nicht harmlos in einer theoretischen Sphäre oder Blase, sie greifen unser Leben und dessen Würde an. Der Bibel völlig entgegengesetzte Anschauungen und deren aggressive Vertreter sind aktiv dabei, das biblische Grundverständnis vom Leben und dessen Würde aus den Angeln zu heben.
Hoffnung trotz Vergänglichkeit
Bevor wir nun weiter in das Thema eintauchen, möchte ich noch den hoffnungsvollen Rahmen aufzeigen, in dem wir uns mit dem von Gott geschaffenen Leben befinden. Wir erinnern uns an die perfekte Schöpfung. Gott schuf den Menschen. Er wollte ewiges Leben für den Menschen. Der Sündenfall führte zur Trennung von Gott und zum geistlichen Tod, dem folgte später der physische Tod. Nach dem Sündenfall lesen wir in 1. Mose 3,9: „Und Gott, der HERR, rief den Menschen und sprach zu ihm: Wo bist du?“ Gott trat schon hier als Retter in Erscheinung. Nur Gott kann uns aus der Todeszone der Sünde retten. Er kümmert sich um die Menschheit, während sie in dieser Weltgeschichte durch das lange Tal des Todes und Leidens schreitet. Er sendet sein Licht durch das Evangelium. Er stellte mit seinem Sohn Jesus Christus das Kreuz der Versöhnung auf.
Als Folge des Sündenfalls hat Gott die Schöpfung der Nichtigkeit oder Vergänglichkeit unterworfen. Denn die Schöpfung ist der Nichtigkeit unterworfen worden – nicht freiwillig, sondern durch den, der sie unterworfen hat – auf Hoffnung hin, dass auch selbst die Schöpfung von der Knechtschaft der Vergänglichkeit freigemacht werden wird zur Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes (Römer 8,20–21).
Paulus macht hier deutlich, dass die Krise der gesamten Schöpfung mitsamt dem Leben der Menschen nicht hoffnungslos ist. Es gibt Grund zur Hoffnung, weil der souveräne Gott die Schöpfung von der Knechtschaft der Vergänglichkeit befreien wird. Und hier nennt Paulus das Ziel: Es geht Gott um die Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes. Das kommende Leben in der ewigen Herrlichkeit befreit von der Vergänglichkeit. Das ist das Ziel Gottes mit den Seinen. Dieser große, hoffnungs-volle Rahmen muss uns vor Augen stehen, wenn wir nun weiter über die Würde, Lebensqualität und Heiligkeit des Lebens nachdenken. Gottes Plan begann in der Ewigkeit vor Raum und Zeit und führt uns auch wieder in die Ewigkeit. Seine hoffnungsvolle Heilsgeschichte ist eingebettet in seine Ewigkeit.
2. Was dem Menschen würde gibt
Der Frage nachzugehen, was dem Menschen Würde gibt, hat mit der Frage zu tun, die eingangs schon angesprochen wurde. Es ist die Ursprungsfrage. Die Frage nach der Herkunft des Menschen. Wo kommt er her, was macht den Menschen aus, wozu ist er überhaupt da? Dazu wollen wir auf einige Bibeltexte hören, um das biblische Bild vom Menschen vor Augen zu haben. Daraus leiten wir dann kurz und knapp die Menschenwürde für uns ab.
1. Mose 1,27–28: „Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bild, nach dem Bild Gottes schuf er ihn; als Mann und Frau schuf er sie. Und Gott segnete sie, und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und vermehrt euch, und füllt die Erde, und macht sie [euch] untertan; und herrscht über die Fische des Meeres und über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf der Erde regen!“ Der Mensch ist Geschöpf Gottes, nach seinem Bild er-schaff en, männlich und weiblich. Der Mensch ist gesegnet und berufen mit seinem Leben durch seine Familie die Erde zu füllen und sie sich untertan zu machen und zu herrschen. Der Mensch ist Krone der Schöpfung und ist beauftragt, die Tierwelt zu beherrschen. Das weist ihm Verantwortung für die Schöpfung zu und schließt jede Ausbeutung aus. Beachten wir hier, dass der Mensch über dem Tier steht. Auch wenn Yuval Noah Harari, ein populärer Frontmann des Transhumanismus, die Menschen als hackbare Tiere[5] oder der Physiker und Nobelpreisträger Reinhard Genzel den Menschen als Tier bezeichnet[6]. Heute erhalten Küken eine größere Beachtung als ungeborene Menschen. Seit dem Jahr 2022 ist das Töten von geschlüpften Eintagsküken in Deutschland verboten. Die Tötung ungeborener Mitmenschen geht erbarmungslos weiter.
Was ist der Mensch?
Psalm 8 zeigt uns seine besondere Stellung in der Schöpfung:
1 Dem Chorleiter. Nach der Gittit. Ein Psalm. Von David.
2 HERR, unser Herr, wie herrlich ist dein Name auf der ganzen Erde, der du deine Hoheit gelegt hast auf die Himmel!
3 Aus dem Munde der Kinder und Säuglinge hast du Macht gegründet um deiner Bedränger willen, um zum Schweigen zu bringen den Feind und den Rachgierigen. 4 Wenn ich anschaue deine Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast: 5 Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Sohn, dass du dich um ihn kümmerst?
6 Denn du hast ihn wenig geringer gemacht als Engel,
mit Herrlichkeit und Pracht krönst du ihn.
7 Du machst ihn zum Herrscher über die Werke deiner Hände; alles hast du unter seine Füße gestellt:
8 Schafe und Rinder allesamt und auch die Tiere des Feldes,
9 Vögel des Himmels und Fische des Meeres, was die Pfade der Meere durchzieht.
10 HERR, unser Herr, wie herrlich ist dein Name auf
der ganzen Erde!
David blickt als Geschöpf auf den HERRN, er sieht seine Herrlichkeit und Hoheit. Der Kontrast zu dieser unfassbaren Hoheit wird unterstrichen durch die Worte der Kinder und das Brabbeln der Säuglinge. Jesus bezog sich in Matthäus 21,16 darauf: „Aus dem Mund der Unmündigen und Säuglinge hast du ein Lob bereitet.“ Schon hier erkennen wir erneut die Größe Gottes, dass er die kleinsten Menschenkinder würdigt, ihm Lob bereiten zu dürfen. Das hätte er nicht nötig, aber er hält es für nötig. So wunderbar ist unser Gott!
Gottes Größe und Stärke zeigt sich im Umgang mit den Kleinen und Schwachen. Und ihre Würde zeigt sich wiederum darin, dass er sie seiner Annahme und Liebe würdigt. Der nächste Kontrast in Psalm 8 liegt darin, dass David wieder mit dem Himmel anfängt (V. 4) und dann die Frage stellt: „Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst und des Menschen Sohn, dass du dich um ihn kümmerst?“ (V. 5) Gott denkt an den Menschen, er kümmert sich um sein Leben. Das haben wir schon bei Adam gesehen, wie Gott nach ihm fragt und sich um ihn in seiner Sündennot kümmert. Auch darin zeigt Gott, dass er den Menschen als sein Geschöpf seiner Würde entsprechend behandelt.
Auf wunderbare Weise erschaffen
In Psalm 139,13–17 lesen wir:
13 Denn du bildetest meine Nieren. Du wobst mich in meiner Mutter Leib.
14 Ich preise dich darüber, dass ich auf eine erstaunliche, ausgezeichnete Weise (Hervorhebung durch den Autor) gemacht bin. Wunderbar sind deine Werke, und meine Seele erkennt es sehr wohl.
15 Nicht verborgen war mein Gebein vor dir, als ich gemacht wurde im Verborgenen, gewoben in den Tiefen der Erde.
16 Meine Urform sahen deine Augen. Und in dein Buch waren sie alle eingeschrieben, die Tage, die gebildet wurden, als noch keiner von ihnen [da war]. 17 Für mich aber – wie schwer sind deine Gedanken, o Gott! Wie gewaltig sind ihre Summen!
Jeder Mensch ist auf eine erstaunliche, ausgezeichnete Weise gemacht (V. 14). Er ist im Verborgenen gewoben (V. 15). Unser einzigartiges Erbgut und unsere Würde kommen aus Gottes Hand. Gott sieht den Menschen vom Anfang seiner Zeugung an. Er blickt auf ihn als sein Geschöpf. Die Tage eines jeden Lebens sind eingeschrieben und damit individuell festgelegt (V. 16). Das Leben des Menschen ist also in jeder Hinsicht göttliche Maßarbeit und ein ausgezeichnetes wunderbares Werk. Was für ein Reichtum an Eindrücken geben uns allein diese drei Kardinalstellen der Heiligen Schrift über den Menschen. Was dem Menschen Würde gibt, können wir damit klar beantworten: Gott selbst, seine Schöpfermacht, seine Herrlichkeit, aber auch seine Absicht, sich um die Kleinen und Großen aktiv zu kümmern. Der Mensch ist auf Gott hin angelegt und angewiesen. Sinn und Ziel seines Lebens ist es Gottes Abbild zu sein und zu spiegeln. Der Begriff von der Würde des Menschen fand Eingang in das deutsche Grundgesetz. Und die Väter und Mütter des Grundgesetzes hatten eine christlich geprägte Vorstellung von Gott und den Menschen. Was die heutige Politik und Rechtspraxis angeht, müssen wir einen Trend weg vom biblischen Gott und Menschenbild feststellen. Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland setzt die Verantwortung vor Gott an den Anfang. So heißt es in der Präambel: „Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, […] hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.“ Artikel 1 Absatz 2: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt[…].“ Artikel 1 Absatz 3 lautet: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ In Artikel 3 Absatz 3 heißt es: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“[7] Wir erkennen vor dem Hintergrund der biblischen Aussagen, dass die Interpretation des Grundgesetzes dem Trend unterliegt, sich dem Zeitgeist anzupassen. Im Grundgesetz ist nur von Mann und Frau und von deren Geschlecht die Rede. Und doch bildet in Deutschland seit 2018 der Geschlechtseintrag „divers“ eine dritte Option neben „männlich“ und „weiblich“. Das Grundgesetz sagt: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Und doch steht die vorgeburtliche Auslese behinderter Kinder dazu im krassen Widerspruch.
3. Was ist Lebensqualität?
Lebensqualität ist ein Begriff , der stark von der zugrundeliegenden Lebensphilosophie geprägt ist. Lebensqualität hat zunächst zweierlei Fundamente: Für entschiedene Christen, die ihr Leben mit Gott leben wollen, besteht Lebensqualität darin, im Willen Gottes zu leben, zu lieben und geliebt zu werden. Das heißt z. B. zu einer Gemeinde zu gehören, dort zu dienen und auch geistlich zu wachsen. Dann auch in Familie und Beruf seinen von Gott gegebenen Platz einzunehmen. Das ist sehr verkürzt ausgedrückt, was für Christen Lebensqualität ist. Das Haus auf dem Felsen!
Menschen leben heute in vielen Vorstellungen vom idealen Leben. Das geht vom Traum über das Leben auf der einsamen Insel bis hin zu Reichtum und völliger Freiheit über Karriere im Beruf. Lebensqualität ist für viele nur dann gegeben, wenn das Leben möglichst plan-bar, ohne böse Überraschungen oder Krisen verläuft. Selbstverwirklichung, Karriere, trautes Heim, gesunde Kinder und Familie. Das sind manche der gängigen Stereotypen.
Dass plötzlich eine Krankheit, ein Krieg oder eine Katastrophe ins Leben hereinbricht, daran denkt man nicht. Unsere Eltern oder Großeltern haben noch einen Krieg erlebt. Und wir sind in dieser Zeit mit einem Krieg in Europa konfrontiert. Wie würden Kriegsopfer Lebensqualität definieren? Ein Leben, das diese Welt liebt, nach dem Motto „ich will viel haben, viel tun und groß sein“ entspricht dem Zeitgeist. Nicht aber dem Geist Gottes. Gottes Wort sagt: „[…] was unter den Menschen hoch ist, ist ein Gräuel vor Gott.“ (Lukas 16,15b)
Wir neigen dazu, das Leben unter den Aspekten von Wert, Nützlichkeit und Brauchbarkeit zu taxieren. Ein wertvoller Mitarbeiter arbeitet doppelt so schnell wie ein anderer. Darum ist er in den Augen der Firma wertvoller als andere. Eben dies ist aber nicht gleichzusetzen mit Würde. Denn der fleißige Mitarbeiter kann durch einen Unfall an einer bleibenden Behinderung leiden und ist darum als Mensch trotzdem wertvoll. Seine Würde behält er, zumindest nach christlichem Menschenbild. Es ist wohl wahr, dass genau hier zwei Welten aufeinander-prallen. Solange man funktioniert, ist man geachtet und wertvoll. Aber wehe man kränkelt und die Leistung lässt nach. Dann bekommt man sehr schnell mit, wie es in der Welt zugeht. Schwache und Kranke werden ausgemustert. Gott sei Dank gibt es da aber auch rühmliche Ausnahmen. Lebensqualität nach dem Lauf dieser Welt orientiert sich nicht an Gottes Maßstäben. Das Argument für aktive Sterbehilfe lautet oft, dass es ein unwürdiges Leben sei, wenn Menschen an schweren Erkrankungen leiden. Hier ist aber nicht die Krankheit in der Lage ein Leben unwürdig zu machen. Tödliche Leiden sind hart, bedrückend und schrecklich, aber sie machen nie das Leben des Menschen unwürdig! Mitunter erleben Kranke eine unwürdige Behandlung, davon wusste auch schon Hiob zu berichten (Hiob 30,15). Der Zustand des Menschen ist erbarmungswürdig und er mag in den letzten Zügen liegen. Trotzdem verliert ein Mensch in seinem Leiden nie seine Würde. Er soll bis zu seinem Lebensende mit Würde und Respekt behandelt werden. Und selbst den Körper eines Verstorbenen behandeln wir respektvoll. Im § 168 des Strafgesetzbuchs unter „Störung der Toten-ruhe“ ist der Rechtsbegriff für Leichen- und Grabschändung geregelt. Ein Versuch ist strafbar! Wir ehren Menschen ob tot oder lebendig.
4. Was das Leben heilig macht
Die Zeit nach der Sintflut: Nachdem Gott aufgrund seiner Heiligkeit die Menschen durch die Flut wegen ihrer Sünde verurteilte, ordnet er das zivile Leben. Dabei gibt Gott eine eindeutige Anordnung und Warnung! Er erinnert an die Bedeutung der Gottesebenbildlichkeit des Menschen. „Wer Menschenblut vergießt, dessen Blut soll auch durch Menschen vergossen werden; denn Gott hat den Menschen zu seinem Bilde gemacht.“ (1. Mose 9,6) Gott ordnet hier aufgrund der Gottebenbildlichkeit des Menschen die Bestrafung eines Mörders durch Menschen an. Gott, der Allmächtige, mit seiner ultimativen legislativen Gewalt betont hier die menschliche Gottesebenbildlichkeit und dessen Würde. Darum legt er die judikative (rechtsprechende) und exekutive (ausführende) Gewalt in die Hände der Menschen. Menschen sollen ein Kapitalverbrechen beurteilen und die Täter verurteilen, welche gegen Gottes heilige Gebote verstoßen. Darin werden sie Gott in einem weiteren Schritt ähnlich. Wie? Indem die Menschen nun verpflichtet sind, und nicht Gott, das Urteil zu vollstrecken. Mörder müssen sterben, weil der Mensch in Gottes Bild geschaffen ist.
Jeder Mensch hat Würde
Gott vermittelt die Heiligkeit des Lebens durch das Gesetz: „Du sollst einem Tauben nicht fluchen und vor einen Blinden kein Hindernis legen, und du sollst dich fürchten vor deinem Gott. Ich bin der HERR.“ (3. Mose 19,14) und „Verflucht sei, wer einen Blinden auf dem Weg irreführt! Und das ganze Volk sage: Amen!“ (5. Mose 27,18) Nach diesem Prinzip gehört auch ein pauschaler „Maskenzwang“ auf den Prüfstand. Lungen-kranken raubt er buchstäblich den Atem, da vielfach ihre medizinisch begründete Maskenbefreiung ignoriert wird. Gott gewährt den Behinderten einen besonderen Schutz, nicht um sie zu bevorzugen. Sondern um ihre Würde als Menschen zu schützen und die Heiligkeit eines jeden Menschen – ob behindert oder nicht behindert – zu unterstreichen. Heiligkeit ist hier nicht unter dem Aspekt von Makellosigkeit oder Sündlosigkeit zu verstehen, sondern unter dem Aspekt der Unantastbarkeit, weil alles Leben Gott gehört!
Gott gab seinen Sohn für uns
Das wunderbare am Evangelium ist doch, dass Gott Sünder sucht und heilig macht. Für Gott war das Leben der unheiligen Sünder immer noch so „heilig“ im Sinne von würdig, dass er seinen Sohn dahingab. Unser himmlischer Vater hätte es nicht tun müssen. Aber er tat dies aus Liebe. Der Vater gab seinen Sohn dahin, damit Jesus am Kreuz zur Sünde wurde, sein Blut vergoss und starb, damit alle, die an den Sohn glauben, augenblicklich zu Heiligen werden und in der Heiligung leben können. Wir wissen, dass der Mensch durch die Sünde völlig verdorben ist. Aber er ist immer noch ein Mensch mit Würde, dessen Leben heilig ist, weil er Geschöpf Gottes ist. Für Gott ist es möglich, auch Säuglinge einfach zu sich in den Himmel zu nehmen. Er hat dafür einen Weg, den wir nicht ergründen können. Aber sind sie nicht alle Sünder? Geborene wie Ungeborene? Gewiss und doch ist das Leben der Ungeborenen in gewisser Weise „heilig“, also im Sinne von ganz für Gott abgesondert. Denn David hatte die Hoffnung, dass er einst zu seinem verstorbenen Sohn gehen wird (2. Samuel 12,32).
Die besondere Stellung des Lebens – ob geboren oder ungeboren
Unsere deutsche Rechtsordnung anerkennt Ungeborene als vollwertige Personen, denn sie sind nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch erbfähig. Ein Ungeborenes kann demnach als Erbe eingesetzt werden. Damit muss klar sein, dass über das Leben Ungeborener auch keinerlei Verfügbarkeit besteht. Lebensrecht und Erbrecht Ungeborener sind hierbei unmittelbar verwoben: Bürgerliches Gesetzbuch[8] § 1923 Erbfähigkeit (1) Erbe kann nur werden, wer zur Zeit des Erbfalls lebt. (2) Wer zur Zeit des Erbfalls noch nicht lebte, aber bereits gezeugt war, gilt als vor dem Erbfall geboren. (Bürgerliches Gesetzbuch, Buch 5 – Erbrecht (§§ 1922–2385) / Abschnitt 1 – Erbfolge (§§ 1922–1941))
5. Ein Fazit
Jesus erinnerte einst seine Jünger an ihren Wert: „Aber selbst die Haare eures Hauptes sind alle gezählt. [So] fürchtet euch nicht; ihr seid vorzüglicher als viele Sperlinge.“ (Lukas 12,7) Diese Erinnerung ist auch für uns heute wichtig. Die Unantastbarkeit bzw. Heiligkeit der menschlichen Würde ist in der Gottebenbildlichkeit des Menschen verankert. Die Berufung der Christen liegt darin, die Heiligkeit und Würde des menschlichen Lebens zu bezeugen, nach ihr zu leben und sie zu verteidigen. „Mose erkannte seine Berufung und lebte entsprechend: Aus Glauben zog es Mose vor mit dem Volk Gottes Ungemach zu leiden, als den zeitlichen Genuss der Sünde zu haben, indem er die Schmach des Christus für größeren Reichtum hielt als die Schätze Ägyptens; denn er schaute auf die Belohnung.“ (Hebräer 11,25–26) Das Leben in zeitlicher Lebensqualität als Sohn von Pharaos Tochter – als Ägypter – wurde, um der Perspek-tive der Ewigkeit wegen, von Mose verworfen. Also um Christi und der Belohnung wegen. Der zeitliche Genuss der Privilegien als Sohn der Tochter Pharaos hätte für Mose Sünde bedeutet. Seine Zugehörigkeit und Identität galten dem Volk Gottes und damit Christus. Eine ägyptische Lebensweise, mitsamt ihren heidnischen Göttern, hätte nicht seiner Identität und seinem Glauben entsprochen. Bei Mose machte die aus dem Glauben gekommene Entscheidung den Unterschied zwischen zeitlichem Lebensgenuss (vergänglicher Lebensqualität) unter Pharaos Ägypten und ewiger Lebensperspektive unter Christus. Auch heute wird uns der Glaube an Gott und die Heiligkeit des Lebens zum Ziel bringen, wenn wir am Bekenntnis der christlichen Hoffnung festhalten (Hebräer 10,23) und durch entschlossenes Vertrauen voran gehen, wie durch einen Korridor der uns trotz Enge, Bedrängnis, und Leiden als Christi Zeugen sicher an das Ziel bringt. Engpässe, Bedrängnisse und Ängste kennen wir, davon sprach Jesus, aber er sprach auch von seinem Trost. Dieser Korridor oder Engpass ist Leidensweg und Zeugnis-kraft zugleich. Die Frage ist, was fürchten wir mehr, Repressalien, Schmach und Schande wegen Jesus oder fürchten wir, in der Versuchung oder Bedrängnis Gottes Heiligkeit und die Heiligkeit des Lebens zu verleugnen? Hier wird der wahre ungeheuchelte Glaube in einem reinen Herz den Unterschied machen in Wort und Tat. Glaube muss erprobt werden und er wird erprobt werden.
Grundgesetz und Menschenwürde unantastbar
Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier schreibt[9]: „Die Garantien, auf denen unser freiheitlicher Rechtstaat beruht, sind im Grundgesetz in den Artikeln 1 und 20 für unantastbar erklärt. Sie dürfen folglich nicht einmal durch qualifizierte Mehrheiten im Parlament, also auch nicht durch eine formel-le Grundgesetzänderung, angetastet werden. Das bezieht sich zuallererst auf die Erklärung der Unantastbarkeit der Würde des Menschen in Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes, aber auch auf den zweiten Absatz des-selben Artikels, der lautet: ‚Das deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.‘“ Damit unterstreicht Hans-Jürgen Papier, dass die Unantastbarkeit der Würde des Menschen, die für Christen in der Schöpfungsordnung verankert und an die Gottebenbildlichkeit des Menschen gebunden ist, dem Grundgesetz als fundamentale unverrückbare und unveräußerliche Grundlage gilt.
Was auf dem Spiel steht
Das grundgesetzliche Recht hinsichtlich der Würde des Menschen zu haben und dieses Recht auch persönlich zu erfahren sind in dieser Welt bekanntlich zweierlei Dinge. Denn die deutsche Rechtsprechung zeigt eine fortschreitende Abkehr von der Würde des Menschen. Totalitäre Tendenzen in der Politik sind erkennbar und der Transhumanismus verfolgt das Ziel, den Menschen grundlegend zu verändern. Hannah Arendt weist auf das eigentliche Ziel totalitärer Ideologie hin. Es sei „[…] die Transformation der menschlichen Natur selbst, [… ] Was in der totalen Herrschaft auf dem Spiele steht, ist wirklich das Wesen des Menschen.“[10] Obwohl das Recht dem Schutz der Schwachen dienen sollte, hat es sich gegen Schwache gewandt. Für diesen Missstand sind vor allem die Richter vor Gott verantwortlich. Der zu beklagende Notstand und die damit verbundenen Sorgen sind groß. Diese Not und Sorgen dürfen wir im Gebet vor den Thron der Gnade zu Christus bringen. Christus unser Schöpfer hört, sieht und handelt. In seinen Augen hat jeder Mensch Würde. Weil er sein geschöpfliches Ebenbild ist.
Der Apostel Paulus spricht im Römerbrief Kapitel 8 Vers 22 vom sehnsüchtige Harren der Schöpfung, von Seufzen und Geburtswehen. Christen werden durch Gottes Gnade von der Knechtschaft der Vergänglichkeit erlöst werden. Die Geburtswehen, unter denen wir seufzen, sind hoffnungsvolle Vorboten. Gottes Ziel ist die end-gültige Freiheit, welche die Kinder Gottes besitzen, wenn sie verherrlicht sind. Gottes genialer Plan wird verwirklicht werden. Er hebt sich in jeder Hinsicht von der Utopie und Agenda einer den Menschen verachtenden trans-humanistischen Ideologie ab. Jesus Christus dürfen wir völlig vertrauen.
Dass wir in einer Welt voller Falschheit leben, der wir im Gegensatz zu Christus nicht restlos vertrauen können, unterstreicht die Bachkantate
„Falsche Welt dir trau ich nicht!“
Gott ist getreu!
Er wird, er kann mich nicht verlassen;
Will mich die Welt und ihre Raserei
In ihre Schlingen fassen,
So steht mir seine Hilfe bei.
Auf seine Freundschaft will ich bauen
Und meine Seele, Geist und Sinn
Und alles, was ich bin,
Ihm anvertrauen.
Christen können sich dem treuen Gott ganz und gar anvertrauen und das Böse mit Gutem überwinden. Wir Christen dürfen gewiss sein: Unser Leben mit seiner Würde hält Gott allen Stürmen zum Trotz in seiner guten Hand.
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Was gibt dem Menschen Würde?.pdf
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1 Die Rheinpfalz, Ausgabe Nr. 277 am 29.11.2001. .
2 Mark R. Musser, Nazi Ecology: The Oak Sacrifi ce of the Judeo-Christian Worldview in the Holocaust, Dispensational Publishing House, Inc. 2018, S. 414-416.
3 Bibelstellen zitiert aus Elberfelder Bibel, R. Brockhaus Verlag, Wuppertal © 2006; Die Heilige Schrift, CSV Hückeswagen © 2003; Lutherbibel, Deutsche Bibelgesellschaft Stuttgart © 1984.
4 Alexander Heidel, The Gilgamesh Epic an Old Testament Parallels, pp. 137-223, Chicago University Press, 1946, quoted in The Zondervan Pictorial Encyclopedia of the Bible “Life” pp. 927 -928.
5 “But soon at least some corporations and governments will be able to systematically hack all the people. We humans should get used to the idea that we are no longer mysterious souls – we are now hackable animals. That‘s what we are.“ in How to Survive the 21st Century,
Vortrag am 21.01.2020 World Economic Forum, https://www.weforum.org/agenda/2020/01/yuval-hararis-warning-davos-speech-future-predications/In Hararis Buch Homo Deus – Eine Geschichte von Morgen (C.H.Beck, 13. Aufl age 2020) fi ndet sich im Register kein Eintrag zu Menschen oder Mensch, allerdings 27 Verweise zum Tier und auf S. 117 die Aussage: „Gegenwärtig sind mehr als neunzig Prozent aller großen Tiere der Welt (die also mehr als ein paar Kilogramm wiegen) entweder Menschen oder domestizierte Tiere.“ 6 hr-iNFO Das Interview am 3.6.2022/ https://www.ardaudiothek.de
7 Grundgesetz (GG) für die Bundesrepublik Deutschland mit Nebengesetzen, Aktuelle Gesetze, 8. Aufl age 2020, © 2020 Harwardt.
8 https://www.gesetze-im-internet.de/bgb/BGB.pdf
9 Hans-Jürgen Papier, Freiheit in Gefahr – Warum unsere Freiheitsrechte bedroht sind und wie wir sie schützen können, S. 281, Wilhelm Heyne Verlag München, 2021.
10 Hannah Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, S. 940-941, Piper Verlag GmbH, München, 23. Auflage 2021.
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Unerträgliches Leid
Problematik eines Kernbegriffs für die aktive Sterbehilfe
Seit Jahrzehnten werden Fragen rund um Sterbehilfe kontrovers diskutiert.[1] Zuletzt bekam die Debatte durch die Entscheidung zur Legalisierung des assistierten Suizids Aufwind für die Sterbehilfsorganisationen. Während das Bundesverfassungsgericht über die Autonomie des Menschen argumentiert (dazu später mehr)[2], wird allgemein hin über das Leiden der Patienten argumentiert. Dieses Leiden, so die Befürworter der aktiven Sterbehilfe, sei unerträglich und müsse daher – aus Liebe zu den Patienten – aktiv beendet werden. Jeder wünscht dem Anderen (und genauso sich selbst), dass er eines Tages im hohen Alter zu Hause „ruhig einschlafen“ wird. Friedlich soll der Tod sein. Dem gegenüber steht der einsame, unerträglich qualvolle Tod in einem sterilen Krankenhaus, bei dem keine palliativmedizinische Intervention mehr Linderung verschaffen kann. Wer möchte dem nicht vorsorglich entgegen wirken? Der Verein DIGNITAS schreibt in seiner Informationsbroschüre: „Im Fall von ärztlich diagnostizierten hoffnungslosen oder unheilbaren Krankheiten, unerträglichen Schmerzen oder unzumutbaren Behinderungen bietet DIGNITAS seinen Mitgliedern die Möglichkeit eines begleiteten Freitods an.“[3] Die Niederlande oder Österreich knüpfen den Zugang zum assistierten Suizid an das Vorliegen eines solchen unerträglichen Leides. Doch es gibt einige Gründe, warum diese Bedingung als Gradmesser für die gesellschaftliche Akzeptanz des Suizids unzureichend ist. Diese sollen nun herausgearbeitet werden.
Definition „Leid“
nach Prof. Eric J. Cassel: „Ganz allgemein lässt sich Leiden als ein Zustand schwerer Not definieren, der mit Ereignissen einhergeht, die die Unversehrtheit der Person bedrohen.“
Definition „unerträgliches Leid“
nach Prof. Dr. phil. Claudia Bozzaro: „Die individuelle und subjektiv empfundene Intensität von Symptomen oder Situationen, deren andauerndes Empfinden bzw. Erleben so belastend ist, dass sie von einem Patienten nicht akzeptiert werden kann.“
Die Mehrdimensionalität des Leids
Zuerst müssen wir ein Schlaglicht auf den Begriff „Leid“ werfen, um sein Bedeutungsspektrum zu verstehen. Der Arzt Prof. Eric J. Cassel definierte Leid im New England Journal of Medicine wie folgt: „Ganz allgemein lässt sich Leiden als ein Zustand schwerer Not definieren, der mit Ereignissen einhergeht, die die Unversehrtheit der Person bedrohen.“[4] In einem Artikel arbeitet der Autor anhand vieler Beispiele heraus, dass Leid mehr umfasst als nur körperliches Leid. Leid ist auch nicht mit Schmerzwahrnehmung identisch, obgleich diese durchaus eine Teil-menge des wesentlich umfassenderen Begriffs „Leid“ beansprucht. Leid und Schmerz müssen nicht unbedingt zusammenfallen. Der sprichwörtliche „Herzschmerz“ zielt gerade auf diese geistige/seelische Dimension (Psyche) des Leidens ab, die sich nicht zwingend auf den Leib (Physis) auswirken muss – aber kann. Auf der anderen Seite kann diskutiert werden, ob ein kurzer, leichter (körperlicher) Schmerz wirklich Leid (je nach Definition des Leidensbegriffs) verursacht. Nach der oben angeführten Definition würde der geneigte Leser zustimmen, dass ein akzidenteller Tritt gegen den Türrahmen nicht zwingend die Unversehrtheit einer Person bedroht. Der Grund des Leidens muss auch nicht zwingend in der leidenden Person selbst liegen. Eine Witwe, die gerade ihren Ehemann verloren hat, kann durchaus stark leiden, auch wenn sie selbst körperlich gesund ist. Es ist naheliegend, dass auch die möglicherweise vorangegangene Krankheitsbegleitung starkes Mit-Leiden verursachen kann. Leid überfällt den (Mit-)Leidenden also nicht nur von innen, sondern kann auch von außen (z. B. durch die Angehörigen) über ihn gebracht werden. Diese Vielschichtigkeit des Leid-Begriffs[5] erschwert die Erfassung durch eine umfassende Begriffsdefinition. Das tut dieser Untersuchung keinen Abbruch, denn das Ziel besteht nicht in einer feinkörnigen Austüftelung des Leidens-Begriffs. Es soll jedoch darauf hingewiesen werden, dass „Leid“ über die leibliche Dimension (u. a. Leiden durch Krankheit) hinausgeht. Daraus ergibt sich schon jetzt, dass die Beurteilung eines individuellen Leidens erschwert wird. Mit diesem weiten Leidensbegriff im Blick müssen wir uns jetzt der „Unerträglichkeit“ zuwenden.
Die Problematik der Unerträglichkeit
Unerträgliches Leid steht erträglichem Leid gegenüber. Wenn also Leid auch erträglich sein kann, wirft das unmittelbar die Frage auf: Wann ist Leid unerträglich? Und: Wie viel Leid kann man ertragen? Diese Grenzziehung ist zentral, wenn man sie – wie z. B. in den Niederlanden – zur Legitimation assistierten Suizids gebrauchen will. Die Medizinethikerin Prof. Dr. phil. Claudia Bozzaro führt in ihrer Ausarbeitung über den Leidens-Begriff eine der wenigen auffindbaren Definitionen über unerträgliches Leiden an. Es sei „die individuelle und subjektiv empfundene Intensität von Symptomen oder Situationen, deren andauerndes Empfinden bzw. Erleben so belastend ist, dass sie von einem Patienten nicht akzeptiert werden kann.“[6] Durch diese Definition wird die Subjektivität der Beurteilung eines Leidens als „unerträglich“ sehr deutlich.
Eine objektive Bewertung eines subjektiven Leidens ist kaum möglich.
Hinzu kommt nach Bozzaro die „fehlende Eindeutigkeit“, weil unklar ist, „welche Symptome oder Situationen als unerträgliche Leiderlebnisse zu fassen sind. Analog zur Indikation für einen ärztlich assistierten Suizid und der Tötung auf Verlangen ist auch in der palliativmedizinischen Praxis seit einigen Jahren ein Trend der Verschiebung und Erweiterung zu verzeichnen: von der Indikation aufgrund körperlicher Symptome (Dyspnoe, Delir, Schmerz, Übelkeit) hin zu psychosozialen und existentiellen Leiderlebnissen. Unter psycho-existentiellen Leiderlebnissen werden dabei in der Literatur u. a. angegeben: ein Gefühl von Sinnlosigkeit, die Angst, anderen zur Last zu fallen, Abhängigkeit, Angst vor dem Tod, der Wunsch, den Zeitpunkt des eigenen Todes selbst zu bestimmen, Kontrollverlust und Einsamkeit sowie ein Gefühl von Isolation […].“[7]
Nun wird die oben genannte zentrale Grenzziehung in der Praxis problematisch und herausfordernd. Diese wäre aber notwendig, wenn Außenstehende in den Entscheidungsprozess mit einbezogen werden.
Die konsequente Fortführung der Idee, dass es ein Subjekt ist, das – individuell eingeschätzt – „unerträglich“ leidet, lässt unvermeidlich folgenden Schluss zu: Der assistierte Suizid kann nicht auf „todkranke“, alte Patienten beschränkt sein. Denn es ist ja nicht von vornherein auszuschließen, dass ein junger Mensch sein Leid als ebenso unerträglich einschätzt. Liebeskummer zum Bei-spiel kann durchaus höchst leidvoll sein. Die Endstrecke des Argumentationswegs über das „unerträgliche Leid“ führt unmittelbar über den Suizid schwerkranker, physisch Leidender hinaus. Dann wird – zugespitzt formuliert – die Sterbehilfe für alle geöffnet, die unbedingt sterben wollen (wie es bspw. am Präzedenzfall der Beneluxstaaten erkennbar ist[8]).
Das Bundesgesundheitsministerium öffnet daher in seinem „Entwurf […] der freiverantwortlichen Selbsttötungsentscheidung den assistierten Suizid für jede Person, die a) volljährig ist oder die Genehmigung des Familiengerichts eingeholt hat.‘“[9] Der assistierte Suizid soll also jeder Altersgruppe unabhängig von den Umständen ermöglicht werden. Das führt einem erneut vor Augen, wie weit-reichend das Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Februar 2020 war. Mit ihrem Urteil öffneten die Verfassungsrichter auf einen Schlag die Tür für den gesellschaftlich akzeptierten und geschäftsmäßig geförderten Suizid aller Menschen, jeder Altersgruppe, solange der jeweilige Mensch sich nur autonom dazu entschließt. Deshalb soll es nach diesem Gesetzesentwurf in § 217 heißen, dass: „1. die zur Selbsttötung entschlossene Person c) ihren Willen frei und unbeeinflusst von einer akuten psychischen Störung gebildet hat und nach dieser Einsicht handeln kann.“[10] Sobald das sichergestellt wird, ist assistierter Suizid erlaubt. Der Staat muss also nur noch gewährleisten, dass die Entscheidung des suizid-willigen Individuums wirklich autonom getroffen wurde: „Diese Gefahren aufgreifend werde ein legislatives Schutzkonzept unterstützt und die Bedeutung der Suizidprävention, der Palliativ- und Hospizversorgung und der Vermeidung von sozialem Druck herausgestellt.“[11] Zusammenfassend muss der suizidwillige Mensch nur noch zweierlei sein: Autonom und entschlossen. Folglich geht die Diskussion von den unerträglichen Leidensumständen eines schwerstkranken Menschen aus und endete schließlich ohne dieselben. Und dies wird dann zu guter Letzt auch noch als Schutzkonzept deklariert – aber nicht für das Leben, sondern für die Autonomie. Dadurch wird der Staat zunehmend zum Protektor einer verabsolutierten Autonomie und opfert dafür den Schutz des Lebens.[12]
Die Fokusverschiebung der Debatte
Die Diskussion um die aktive Beendigung des Lebens aufgrund unerträglichen Leids mündet also zwangsläufig in die Autonomie des Einzelnen. Grund dafür ist, dass das Argument, man wolle den unerträglich leidenden Patienten erlösen, nicht herhalten kann, um assistierten Suizid zu begründen. „Unerträgliches Leid“ funktioniert nicht als Maßstab für die Regulierung des geschäfts-mäßigen[13], assistierten Suizids. Dieses „Ursprungsargument“ ist nicht brauchbar, da es bei genauerer Analyse (wie oben gezeigt) viel zu vage ist und gezielte Fragen nicht beantworten kann. Deshalb kann und sollte dieser Maßstab nach der Legalisierung des geschäftsmäßigen Suizids nicht in die allgemeine Gesetzgebung mit ein-bezogen werden. In der öffentlichen Debatte ging es aber um die sterbenskranken Menschen.[14] Es ging ursprünglich nicht darum, dass gesunde Menschen, wenn sie sich dazu autonom entscheiden, sich das Leben nehmen können. Darum geht es aber nun im letztlich entscheidenden Urteil des BVerfG. Dieses argumentiert über die Wahrung der Autonomie des Menschen. Entsprechend kann der Zugang zum assistierten Suizid nicht auf eine ausgewählte Gruppe beschränkt bleiben. Deshalb wird der assistierte Suizid konsequent für alle geöffnet. Die Ursprungsargumentation hat für die praktische Gesetzgebung ihre Relevanz verloren.
Es geht in der Umsetzung dann nicht mehr um das Leid des Einzelnen, sondern nur noch um die autonom beschlossene Sterbewilligkeit. Und wem mag man absprechen, wenn das Individuum so autonom dasteht, dass es unerträglich leidet? Darf man den Einzelnen dann überhaupt noch ermutigen, dass es sich lohnt weiter gegen das Leid zu kämpfen? Denn so nimmt man bereits wieder Einfluss auf den Einzelnen. An diesem Punkt sucht man verzweifelt nach einer Antwort auf die Frage: Wann lohnt es sich überhaupt noch zu leben und Leid zu er-tragen? Dabei muss auch die Frage gestellt werden, wie weit die Autonomie des Einzelnen reicht. Eine Person steht im Leben nicht für sich allein, sondern ist eingebettet in einen Lebenskontext, mit dem sie eng verwoben ist. Inwiefern ist der Einzelne autonom? Wovon ist er denn eigentlich unabhängig? Nur vom Einfluss anderer? Ist er vielleicht auch unabhängig von der Verantwortung im Leben anderer? Ist der Mensch wirklich so frei, wie es in unserer Zeit angenommen wird?
Das höchste Gut des Lebens scheint damit nicht mehr das Leben, sondern die Freiheit zu sein. Dr. med. Mira Pankratz fasst es treffend zusammen: „Das Gut der Selbstbestimmung wird höhergestellt als das Gut des Lebens.“[15]
Die Verantwortung der Christen
Im Rahmen eines christlichen Weltbilds ist Suizid zwingend abzulehnen.[16] In dem Wunsch nach Suizid steckt die Hoffnung, dass nach dem Tod und ohne Leid alles besser wird.[17] Das gilt aber nur für Christen (Joh 3,16–18). Der Mensch ohne Christus stirbt ins Gericht hinein (Hebr 9,27) und darauf folgt ewiges Leid in der Trennung von Gott (Jes 66,24; Dan 12,2). Insofern muss der Irrtum benannt und aufgedeckt werden: Mit dem Tod ist das Leiden nicht beendet. Wir müssen also evangelisieren und uns gegen den assistierten Suizid einsetzen, auch wenn unsere Argumente nicht immer eingesehen werden. Dabei lässt sich nicht verhindern, dass es auf einige so wirkt, wie der DIGNITAS-Gründer Ludwig A. Minelli es wahrnimmt: „Die Gegner (d. assistierten Suizids, Anm. d. Autors) wollen ihre weltanschauliche Sicht mithilfe des Staates anderen aufzwingen.“[18] Wenn sie es ablehnen, dann zumindest mit dem Hören auf die Warnung: „Warnst du aber den Gottlosen und er kehrt doch nicht um von seiner Gottlosigkeit und von seinem gott-losen Weg, so wird er um seiner Missetat willen sterben; du aber hast deine Seele gerettet!“(Hes 3,18–21, vgl. auch Hes 33,2–9)
Der Mensch ist nicht so autonom, wie er im Rahmen eines atheistischen Weltbilds denken mag. Die Folge der Ignoranz ist schwerwiegend, wie Dr. Matthias Klaus feststellt: „Wer die Autonomie des Menschen von Gott loslöst, zerstört den Menschen. Dieser Kultur des Todes hält die Bibel entgegen, dass Gott allein es ist, der über Anfang und Ende des Lebens befindet. Was (nicht nur) schwer kranke und lebensmüde Menschen brauchen, ist eine lebendige Hoffnung, die über den Tod hinausgeht. Diese Hoffnung findet sich alleine in Jesus Christus, der über sich sagt: ‚Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt‘ (Joh 11,25). In Jesus Christus findet sich eine Antwort, die mitten in die Leid- und Notsituation hineinspricht und Hoffnung bietet, auch über den Tod hinaus.“[19] Wenn jemand diese Wahrheit annimmt, wird er den Trost bei dem finden, der in Mt 11,28 spricht: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, so will ich euch erquicken!“
Der autonome Mensch mag autonom sterben, aber auch sehr einsam. Und dann steht er vor dem Richter. Der Christ hingegen stirbt nicht allein, sondern sein Gott ist bei ihm in jeder Lebenslage (vgl. Ps 125,2). Nur Christen können deshalb Hoffnung im Sterben haben und auch auf Hoffnung hin schwere Leiden ertragen.
Der Theologe Adolf Schlatter schreibt: „Die Gewissheit Gottes gibt uns auch gegenüber dem schwersten Druck und Schmerz die Willigkeit, zu tragen, was uns zugemessen wird, auch gegenüber der schwersten Schuld die Bereitschaft, ihre Folgen zu übernehmen und Gottes Vergebung zu suchen. Die Ziffer der Selbstmorde muß freilich wachsen, wenn zahlreiche Volksgenossen nicht mehr durch eine sichere Autorität an Gott erinnert und nur noch von der Natur und der Welt bewegt werden. Dann müssen sich die Momente häufen, in denen uns das Leben unerträglich scheint.“[20]
Deshalb müssen wir leidende, gottlose Menschen weiter-hin durch die Verkündigung des Evangeliums an Gott erinnern. Für Christen kann der assistierte Suizid kein Weg aus dem Leid sein. Zu guter Letzt ist die Assistenz beim Suizid auch nicht die einzige Möglichkeit, einem Leidenden zu helfen. Auf diese kann der Christ verweisen, da der Suizid keine Möglichkeit der Leidensminderung darstellt.[21]
Das Potential der Palliativmedizin
Sterbehilfe-Organisationen meinen trotzdem, dass Suizidassistenz eine legitime Möglichkeit und vor allem die Ultima Ratio bei schweren Leiden sei. Der Verein Sterbehilfe findet folgende Antwort: „Macht die Palliativmedizin eine Suizidassistenz überflüssig? Nein. Die Palliativmedizin hat in den letzten Jahren enorme Fortschritte in Schmerzbekämpfung gemacht, jedoch kann sie nicht jedem Patienten helfen.“[22]
Doch dem treten Palliativmediziner entschieden entgegen, so wie der einstige Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin Prof. Radbruch: „Es gibt keine Situation, in der die Palliativmedizin nichts mehr anzubieten hat. […] Den sehr wenigen Patienten, bei denen keine ausreichende Symptomlinderung erreicht werden kann, bleibt die palliative Sedierung als Option, um unerträgliches Leid zu lindern.“[23] Der assistierte Suizid ist also im Ernstfall nicht das einzige Mittel gegen „sinnlos gewordene […] Leidensverlängerung“[24]. Es gibt sehr wohl Möglichkeiten Schwerkranken zu helfen, ohne sie zu töten.[25] Das heißt aber leider nicht, dass diese Möglichkeit überall gegeben wird. Deshalb sollte in Deutschland vielmehr darauf hingearbeitet werden, die Palliativmedizin flächendeckend in höchster Qualität zur Verfügung zu stellen, damit jedem die beste Palliativmedizin ermöglicht wird, anstatt ihm einen verfrühten Tod schmackhaft zu machen.[26] So mündet die Debatte letztlich in die Frage, was uns als Gesellschaft das Leben des Einzelnen wert ist.
An dieser Stelle wundert es einen nicht, dass viele Palliativmediziner klare Worte gegen die Suizidassistenz finden, weil sie auch von dem Potential der Palliativmedizin wissen. So können die Herausgeber des Lehrbuchs „Palliativmedizin“, Dr. med. Stein Husebø und Univ. Prof. Dr. Gebhard Mathis, nicht anders, als ihr Kapitel über die Ethik mit folgenden Worten zu schließen: „Eine Gesellschaft, in der der Arzt, aus welchen Motiven auch immer, nicht mehr das Leiden bekämpft, sondern den Leidenden tötet, ist auf dem besten Weg zu einer Menschenfeindlichkeit, die im ‚Kranken‘ und im ‚Leiden‘ nur noch das Unnütze sieht, das durch die Euthanasie beseitigt werden soll. Der Wert, den ein Mensch seinem Leben beimisst, hängt entscheidend von dem Wert ab, den andere seinem Leben beimessen. Seine Würde hängt wesentlich vom Ansehen ab, das er in den Augen der Umwelt hat. Wenn wir ihm zu verstehen geben, dass wir sein Leben so wenig achten, dass wir bereit sind, ihn zu töten, nehmen wir bereits im Voraus seiner Existenz Würde und Wert. Nicht mehr die Erlösung des anderen, sondern die Erlösung vom anderen würde angestrebt. […] Aktive Lebenshilfe ist die Aufgabe und der fachliche und menschliche Inhalt der Palliativmedizin. Das Hauptargument der Palliativmediziner gegen eine Legalisierung der aktiven Sterbehilfe beruht auf der Befürchtung, dass diese Legalisierung der aktiven Sterbehilfe von der heute noch immer nicht ernst genommenen Aufgabe der Ärzte und der Gesellschaft ablenkt, schwer kranken Menschen ein würdevolles Leben bis zu ihrem Tode zu ermöglichen.“[27]
Wie viel mehr müssen wir Christen uns prinzipiell gegen eine Todeskultur stellen, weil wir dem Schöpfer allen Lebens dienen.
„Eine Gesellschaft, in der der Arzt, aus welchen Motiven auch immer, nicht mehr das Leiden bekämpft, sondern den Leidenden tötet, ist auf dem besten Weg zu einer Menschenfeindlichkeit, die im ‚Kranken‘
und im ‚Leiden‘ nur noch das Unnütze sieht, das durch die Euthanasie beseitigt werden soll.“
Dr. med. Stein Husebø & Univ. Prof. Dr. Gebhard Mathis
¹ 2011 änderte der 114. Deutsche Ärztetag seine Berufsordnung in § 16 „Beistand für Sterbende“ wie folgt: „Ärztinnen und Ärzte haben Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres Willens beizustehen. Es ist ihnen verboten, Patientinnen und Patienten auf deren Verlangen zu töten. Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten.“ Vgl.: (Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte – MBO-Ä 1997 – in der Fassung der Beschlüsse des 114. Deutschen Ärztetages 2011 in Kiel, in: Deutsches Ärzteblatt, Bd. 108, Nr. 38, 2011, https://www.aerzteblatt.de/pdf.asp?id=106362 (abgerufen am 28.07.2022), S. A 1984–A 1992. Das Ärzteblatt kommentiert es als einen „vorläufigen Schlusspunkt“ (jedenfalls für die Ärzteschaft) hinter der Debatte über den assistierten Suizid im Jahr 2011. (Oduncu, Fuat S./Hohendorf, Gerrit: Assistierter Suizid: Die ethische Verantwortung des Arztes, in: Deutsches Ärzteblatt, Bd. 108, Nr. 24, 2011, https://www.aerzteblatt.de/archiv/93852/Assistierter-Suizid-Die-ethische-Verantwortungdes-Arztes (abgerufen am 28.07.2022), S. A 1362–4.) Gesellschaftlich wurde die Debatte fortgeführt. Sie mündete schließlich 2015 in die Etablierung des § 217 StGB, der ein Verbot über die „Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ verhängte. Fünf Jahre nach der Etablierung des § 217 StGB erklärt das Bundesverfassungsgericht im Februar 2020 den „Sterbehilfeparagrafen für nichtig“. (Bundesverfassungsgericht erklärt Sterbehilfeparagrafen für nichtig, in: Deutsches Ärzteblatt, 2020, https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/109605/ (abgerufen am 28.07.2022).)
² BVerfG: Urteil des Zweiten Senats vom 26. Februar 2020 – 2 BvR2347/15 -, Rn. 1-343, http://www.bverfg.de/e/rs20200226_2bvr234715.html (abgerufen am 28.07.2022). Vgl. Paul, Philip: Suizid ein Menschenrecht?, in: CDK-Rundbrief, Nr. 85, 2021, https://www.cdkev.de/app/download/25615111/Suizid_+ ein+Menschenrecht+_+Philip+Paul.pdf (abgerufen am 28.07.2022), S. 42-48.
³ Hervorhebung des Autors; DIGNITAS: Informations-Broschüre, in: DIGNITAS, o.D., http://www.dignitas.ch/images/stories/pdf/informations-broschuere-dignitas-d.pdf (abgerufen am 28.07.2022).
⁴ Cassel, Eric J.: The nature of suffering and the goals of medicine, in:The New England Journal of Medicine, Bd. 306, Nr. 11, 1982, doi:10.1056/NEJM198203183061104, S. 639-645. (Original: „Most generally, suffering can be defined as the state of severe distress associated with events that threaten the intactness of the person.“) Anm. d. Autors: Der Artikel ist hilfreich in seiner vielfältigen Ausarbeitung der Leidensmöglichkeiten von Personen und der zahlreichen Einflüsse. Er ist aber unzureichend in seiner theologischen und diskussionswürdig in der philosophischen Einordnung.
⁵ ebd., Eric Cassel räumt die Möglichkeit ein, dass Leid widerstanden, ja, getrotzt werden könne. Dadurch bestünde potentiell die Möglichkeit, Leid in Stärke umzukehren (Resilienz). Doch auch hier stellt sich die brisante Frage, wann nicht mehr?
⁶ (Hervorhebung des Autors); Bozzaro, Claudia: Der Leidensbegriff im medizinischen Kontext: Ein Problemaufriss am Beispiel der tiefen palliativen Sedierung am Lebensende, in: Ethik in der Medizin, Bd. 27, Nr. 2, 2015, doi: 10.1007/s00481-015-0339-7, S. 93–106.
⁷ ebd.
⁸ Klaus, Matthias: Kultur des Todes, in: Factum, Nr. 2, 2022, https://www.cdkev.de/app/download/25847027/fac02_2022_S56_57.pdf (abgerufen am 01.08.2022), S. 56-57.
⁹ Diskussionsentwurf – Entwurf eines Gesetzes zur Neufassung der Strafbarkeit der Hilfe zur Selbsttötung und zur Sicherstellung derfreiverantwortlichen Selbsttötungsentscheidung, https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/Gesetze_und_Verordnungen/GuV/S/Diskussionsentwurf_Suizidhilfe_Gesetz.pdf (abgerufen am 28.07.2022), S. 4.
¹⁰ ebd.
¹¹ ebd., S. 13.
¹² Äquivalent und fortgeschrittener ist die Situation in der Abtreibungsdebatte, wo die Autonomie der Mutter über das Leben des Kindes gestellt wird. Auch hier wurde ein sogenanntes Schutzkonzept gesetzlich verankert, welches das ungeborene Leben schützen sollte. Das Ergebnis sind 100.000 Abtreibungen jährlich. (Siehe: Klaus, Matthias: Risikogruppen schützen, in: CDK-Rundbrief, Nr. 84, 2020, https://www.cdkev.de/app/download/25110699/Risikogruppen+schützen.pdf (abgerufen am 01.08.2022), S. 4-5.)
¹³ Dies meint im Prinzip nicht eine auf Regelmäßigkeit, finanzielle Zugewinne oder ähnliches hin angelegte Suizidassistenz.
¹⁴ „Mund auf, Knarre rein, abdrücken“, in: DER SPIEGEL, 31.03.2018, https://www.spiegel.de/spiegel/schwerstkranke-kaempfen-fuerdas-recht-auf-sterbehilfe-a-1200672.html (abgerufen am 01.08.2022). »Wir sind nicht Christus«, in: DER SPIEGEL, 09.11.2014, https://www.spiegel.de/politik/wir-sind-nichtchristus-a-43321e08-0002-0001-0000-000130223268 (abgerufen am 01.08.2022). Suizid auf Rezept, in: DER SPIEGEL, 22.06.2020, https://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/sterbehilfe-wissenschaftler-wollen-suizid-auf-rezept-gesetzlich-regeln-a-8fd1fb29-4158-47bf-a77c-22aeb-6975fe9 (abgerufen am 01.08.2022).
¹⁵ Pankratz, Mira: Leben und Sterben in Deutschland 2021 – Gedanken zu einer paradoxen Entwicklung, in: CDK, 2021 https://www.cdkev.de/ethik-am-lebensende/leben-und-sterben-in-deutschland-2021/ (abgerufen am 28.07.2022).
¹⁶ Koberschinski, Jonas: Assistierter Suizid & Menschenwürde – Eine biblisch-theologische Einordnung, in: CDK-Rundbrief, Nr. 85, 2021, https://www.cdkev.de/app/download/25615118/Assistierter+Suizid++Menschenwürde_+Eine+biblisch-theologische+Einordnung_+J.+Koberschinski.pdf (abgerufen am 28.07.2022), S. 49-53.
¹⁷ vgl. Pankratz, Mira: Leben und Sterben in Deutschland 2021 – Gedanken zu einer paradoxen Entwicklung, in: CDK, 2021, https://www.cdkev.de/ethik-am-lebensende/leben-und-sterben-in-deutschland-2021/ (abgerufen am 28.07.2022).
¹⁸ Stoffel, Deborah: «Unser Ziel? Irgendwann zu verschwinden», in: Landbote, 2017, https://www.landbote.ch/front/unser-ziel-irgendwann-zu-verschwinden/story/25591753 (abgeru-fen am 28.07.2022).
¹⁹ Klaus, Matthias: Kultur des Todes, in: Factum, Nr. 2, 2022, https://www.cdkev.de/app/download/25847027/fac02_2022_S56_57.pdf (abgerufen am 01.08.2022), S. 56-57.
²⁰ Schlatter, Adolf, „Die christliche Ethik“, 5. Aufl., Stuttgart, Deutschland: Calwer Verlag, 1986, S. 391f.
²¹ siehe in diesem Magazin, S. 67: Markus Vogel, „Palliativmedizin – eine echte Alternative“
²² Häufige Fragen, in: Verein Sterbehilfe, o.D., https://www.sterbehilfe.de/haeufige-fragen/ (abge-rufen am 28.07.2022).
²³ Urban & Vogel: Palliativmedizinische Maßnahmen ausschöpfen, in: Pflegemagazin, Bd. 66, Nr. 12, 2014, doi: 10.1007/s00058-014-1026-7.
²⁴ Über uns, in: Verein Sterbehilfe, o.D., https://www.sterbehilfe.de/ueber-uns/ (abgerufen am 28.07.2022).
²⁵ Das entspricht dem Auftrag der Ärzte. E. Cassel erinnert daran: „Die Genesung vom Leiden ist oft mit Hilfe verbunden, so als ob Menschen, die Teile ihrer selbst verloren haben, durch die Persönlichkeit anderer gestützt werden können, bis ihre eigene wiederhergestellt ist. Dies ist eine der verborgenen Funktionen von Ärzten: Kraft zu geben.“, Cassel, Eric J.: The nature of suffering and the goals of medicine, in: The New England Journal of Medicine, Bd. 306, Nr. 11, 1982, doi: 10.1056/NEJM198203183061104, S. 639-645. (Original: „Recovery from suffering often involves help, as though people who have lost parts of themselves can be sustained by the personhood of others until their own recovers. This is one of the latent functions of physicians: to lend strength.“)
²⁶ Günstig würde das natürlich nicht werden. Prof. Dr. med. Christoph von Ritter (Internist) wies in der Tagespost auf den damit zusammenhängenden weiteren ungenannten Grund für den assistierten Suizid hin: Den Kostenfaktor. „Natürlich spielen ökonomische Aspekte in der Diskussion eine Rolle. Die meisten Kosten in der Krankenversicherung fallen in den letzten drei Lebensmonaten vor dem Tod an (Zweifel et al., Health Econ 8: 485 ff., 1999). Eine verkürzte Lebensdauer setzt also Rationalisierungspotenziale frei. Nietzsches „Stirb zur rechten Zeit“ bedeutet in diesem Zusammenhang, den Einzelnen davon zu überzeugen, sich tunlichst „freiwillig“ durch Suizid aus den Sozialsystemen zu entfernen, sobald er die Pflichten als Beitragszahler nicht mehr erfüllen kann und nur noch (ein, Anm. d. Autors) schwer erträglicher Kostenfaktor ist. Da macht es Sinn, anstatt für Verbesserungen bei der Versorgung zu kämpfen, Angst und Schrecken vor Krankheit, Altern, demenzieller Entwicklungen und Verlust der Selbstständigkeit durch Pflegebedürftigkeit zu schüren. Zusammen mit demographischen Horrorszenarien ist es gelungen, eine kollektive Paranoia zu verursachen. Als Ausweg aus den Schrecken des Alterns wird der frühzeitige, „selbstbestimmte“ Tod propagiert.“ In: Christoph von Ritter, Suizidalität ist eine heilbare Krankheit, Die Tagespost, 2014, https://www.die-tagespost.de/politik/suizidalitaetist-eine-heilbare-krankheit-art-152515 (abgeru-fen am 28.07.2022).
²⁷ Husebø, Stein (Hrsg.)/Mathis, Gebhard (Hrsg.): Palliativmedizin, 6. Aufl., Springer, Berlin, Hei-delberg, doi: 10.1007/978-3-662-49039-
6_2, S. 75.
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INTERVIEW: Und trotzdem Hoffnung?
Hilfe nach einer Abtreibung
Patricia Nestvogel
ist seit 1987 mit Dr. Wolfgang Nestvogel verheiratet und unterstützt ihn als Ehefrau im Gemeindedienst. Sie erfreuen sich an 2 Kindern mit Schwiegerkindern und 2 kleinen Enkeln.
Birgit Karahamza
ist verheiratet mit Dündar Karahamza, einem ehemaligen Moslem aus der Türkei, der zum lebendigen Glauben an Jesus Christus gekommen ist. Sie haben 4 Kinder. Frau Karahamza leitet eine Zweigstelle der Lebensrechtsorganisation „KALEB e. V.“ in Hannover-Langenhagen.
Patricia Nestvogel:
Liebe Frau Karahamza, herzlichen Dank, dass Sie sich die Zeit zu diesem Interview nehmen, denn ihre Tage sind immer sehr ausgefüllt, auch als Leiterin der Kaleb-Zweigstelle. Was ist das größte Problem für eine Frau, die eine Abtreibung hinter sich hat?
Birgit Karahamza:
Es ist wichtig, geduldig zu sein und da, wo es geht, Verständnis zu signalisieren. Oftmals werden Frauen, die abtreiben, auch von anderen Personen dazu gedrängt oder falsch beraten. Man muss sich Zeit zum Zuhören nehmen, damit die Frauen das Geschehene zusammen mit der Vorgeschichte erzählen können. Diese Gespräche können zum Teil Stunden dauern. Es muss der betroffenen Frau versichert werden, dass sie sich zu jeder Zeit wieder melden darf und man für weitere Gespräche gern zur Verfügung steht. Sie sollte aber nicht gedrängt werden.
Patricia Nestvogel: Wie kann man taktvoll mit der Schuldfrage umgehen?
Birgit Karahamza:
Meine Erfahrung ist es, dass Frauen häufig die Schuldfrage von selber ansprechen. Aber dies geschieht meist nicht gleich in den Erstgesprächen, sondern später. Wenn ein gewisses Vertrauen vorhanden ist, kann man dieses Thema der Schuld auch ansprechen.
Patricia Nestvogel: Welche Hilfestellung können wir vom christlichen Glauben her geben?
Birgit Karahamza:
Schuld kann nicht wegtherapiert werden, Schuld muss vergeben werden. Das kann nur der allmächtige Gott. Dieser hat Vergebung ermöglicht durch den Glauben an die stellvertretende Erlösung seines Sohnes Jesus Christus am Kreuz. Viele Frauen berichten auch, dass sie eine sehr schwere Last durch diese Schuld mit sich getragen haben und nach der Vergebung erst wieder richtig leben konnten. Weitere seelsorgerliche Begleitung und Kontakt zu einer bibeltreuen Gemeinde sind wichtig.
Patricia Nestvogel: Kennen Sie ein Beispiel, wo eine Frau nach einer geschehenen Abtreibung die Tragweite erkannt hat und schließlich auch zum Glauben an Jesus Christus gekommen ist?
Birgit Karahamza:
Ja, eine solche Frau ist mir gut bekannt. Weil sie ihre beruflichen Vorstellungen verwirklichen wollte, hat sie das Kind abgetrieben. Im Krankenhaus lagen bei ihr im Zimmer auch Frauen, die ein Baby bekommen haben. Das hat sie aufgerüttelt. Als sie zurück nach Hause kommt, unternimmt sie einen Selbstmordversuch, der daran scheitert, dass die Nachbarin rechtzeitig vorbeischaut. Danach erhält sie eine Arztdiagnose, dass sie nie mehr Kinder bekommen kann. Sie lernt Christen kennen und darf zum lebendigen Glauben an Jesus Christus finden. Dann heiratet sie auch und bringt 5 Kinder zur Welt. Sie setzt sich nun selber im Lebensschutz ein und in der Seelsorge.
Hilfe für Schwangere und Mütter in Not:
www.CDKev.de oder
www.kaleb.de/gruppe/region-hannover-langenhagen/
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Diagnostik in der Schwangerschaft
Ja, Nein, Vielleicht?
Wenn die Frau voller Erwartung und mit Herzklopfen den Teststreifen in den Urinbecher taucht und dieser nach wenigen Minuten zwei Balken zeigt, macht die Seele einen Freudensprung. Die überwältigende Vorstellung, dass kürzlich im eigenen Körper neues Leben entstanden ist, lässt sich gar nicht richtig fassen. Am liebsten würde man es in die ganze Welt hinausjubeln. Viele Paare behalten diese Freudenbotschaft jedoch einige Wochen noch ganz für sich. Denn mit der Freude wächst gleichwohl die Sorge; die Sorge, es könnte doch noch schiefgehen mit dem neuen Leben – insbesondere in den ersten zwölf Wochen, wenn das Risiko einer Fehlgeburt am höchsten ist. Schon zu Beginn einer Schwangerschaft, bevor man dieses Wunder selbst realisiert hat und während man sich emotional ordnen muss, wird man beim Frauenarzt mit diversen Untersuchungen konfrontiert, der sogenannten Pränataldiagnostik (prä = vor; natal = geburtlich; Diagnostik = Untersuchung). Im weiteren Sinne umfasst die Pränataldiagnostik jegliche Untersuchungen, die während der Schwangerschaft an der Schwangeren oder am Kind durchgeführt werden.
Einerseits gibt es zum Beispiel Blutdruck-, Urin- und Gewichtskontrollen, sowie die drei Standard-Ultraschalluntersuchungen entsprechend der Mutterschaftsrichtlinien. Und andererseits erstreckt sich, oft auf hübschen Flyern beworben, eine Palette an möglichen Untersuchungen, die überwiegend selbst bezahlt werden müssen. Hierbei handelt es sich in der Regel um Untersuchungen, die eine Aussage darüber treten sollen, inwiefern das Kind im Bauch auch dem gesunden, fehlbildungsfreien Wunschkind entspricht. Auf diese Art der Pränataldiagnostik im engeren Sinne und insbesondere auf ihre ethische Beurteilung und praktischen Auswirkungen wird im Folgenden näher eingegangen.
Gängige pränataldiagnostische Methoden
Als ungefährliche, nicht-invasive Diagnostik wird den Schwangeren in der Regel das Ersttrimester-Screening, der Feinultraschall und ein molekulargenetischer Bluttest, auch Nicht Invasiver-Pränataltest (NIPT) genannt, angeboten. Zu betonen ist hier, dass sich das Adjektiv „ungefährlich“ darauf bezieht, wie niedrig die Wahrscheinlichkeit ist, dass das Kind im Mutterleib beim Durchführen der Diagnostik Schaden nimmt. Beim Ersttrimester-Screening wird aus verschiedenen Faktoren (Hormonspiegel, Nackenfaltentransparenz und weiteren Parametern wie Alter der Mutter, medizinische Vorgeschichte, Raucherstatus, gegebenenfalls Nasenbeinverknöcherung, etc.) eine Wahrscheinlichkeit errechnet, mit der eine Veränderung des kindlichen Erbgutes oder andere Fehlbildungen auftreten könnten. Findet sich ein ausfälliges Ergebnis, wird zu weiterer invasiver Diagnostik geraten. Beim Feinultraschall werden die Organe des Kindes, sowie Nabelschnur, Plazenta und umgebende Gefäße von einem Spezialisten besonders genau und intensiv beurteilt und ausgemessen. Empfohlen wird dieser Ultraschall bei Auffälligkeiten im Rahmen der Untersuchungen gemäß der Mutterschaftsrichtlinien, beziehungsweise entsprechenden Risikoschwangerschaften. Er wird häufig auch ohne diese vorherige Risikokalkulation auf eigene Kosten der Schwangeren durchgeführt. Wo besonders viele Messdaten erhoben werden, ohne dass im Vorhinein von einem erhöhten Risiko auszugehen ist, muss man sich immer dessen bewusst sein, dass Abweichungen von der Norm nicht zwangsweise mit Krankheit einhergehen, aber dennoch Unsicherheit zurücklassen. Relativ neu im Portfolio der Pränataldiagnostik ist der NIPT. Hierbei handelt es sich lediglich um eine Blutentnahme bei der Mutter. Es werden dann Häufigkeiten verschiedener fetaler DNA-Fragmente im mütterlichen Blut ausgezählt. Darüber können Rückschlüsse auf den fetalen Rhesusfaktor, sowie auf eventuelle Erbgutabweichungen gezogen werden (Trisomie 13, 18, 21 und Abweichungen der X- und Y-Chromosomen). Durch das Ermitteln des Rhesusfaktors des Kindes kann bei einer Rhesus-D-negativen Mutter die Gabe von möglicherweise nicht notwendigen Immunglobulinen verhindert werden. Die molekulargenetischen Bluttests haben eine recht genaue Vorhersagekraft. Aber auch hier muss beachtet werden, dass ein Ergebnis bei einer Schwangeren, die vorher kein Risikoprofil für das Gebären eines kranken Kindes hat, nur eine eingeschränkte Aussagekraft bietet.[1,2] Invasive Pränataldiagnostik kommt in der Regel nur dann zum Einsatz, wenn sich bei der nicht-invasiven Diagnostik ein erhöhtes Risiko für eine Erbkrankheit oder Fehlbildung ergibt. Jede dieser invasiven Methoden erhöht das Fehlgeburtsrisiko – wenn auch oft nur in geringem Ausmaß – eines möglicherweise gesunden Kindes. Am häufigsten wird eine Amniozentese (Fruchtwasseruntersuchung) durchgeführt. Aber auch eine Chorionzottenbiopsie (Plazentapunktion) oder Chordozentese (Nabelschnurpunktion) kann erfolgen. Bei letzterem Eingriff können nicht nur Aussagen über genetische Stoffwechselerkrankungen oder Chromosomenveränderungen getroffen werden, sondern es können auch Tests auf bestimmte Antikörper und Bluterkrankungen, sowie in therapeutischer Hinsicht eine Bluttransfusion für das Ungeborene erfolgen.[3,4]
Umgang mit Pränataldiagnostik als Christ
Zugespitzt kann man sagen, dass der Großteil der pränatalen Diagnostik im engeren Sinne auf eine Abtreibung eines möglicherweise kranken Kindes abzielt. Als Christ ist man zwar nach dem Prinzip aus dem 14. Kapitel des Römerbriefes in vielen Alltagsentscheidungen seinem von Gott gegebenen Gewissen unterworfen. Das Ermorden eines Menschen, egal ob geboren oder ungeboren, fällt aber nicht in diese Kategorie. Hier finden wir in 2. Mose 20,13 eine klare Aussage: „Du sollst nicht töten!“ Damit wird von Gott jedes Leben als lebenswert eingestuft. Auch wenn für christliche Paare feststeht, dass sie ihr Kind unter keinen Umständen abtreiben würden, klingt es verlockend, vorher wissen zu können, ob das Kind gesund ist oder man sich auf ein krankes Kind einstellen muss. Bevor man sich dafür entscheidet eine risikoarme, nicht-invasive Pränataldiagnostik, wie zum Beispiel den NIPT oder das Ersttrimester-Screening, in Anspruch zu nehmen, sollte man sich folgender Umstände bewusst sein: Eine solche Diagnostik kann lediglich 4,5% aller Behinderungen überhaupt erkennen. 95,5¿% der körperlichen und geistigen Einschränkungen entstehen erst im Laufe des Lebens. Was die Untersuchungen ebenfalls nicht leisten können, ist eine Aussage darüber zu treffen, wie hoch das Maß der Auswirkung einer gefundenen Auffälligkeit im Leben des noch nicht geborenen Menschen sein wird. Sowohl das Ersttrimester-Screening als auch der NIPT zeigen nur ein Risiko für eine Erkrankung an, begründen aber keine Diagnose. Tritt der Fall ein, dass ein Testergebnis ein erhöhtes Risiko für eine angeborene Erkrankung angibt, wie zum Beispiel das Down-Syndrom, dürfte das Gefühl der Angst und Sorge im Vordergrund stehen. Falsch-positive Ergebnisse sind insbesondere beim Ersttrimester-Screening aber leider keine Seltenheit. Deshalb wird bei einem auffälligen Ergebnis eine invasive Folgediagnostik (zum
Beispiel eine Amniozentese, Chorionzottenbiopsie oder Chordozentese) empfohlen, die das bereits oben erwähnte Fehlgeburtsrisiko mit sich bringt. Nur in ca. 4% der Fälle zeigen sich in dieser Folgediagnostik tatsächlich genetische Veränderungen.[5] Konkret bedeutet dies: Zwischen Ersttrimester-Screening und weiterführender Diagnostik liegen quälende Tage bis Wochen voller Ungewissheit und Sorge und man unterzieht Mutter und Kind einer medizinischen Maßnahme, die bei einem (oft kerngesunden) Kind ein erhöhtes Fehlgeburtsrisiko in Kauf nimmt. Werden bereits bei den Standard-Vorsorgeuntersuchungen gemäß der Mutterschaftsrichtlinien Anzeichen für eine Erkrankung des Kindes gefunden, wird der Gynäkologe zu weiteren, angemessenen Untersuchungen raten. Wird in dieser Situation beispielsweise ärztlicherseits ein Feinultraschall empfohlen und durchgeführt und die Hinweise auf eine Fehlbildung festigen sich, sollte zum Wohl des Kindes in einer größeren Klinik mit Neonatologie entbunden werden. Die Therapie eines nachweislich kranken Kindes vor der Geburt ist nur enorm selten, zum Beispiel im Rahmen einer fetalen Bluttransfusion, möglich und nötig. Genetische Veränderungen sind aktuell pränatal nicht therapierbar und die operative Fetalmedizin ist risikoreich und beendet sich in einem experimentellen Stadium.[3] Um dem Für und Wider jeglicher Diagnostik in der Schwangerschaft aus dem Weg zu gehen, könnte man sich auch dafür entscheiden, diese vollständig abzulehnen. Man darf hierbei aber nicht außer Acht lassen, dass Eltern schon vor der Geburt Verantwortung für ihr Kind tragen. Wenn die medizinischen Mittel zur Verfügung stehen, das Wohl von Mutter und Kind zu fördern, dann sollte dies im Rahmen der Vorsorgeuntersuchungen auch wahrgenommen werden. Abseits der Frage, ob ein Kind im Mutterleib getötet werden sollte, bleibt es am Ende die Entscheidung der Eltern, welche diagnostischen Optionen sie in der Schwangerschaft durchführen lassen wollen. Bei dieser Entscheidung unterliegen sie keinem menschlichen Gesetz, sondern ihrem Gewissen vor Gott. Wichtige Prinzipien, die dabei einbezogen werden sollten, sind, ob ein therapeutisches Ziel aus dem Ergebnis der Diagnostik erfolgen kann oder ob das Leben des Kindes und das der Mutter unnötig gefährdet werden.
Einfluss der Pränataldiagnostik auf unsere Gesellschaft
Die Möglichkeit, eine pränatale Diagnostik durchzuführen, stellt nicht nur werdende Eltern in ihrer konkreten Situation vor viele Fragen, sondern sie hat auch Auswirkungen auf unsere Gesellschaft und den Zeitgeist und umgekehrt. Mithilfe der Pränataldiagnostik kann man schon vor der Geburt eines Kindes Informationen über dessen Gesundheitsstatus erlangen. Die Frage, die sich zwangsläufig daraus ergibt, ist, welche Konsequenzen eine Nation oder auch Einzelpersonen daraus ziehen. In unserem Grundgesetz steht, dass die Würde des Menschen und somit auch sein Leben unantastbar sind. Dennoch wurde von den Volksvertretern unseres Landes festgelegt, dass in bestimmten Fällen Leben im Mutterleib getötet werden darf. Darunter fällt das Leben, bei dem es Hinweise auf bestimmte Gendefekte, wie zum Beispiel Trisomie 21, gibt. Durch den bereits vorherrschenden Zeitgeist geprägt wurde in Deutschland entschieden, dass die Lebensqualität der Mutter gegen das Leben des Kindes abgewogen werden darf. Die Idee, dass diese zwei Güter überhaupt gegeneinander abgewogen werden dürfen, entsteht dadurch, dass die Selbstbestimmung rechtlich wie moralisch höher gewertet wird als das Leben. Dies wurde kürzlich durch ein Urteil vom Bundesverfassungsgericht in Bezug auf die deshalb jetzt gestattete Suizidbeihilfe bestätigt. Die überaus hohe Wichtigkeit, die der Selbstbestimmung beigemessen wird, lenkt den Blick der Einzelnen weg vom Nächsten und weg von der Gesellschaft als Ganzes hin zu sich selbst und nährt infolgedessen den Egoismus dieser Einzelnen. Die Inanspruchnahme der Pränataldiagnostik ist folglich häufig ein Ausdruck dieser starken Selbstbezogenheit. Wenn man sich aller Konsequenzen im Vorhinein bewusst ist, kann man die Motivation für die Untersuchungen wie folgt zuspitzen: „Ich möchte kein behindertes Kind haben und bin bereit, dafür menschliches Leben zu töten.“ Beim Umhören unter werdenden Eltern oder jenen, die es gerne werden wollen, trifft man oft auf weniger eindeutige Aussagen zu diesem Thema. Während die meisten „zur Beruhigung, dass alles in Ordnung ist“ eine pränatale Diagnostik durchführen lassen wollen, stößt man auf enorme Unsicherheit bei der Frage, ob sie ein vermeintlich krankes Kind abtreiben würden. Diese Unsicherheit entpuppt sich als lebensgefährlich für das ungeborene Kind, denn einer aktuellen Studie zufolge werden in Europa geschätzt mehr als die Hälfte der Kinder mit entsprechender pränataler Diagnose beziehungsweise pränatalem Risiko abgetrieben. In Medienberichten der Welt oder des Spiegels wird erwähnt, dass es sogar noch deutlich mehr sind.[6] Die meisten Schwangeren würden die Veranlassung einer Pränataldiagnostik vielleicht sogar mit dem Kindswohl begründen, indem sie behaupten zu wissen, das Sterben im Mutterleib sei für das Kind besser als ein womöglich kurzes Leben mit gesundheitlichen Einschränkungen. Menschen entscheiden hier in einem Land der Selbstbestimmung über Lebensqualität und Leben anderer. Natürlich gibt es auch Eltern, die auf die pränatale Diagnostik verzichten und ein Kind mit abnormaler Genetik zur Welt bringen oder die ihr Kind trotz auffälligen, pränatalen Befunds zur Welt bringen. Sie bejahen das Leben und maßen sich nicht an, über die Würde und Lebensqualität eines anderen Menschen zu urteilen. Wenn man sich in Internetforen oder gar in seinem privaten Umfeld unter Betroffenen umhört, die ein Kind mit Behinderung, wie dem Down-Syndrom, zur Welt gebracht haben, findet man quasi niemanden, der im Nachhinein sagt, er hätte lieber abgetrieben. Im Gegenteil sehen sich viele dieser Paare unter einem Rechtfertigungsdruck ausgehend von der Gesellschaft, wieso sie das Leben ihres gesundheitlich eingeschränkten Kindes nicht verhindert haben.[7] Hier kristallisiert sich heraus, wie es in unserem Land wirklich um die überall propagierte und von der Politik stolz vor sich her getragene „Toleranz und Gleichberechtigung“ steht. Eine Frage, die sich aus der gesetzlichen Legalität des Tötens eventuell kranker, ungeborener Kinder ergibt, ist, wieso Leben mit Behinderung nicht generell beendet wird, wenn es entsprechend der Mehrheitsmeinung nicht lebenswert erscheint? Wo ist der Unterschied, ob es vor oder nach der Geburt geschieht? Wer kann und darf Entscheidungen über die Menschenwürde und das Leben anderer treffen? Abgeordnete im Bundestag, die sich möglicherweise keine tiefgehenden Gedanken über diese Situationen gemacht haben und ihnen ferner stehen denn je? Emotional aufgeriebene Eltern, denen es bei einem „schlechten Ergebnis“ der Pränataldiagnostik kaum möglich ist einen einzigen klaren Gedanken zu fassen? Angehörige am Rande der Belastungsgrenze? Das Leben von jedem von uns ist in Gefahr, wenn es derartiger menschlicher Willkür unterliegt. Daraus leitet sich die Notwendigkeit ab, dass es eine übergeordnete (göttliche) Macht geben muss, um Leben und Menschenwürde zu garantieren. Als Christen dürfen wir wissen, dass dies der Gott der Bibel ist. In seinem Wort lässt er uns unmissverständlich wissen, dass wir uns für das Leben – insbesondere von Kindern – und gegen den Mord einsetzen sollen:
Aus dem Mund von Kindern und Säuglingen hast du ein
Lob bereitet um deiner Bedränger willen, um den Feind
und den Rachgierigen zum Schweigen zu bringen.
Psalm 8,3Was ist der Mensch, dass du an ihn gedenkst, und der
Sohn des Menschen, dass du auf ihn achtest?
Psalm 8,5Aber Jesus rief sie zu sich und sprach: Lasst die Kinder
zu mir kommen und wehrt ihnen nicht, denn solcher ist
das Reich Gottes.
Lukas 18,16
Fazit
Bevor man sich Gedanken über medizinische Diagnostik im Rahmen einer Schwangerschaft macht, sollte man sich als Christ zweier Dinge bewusst sein:
1. Jedes noch so kurze Leben ist in Gottes Augen würdig und vollendet; auch das Leben eines Kindes mit genetischen Auffälligkeiten, die nur eine geringe Lebenserwartung erhoffen lassen.
2. Jedes Ehepaar sollte bereit sein auch ein behindertes Kind (gegebenenfalls mit Hilfe) zu lieben und nach Gottes Willen groß zu ziehen. Man sollte darüber nachdenken, darüber mit seinem Ehepartner sprechen und kein Tabu-Thema daraus machen. Gleichzeitig müssen wir als Christen immer wieder darauf achten, dass unser Bild von Familie nicht durch Mainstream-Medien und eine Schein-Idylle, wie sie oftmals in den sozialen Netzwerken zu finden ist, geprägt wird, sondern durch die Bibel. Um in diesem Zusammenhang auf die pränatale Diagnostik zurückzukommen, sollten wir uns folgendes vor Augen führen: Mit dem Verschmelzen von Eizelle und Spermium entsteht neues Leben und ab diesem Zeitpunkt besteht auch eine elterliche Fürsorgepflicht. Das Wohl des Kindes sollte höchste Priorität haben. Alle pränatale Diagnostik, die das Leben und die Gesundheit des Ungeborenen und der Schwangeren fördert, kann dazu beitragen. Pauschal zusammengefasst fallen darunter alle Untersuchungen, die im Rahmen der Mutterschaftsrichtlinien durchgeführt werden. Pränatale Diagnostik im engeren Sinne, die die Existenz des Kindes durch eine Abtreibung zur Diskussion stellt, sollte als Christ abgelehnt werden. Der Weg zum Designer- Baby scheint heute nicht mehr allzu weit zu sein. Doch der Gläubige steht immer wieder vor der Frage: Vertraue ich Gott oder vertraue ich der Medizin, und damit Menschen, um Sicherheit, Beruhigung oder erfüllte Wünsche zu erlangen.
[2] „Rechnung mit vielen Unbekannten“, Deutsche Hebammen Zeitschrift. https://www.dhz-online.de/archiv/archiv-inhalt-heft/archiv-detail-leseprobe/artikel/rechnung-mit-vielen-unbekannten/ (zugegriffen 20. Mai 2022).
[3] „Vorgeburtliche Therapien: Pränataldiagnostik | Was? Wie? Wozu?“ http://www.xn--prnatal-info-hcb.at/de/moeglichkeiten-bei-auff aelligen-befunden/vorgeburtliche-therapien-der-ungeborene-patient.html (zugegriffen 13. November 2021).
[4] „Was ist Pränataldiagnostik?“ https://www.pnd-beratung.de/was-ist-praenataldiagnostik/#zahlen-und-fakten (zugegriffen 10.November 2021).
[5] „Ersttrimester-Screening: Untersuchungen zur Risikoeinschätzung“. https://www.familienplanung.de/schwangerschaft/praenataldiagnostik/risikoeinschaetzungen/ (zugegriffen 21. Mai 2022).
[6] G. de Graaf, F. Buckley, und B. G. Skotko, „Estimation of the number of people with Down syndrome in Europe“, Eur J Hum Genet, Bd. 29, Nr. 3, Art. Nr. 3, März 2021, doi:10.1038/s41431-020-00748-y.
[7] Spiegelautorin – anonym, „Die Angst vor dem eigenen Kind“, DER SPIEGEL, Bd. 30, S. 32–34, Juli 2022.
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Kinder stark machen
Dem Genderwahn mir Hilfe von Gottes Wahrheit begegnen
Im Jahr 2022 kam ein neuer Disney-Kinderfilm in die deutschen Kinos. Dieser besondere Film wird von dem christlichen Journalisten Brett McCracken wie folgt beschrieben: „Der neueste Film ‚Strange World‘ ist der erste Disney-Kinderfilm mit einer offen schwulen Hauptfigur, die Homosexualität des Protagonisten und eine Romanze mit einem anderen Teenager spielen eine wesentliche Rolle. Die Beziehung wird von der Familie gefördert – die Filmemacher wollen ganz klar, dass die Kindergartenkinder im Publikum davon ausgehen, dies sei so natürlich.“ Es verblüfft darüber hinaus, dass diese Themen im Trailer des Films keinerlei Erwähnung, nicht einmal Andeutung finden. Versteckte Indoktrination in Reinform!
Am Beispiel dieses Films können wir sehen, wie stark unsere Kinder von Gender-Themen umgeben sind und von klein auf in ihrem Denken umerzogen werden. Die LGBTQ-Bewegung hat es geschafft, das biblische Symbol des Regenbogens für sich zu vereinnahmen und inhaltlich neu zu füllen. Umso wichtiger ist es, dass wir ihnen erklären, dass Gott sich genau zwei Geschlechter ausgedacht hat: Mann und Frau. Und diese sind nicht frei wählbar. Ganz anders behauptet es die Gender-Bewegung. Sie behauptet, dass erst dann, wenn ein Mensch das eigene Geschlecht frei wählen kann, er frei von jeglichen einengenden Stereotypen und gesellschaftlichen Zwängen ist und sich individuell entfalten kann.
Was als große Selbstbestimmung und Errungenschaft proklamiert wird, ist jedoch alles andere als Freiheit und erfülltes Leben. Die konservative Autorin Birgit Kelle bringt es auf den Punkt: „Schon jetzt lässt sich feststellen, dass die große ‚Befreiung‘ des Menschen durch Gendergerechtigkeit in Wahrheit nichts mit Freiheit zu tun hat, sondern nur mit der Verschiebung von Machtverhältnissen, der Schaffung anderer Verbote und neu konstruierter Normen. Es wartet kein befreites Paradies hinter dem gendersensiblen Regenbogen, es wechseln nur die Aufseher. […] Wer die Normen angreift, muss sich im Klaren sein, dass er damit auch Stabilität und Zusammenhalt aufgrund bisheriger Werte über Bord wirft und Risiken schafft, deren Folgen noch niemand absehen kann. Zerstörung schafft zunächst Trümmer.“ (??? Noch Normal? Das lässt sich gendern. Gender-Politik ist das Problem, nicht die Lösung. FinanzBuch Verlag (2020), S. 12.)
Weiter formuliert Kelle, dass die Gender-Bewegung längst nicht mehr eine Minderheitenbewegung ist, die bei der Mehrheit der Gesellschaft nach Akzeptanz sucht, sondern eine Bewegung, die „[…] die Zerstörung der Normalität als erklärtes Ziel propagiert, um den neuen Menschen aus den Ruinen wieder auferstehen zu lassen, falls er danach nicht verkrüppelt sein sollte.“ (???Noch Normal? Das lässt sich gendern, S. 13.)
Vor dieser Zerstörung müssen wir unsere Mitmenschen und unsere Kinder schützen. Den Lügen der Gender-Ideologie müssen wir Gottes Wahrheit entgegenstellen!
Wie können wir unseren Kindern einen biblischen Umgang mit der Gender-Ideologie nahebringen, ohne sie zu überfordern?
Die zwangsläufige Auseinandersetzung mit der Geschlechter-Frage ist eine Chance, um unseren Kindern die göttliche Schöpfungsordnung zu vermitteln. Die große Herausforderung dabei besteht darin, eine gesunde Balance zu finden, sodass unsere Kinder einerseits vor den schädlichen Auswirkungen der Gender-Propaganda geschützt und abgeschirmt werden (erst recht, wenn sie noch sehr klein sind). Andererseits müssen sie jedoch auch von uns inhaltlich vorbereitet werden, sodass sie den schädlichen Lügen der Gender-Ideologie Gottes Wahrheit entgegensetzen können und aus eigener Überzeugung heraus einen gefestigten Charakter entwickeln, um diese Lügen nicht zu glauben oder gar ihr Leben danach auszurichten.
Zusätzlich müssen wir ihnen starke Argumente an die Hand geben, um auch in dieser Diskussion Salz und Licht in einer gottlosen Welt zu sein (vergleiche Philipper 2,14–16), die die Selbstbestimmung – unter anderem für das eigene Geschlecht – zu ihrem Gott gemacht hat und auch in dieser Frage die biblische Wahrheit und rettende Botschaft des Evangeliums hören muss.
Praktische Hilfen für die Stärkung unser-er Kinder im Umgang mit der Gender-Ideologie
- Gottes Ordnung anhand von Bibelstellen erklären:
Die Stellen gemeinsam in der Bibel lesen und den Kindern nachweisen, dass die Realität von den zwei Geschlechtern männlich und weiblich nicht nur unsere persönliche Privatmeinung, sondern eine von Gott gegebene Ordnung ist, die das Beste für den Menschen im Sinn hat. - Unsere Kinder vor unschönen Details, Begriffen und vor detaillierten Darstellungen und Ausführungen der ausgelebten Sünde bewahren: Unzucht aber und alle Unreinheit oder Habsucht soll nicht einmal bei euch erwähnt werden, wie es Heiligen geziemt. (Epheser 5,3)
- Den Kindern erklären, dass Gottes Ordnung ein Schutz für den Menschen ist: Gott möchte dem Menschen dadurch nichts Gutes wegnehmen oder vorenthalten.
- Ihnen ebenfalls erklären, dass Menschen, die sich im falschen Geschlecht geboren fühlen oder der Gender-Ideologie glauben, unser Gebet, unsere Nächstenliebe und im Letzten Jesus brauchen: Gott hasst die Sünde, aber liebt jeden Sünder.
- Als Eltern selbst Vorbild sein und Gottes Rollenbild eindeutig vorleben: Unsere Taten müssen unsere Worte unterstreichen und nicht durchstreichen. Gott hat die Männer dazu berufen, die Familie sanftmütig und besonnen zu führen (vergleiche Epheser 5,25ff. und 1. Petrus 3,7) und die Frauen dazu berufen, sich dieser Führung willig, freudig und respektvoll als beratende Gehilfin unterzuordnen (vergleiche Epheser 5,22–33 und 1. Petrus 3,1–2). Auf die Frage der Ausgestaltung der biblischen Rollenbilder kann hier nicht ausführlicher eingegangen, aber mithilfe folgender Lektüre weiter geforscht werden:
- Glewichwertig, aber nicht gleichartig | Alexander Strauch: Kurz und knapp!
- Zweimal einmalig – eine biblische Studie | John Piper, Wayne Grudem (Hrsg.)): Sehr ausführlich, dennoch absolut lohnend!
- Konsequentes Rollenbild auch im Sprachgebrauch vorleben: Keine Gendergaps, Sternchen und Konstruktionen wie „PolitikerInnen“ schreiben oder mitsprechen und bewusst das generische Maskulinum verwenden (zum Beispiel Student statt Studierende).
- Als Eltern eine offene Gesprächskultur in der Familie fördern: Alles kann gesagt und besprochen werden, Kinder werden nicht weggeschickt, sondern ermutigt, uns als Eltern alle ihre Fragen zu stellen und an den Gesprächen der Erwachsenen teilzunehmen (weitere Literaturempfehlung: Familie – der Ort, an dem du verstanden wirst | Wayne A. Mack).
- Unterschied zwischen Toleranz und Akzeptanz erklären: Wir können anderen Menschen nicht vorschreiben, wie sie leben sollen (Toleranz). Jedoch müssen wir darauf hinweisen dürfen, was das Beste für den Menschen ist, die Sünde zu benennen und auf das Evangelium im Zuge der Meinungsfreiheit verweisen zu dürfen. Wir können nicht dazu gezwungen werden, diese Sünde als eine erfüllende Lebensalternative zu vertreten (Akzeptanz).
Unsere Taten müssen unsere Worte unterstreichen und nicht durchstreichen.
Gottes Schöpfungsordnung und das biblische Familienbild
- 1. Mose 1,27: Schöpfungsbericht „Als Mann und Frau schuf er sie.“
- Einordnung der Homosexualität als Sünde: Römer 1,18-32
- Epheser 5,22–33, 1. Petrus 3,1–6, 1. Timotheus 2,12, 1. Timotheus 3,1–13, Titus 2,1–6: Gottes spezifische Aufgaben für Männer und Frauen. Hier und durch die gesamte Bibel hindurch wird ein Prinzip für Mann und Frau deutlich: Gleichwertigkeit – aber nicht Gleichartigkeit.
- 5. Mose 22,5: Beschreibt das Ausleben dieser von Gott gegebenen Rolle und einen Kleidungsstil, der eindeutig männlich oder weiblich ist.
- Sprüche 31: Hier wird eine Frau beschrieben, die fröhlich bejahend ihre schöpfungsbedingte Rolle ausübt. Dies hat Folgen für ihr Verhalten, ihre Aufgaben und ihre Charaktereigenschaften. Sie ist ein Vorbild darin, sich mit Wort und Tat klar dazu zu bekennen, wozu Gott eine Frau geschaffen hat.
- Biblischer Befund: Es gibt die zwei Geschlechter männlich und weiblich, kein weiteres Geschlecht darüber hinaus. Gott formt jeden Menschen im Mutterleib (Psalm 139,13–16) und legt vor der Geburt fest, welches Geschlecht ein Mensch hat.
Starke Argumente für Kindergarten und Schule
Vorschulkinder
- Kindern altersgerecht begegnen: Kleinkindern müssen wir dieses Thema nicht aufzwingen, wenn sie nicht danach fragen und in einem häuslichen, geschützten Rahmen aufwachsen. Ab einem etwaigen Kindergarten-Besuch sollten wir sie jedoch vorbereiten, damit wir als Eltern die ersten sind, die mit unserem Kind darüber sprechen.
- Auf gestellte Fragen – dem jeweiligen Alter angemessen – antworten und unsere Kinder nicht mit Floskeln wie „dafür bist du noch zu klein“ oder „das verstehst du noch nicht“ vertrösten: Sie werden ihre Fragen dann anderen stellen und gegebenenfalls Antworten bekommen, die wir nicht gutheißen.
- Eine Aufklärung zu diesem Thema geschieht am besten gelassen, kurz und aus der Situation heraus, wenn es sich gerade thematisch ergibt: Wenn unser Kind fragt: „Lisa hat erzählt, dass auch zwei Männer heiraten können, stimmt das?“, reicht oftmals eine kurze Antwort wie diese: „Das ist vom Gesetz her zwar erlaubt, aber aus der Bibel wissen wir ja, dass Gott möchte, dass immer ein Mann und eine Frau heiraten.“ Oftmals sind Kinder in diesem Alter mit dieser kurzen Antwort schon zufrieden und in ihrem bisherigen Wissen bestärkt.
- Kinder so lange wie möglich zuhause erziehen und erst bei gefestigtem Charakter in den Kindergarten gehen lassen: zum Beispiel ein Jahr vor Schuleintritt; das Kind ist dann alt genug, um zu erzählen, was im Kindergarten passiert ist, welche Bücher vorgelesen wurden und ob es auf diese Themen angesprochen wurde. Optimalerweise ist es durch viele Jahre der vorherigen Prägung in diesem Alter bereits dazu in der Lage, sich verbal zu wehren.
- Bei Anspielungen in Filmen (zum Beispiel Walt Disney): Unsere Kinder darauf ansprechen und diese erklären; konsequent sein in der Auswahl der Filme (diese prägen massiv den moralischen Kompass unserer Kinder und das, was sie als „normal“ empfinden).
- Bücher zum Vorlesen auswählen, die biblische Familienstrukturen darstellen: Vater und Mutter mit Kindern; Darstellungen von neumodernen Hausmännern oder gleichgeschlechtlichen Eltern vermeiden.
Schulkinder
- Zu den Elternabenden gehen, um informiert zu sein, bevor diese Themen im Unterricht behandelt und besprochen werden.
- Bei unschönen Unterrichtsreihen die Kinder für diese Zeit aus der Schule herausnehmen: Elternrecht ausschöpfen, und sei es durch einen darauf gelegten Arzttermin.
- Wenn eine entsprechende Unterrichtsreihe ansteht: Ein Buch mit dem Kind lesen, um mit ihm darüber ins Gespräch zu kommen und seine Fragen zu beantworten:
- Alles an mir ist von dir, Gott – Wie Kinder ihren Körper schützen können | Justin & Lindsey Holcomb: Für Vorschulkinder als kindgerechte Vorbereitung, um den eigenen Körper zu schützen.
- Es ist schön, ein Regenbogen zu sein | Wiebke Klassen: Hier wird die biblische Position (nicht Negation) für Kinder erklärt, dass Gott zwei Geschlechter, Jungen und Mädchen, geschaffen hat und wofür der Regenbogen eigentlich steht, für Vorschulkinder und Schulkinder von ca. 4–10 Jahren
- Wer oder was bin ich? | David Martin: Ein Vater erklärt seinen Kindern Gender, für Eltern als Vorbereitung für Gespräche mit ihren Kindern.
- Dem Kind Mut machen, für Gottes Ordnung Stellung zu beziehen und bei Gesprächen darüber nicht einfach nur zu schweigen: Vielleicht sitzt ein Klassenkamerad im Raum, der sich nicht traut etwas zu sagen, aber die biblische Wahrheit hören muss.
- Unsere Kinder darin bestärken, mutig und dennoch respektvoll zu sprechen.
- Unseren Kindern erklären, dass wir durch den Heiligen Geist in der Situation die richtigen Worte bekommen werden und vorher ein Stoßgebet sprechen können: Gott segnet es, wenn wir uns zu ihm und seinen Ordnungen bekennen.
- Bei unschönen Äußerungen des Lehrers oder der Mitschüler gegenüber unseren Kindern: Auch dies ist Leiden für Christus. Aber es kommt auf Gottes Urteil und nicht auf das Urteil der Menschen an.
- Wenn Lehrer das Kind vor der Klasse bloßstellen oder niederreden: Kontakt zu dem jeweiligen Lehrer aufnehmen und dem Kind so den Rücken stärken! Dem Lehrer klar kommunizieren, dass dies ein Verhalten ist, bei dem er eine unzulässige Grenze überschreitet. Notfalls über einen Schulwechsel nachdenken. Dem Kind dadurch vermitteln, dass wir als Familie gemeinsam für Gottes Maßstäbe einstehen und es an dieser Front nicht alleine steht. In dieser Auseinandersetzung besteht die Chance einer wichtigen Charakterschule, die unserem Kind ein ganzes Leben lang helfen wird! Zudem wird es uns als Familie noch mehr zusammenschweißen und das gegenseitige Vertrauen wachsen lassen.
Teenager
- Teens in einer bibeltreuen Gemeinde aufwachsen lassen und als gesamte Familie aktiv am Gemeindeleben teilnehmen.
- Freundschaften innerhalb der Gemeinde fördern: Als Ermutigung, dass sie mit dieser Position nicht die einzigen sind und nicht nur ihre Eltern, sondern auch andere Familien und Teens diese Positionen vertreten!
- Nach Möglichkeit einen Teen-Kreis besuchen, der diese Themen altersgerecht für sie aufarbeitet und die Gespräche innerhalb des Elternhauses unterstützt.
- Zur Mitarbeit und verbindlichen Teilnahme am Gemeindeleben ermutigen und dies fördern (zum Beispiel zusätzliche Fahrtstrecken in Kauf nehmen).
- Die Teilnahme an Gemeinde-Terminen hat Vorrang vor Sportverein- und Hobby-Terminen: dieses Prinzip als Eltern konsequent vorleben.
- Teens im Umgang mit Social Media, Internet, Büchern, Filmen, Serien und anderen Medien sensibilisieren und sie zu einem konsequenten Umgang und Vermeidung von Medien anleiten, die Genderthemen proklamieren und für Akzeptanz der freien Geschlechtswahl werben.
- Die Teens ab einem gewissen Alter als Gesprächspartner auf Augenhöhe ernst nehmen: Unser Kind lebt dann zwar unter unserem Dach, muss sich an die Regeln innerhalb der Familie halten und wird von den Eltern stark beeinflusst, muss jedoch mit Argumenten gewonnen werden und Entscheidungen aus eigener Überzeugung heraus treffen.
Literaturempfehlungen zur weiteren Auseinandersetzung mit der Gender-Bewegung:
- Der, die, was? Gender-Ideologie und biblische Schöpfungslehre (Sharon James)
- Gendergaga – Wie eine absurde Ideologie unseren Alltag erobern will (Birgit Kelle)
- Noch normal? Das lässt sich gendern! Gender-Politik ist das Problem, nicht die Lösung (Birgit Kelle)
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Stellungnahme Selbstbestimmungsgesetz
1. Wer bestimmt, wer ich bin - Ideologie, Gefühle oder Normen?
Stellungnahme zum Selbstbestimmungsgesetz
Am 12. April wurde das „Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag (SBGG)“[1], besser bekannt als das „Selbstbestimmungsgesetz“ vom deutschen Bundestag verabschiedet.[2] Es soll am 1. November 2024 in Kraft treten.[3] Nun ist es gem. § 5 Abs. 1 SBGG in Verbindung mit § 2 SBGG einmal jährlich möglich, die Eintragung seines Geschlechts oder des Vornamens per Selbsterklärung beim Standesamt (§ 2 Absatz 1, § 4 SBGG) ändern zu lassen. Dabei darf man zwischen männlich, weiblich, divers oder völligem Fehlen eines Geschlechtseintrags wählen (§ 2 Absatz 1 SBGG in Verbindung mit § 22 Absatz 3 Personenstandsgesetz (PStG).
Offenbarungsverbot
Ab diesem Zeitpunkt kann gem. § 14 SBGG mit einem Bußgeld von bis zu 10.000 € belegt werden, wer den früheren Geschlechtseintrag oder einen Vornamen offenbart und dadurch die betroffene Person absichtlich schädigt (sogenanntes „Offenbarungsverbot“). Bezug genommen wird hierbei auf § 13 SBGG Absatz 1 Satz 1 SBGG, wonach die früheren Angaben nicht ohne Zustimmung der betroffenen Person offenbart werden dürfen. Was „offenbaren“ genau bedeutet, lässt sich nur erahnen. Jedenfalls fällt die unerwünschte Ansprache mit einem vorherigen Vornamen im Beisein von solchen, die diesen noch nicht kennen, darunter. Wer also erkennt, dass er ein Mädchen vor sich hat, die aber statt Andrea nun mit Andreas angesprochen werden möchte, hat die Wahl zwischen einem möglichen Bußgeld oder Einstimmen in die gefühlte Lebenswirklichkeit des Mädchens, welche im schroffen Kontrast zur biologischen Realität steht. So wird Druck ausgeübt, in die gefühlte Wahrnehmungswelt des Betroffenen einzusteigen und diese – auch entgegen der eigenen Überzeugungen – in ihrer Illusion zu bestärken.
Wo sonst wird man gezwungen biologische Realitäten zu leugnen? Wenn ein 60-jähriger Mann behauptet, 15 Jahre alt zu sein, weil dies seiner empfundenen Wirklichkeit entspricht, sind wir als Bürger nicht gesetzlich verpflichtet, seiner Fantasie zuzustimmen. Wohl eher im Gegenteil, hier ist man aufgerufen der Person zu helfen ihre Illusion zu überwinden. Die Klage des Holländers Emile Ratelband im Jahr 2018 auf Feststellung, dass er keine 69 Jahre alt sei, sondern nur 49 Jahre, wurde von einem holländischen Gericht abgewiesen.[4] In der Sache wurde die Abweisung damit begründet, dass man sein Alter nicht anpassen könne. Es gingen Registeraufzeichnungen verloren und Pflichten wie die Schulpflicht hingen an dem Alter, so die Begründung. Für die Schulpflicht ist es demnach wichtig an den objektiv feststellbaren biologischen Tatsachen festzuhalten. Für die Frage, ob man Mann oder Frau ist, soll aber etwas anderes gelten? Die Absurdität wird im Gesetz selbst deutlich (in § 8 SBGG). Hier muss geregelt werden, was eine Frau oder ein Mann ist, ohne dies explizit zu sagen. Es soll unabhängig vom Personenstandsregister beispielsweise festgestellt werden, wer gebärfähig ist. Das ist wenig überraschend die Person, die schwanger oder gebärfähig ist – bisher auch schlicht „Frau“ genannt. Jetzt angeblich nicht mehr unbedingt! Aber für die biologischen Fragestellungen müssen wir – auch gesetzlich – letztlich doch auf die medizinischen Tatsachen zurückgreifen.
Eine Lawine wird losgetreten
Eine Verunsicherung hinsichtlich der geschlechtlichen Identität in der Phase der Pubertät ist nicht ungewöhnlich. Diese Verunsicherung klingt in der Regel mit Abschluss der Pubertät ab. Greift man nun jedoch in diese volatile Phase ein und bestärkt die Verunsicherung mittels sozialer Transition (wozu neben der Änderung des Vornamens auch das Tragen gegengeschlechtlicher Kleidung und Frisuren gehört), mit sogenannten Pubertätsblockern oder gegengeschlechtlicher Hormongabe, führt dies in so gut wie allen Fällen dazu, dass der Heranwachsende sich letztlich auch für operative Maßnahmen entscheidet, um den Wechsel zum anderen Geschlecht „ganz“ zu vollziehen. Wer also die erste Stufe der Transition nimmt, wird sich so gut wie immer auch für alle weiteren Schritte entscheiden.[5]
Statt, wie in vielen Ländern in den letzten Jahren geschehen, Pubertätsblocker zu verbieten, wird den Heranwachsenden nun mit dem neuen Selbstbestimmungsgesetz noch eine Möglichkeit geboten, die Verunsicherung hinsichtlich des eigenen Geschlechts zu bestärken und damit letztlich unumkehrbare Maßnahmen mittels Medikamenten und Operationen an sich vollziehen zu lassen: die Eintragung des Geschlechts mit dem Wechsel des Vornamens. Es ist davon auszugehen, dass dieser Akt per Selbsterklärung eine ähnliche Wirkung entfalten wird wie die Gabe von Medikamenten. Der Jugendliche wird auf seinem Weg hin zu einer Transbehandlung bestärkt. Ist die Lawine erst ins Rollen gebracht, kann sie kaum noch aufgehalten werden. Der Kinder- und Jugendpsychiater Prof. Korte sowie der Psychologe Prof. Tschuschke fragen daher kritisch:
„Ist es aber realistisch, anzunehmen, dass die betroffenen Kinder im Falle einer frühzeitigen, bereits in jungen Jahren durchgeführten personenstandsrechtlichen Transition imstande sind, gegen die dadurch geschaffenen Fakten anzugehen, sprich die getroffene juristische Entscheidung mit all ihren Konsequenzen später wieder rückgängig zu machen und einen anderen, alternativen Weg einzuschlagen? Oder droht nicht vielmehr die Gefahr, mit einer ungeprüft durchgewunkenen (in Form eines Verwaltungsaktes vorgenommenen) Personenstandsänderung eine Persistenz der Geschlechtsdysphorie zur Transsexualität als einzige Option für das Kind zu präjudizieren? Jüngere Studien liefern Hinweise, was eine frühzeitige soziale Transition tatsächlich bewirkt: Sie treibt die Rate der Persister nach oben.“[6]
Wer die juristische Transition kritisch hinterfragt, wer auch nur zur Vorsicht mahnt und darauf hinweist, dass die Verunsicherung hinsichtlich des eigenen Geschlechts in den meisten Fällen von alleine verschwindet, der wird als transphob abgestempelt oder ab 2024 gar mit einem Bußgeld abgestraft.
Wer entscheidet zum Wohle des Kindes?
Für die Selbsterklärung vor dem Standesamt ist für 14 – 17-Jährige keinerlei Beratung oder ärztliche Stellungnahme notwendig, sondern lediglich die Zustimmung der Eltern (§ 3 Absatz 1 SBGG). Diese kann notfalls auch durch ein Familiengericht ersetzt werden, wenn die Änderungen dem Kindeswohl nicht widersprechen. Man achte auch hier auf die Beweislast: Es muss also nicht festgestellt werden, dass die Änderungen dem Kindeswohl entsprechen, sie dürfen nur dem Kindeswohl nicht widersprechen. Eine ungleich niedrigere Hürde als die Feststellung, dass die Änderungen dem Kindeswohl entsprechen.
Für Minderjährige bis zum 14. Lebensjahr genügt laut § 3 Absatz 2 SBGG eine Erklärung der Eltern. Der Minderjährige muss bei Abgabe der Erklärung lediglich anwesend sein.[7] Dies wird von einer Familienministerin gefordert, die sogenannten Kinderrechte ins Grundgesetz schreiben möchte, womit man als Staat die Kinder vor den eigenen Eltern schützen können möchte.[8] Wo bleiben beim SBGG die Kinderrechte? Warum sollen die Kinder im SBGG dem elterlichen Willen ausgeliefert sein, bei anderen Fragen aber der Staat zum Wohle des Kindes gegen die Eltern vorgehen können? Welcher Maßstab wird für die Bewertung herangezogen, wann es auf die elterliche Einschätzung ankommt und wann man als Staat zum Wohle der Kinder in eine Familie eingreifen muss?
In der bisherigen Regelung war zumindest ein gutachterliches Vorgehen vorgesehen, in dem bestätigt werden musste, dass die geschlechtliche Verunsicherung einen echten Krankheitswert beinhaltete. Krankheitswert bedeutete bis dato, dass das Auseinanderklaffen von biologischem und empfundenem Geschlecht als anhaltend leidvoll erfahren wurde. Da jedoch im Progress der neu geschaffenen Geschlechtsinkongruenz (statt vormals Genderdysphorie oder Geschlechtsidentitätsstörung) eine Entpathologisierung vorgenommen werden soll, darf mithin auch nicht von Krankheit die Rede sein. Was aber soll sowohl eine langjährige Medikamenteneinnahme als auch zahlreiche Operationen anderes sein, wo doch vermeintlich keinerlei Erkrankung vorliegt, als eine Behandlung?
Zu Recht muss hier, auch angesichts der geplanten großen Umwälzungen im Familienrecht zugunsten gleichgeschlechtlicher Paare mit Kinderwunsch[9] gefragt werden: wer entscheidet über die Zukunft der Kinder? Drohen hier nicht Verschiebungen hin zu Aktivisten, flüchtigen Gefühlen oder genderaffinen Eltern? Vor diesem Hintergrund gewinnt der Ausdruck SELBST-Bestimmungsgesetz erst recht eine perfide Note. Denn das Selbst ist bei Minderjährigen derart beschaffen, dass es weitreichende Konsequenzen der medikamentösen und operativen Eingriffe nicht abschätzen, Gefühle nicht seinen angemessenen Stellenwert einräumen kann und zu guter Letzt nicht abschätzen kann, wie sehr dieses Selbst durch die omnipräsente Genderpropaganda beeinflusst und manipuliert wurde.
Die große Hoffnung, die Jugendliche in die Transbehandlung setzen, platzt nur zu oft wie Seifenblasen. Sie erwachen in einem Körper, der durch viele Operationen unumkehrbar gezeichnet ist, sie erleben häufig anhaltende Nebenwirkungen wie Inkontinenz oder fehlende genitale Empfindung. Sie merken, dass ihre Probleme nicht gelöst sind, weil sie immer noch dieselben Personen sind, auch wenn in einem veränderten Körper. Immer mehr entscheiden sich daher, wieder zu ihrem ursprünglichen Geschlecht zurückzukehren, zu detransitionieren. Eine echte Wiederherstellung der vorherigen Bedingungen eines gesunden Körpers ist jedoch leider nicht mehr möglich.
Fazit
Als Christen im Dienst an Kranken e. V. setzen wir uns dafür ein, die Lügen der haltlosen Versprechen der Transbehandlungen als solche zu entlarven. Wir wollen Eltern, Jugendliche und Kinder davor warnen, den Heilsversprechen der Genderideologie Glauben zu schenken und sich auf letztlich unumkehrbare Behandlungen einzulassen. Wir sind überzeugt, dass ein gedeihliches Leben nur möglich ist, wenn wir in Übereinstimmung mit dem Geschlecht leben, welches unser Schöpfer uns gegeben hat. Was Jugendliche und Kinder benötigen, ist nicht eine Stärkung ihrer flüchtigen und häufig verwirrenden Gefühle, sondern starke und stabile Normen, die ihnen Halt geben. Wir machen uns für diejenigen stark, die eine Behandlung bereits durchgeführt haben und feststellen, dass die Therapie mehr geschadet als genutzt hat. Und wir halten den Politikern und Aktivsten entgegen, dass nicht das Gefühl über unser Geschlecht entscheiden kann, sondern allein derjenige, der den Menschen „als Mann und Frau“ (Gen 1,27) erschuf. Eine Separation vom biologischen zum empfundenen Geschlecht, wie es das Selbstbestimmungsgesetz vorsieht, zerstört den Menschen. Nicht der Mensch, sondern Gott bestimmt die Zuordnung zu männlich oder weiblich. Wer dies negiert, setzt sich nicht für das Wohl des Menschen ein.
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Quellen-Nachweis
[1] BT Drucksache 20/9049
[2] Die 2. und 3. Lesung, sowie die Abstimmung nachzulesen unter: https://dserver.bundestag.de/btp/20/20164.pdf#P.21102 aufgerufen am 18.4.2024
[3] https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/tipps-fuer-verbraucher/selbstbestimmungsgesetz-2215426#:~:text=Das%20Gesetz%20tritt%20in%20zwei,Transsexuellengesetz%20von%201980%20endgültig%20ab. abgerufen am 20.04.2024
[4] https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/niederlande-positiv-guru-ratelband-scheitert-mit-klage-auf-amtliche-verjuengung aufgerufen am 18.04.2024
[5] Vgl. Olson KR, Durwood L, Horton R, Gallagher NM, Devor A. Gender Identity 5 Years After Social Transition. Pediatrics. 2022 Aug 1;150(2):e2021056082. doi: 10.1542/peds.2021-056082.
[6] Korte, A. und Tschuschke, V.: Sturm und Drang im Würgegriff der Medien – Die Leiden der jungen Generation am eigenen Geschlecht. Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie. 2023. 51 (5), 356.
[7] https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/gleichstellung/queerpolitik-und-geschlechtliche-vielfalt/gesetz-ueber-die-selbstbestimmung-in-bezug-auf-den-geschlechtseintrag-sbgg--199332 aufgerufen am 18.4.2024
[8] https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/alle-meldungen/lisa-paus-gratuliert-allen-kindern-und-jugendlichen-zum-weltkindertag-201704aufgerufen am 18.04.2024
[9] https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/eckpunkte-familienrecht-kindschaftsrecht-eltern-sorgerecht-umgang-wechselmodell-vater-mutter/aufgerufen am 18.04.2024
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