Körperliche Ursachen psychischer Störungen

Körperliche Ursachen psychischer Störungen

Unspezifische Verhaltens- und Stimmungsänderungen sind oft das erste und manchmal für längere Zeit das einzige und ausschließliche Anzeichen für eine unerkannte körperliche Erkrankung. Durch ihre offensichtliche und überzeugende „psychologische“ Natur und Präsentation führen solche maskierten körperlichen Zustände den Arzt häufig in die Irre und verhindern so jede weitere medizinische (d.h. somatische) Untersuchung, was zu Fehldiagnosen und damit zwangsläufig zu einer fehlgeleiteten Behandlung führt.

Erwin Koranyi (1924 – 2012), kanadischer Psychiatrieprofessor

Depressionen, Psychosen, Zwänge, Ängste und Panik – was ist die Ursache all dieser und anderer psychischen Störungen? Die Antwort auf diese Frage ist nicht so eindeutig, wie viele es sich wünschen würden. Manche sind überzeugt, dass die Ursache psychischer Probleme in den Sünden der Leidenden oder ihrer mangelhaften Gottesbeziehung liegt, andere orten sie in unverarbeiteten Konflikten der Kindheit, erlittenen Traumata, negativen Einflüssen der Umwelt, den Genen oder in einem Ungleichgewicht der Neurotransmitter.

Der Mensch ist ein komplexes Geschöpf, der zudem auch noch Teil sozialer Systeme wie Familie und Gesellschaft ist. Er ist eine Einheit aus Körper und Geist-Seele (1Mo 2,7), die sehr eng miteinander verbunden sind und sich gegenseitig beeinflussen. Diese einfachen Feststelllungen deuten schon darauf hin, dass es viele verschiedene mögliche Ursachen psychischer Störungen gibt. Der Einfluss der Seele (gr. Psyche) auf den Körper (gr. Soma) ist den meisten gut bekannt und wird auch in der Bibel bezeugt (z. B. Spr 17,22; Ps 32,3). Mit dieser Thematik beschäftigt sich die medizinische Fachrichtung der Psychosomatik. Es gibt jedoch in umgekehrter Richtung auch den Einfluss des Körpers auf den Geist, der weniger gut bekannt ist. Dieser spezielle Zusammenhang und sein Einfluss auf die seelische Gesundheit soll der Gegenstand dieses Artikels sein.

Mögliche Ursachen psychischer Störungen
Über die Ursache(n) psychischer Probleme gibt es unter Christen sehr unterschiedliche Meinungen. In der modernen Psychiatrie dominiert ein biologisches Modell psychischer Störungen. Dieses Modell konzentriert sich auf die Gene, die Morphologie und die Neurochemie des Gehirns („Ungleichgewichte“ von Neurotransmittern wie Serotonin, Dopamin und Glutamat). Jedoch haben weder das Humangenomprojekt (1990-2003), die Dekade des Gehirns (1990-1999), noch die Einführung moderner bildgebender Verfahren (MRI/MRT, PET, SPECT) das Rätsel der Ursachen psychischer Störungen lösen können.

Der amerikanische Psychiater Dr. Thomas Insel war von 2002 bis 2015 Direktor des Nationalen Instituts für seelische Gesundheit der USA (NIMH), der weltweit grössten Forschungsorganisation für psychische Erkrankungen. In einem Interview im September 2015 sagte er: „Ich habe 13 Jahre am NIMH verbracht, um die Neurowissenschaften und die Genetik psychischer Störungen voranzubringen, und wenn ich zurückblicke, stelle ich fest, dass es mir zwar gelungen ist, eine Menge wirklich cooler Publikationen von coolen Wissenschaftlern zu veröffentlichen, und das zu ziemlich hohen Kosten – ich glaube, 20 Milliarden Dollar -, aber ich glaube nicht, dass wir die Nadel bei der Reduzierung von Selbstmorden, der Verringerung von Krankenhausaufenthalten und der Verbesserung der Genesung von Millionen von Menschen mit psychischen Erkrankungen bewegt haben.“ Das ist ein ziemlich ernüchterndes Fazit. Tatsächlich gibt es bis heute keine biologischen, chemischen oder physikalischen Tests, die eine psychische Störung mit ausreichender Zuverlässigkeit diagnostizieren können. In der Praxis ist es daher üblich, dass ein Psychiater aufgrund eines Gesprächs eine Diagnose stellt. Umfangreiche Laboruntersuchungen, bildgebende Verfahren, genetische Analysen usw. werden in der Regel nicht durchgeführt.

Das triadische System der deutschen Psychiatrie teilt die psychischen Störungen nach den folgenden drei möglichen Ursachen ein:
1. Endogen („im Inneren erzeugt“, bisher unbekannte Ursache, genetische Komponente wird vermutet)
2. Psychogen („in der Psyche begründet“, oft auch neurotisch oder reaktiv genannt)
3. Exogen („durch äussere Einflüsse entstehend“, körperlich/somatisch/organisch bedingt)

Zur ersten Gruppe gehören die endogenen Psychosen (melancholische Depression, Manie, bipolare Störungen und Schizophrenien), deren Ursachen noch nicht bekannt sind, man aber von einer organischen Erkrankung ausgeht.

Störungen mit einer exogenen Ursache beruhen auf körperlichen Erkrankungen (nicht nur des Gehirns). Dies ist der Fokus dieses Beitrags. In der Geschichte der Psychiatrie waren die Entdeckungen zur Neurosyphilis grundlegend, da dadurch erstmals eine psychische Krankheit auf eine somatische Ursache (nämlich der Infektion des Gehirns mit dem Bakterium Treponema pallidum) zurückgeführt werden konnte. Eine weitere wichtige Entdeckung auf diesem Gebiet war die Verursachung einer Psychose durch den Mangel eines Vitamins (Niacin/Vitamin B3), der sog. Pellagrapsychose. In dem von der WHO herausgegebenen und bei uns verbindlichen Diagnosemanual ICD-10 werden im Kapitel V, Gruppe F00-F09 (besonders F06 und F07, siehe auch die Einträge unter F02.8), „Organische psychische Störungen“ vorgestellt, die für uns von Interesse sind und eine passende Diagnose bzw. Klassifizierung erlauben. Das Wissen über die körperlichen Ursachen ist also vorhanden, kommt jedoch in der Praxis oft nicht zur Anwendung.

Die psychogenen Ursachen seelischer Störungen sind sehr vielfältiger Natur (z. B. eine schwierige Kindheit, belastende Lebensumstände, Stress, Verluste, Beziehungsprobleme, erlittene Traumata).  Die Persönlichkeit/das Temperament der Betroffenen spielt auch eine wichtige Rolle. Auch Auswirkungen der modernen Gesellschaft wie fehlende Beziehungen und Einsamkeit, übermässige Beschäftigung mit elektronischen Medien, ungesunde Ernährung („Fastfood“) oder Schlafmangel sind mögliche Gründe. Das Aussehen solcher psychogen verursachter Störungen umfasst die ganze Breite der psychiatrischen Krankheitsbilder. Zu dieser Gruppe gehört die Mehrzahl der auftretenden psychischen Störungen.
Sogar schizophrenieähnliche Krankheitsbilder können psychogen verursacht werden. In der Regel treten diese Krankheitsbilder spontan auf, dauern nur wenige Wochen und haben bei Elimination der auslösenden Faktoren eine gute Prognose.

In der Psychiatrie hat man vor etwa 40 Jahren die Diagnose psychischer Störungen auf das Vorhandensein bestimmter Symptome (ohne Berücksichtigung der Ursache) umgestellt. Dies ist mit verschiedenen Risiken verbunden, da psychiatrische Symptome unspezifisch sind. So können ganz verschiedene Ursachen wie z. B. ein Karzinom, ein Vitaminmangel oder der Tod eines Kindes das gleiche Krankheitsbild einer Depression hervorrufen. Auf der anderen Seite ist es so, dass eine bestimmte Ursache, z. B. Syphilis, ganz verschiedene psychiatrische Krankheitsbilder verursachen kann. Dies deutet schon die Wichtigkeit einer sorgfältigen internistisch-neurologischen Untersuchung zur Abklärung der möglichen Ursache an.

Eine Fallgeschichte
Um die Relevanz und Wichtigkeit des Erkennens der wahren Ursache einer psychischen Störung besser zu verstehen, wollen wir uns nun eine wahre Krankengeschichte vor Augen führen (Lamparter 2018). Ein verheirateter 40-jähriger Verkaufsleiter leidet seit 15 Jahren an ausgeprägten Kopfschmerzen, zeitweisem Schwindel und seit 5 Jahren an einer Abgeschlagenheit, die ihn bei der Ausübung seines anspruchsvollen Berufs behindert. Seine Stimmung ist ängstlich-depressiv. Der Patient ist als Einzelkind, dessen Eltern sich im Alter von 4 Jahren scheiden liessen und ist unter schwierigen Umständen aufgewachsen. In der Berufswelt hatte er wiederholt Probleme mit Autoritätspersonen. Eine internistische Abklärung ist ohne Befund. Von einem Neurologen, der seine Kopfschmerzen erfolglos behandelt hat, wird er zur Psychotherapie überwiesen, die er jedoch nach 9 Sitzungen abbricht. Die Diagnose lautet „Chronische Kopfschmerzsymptomatik bei Autonomiekonflikt und selbstunsicherer Persönlichkeit“. Eine weitere, später durchgeführte erfolglose Psychotherapie wird nach 22 Sitzungen vom Patient abgebrochen. Starke einschiessende Schmerzen wurden vom Psychotherapeuten als „Aufschrei der Seele“ interpretiert. Der Chefarzt einer Schmerzklinik stelle aufgrund einer „bizarren Schmerzschilderung“ gar die Diagnose einer Schizophrenie. 8 Jahre nach dem ersten Arztbesuch hat sich die gesundheitliche Situation körperlich und psychisch sehr verschlechtert. Der Patient ist bettlägerig und berentet. Eine erneute umfassende medizinische Untersuchung zeigt nun die Ursache all der verschiedenen körperlichen und psychischen Symptome: Neurosyphilis. Nach all den Leidensjahren, von denen er die meisten auf der „Psychoschiene“ war, starb der Patient an seiner Syphilisinfektion. Diese wäre in den ersten Jahren seiner Erkrankung sehr gut behandelbar gewesen.
Wie obige Fallgeschichte zeigt, kann die Fehldiagnose einer körperlichen Erkrankung als psychogen („Psychogener Fehler“) schwerwiegende Folgen haben.

Mögliche körperliche Ursachen psychischer Störungen
Im Prinzip kann jede Krankheit oder Substanz, die im Gehirn einen pathologischen Zustand erzeugen kann, eine psychische Störung hervorrufen.
Wie die untenstehende Auflistung andeutet, gibt es eine sehr grosse Zahl an möglichen körperlichen Ursachen psychischer Probleme. Fast alle Medikamente (insbesondere wenn man mehrere gleichzeitig nimmt) können bei prädisponierten Menschen psychische Probleme verursachen, dies gilt insbesondere für Ältere. Unter den Medikamenten sind diejenigen mit einer anticholinergen Wirkung besonders problematisch (es ist eine gewisse Ironie, dass auch manche Psychopharmaka zu dieser Gruppe gehören). Auch viele „normale“ Erkrankungen können psychische Störungen verursachen. Nun werden sich sicher manche die Frage stellen, warum diese Krankheiten nicht behandelt werden und dadurch die psychischen Probleme gar nicht erst entstehen oder wieder verschwinden. Oft ist es so, dass psychische Symptome die ersten Anzeichen sind und die eigentliche körperliche Erkrankung mit ihrer typischen Symptomatik sich erst viel später manifestiert. Hausärzte haben oft eine nicht ausreichende Kenntnis auf dem Gebiet der somato-psychischen Medizin. Dadurch werden wichtige Labortests und andere Untersuchungen nicht angefordert und so das grundlegende Problem nicht erkannt. Psychiater und Psychotherapeuten führen in der Regel keine körperlichen Untersuchungen durch und vertrauen darauf, dass alles Nötige schon vom Hausarzt oder dem überweisenden Arzt abgeklärt wurde. Auch legen sie ihr Hauptaugenmerk auf die psychiatrischen Symptome, die jedoch leider keinen Rückschluss auf die Ursache zulassen. Die ausgeprägte Spezialisierung in der Medizin (statt einer gesamtheitlichen Betrachtung des Menschen) und die jetzige Situation in der medizinischen Versorgung mit langen Wartezeiten und einem zeitlich nur kurzen Kontakt mit dem Arzt tragen zu dieser Misere bei.

Körperliche Erkrankungen, die psychische Störungen hervorrufen können
Die untenstehende Auflistung zeigt eine Übersicht der möglichen Ursachen psychischer Störungen mit einigen Beispielen. Weitere körperliche Krankheiten und die am häufigsten von ihnen verursachten psychischen Symptome werden im Anhang gezeigt. Die Anzahl der möglichen Ursachen ist sehr gross und füllt ganze Bücher. So wurden z. B. für die Symptomatik einer Depression hunderte möglicher körperlichen Ursachen beschrieben.

Hirntumore, Hirnabzess, Schädel-Hirn Trauma
Epilepsien (Temporallappenepilepsie)
 – Endokrine Erkrankungen (Schilddrüse, Nebenschilddrüse, Nebenniere)
Gehirnentzündungen (Bakterien, Viren, Pilze, Protozoen, Würmer, Autoimmun)
Erbkrankheiten (Chorea Huntington, Morbus Wilson, Porphyrie)
Elekrolytstörungen (Hyponaträmie)
Krebs (Pankreas, Lunge, Brust, Eierstock, Prostata, Hypophyse)
Mangelzustände (Eisen, B-Vitamine, Mineralien, Spurenelemente)
Intoxikationen (Schwermetalle, Organische Gifte)
Medikamente (Fluorchinolon-Antibiotika, Isoretinoine, Kortison, „Antibabypille“)
Autoimmunerkrankungen (Lupus, Multiple Sklerose, Hashimoto, Diabetes Typ I, Zöliakie)
Allergien/Unverträglichkeiten (Fruktose-, Laktoseintoleranz)
Organerkrankungen (Herz, Niere, Leber, Pankreas)
Neurologische Erkrankungen (Multiple Sklerose, Parkinson, Demenz)
Infektionen (Influenza, Syphilis, Borreliose, HIV, Herpes-Viren, Toxoplasmose)

In den letzten Jahren wurde die Wichtigkeit von Autoimmun-Gehirnentzündungen (Enzephalitiden) ohne begleitende neurologische Auffälligkeiten als Ursache von schwerwiegenden Erkrankungen wie Psychosen, Depressionen, Bipolaren Störungen und Zwangsstörungen erkannt und erfolgreich mit immunsuppressiven Therapien behandelt.
Für das Krankheitsbild einer Schizophrenie wird eine Vielzahl organischer Ursachen beschrieben (Tebartz van Elst 2021), was für Betroffene ganz neue Möglichkeiten der Behandlung und ursächlichen Heilung aufzeigt. Auch Infektionen des Gehirns mit allen möglichen Erregern können die verschiedensten psychischen Störungen hervorrufen (Niehaus 2021), die dann nicht mit Psychopharmaka, sondern mit Antibiotika, Virostatika u. ä. behandelt werden sollten. Hier sollte z. B. an eine Borreliose und an Syphilis, die wieder auf dem Vormarsch ist, gedacht werden.

Wie gross ist das Ausmass dieser Problematik?
Die Psychiater Koranyi & Potoczny haben 1998 eine Übersichtsarbeit publiziert, in der sie 21 Studien über die Häufigkeit körperlicher Erkrankungen bei Psychiatriepatienten aus den Jahren 1937 bis 1991 ausgewertet haben. Bei insgesamt 9200 Patienten wurde bei einer unabhängigen Untersuchung bei 50% eine körperliche Erkrankung festgestellt. Bei 58% dieser Patienten war die Diagnose vorher nicht bekannt und bei 27% hatte die körperliche Erkrankung eine direkte Beziehung zum psychiatrischen Krankheitsbild. Es bestand also bei ca. 14% (dieser Wert umfasst bei den o. g. 21 Studien den Bereich von 7 bis 37%) der psychiatrischen Patienten eine körperliche Erkrankung, die nachträglich als Ursache des psychiatrischen Krankheitsbildes identifiziert wurde. Die meisten dieser Patienten waren stationär in psychiatrischen Kliniken untergebracht. Unter Beachtung der Tatsache, dass früher moderne bildgebende Verfahren (MRT, CT) und manche Labormethoden noch nicht verfügbar waren, ist die mittle Häufigkeit von 14% wohl nach oben zu korrigieren. Auch ist zu berücksichtigen, dass die Verursachung psychiatrischer Krankheitsbilder durch Autoimmun-Entzündungen des Gehirns erst im Jahr 2007 entdeckt wurde. In diesem Sinn wird der Anteil körperlich bedingter psychischer Störungen immer grösser und aus psychiatrischen „Fällen“ werden solche für die Neurologie oder Innere Medizin.

Hinweise auf eine körperliche Ursache
Wenn mit dem Auftreten von psychischen Symptomen die folgenden Beobachtungen oder Bedingungen vorhanden sind, oder diesen vorausgehen, sollte immer an eine körperliche Ursache der psychischen Störung gedacht werden und eine entsprechende medizinische Untersuchung veranlasst werden.

Optische/visuelle Halluzinationen
Erhöhte Körpertemperatur
Neurologische Symptome (Bewegung, Sprache, Kognitive Probleme, Bewusstseinstrübung)
Höheres Alter (ohne frühere psychische Probleme)
Einnahme von Medikamenten oder Drogen
Einseitige Ernährung (vegetarisch, vegan, „Fastfood“)
Ungewöhnliche Kopfschmerzen
Plötzliche Verhaltensänderung
Steifer Nacken
Geschmacksverlust
Plötzliche Angst vor Auslöschung der Existenz

Häufige Ursachen psychischer Störungen
Es gibt einige körperliche Ursachen, die relativ häufig vorkommen und mit wenig Aufwand und Kosten abgeklärt werden können. Der Hausarzt kann die entsprechenden Laboruntersuchungen veranlassen. Triviale Faktoren wie Schlaf- und Bewegungsmangel, Übergewicht, übermässiger Konsum von koffeinhaltigen oder alkoholischen Getränken, usw. sollten nicht vergessen werden.
Ein Eisenmangel kommt, insbesondere bei menstruierenden Frauen, relativ häufig vor. Solch ein Eisenmangel darf nicht mit einer Anämie (Hämoglobinwert/Hb erniedrigt) verwechselt werdet, die einen schwerwiegenderen Zustand darstellt. Eine Anämie kann verschiedene Ursachen haben, die immer abgeklärt und entsprechend behandelt werden sollten. Bei einem Eisenmangel können psychische Symptome auftreten, obwohl der Hb-Wert noch im Normalbereich liegt. Laboranalytisch sollten der Ferritinwert (Soll: > 80 µg/l) und die Transferritinsättigung (Soll: >30 %) bestimmt werden. Des Weiteren ist eine gute Funktion der Schilddrüse für die psychische Gesundheit von grosser Wichtigkeit. Sowohl eine Unter- (Hypothyreose) als auch eine Überfunktion (Hyperthyreose) gehen oft mit psychiatrischen Symptomen einher. Hier bringen die Laborwerte TSH (Soll: 0.4 – 2.5 mU/l), fT3 und fT4 Klarheit. Auch die Funktion der Nebenniere sollte überprüft werden. Dies geschieht am besten mit einem Cortisol-Tagesprofil, das einfach mit 3-4 Speichelproben erstellt werden kann. Zur Abklärung von (unerkannten) Autoimmunerkrankungen sollten ein ANA-Test (Antinukleäre Antikörper) gemacht werden. Weiterhin werden Laboranalysen der B-Vitamine (insbesondere B1, B3, B6, B12 und Folsäure) empfohlen. Routineuntersuchungen wie das Blutbild, Elektrolyte, Gesamteiweiss, Nieren- und Leberwerte und CRP/Blutsenkung stellen eine notwenige Ergänzung dar.

Was ist zu tun?
Wenn eine psychische Störung so schwerwiegend ist, dass eine stationäre Behandlung nötig ist, mit grossem Leid verbunden ist, oder hartnäckig über längere Zeit bestehen bleibt, sollte eine umfassende somatische Untersuchung veranlasst werden. Dies ist auch bei jedem erstmaligen Auftreten einer Psychose angezeigt.
Neben einer ausführlichen Anamnese sollte eine körperliche Untersuchung, umfassende Laboranalysen von Blut und Liquor (Nervenwasser), ein MRT (oder CT) des Kopfes, und ein EEG gemacht werden.
Wir wollen dabei nicht aus den Augen verlieren, dass in den meisten Fällen von psychischen Problemen psychogene, und nicht endogene oder körperliche Ursachen vorliegen.

 

Literaturverzeichnis

Tebartz van Elst, Vom Anfang und Ende der Schizophrenie. Eine neuropsychiatrische Perspektive auf das Schizophrenie-Konzept. Kohlhammer 2021
Eine ausführliche Buchrezension findet man hier:
https://biblische-seelsorge.org/2019/02/22/rezension-vom-anfang-und-ende-der-schizophrenie/

Bock, Das entzündete Gehirn – wenn der Körper die Seele krank macht. Die versteckte Ursache von Depressionen, Angststörungen und anderen psychischen Erkrankungen bei Jugendlichen verstehen und behandeln. Riva 2022

Bullmore, Die entzündete Seele. Ein radikal neuer Ansatz zur Heilung von Depressionen. Goldmann 2019

Lamparter & Schmidt, Wirklich psychisch bedingt? Somatische Differenzialdiagnosen in der Psychosomatischen Medizin und Psychotherapie. Schattauer 2018

Morrison, Der zweite Blick: Psychische Störungen als Symptome somatischer Krankheiten. Hogrefe 2000 (nur noch über Fernleihe erhältlich, englisches Original siehe nächster Eintrag)

Morrison, When Psychological Problems Mask Medical Disorders. Guilford Publications 2015

Welch, Ist das Gehirn schuld? 3L-Verlag 2004

Kasten, Somatopsychologie. Körperliche Ursachen psychischer Störungen von A bis Z.
Ernst Reinhardt Verlag 2010

Kapfhammer, Depression, Angst, traumatischer Stress und internistische Erkrankungen. Eine psychosomatische und somatopsychische Perspektive. Springer 2023

Niehaus & Pfuhl, Die Psycho-Trojaner. Wie Parasiten uns steuern. Hirzel 2021

Dilling, Mombour & Schmid, Internationale Klassifikation psychischer Störungen. ICD–10 Kapitel V (F). Hogrefe 2015
Eine Onlineversion kann hier eingesehen werden:
https://www.dimdi.de/static/de/klassifikationen/icd/icd-10-gm/kode-suche/htmlgm2020/chapter-v.htm

In englischsprachiger Sprache gibt es eine umfassende und detaillierte Literatur zu dieser Thematik. Empfehlungen auf Nachfrage.

 

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Was gibt dem Menschen Würde?

Lebensqualität oder die Heiligkeit des Lebens?

Im Jahr 2001 meldete Die Rheinpfalz[1]: „Junge erhält für seine Geburt Entschädigung – Umstrittenes Urteil zu Behinderten in Frankreich. Die französische Justiz hat ihre heftig kritisierte Rechtsprechung zu Behinderten bestätigt. Der Kassationsgerichtshof sprach einem sechs-jährigen Jungen mit Down-Syndrom einen Anspruch auf Entschädigung zu, weil er nicht abgetrieben wurde. Der Generalstaatsanwalt hatte vergebens vor ‚einem Recht‘, nicht geboren zu werden gewarnt. Behinderten-verbände reagierten mit Empörung.“
Bereits ein Jahr zuvor hatte das höchste Zivilgericht einem 17 Jahre alten schwer Behinderten eine Entschädigung zugesprochen, weil er geboren und nicht abgetrieben wurde. Was war hier geschehen? Die Rheinpfalz informiert weiter: „Die Eltern des sechsjährigen Jungen hatten geltend gemacht, der Frauenarzt hätte die Trisomie 21 in der Schwangerschaft erkennen müssen. Der Generalstaatsanwalt mahnte in seinem Plädoyer, ein solches Urteil verletze die Würde des Jungen, Mensch zu sein. Er warnte vor einer ‚Eugenik als Vorsichtsmaßnahme‘, die um jeden Preis die Geburt eines behinderten Kindes vermeiden wolle.“

Die Unsterblichkeit wohnt im Menschen wie ein unauslöschliches Feuer, das Gott durch seinen Atem verliehen hat. Er hauchte den Lebensodem in die Nase.

Dieses Urteil liegt nun über 20 Jahre hinter uns. Der Druck auf die Würde des Menschen ist seitdem keines-falls geringer geworden. Die Würde des Menschen steht heute noch viel mehr unter Druck. Das zeigen gerade auch manche Auswüchse in dieser so genannten Corona- Pandemie. Das Thema „Was gibt dem Menschen Würde – Lebensqualität oder die Heiligkeit des Lebens?“ ist hochaktuell und der Lauf der Zeit gibt ihm unverhofft weitere Brisanz. Einige Zitate mögen das noch unterstreichen[2] „Menschliches Glück und gewiss menschliche Fruchtbarkeit sind nicht so wichtig wie ein wilder und gesunder Planet: einige unter uns können nur darauf hoff en, dass das richtige Virus vorbeikommt.“ David Graber, Biologe, National Park Service „Wenn ich wiedergeboren werden könnte, würde ich als Killervirus wiederkommen, um die menschlichen Bevölkerungszahlen zu verringern.“ 9. April 2021), Schirmherr des World Wildlife Fund. „Das Christentum ist unser Feind. Wenn die Rechte der Prince Philip – Duke of Edindinburgh (10. Juni 1921–9. April 2021), Schirmherr des World Wildlife Fund. „Das Christentum ist unser Feind. Wenn die Rechte der Tiere vorankommen sollen, müssen wir die Jüdisch-Christliche-Tradition zerstören.“
Peter Singer, Professor für Bioethik an der Princeton University. „Die Erde ist eine Moschee.“ Ibrahim Abdul-Matin, muslimischer Umweltschützer. Die Absicht solcher Umweltschützer ist klar gegen das jüdisch-christliche Menschenbild gerichtet. Es triff t in die Mitte dessen, was Gott und auch uns Christen heilig ist! Naturschutz ist Gott wichtig, davon legt die Bibel Zeugnis ab. Aber der Mensch darf dabei nicht unter die Räder kommen.

1. Einige biblische Grundlagen zum Thema

Beim Thema „Würde und Heiligkeit des Menschen“ ist es wichtig, sich an den Anfang zu erinnern, den Gott gemacht hat. Das Leben kommt aus Gottes Hand. Es kam durch sein Wort: 1. Mose 1,1: „Im Anfang schuf Gott die Himmel und die Erde.“[3] So beginnt die Heilige Schrift. Der Schöpfungsbericht informiert uns, wie Gott an sechs Tagen die Welt erschuf. Er sprach und es geschah. Der Mensch ist die Vollendung und Krone der Schöpfung Gottes. Das menschliche Leben ist einzig-artig und steht mit seinem biblischen Konzept von der Unsterblichkeit über den später aufgekommenen heidnischen Konzepten. Die biblische Offenbarung über das menschliche Leben ist einzigartig im Vergleich zu den heidnisch mesopotamischen Vorstellungen vom Leben bis hin zu den vermeintlich modernen Vorstellungen unserer Zeit. Die biblische Unsterblichkeit ist keine bloße Anschauung vom Überleben der Seele, sondern die eines voll erfüllten Lebens des ganzen Menschen in Körper und Seele.

Der Mensch ist und bleibt eine lebendige Seele

„Ich habe erkannt, dass alles, was Gott tut, für ewig sein wird: Es ist ihm nichts hinzuzufügen und nichts davon wegzunehmen; und Gott hat es [so] gemacht, damit man sich vor ihm fürchte.“ (Prediger 3,14) Die Unsterblichkeit wohnt im Menschen wie ein unauslöschliches Feuer, das Gott durch seinen Atem verliehen hat. Er hauchte den Lebensodem in die Nase. „Und Gott, der HERR, bildete den Menschen, Staub vom Erdboden, und hauchte in seine Nase [den] Odem des Lebens; und der Mensch wurde eine lebendige Seele.“ (1. Mose 2,7) Man kann wohl behaupten, wir haben im Alten Testament keine detaillierte ausgestaltete Lehre von der Unsterblichkeit. Aber wir haben Unsterblichkeit von Beginn an – denn weil der Mensch ein Gebilde aus Gottes Hand ist und ihm zum Ebenbild erschaffen wurde, so wurde er auch zur Unsterblichkeit geschaffen. Eine wichtige und wesentliche Übereinstimmung mit Gott liegt gerade in der Eigenschaft der Unsterblichkeit der menschlichen Seele. Adam und Eva waren mit ihrer Erschaffung lebendig und damit zugleich unsterblich. Alle Atheisten, die sich wünschten, dass ihre Asche über das Meer verteilt würde, werden einst auferstehen.

Zum Leben bestimmt

Die Menschen sind zum Leben und nicht zum Tod bestimmt. Gott wollte die Unsterblichkeit des Menschen in dessen Wesen als Person mit Leib, Seele und Geist. Das ist der Ausgangspunkt und der Zielpunkt der göttlichen Schöpfung. Ja, wir wissen um die Tragödie des Sündenfalls. Wir lernen aus der Heiligen Schrift, dass der Tod durch die Sünde eine besondere Macht über den Menschen hat. Aber das tiefe Tal des Todes mitsamt den Leiden, in dem sich die Menschheit seit dem Sündenfall befindet, hat nicht das letzte Wort in der Geschichte der Menschheit. Es gibt eine Hoffnung der Auferstehung, die die Juden und die Christen vereint. Und so tödlich die Sünde auch wütet und den geistlichen und physischen Tod bewirkt – sie hat nicht die Macht, die Seele mitsamt ihrer Unsterblichkeit auszulöschen. Der Annihilationismus (Auslöschungslehre) lehrt, dass ein Teil der Menschen aufhören würde zu existieren. Dies ist nicht mit dem biblischen Befund vereinbar. Tod meint in der Bibel Trennung – nicht aber Auslöschung.

Kontroverse Ansichten über den Tod

In Mesopotamien wurden die Menschen gelehrt, dass sie als Sterbliche erschaffen wurden, sodass der Tod die natürliche Folge ihrer Beschaffenheit, also ihrer Existenz war. In Israel glaubte man hingegen, dass man für ein nie endendes Leben erschaffen wurde. Darum war der Tod etwas Unnatürliches. Es ist erstaunlich, dass weder die Aufzeichnungen der Babylonier noch die der Assyrer etwas von einer Auferstehung offenbaren, obwohl doch die Auferstehung so klar bei Daniel und Jesaja dargelegt ist. Der Assyrologe und Bibellehrer Heidel schlussfolgert dazu: „Diese Unterschiede trennen die Eschatologie der Mesopotamier von der der Hebräer so weit wie der Osten vom Westen entfernt ist.“[4]

Krebsgeschwür oder Krone der Schöpfung?

Dieser Hinweis auf Mesopotamien oder Babylon ist in-sofern wichtig, da die heutige so modern scheinende grüne Bewegung mit ihrer ökologischen Doktrin sich letztlich auf uralte heidnische Religionen zurückführen lässt. Es ist dabei erstaunlich, dass der Mensch als Krebsgeschwür und nicht als Krone der Schöpfung verstanden wird (Club of Rome). Mark Musser zeigt in seinem Buch „Nazi Ecology: The Oak Sacrifice of the Judeo-Christian Worldview in the Holocaust“ (Nazi Ökologie: Das Eichenopfer der jüdisch-christlichen Weltsicht im Holocoust), in welch alten heidnischen Quellen die Weltanschauung der Nazis verwurzelt ist. Nach Mussers Auffassung führten die Nazis ihr Vernichtungsprogramm als modernisierte Form von Menschenopfern unter ökologischer/biologischer Tarnung aus. Ihre Ideologie war in der „eichenopferlichen Bildsprache des antiken Heidentums verwurzelt“. Er betont: „Das Wort Holocaust selbst bedeutet ‚ganzes Brandopfer‘.“ Der Sozialdarwinismus, der Grundlage für die Nazis und den modernen Umweltschutz ist, hat seine Wurzeln in heidnischem Denken. Dieser Hintergrund ist hier wichtig. Denn für die von Gott gegebene Würde des Menschen ist in dieser heidnischen Weltanschauung kein Platz. Paulus erklärt im Römerbrief in Kapitel 1, wie der Mensch durch seine aktive Verwerfung von Gott als dem Schöpfer zur Verfinsterung kommt. Das wiederum führt zur „Entherrlichung“ und Entehrung Gottes und endet in der Verherrlichung und Verehrung der Schöpfung. Das Leben und die Würde des Menschen sind mit dem Heidentum aus den Angeln gehoben. Über das Leben, das aus Gottes Hand entstand, müssen wir biblisch denken. Denn bis heute stehen andere Vorstellungen über Ursprung, Sinn und Ziel des Lebens im Raum. Sie schweben nicht harmlos in einer theoretischen Sphäre oder Blase, sie greifen unser Leben und dessen Würde an. Der Bibel völlig entgegengesetzte Anschauungen und deren aggressive Vertreter sind aktiv dabei, das biblische Grundverständnis vom Leben und dessen Würde aus den Angeln zu heben.

Hoffnung trotz Vergänglichkeit

Bevor wir nun weiter in das Thema eintauchen, möchte ich noch den hoffnungsvollen Rahmen aufzeigen, in dem wir uns mit dem von Gott geschaffenen Leben befinden. Wir erinnern uns an die perfekte Schöpfung. Gott schuf den Menschen. Er wollte ewiges Leben für den Menschen. Der Sündenfall führte zur Trennung von Gott und zum geistlichen Tod, dem folgte später der physische Tod. Nach dem Sündenfall lesen wir in 1. Mose 3,9: „Und Gott, der HERR, rief den Menschen und sprach zu ihm: Wo bist du?“ Gott trat schon hier als Retter in Erscheinung. Nur Gott kann uns aus der Todeszone der Sünde retten. Er kümmert sich um die Menschheit, während sie in dieser Weltgeschichte durch das lange Tal des Todes und Leidens schreitet. Er sendet sein Licht durch das Evangelium. Er stellte mit seinem Sohn Jesus Christus das Kreuz der Versöhnung auf.
Als Folge des Sündenfalls hat Gott die Schöpfung der Nichtigkeit oder Vergänglichkeit unterworfen. Denn die Schöpfung ist der Nichtigkeit unterworfen worden – nicht freiwillig, sondern durch den, der sie unterworfen hat – auf Hoffnung hin, dass auch selbst die Schöpfung von der Knechtschaft der Vergänglichkeit freigemacht werden wird zur Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes (Römer 8,20–21).
Paulus macht hier deutlich, dass die Krise der gesamten Schöpfung mitsamt dem Leben der Menschen nicht hoffnungslos ist. Es gibt Grund zur Hoffnung, weil der souveräne Gott die Schöpfung von der Knechtschaft der Vergänglichkeit befreien wird. Und hier nennt Paulus das Ziel: Es geht Gott um die Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes. Das kommende Leben in der ewigen Herrlichkeit befreit von der Vergänglichkeit. Das ist das Ziel Gottes mit den Seinen. Dieser große, hoffnungs-volle Rahmen muss uns vor Augen stehen, wenn wir nun weiter über die Würde, Lebensqualität und Heiligkeit des Lebens nachdenken. Gottes Plan begann in der Ewigkeit vor Raum und Zeit und führt uns auch wieder in die Ewigkeit. Seine hoffnungsvolle Heilsgeschichte ist eingebettet in seine Ewigkeit.

2. Was dem Menschen würde gibt

Der Frage nachzugehen, was dem Menschen Würde gibt, hat mit der Frage zu tun, die eingangs schon angesprochen wurde. Es ist die Ursprungsfrage. Die Frage nach der Herkunft des Menschen. Wo kommt er her, was macht den Menschen aus, wozu ist er überhaupt da? Dazu wollen wir auf einige Bibeltexte hören, um das biblische Bild vom Menschen vor Augen zu haben. Daraus leiten wir dann kurz und knapp die Menschenwürde für uns ab.

1. Mose 1,27–28: „Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bild, nach dem Bild Gottes schuf er ihn; als Mann und Frau schuf er sie. Und Gott segnete sie, und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und vermehrt euch, und füllt die Erde, und macht sie [euch] untertan; und herrscht über die Fische des Meeres und über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf der Erde regen!“ Der Mensch ist Geschöpf Gottes, nach seinem Bild er-schaff en, männlich und weiblich. Der Mensch ist gesegnet und berufen mit seinem Leben durch seine Familie die Erde zu füllen und sie sich untertan zu machen und zu herrschen. Der Mensch ist Krone der Schöpfung und ist beauftragt, die Tierwelt zu beherrschen. Das weist ihm Verantwortung für die Schöpfung zu und schließt jede Ausbeutung aus. Beachten wir hier, dass der Mensch über dem Tier steht. Auch wenn Yuval Noah Harari, ein populärer Frontmann des Transhumanismus, die Menschen als hackbare Tiere[5] oder der Physiker und Nobelpreisträger Reinhard Genzel den Menschen als Tier bezeichnet[6]. Heute erhalten Küken eine größere Beachtung als ungeborene Menschen. Seit dem Jahr 2022 ist das Töten von geschlüpften Eintagsküken in Deutschland verboten. Die Tötung ungeborener Mitmenschen geht erbarmungslos weiter.

Was ist der Mensch?

Psalm 8 zeigt uns seine besondere Stellung in der Schöpfung:
1 Dem Chorleiter. Nach der Gittit. Ein Psalm. Von David.
2 HERR, unser Herr, wie herrlich ist dein Name auf der ganzen Erde, der du deine Hoheit gelegt hast auf die Himmel!
3 Aus dem Munde der Kinder und Säuglinge hast du Macht gegründet um deiner Bedränger willen, um zum Schweigen zu bringen den Feind und den Rachgierigen. 4 Wenn ich anschaue deine Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast: 5 Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Sohn, dass du dich um ihn kümmerst?
6 Denn du hast ihn wenig geringer gemacht als Engel,
mit Herrlichkeit und Pracht krönst du ihn.
7 Du machst ihn zum Herrscher über die Werke deiner Hände; alles hast du unter seine Füße gestellt:
8 Schafe und Rinder allesamt und auch die Tiere des Feldes,
9 Vögel des Himmels und Fische des Meeres, was die Pfade der Meere durchzieht.
10 HERR, unser Herr, wie herrlich ist dein Name auf
der ganzen Erde!

David blickt als Geschöpf auf den HERRN, er sieht seine Herrlichkeit und Hoheit. Der Kontrast zu dieser unfassbaren Hoheit wird unterstrichen durch die Worte der Kinder und das Brabbeln der Säuglinge. Jesus bezog sich in Matthäus 21,16 darauf: „Aus dem Mund der Unmündigen und Säuglinge hast du ein Lob bereitet.“ Schon hier erkennen wir erneut die Größe Gottes, dass er die kleinsten Menschenkinder würdigt, ihm Lob bereiten zu dürfen. Das hätte er nicht nötig, aber er hält es für nötig. So wunderbar ist unser Gott!
Gottes Größe und Stärke zeigt sich im Umgang mit den Kleinen und Schwachen. Und ihre Würde zeigt sich wiederum darin, dass er sie seiner Annahme und Liebe würdigt. Der nächste Kontrast in Psalm 8 liegt darin, dass David wieder mit dem Himmel anfängt (V. 4) und dann die Frage stellt: „Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst und des Menschen Sohn, dass du dich um ihn kümmerst?“ (V. 5) Gott denkt an den Menschen, er kümmert sich um sein Leben. Das haben wir schon bei Adam gesehen, wie Gott nach ihm fragt und sich um ihn in seiner Sündennot kümmert. Auch darin zeigt Gott, dass er den Menschen als sein Geschöpf seiner Würde entsprechend behandelt.

Auf wunderbare Weise erschaffen

In Psalm 139,13–17 lesen wir:
13 Denn du bildetest meine Nieren. Du wobst mich in meiner Mutter Leib.
14 Ich preise dich darüber, dass ich auf eine erstaunliche, ausgezeichnete Weise (Hervorhebung durch den Autor) gemacht bin. Wunderbar sind deine Werke, und meine Seele erkennt es sehr wohl.
15 Nicht verborgen war mein Gebein vor dir, als ich gemacht wurde im Verborgenen, gewoben in den Tiefen der Erde.
16 Meine Urform sahen deine Augen. Und in dein Buch waren sie alle eingeschrieben, die Tage, die gebildet wurden, als noch keiner von ihnen [da war]. 17 Für mich aber – wie schwer sind deine Gedanken, o Gott! Wie gewaltig sind ihre Summen!

Jeder Mensch ist auf eine erstaunliche, ausgezeichnete Weise gemacht (V. 14). Er ist im Verborgenen gewoben (V. 15). Unser einzigartiges Erbgut und unsere Würde kommen aus Gottes Hand. Gott sieht den Menschen vom Anfang seiner Zeugung an. Er blickt auf ihn als sein Geschöpf. Die Tage eines jeden Lebens sind eingeschrieben und damit individuell festgelegt (V. 16). Das Leben des Menschen ist also in jeder Hinsicht göttliche Maßarbeit und ein ausgezeichnetes wunderbares Werk. Was für ein Reichtum an Eindrücken geben uns allein diese drei Kardinalstellen der Heiligen Schrift über den Menschen. Was dem Menschen Würde gibt, können wir damit klar beantworten: Gott selbst, seine Schöpfermacht, seine Herrlichkeit, aber auch seine Absicht, sich um die Kleinen und Großen aktiv zu kümmern. Der Mensch ist auf Gott hin angelegt und angewiesen. Sinn und Ziel seines Lebens ist es Gottes Abbild zu sein und zu spiegeln. Der Begriff von der Würde des Menschen fand Eingang in das deutsche Grundgesetz. Und die Väter und Mütter des Grundgesetzes hatten eine christlich geprägte Vorstellung von Gott und den Menschen. Was die heutige Politik und Rechtspraxis angeht, müssen wir einen Trend weg vom biblischen Gott und Menschenbild feststellen. Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland setzt die Verantwortung vor Gott an den Anfang. So heißt es in der Präambel: „Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, […] hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.“ Artikel 1 Absatz 2: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt[…].“ Artikel 1 Absatz 3 lautet: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ In Artikel 3 Absatz 3 heißt es: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“[7] Wir erkennen vor dem Hintergrund der biblischen Aussagen, dass die Interpretation des Grundgesetzes dem Trend unterliegt, sich dem Zeitgeist anzupassen. Im Grundgesetz ist nur von Mann und Frau und von deren Geschlecht die Rede. Und doch bildet in Deutschland seit 2018 der Geschlechtseintrag „divers“ eine dritte Option neben „männlich“ und „weiblich“. Das Grundgesetz sagt: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Und doch steht die vorgeburtliche Auslese behinderter Kinder dazu im krassen Widerspruch.

3. Was ist Lebensqualität?

Lebensqualität ist ein Begriff , der stark von der zugrundeliegenden Lebensphilosophie geprägt ist. Lebensqualität hat zunächst zweierlei Fundamente: Für entschiedene Christen, die ihr Leben mit Gott leben wollen, besteht Lebensqualität darin, im Willen Gottes zu leben, zu lieben und geliebt zu werden. Das heißt z. B. zu einer Gemeinde zu gehören, dort zu dienen und auch geistlich zu wachsen. Dann auch in Familie und Beruf seinen von Gott gegebenen Platz einzunehmen. Das ist sehr verkürzt ausgedrückt, was für Christen Lebensqualität ist. Das Haus auf dem Felsen!
Menschen leben heute in vielen Vorstellungen vom idealen Leben. Das geht vom Traum über das Leben auf der einsamen Insel bis hin zu Reichtum und völliger Freiheit über Karriere im Beruf. Lebensqualität ist für viele nur dann gegeben, wenn das Leben möglichst plan-bar, ohne böse Überraschungen oder Krisen verläuft. Selbstverwirklichung, Karriere, trautes Heim, gesunde Kinder und Familie. Das sind manche der gängigen Stereotypen.
Dass plötzlich eine Krankheit, ein Krieg oder eine Katastrophe ins Leben hereinbricht, daran denkt man nicht. Unsere Eltern oder Großeltern haben noch einen Krieg erlebt. Und wir sind in dieser Zeit mit einem Krieg in Europa konfrontiert. Wie würden Kriegsopfer Lebensqualität definieren? Ein Leben, das diese Welt liebt, nach dem Motto „ich will viel haben, viel tun und groß sein“ entspricht dem Zeitgeist. Nicht aber dem Geist Gottes. Gottes Wort sagt: „[…] was unter den Menschen hoch ist, ist ein Gräuel vor Gott.“ (Lukas 16,15b)
Wir neigen dazu, das Leben unter den Aspekten von Wert, Nützlichkeit und Brauchbarkeit zu taxieren. Ein wertvoller Mitarbeiter arbeitet doppelt so schnell wie ein anderer. Darum ist er in den Augen der Firma wertvoller als andere. Eben dies ist aber nicht gleichzusetzen mit Würde. Denn der fleißige Mitarbeiter kann durch einen Unfall an einer bleibenden Behinderung leiden und ist darum als Mensch trotzdem wertvoll. Seine Würde behält er, zumindest nach christlichem Menschenbild. Es ist wohl wahr, dass genau hier zwei Welten aufeinander-prallen. Solange man funktioniert, ist man geachtet und wertvoll. Aber wehe man kränkelt und die Leistung lässt nach. Dann bekommt man sehr schnell mit, wie es in der Welt zugeht. Schwache und Kranke werden ausgemustert. Gott sei Dank gibt es da aber auch rühmliche Ausnahmen. Lebensqualität nach dem Lauf dieser Welt orientiert sich nicht an Gottes Maßstäben. Das Argument für aktive Sterbehilfe lautet oft, dass es ein unwürdiges Leben sei, wenn Menschen an schweren Erkrankungen leiden. Hier ist aber nicht die Krankheit in der Lage ein Leben unwürdig zu machen. Tödliche Leiden sind hart, bedrückend und schrecklich, aber sie machen nie das Leben des Menschen unwürdig! Mitunter erleben Kranke eine unwürdige Behandlung, davon wusste auch schon Hiob zu berichten (Hiob 30,15). Der Zustand des Menschen ist erbarmungswürdig und er mag in den letzten Zügen liegen. Trotzdem verliert ein Mensch in seinem Leiden nie seine Würde. Er soll bis zu seinem Lebensende mit Würde und Respekt behandelt werden. Und selbst den Körper eines Verstorbenen behandeln wir respektvoll. Im § 168 des Strafgesetzbuchs unter „Störung der Toten-ruhe“ ist der Rechtsbegriff für Leichen- und Grabschändung geregelt. Ein Versuch ist strafbar! Wir ehren Menschen ob tot oder lebendig.

4. Was das Leben heilig macht

Die Zeit nach der Sintflut: Nachdem Gott aufgrund seiner Heiligkeit die Menschen durch die Flut wegen ihrer Sünde verurteilte, ordnet er das zivile Leben. Dabei gibt Gott eine eindeutige Anordnung und Warnung! Er erinnert an die Bedeutung der Gottesebenbildlichkeit des Menschen. „Wer Menschenblut vergießt, dessen Blut soll auch durch Menschen vergossen werden; denn Gott hat den Menschen zu seinem Bilde gemacht.“ (1. Mose 9,6) Gott ordnet hier aufgrund der Gottebenbildlichkeit des Menschen die Bestrafung eines Mörders durch Menschen an. Gott, der Allmächtige, mit seiner ultimativen legislativen Gewalt betont hier die menschliche Gottesebenbildlichkeit und dessen Würde. Darum legt er die judikative (rechtsprechende) und exekutive (ausführende) Gewalt in die Hände der Menschen. Menschen sollen ein Kapitalverbrechen beurteilen und die Täter verurteilen, welche gegen Gottes heilige Gebote verstoßen. Darin werden sie Gott in einem weiteren Schritt ähnlich. Wie? Indem die Menschen nun verpflichtet sind, und nicht Gott, das Urteil zu vollstrecken. Mörder müssen sterben, weil der Mensch in Gottes Bild geschaffen ist.

Jeder Mensch hat Würde

Gott vermittelt die Heiligkeit des Lebens durch das Gesetz: „Du sollst einem Tauben nicht fluchen und vor einen Blinden kein Hindernis legen, und du sollst dich fürchten vor deinem Gott. Ich bin der HERR.“ (3. Mose 19,14) und „Verflucht sei, wer einen Blinden auf dem Weg irreführt! Und das ganze Volk sage: Amen!“ (5. Mose 27,18) Nach diesem Prinzip gehört auch ein pauschaler „Maskenzwang“ auf den Prüfstand. Lungen-kranken raubt er buchstäblich den Atem, da vielfach ihre medizinisch begründete Maskenbefreiung ignoriert wird. Gott gewährt den Behinderten einen besonderen Schutz, nicht um sie zu bevorzugen. Sondern um ihre Würde als Menschen zu schützen und die Heiligkeit eines jeden Menschen – ob behindert oder nicht behindert – zu unterstreichen. Heiligkeit ist hier nicht unter dem Aspekt von Makellosigkeit oder Sündlosigkeit zu verstehen, sondern unter dem Aspekt der Unantastbarkeit, weil alles Leben Gott gehört!

Gott gab seinen Sohn für uns

Das wunderbare am Evangelium ist doch, dass Gott Sünder sucht und heilig macht. Für Gott war das Leben der unheiligen Sünder immer noch so „heilig“ im Sinne von würdig, dass er seinen Sohn dahingab. Unser himmlischer Vater hätte es nicht tun müssen. Aber er tat dies aus Liebe. Der Vater gab seinen Sohn dahin, damit Jesus am Kreuz zur Sünde wurde, sein Blut vergoss und starb, damit alle, die an den Sohn glauben, augenblicklich zu Heiligen werden und in der Heiligung leben können. Wir wissen, dass der Mensch durch die Sünde völlig verdorben ist. Aber er ist immer noch ein Mensch mit Würde, dessen Leben heilig ist, weil er Geschöpf Gottes ist. Für Gott ist es möglich, auch Säuglinge einfach zu sich in den Himmel zu nehmen. Er hat dafür einen Weg, den wir nicht ergründen können. Aber sind sie nicht alle Sünder? Geborene wie Ungeborene? Gewiss und doch ist das Leben der Ungeborenen in gewisser Weise „heilig“, also im Sinne von ganz für Gott abgesondert. Denn David hatte die Hoffnung, dass er einst zu seinem verstorbenen Sohn gehen wird (2. Samuel 12,32).

Die besondere Stellung des Lebens – ob geboren oder ungeboren

Unsere deutsche Rechtsordnung anerkennt Ungeborene als vollwertige Personen, denn sie sind nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch erbfähig. Ein Ungeborenes kann demnach als Erbe eingesetzt werden. Damit muss klar sein, dass über das Leben Ungeborener auch keinerlei Verfügbarkeit besteht. Lebensrecht und Erbrecht Ungeborener sind hierbei unmittelbar verwoben: Bürgerliches Gesetzbuch[8] § 1923 Erbfähigkeit (1) Erbe kann nur werden, wer zur Zeit des Erbfalls lebt. (2) Wer zur Zeit des Erbfalls noch nicht lebte, aber bereits gezeugt war, gilt als vor dem Erbfall geboren. (Bürgerliches Gesetzbuch, Buch 5 – Erbrecht (§§ 1922–2385) / Abschnitt 1 – Erbfolge (§§ 1922–1941))

5. Ein Fazit

Jesus erinnerte einst seine Jünger an ihren Wert: „Aber selbst die Haare eures Hauptes sind alle gezählt. [So] fürchtet euch nicht; ihr seid vorzüglicher als viele Sperlinge.“ (Lukas 12,7) Diese Erinnerung ist auch für uns heute wichtig. Die Unantastbarkeit bzw. Heiligkeit der menschlichen Würde ist in der Gottebenbildlichkeit des Menschen verankert. Die Berufung der Christen liegt darin, die Heiligkeit und Würde des menschlichen Lebens zu bezeugen, nach ihr zu leben und sie zu verteidigen. „Mose erkannte seine Berufung und lebte entsprechend: Aus Glauben zog es Mose vor mit dem Volk Gottes Ungemach zu leiden, als den zeitlichen Genuss der Sünde zu haben, indem er die Schmach des Christus für größeren Reichtum hielt als die Schätze Ägyptens; denn er schaute auf die Belohnung.“ (Hebräer 11,25–26) Das Leben in zeitlicher Lebensqualität als Sohn von Pharaos Tochter – als Ägypter – wurde, um der Perspek-tive der Ewigkeit wegen, von Mose verworfen. Also um Christi und der Belohnung wegen. Der zeitliche Genuss der Privilegien als Sohn der Tochter Pharaos hätte für Mose Sünde bedeutet. Seine Zugehörigkeit und Identität galten dem Volk Gottes und damit Christus. Eine ägyptische Lebensweise, mitsamt ihren heidnischen Göttern, hätte nicht seiner Identität und seinem Glauben entsprochen. Bei Mose machte die aus dem Glauben gekommene Entscheidung den Unterschied zwischen zeitlichem Lebensgenuss (vergänglicher Lebensqualität) unter Pharaos Ägypten und ewiger Lebensperspektive unter Christus. Auch heute wird uns der Glaube an Gott und die Heiligkeit des Lebens zum Ziel bringen, wenn wir am Bekenntnis der christlichen Hoffnung festhalten (Hebräer 10,23) und durch entschlossenes Vertrauen voran gehen, wie durch einen Korridor der uns trotz Enge, Bedrängnis, und Leiden als Christi Zeugen sicher an das Ziel bringt. Engpässe, Bedrängnisse und Ängste kennen wir, davon sprach Jesus, aber er sprach auch von seinem Trost. Dieser Korridor oder Engpass ist Leidensweg und Zeugnis-kraft zugleich. Die Frage ist, was fürchten wir mehr, Repressalien, Schmach und Schande wegen Jesus oder fürchten wir, in der Versuchung oder Bedrängnis Gottes Heiligkeit und die Heiligkeit des Lebens zu verleugnen? Hier wird der wahre ungeheuchelte Glaube in einem reinen Herz den Unterschied machen in Wort und Tat. Glaube muss erprobt werden und er wird erprobt werden.

Grundgesetz und Menschenwürde unantastbar

Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier schreibt[9]: „Die Garantien, auf denen unser freiheitlicher Rechtstaat beruht, sind im Grundgesetz in den Artikeln 1 und 20 für unantastbar erklärt. Sie dürfen folglich nicht einmal durch qualifizierte Mehrheiten im Parlament, also auch nicht durch eine formel-le Grundgesetzänderung, angetastet werden. Das bezieht sich zuallererst auf die Erklärung der Unantastbarkeit der Würde des Menschen in Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes, aber auch auf den zweiten Absatz des-selben Artikels, der lautet: ‚Das deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.‘“ Damit unterstreicht Hans-Jürgen Papier, dass die Unantastbarkeit der Würde des Menschen, die für Christen in der Schöpfungsordnung verankert und an die Gottebenbildlichkeit des Menschen gebunden ist, dem Grundgesetz als fundamentale unverrückbare und unveräußerliche Grundlage gilt.

Was auf dem Spiel steht

Das grundgesetzliche Recht hinsichtlich der Würde des Menschen zu haben und dieses Recht auch persönlich zu erfahren sind in dieser Welt bekanntlich zweierlei Dinge. Denn die deutsche Rechtsprechung zeigt eine fortschreitende Abkehr von der Würde des Menschen. Totalitäre Tendenzen in der Politik sind erkennbar und der Transhumanismus verfolgt das Ziel, den Menschen grundlegend zu verändern. Hannah Arendt weist auf das eigentliche Ziel totalitärer Ideologie hin. Es sei „[…] die Transformation der menschlichen Natur selbst, [… ] Was in der totalen Herrschaft auf dem Spiele steht, ist wirklich das Wesen des Menschen.“[10] Obwohl das Recht dem Schutz der Schwachen dienen sollte, hat es sich gegen Schwache gewandt. Für diesen Missstand sind vor allem die Richter vor Gott verantwortlich. Der zu beklagende Notstand und die damit verbundenen Sorgen sind groß. Diese Not und Sorgen dürfen wir im Gebet vor den Thron der Gnade zu Christus bringen. Christus unser Schöpfer hört, sieht und handelt. In seinen Augen hat jeder Mensch Würde. Weil er sein geschöpfliches Ebenbild ist.
Der Apostel Paulus spricht im Römerbrief Kapitel 8 Vers 22 vom sehnsüchtige Harren der Schöpfung, von Seufzen und Geburtswehen. Christen werden durch Gottes Gnade von der Knechtschaft der Vergänglichkeit erlöst werden. Die Geburtswehen, unter denen wir seufzen, sind hoffnungsvolle Vorboten. Gottes Ziel ist die end-gültige Freiheit, welche die Kinder Gottes besitzen, wenn sie verherrlicht sind. Gottes genialer Plan wird verwirklicht werden. Er hebt sich in jeder Hinsicht von der Utopie und Agenda einer den Menschen verachtenden trans-humanistischen Ideologie ab. Jesus Christus dürfen wir völlig vertrauen.

Dass wir in einer Welt voller Falschheit leben, der wir im Gegensatz zu Christus nicht restlos vertrauen können, unterstreicht die Bachkantate

„Falsche Welt dir trau ich nicht!“
Gott ist getreu!
Er wird, er kann mich nicht verlassen;
Will mich die Welt und ihre Raserei
In ihre Schlingen fassen,
So steht mir seine Hilfe bei.
Auf seine Freundschaft will ich bauen
Und meine Seele, Geist und Sinn
Und alles, was ich bin,
Ihm anvertrauen.

Christen können sich dem treuen Gott ganz und gar anvertrauen und das Böse mit Gutem überwinden. Wir Christen dürfen gewiss sein: Unser Leben mit seiner Würde hält Gott allen Stürmen zum Trotz in seiner guten Hand.

 

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Dieser überarbeitete Text war die Grundlage zum gleichnamigen theologischen Abschlussvortrag am 20.11.2021 anlässlich der Tagung des CDK e.V. in Hannover zum Thema „Umkämpfte DNA – wie Genetik unser Leben bestimmt.“
1 Die Rheinpfalz, Ausgabe Nr. 277 am 29.11.2001. .
2 Mark R. Musser, Nazi Ecology: The Oak Sacrifi ce of the Judeo-Christian Worldview in the Holocaust, Dispensational Publishing House, Inc. 2018, S. 414-416.
3 Bibelstellen zitiert aus Elberfelder Bibel, R. Brockhaus Verlag, Wuppertal © 2006; Die Heilige Schrift, CSV Hückeswagen © 2003; Lutherbibel, Deutsche Bibelgesellschaft Stuttgart © 1984.
4 Alexander Heidel, The Gilgamesh Epic an Old Testament Parallels, pp. 137-223, Chicago University Press, 1946, quoted in The Zondervan Pictorial Encyclopedia of the Bible “Life” pp. 927 -928.
5 “But soon at least some corporations and governments will be able to systematically hack all the people. We humans should get used to the idea that we are no longer mysterious souls – we are now hackable animals. That‘s what we are.“ in How to Survive the 21st Century,
Vortrag am 21.01.2020 World Economic Forum, https://www.weforum.org/agenda/2020/01/yuval-hararis-warning-davos-speech-future-predications/In Hararis Buch Homo Deus – Eine Geschichte von Morgen (C.H.Beck, 13. Aufl age 2020) fi ndet sich im Register kein Eintrag zu Menschen oder Mensch, allerdings 27 Verweise zum Tier und auf S. 117 die Aussage: „Gegenwärtig sind mehr als neunzig Prozent aller großen Tiere der Welt (die also mehr als ein paar Kilogramm wiegen) entweder Menschen oder domestizierte Tiere.“ 6 hr-iNFO Das Interview am 3.6.2022/ https://www.ardaudiothek.de
7 Grundgesetz (GG) für die Bundesrepublik Deutschland mit Nebengesetzen, Aktuelle Gesetze, 8. Aufl age 2020, © 2020 Harwardt.
8 https://www.gesetze-im-internet.de/bgb/BGB.pdf
9 Hans-Jürgen Papier, Freiheit in Gefahr – Warum unsere Freiheitsrechte bedroht sind und wie wir sie schützen können, S. 281, Wilhelm Heyne Verlag München, 2021.
10 Hannah Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, S. 940-941, Piper Verlag GmbH, München, 23. Auflage 2021.

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Foto von Irene Strong auf Unsplash


Unerträgliches Leid

Problematik eines Kernbegriffs für die aktive Sterbehilfe

Seit Jahrzehnten werden Fragen rund um Sterbehilfe kontrovers diskutiert.[1] Zuletzt bekam die Debatte durch die Entscheidung zur Legalisierung des assistierten Suizids Aufwind für die Sterbehilfsorganisationen. Während das Bundesverfassungsgericht über die Autonomie des Menschen argumentiert (dazu später mehr)[2], wird allgemein hin über das Leiden der Patienten argumentiert. Dieses Leiden, so die Befürworter der aktiven Sterbehilfe, sei unerträglich und müsse daher – aus Liebe zu den Patienten – aktiv beendet werden. Jeder wünscht dem Anderen (und genauso sich selbst), dass er eines Tages im hohen Alter zu Hause „ruhig einschlafen“ wird. Friedlich soll der Tod sein. Dem gegenüber steht der einsame, unerträglich qualvolle Tod in einem sterilen Krankenhaus, bei dem keine palliativmedizinische Intervention mehr Linderung verschaffen kann. Wer möchte dem nicht vorsorglich entgegen wirken? Der Verein DIGNITAS schreibt in seiner Informationsbroschüre: „Im Fall von ärztlich diagnostizierten hoffnungslosen oder unheilbaren Krankheiten, unerträglichen Schmerzen oder unzumutbaren Behinderungen bietet DIGNITAS seinen Mitgliedern die Möglichkeit eines begleiteten Freitods an.“[3] Die Niederlande oder Österreich knüpfen den Zugang zum assistierten Suizid an das Vorliegen eines solchen unerträglichen Leides. Doch es gibt einige Gründe, warum diese Bedingung als Gradmesser für die gesellschaftliche Akzeptanz des Suizids unzureichend ist. Diese sollen nun herausgearbeitet werden.

Definition „Leid“

nach Prof. Eric J. Cassel: „Ganz allgemein lässt sich Leiden als ein Zustand schwerer Not definieren, der mit Ereignissen einhergeht, die die Unversehrtheit der Person bedrohen.“

Definition „unerträgliches Leid“

nach Prof. Dr. phil. Claudia Bozzaro: „Die individuelle und subjektiv empfundene Intensität von Symptomen oder Situationen, deren andauerndes Empfinden bzw. Erleben so belastend ist, dass sie von einem Patienten nicht akzeptiert werden kann.“

Die Mehrdimensionalität des Leids

Zuerst müssen wir ein Schlaglicht auf den Begriff „Leid“ werfen, um sein Bedeutungsspektrum zu verstehen. Der Arzt Prof. Eric J. Cassel definierte Leid im New England Journal of Medicine wie folgt: „Ganz allgemein lässt sich Leiden als ein Zustand schwerer Not definieren, der mit Ereignissen einhergeht, die die Unversehrtheit der Person bedrohen.“[4] In einem Artikel arbeitet der Autor anhand vieler Beispiele heraus, dass Leid mehr umfasst als nur körperliches Leid. Leid ist auch nicht mit Schmerzwahrnehmung identisch, obgleich diese durchaus eine Teil-menge des wesentlich umfassenderen Begriffs „Leid“ beansprucht. Leid und Schmerz müssen nicht unbedingt zusammenfallen. Der sprichwörtliche „Herzschmerz“ zielt gerade auf diese geistige/seelische Dimension (Psyche) des Leidens ab, die sich nicht zwingend auf den Leib (Physis) auswirken muss – aber kann. Auf der anderen Seite kann diskutiert werden, ob ein kurzer, leichter (körperlicher) Schmerz wirklich Leid (je nach Definition des Leidensbegriffs) verursacht. Nach der oben angeführten Definition würde der geneigte Leser zustimmen, dass ein akzidenteller Tritt gegen den Türrahmen nicht zwingend die Unversehrtheit einer Person bedroht. Der Grund des Leidens muss auch nicht zwingend in der leidenden Person selbst liegen. Eine Witwe, die gerade ihren Ehemann verloren hat, kann durchaus stark leiden, auch wenn sie selbst körperlich gesund ist. Es ist naheliegend, dass auch die möglicherweise vorangegangene Krankheitsbegleitung starkes Mit-Leiden verursachen kann. Leid überfällt den (Mit-)Leidenden also nicht nur von innen, sondern kann auch von außen (z. B. durch die Angehörigen) über ihn gebracht werden. Diese Vielschichtigkeit des Leid-Begriffs[5] erschwert die Erfassung durch eine umfassende Begriffsdefinition. Das tut dieser Untersuchung keinen Abbruch, denn das Ziel besteht nicht in einer feinkörnigen Austüftelung des Leidens-Begriffs. Es soll jedoch darauf hingewiesen werden, dass „Leid“ über die leibliche Dimension (u. a. Leiden durch Krankheit) hinausgeht. Daraus ergibt sich schon jetzt, dass die Beurteilung eines individuellen Leidens erschwert wird. Mit diesem weiten Leidensbegriff im Blick müssen wir uns jetzt der „Unerträglichkeit“ zuwenden.

Die Problematik der Unerträglichkeit

Unerträgliches Leid steht erträglichem Leid gegenüber. Wenn also Leid auch erträglich sein kann, wirft das unmittelbar die Frage auf: Wann ist Leid unerträglich? Und: Wie viel Leid kann man ertragen? Diese Grenzziehung ist zentral, wenn man sie – wie z. B. in den Niederlanden – zur Legitimation assistierten Suizids gebrauchen will. Die Medizinethikerin Prof. Dr. phil. Claudia Bozzaro führt in ihrer Ausarbeitung über den Leidens-Begriff eine der wenigen auffindbaren Definitionen über unerträgliches Leiden an. Es sei „die individuelle und subjektiv empfundene Intensität von Symptomen oder Situationen, deren andauerndes Empfinden bzw. Erleben so belastend ist, dass sie von einem Patienten nicht akzeptiert werden kann.“[6] Durch diese Definition wird die Subjektivität der Beurteilung eines Leidens als „unerträglich“ sehr deutlich.

Eine objektive Bewertung eines subjektiven Leidens ist kaum möglich.

Hinzu kommt nach Bozzaro die „fehlende Eindeutigkeit“, weil unklar ist, „welche Symptome oder Situationen als unerträgliche Leiderlebnisse zu fassen sind. Analog zur Indikation für einen ärztlich assistierten Suizid und der Tötung auf Verlangen ist auch in der palliativmedizinischen Praxis seit einigen Jahren ein Trend der Verschiebung und Erweiterung zu verzeichnen: von der Indikation aufgrund körperlicher Symptome (Dyspnoe, Delir, Schmerz, Übelkeit) hin zu psychosozialen und existentiellen Leiderlebnissen. Unter psycho-existentiellen Leiderlebnissen werden dabei in der Literatur u. a. angegeben: ein Gefühl von Sinnlosigkeit, die Angst, anderen zur Last zu fallen, Abhängigkeit, Angst vor dem Tod, der Wunsch, den Zeitpunkt des eigenen Todes selbst zu bestimmen, Kontrollverlust und Einsamkeit sowie ein Gefühl von Isolation […].“[7]
Nun wird die oben genannte zentrale Grenzziehung in der Praxis problematisch und herausfordernd. Diese wäre aber notwendig, wenn Außenstehende in den Entscheidungsprozess mit einbezogen werden.
Die konsequente Fortführung der Idee, dass es ein Subjekt ist, das – individuell eingeschätzt – „unerträglich“ leidet, lässt unvermeidlich folgenden Schluss zu: Der assistierte Suizid kann nicht auf „todkranke“, alte Patienten beschränkt sein. Denn es ist ja nicht von vornherein auszuschließen, dass ein junger Mensch sein Leid als ebenso unerträglich einschätzt. Liebeskummer zum Bei-spiel kann durchaus höchst leidvoll sein. Die Endstrecke des Argumentationswegs über das „unerträgliche Leid“ führt unmittelbar über den Suizid schwerkranker, physisch Leidender hinaus. Dann wird – zugespitzt formuliert – die Sterbehilfe für alle geöffnet, die unbedingt sterben wollen (wie es bspw. am Präzedenzfall der Beneluxstaaten erkennbar ist[8]).
Das Bundesgesundheitsministerium öffnet daher in seinem „Entwurf […] der freiverantwortlichen Selbsttötungsentscheidung den assistierten Suizid für jede Person, die a) volljährig ist oder die Genehmigung des Familiengerichts eingeholt hat.‘“[9] Der assistierte Suizid soll also jeder Altersgruppe unabhängig von den Umständen ermöglicht werden. Das führt einem erneut vor Augen, wie weit-reichend das Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Februar 2020 war. Mit ihrem Urteil öffneten die Verfassungsrichter auf einen Schlag die Tür für den gesellschaftlich akzeptierten und geschäftsmäßig geförderten Suizid aller Menschen, jeder Altersgruppe, solange der jeweilige Mensch sich nur autonom dazu entschließt. Deshalb soll es nach diesem Gesetzesentwurf in § 217 heißen, dass: „1. die zur Selbsttötung entschlossene Person c) ihren Willen frei und unbeeinflusst von einer akuten psychischen Störung gebildet hat und nach dieser Einsicht handeln kann.“[10] Sobald das sichergestellt wird, ist assistierter Suizid erlaubt. Der Staat muss also nur noch gewährleisten, dass die Entscheidung des suizid-willigen Individuums wirklich autonom getroffen wurde: „Diese Gefahren aufgreifend werde ein legislatives Schutzkonzept unterstützt und die Bedeutung der Suizidprävention, der Palliativ- und Hospizversorgung und der Vermeidung von sozialem Druck herausgestellt.“[11] Zusammenfassend muss der suizidwillige Mensch nur noch zweierlei sein: Autonom und entschlossen. Folglich geht die Diskussion von den unerträglichen Leidensumständen eines schwerstkranken Menschen aus und endete schließlich ohne dieselben. Und dies wird dann zu guter Letzt auch noch als Schutzkonzept deklariert – aber nicht für das Leben, sondern für die Autonomie. Dadurch wird der Staat zunehmend zum Protektor einer verabsolutierten Autonomie und opfert dafür den Schutz des Lebens.[12]

Die Fokusverschiebung der Debatte

Die Diskussion um die aktive Beendigung des Lebens aufgrund unerträglichen Leids mündet also zwangsläufig in die Autonomie des Einzelnen. Grund dafür ist, dass das Argument, man wolle den unerträglich leidenden Patienten erlösen, nicht herhalten kann, um assistierten Suizid zu begründen. „Unerträgliches Leid“ funktioniert nicht als Maßstab für die Regulierung des geschäfts-mäßigen[13], assistierten Suizids. Dieses „Ursprungsargument“ ist nicht brauchbar, da es bei genauerer Analyse (wie oben gezeigt) viel zu vage ist und gezielte Fragen nicht beantworten kann. Deshalb kann und sollte dieser Maßstab nach der Legalisierung des geschäftsmäßigen Suizids nicht in die allgemeine Gesetzgebung mit ein-bezogen werden. In der öffentlichen Debatte ging es aber um die sterbenskranken Menschen.[14] Es ging ursprünglich nicht darum, dass gesunde Menschen, wenn sie sich dazu autonom entscheiden, sich das Leben nehmen können. Darum geht es aber nun im letztlich entscheidenden Urteil des BVerfG. Dieses argumentiert über die Wahrung der Autonomie des Menschen. Entsprechend kann der Zugang zum assistierten Suizid nicht auf eine ausgewählte Gruppe beschränkt bleiben. Deshalb wird der assistierte Suizid konsequent für alle geöffnet. Die Ursprungsargumentation hat für die praktische Gesetzgebung ihre Relevanz verloren.
Es geht in der Umsetzung dann nicht mehr um das Leid des Einzelnen, sondern nur noch um die autonom beschlossene Sterbewilligkeit. Und wem mag man absprechen, wenn das Individuum so autonom dasteht, dass es unerträglich leidet? Darf man den Einzelnen dann überhaupt noch ermutigen, dass es sich lohnt weiter gegen das Leid zu kämpfen? Denn so nimmt man bereits wieder Einfluss auf den Einzelnen. An diesem Punkt sucht man verzweifelt nach einer Antwort auf die Frage: Wann lohnt es sich überhaupt noch zu leben und Leid zu er-tragen? Dabei muss auch die Frage gestellt werden, wie weit die Autonomie des Einzelnen reicht. Eine Person steht im Leben nicht für sich allein, sondern ist eingebettet in einen Lebenskontext, mit dem sie eng verwoben ist. Inwiefern ist der Einzelne autonom? Wovon ist er denn eigentlich unabhängig? Nur vom Einfluss anderer? Ist er vielleicht auch unabhängig von der Verantwortung im Leben anderer? Ist der Mensch wirklich so frei, wie es in unserer Zeit angenommen wird?
Das höchste Gut des Lebens scheint damit nicht mehr das Leben, sondern die Freiheit zu sein. Dr. med. Mira Pankratz fasst es treffend zusammen: „Das Gut der Selbstbestimmung wird höhergestellt als das Gut des Lebens.“[15]

Die Verantwortung der Christen

Im Rahmen eines christlichen Weltbilds ist Suizid zwingend abzulehnen.[16] In dem Wunsch nach Suizid steckt die Hoffnung, dass nach dem Tod und ohne Leid alles besser wird.[17] Das gilt aber nur für Christen (Joh 3,16–18). Der Mensch ohne Christus stirbt ins Gericht hinein (Hebr 9,27) und darauf folgt ewiges Leid in der Trennung von Gott (Jes 66,24; Dan 12,2). Insofern muss der Irrtum benannt und aufgedeckt werden: Mit dem Tod ist das Leiden nicht beendet. Wir müssen also evangelisieren und uns gegen den assistierten Suizid einsetzen, auch wenn unsere Argumente nicht immer eingesehen werden. Dabei lässt sich nicht verhindern, dass es auf einige so wirkt, wie der DIGNITAS-Gründer Ludwig A. Minelli es wahrnimmt: „Die Gegner (d. assistierten Suizids, Anm. d. Autors) wollen ihre weltanschauliche Sicht mithilfe des Staates anderen aufzwingen.“[18] Wenn sie es ablehnen, dann zumindest mit dem Hören auf die Warnung: „Warnst du aber den Gottlosen und er kehrt doch nicht um von seiner Gottlosigkeit und von seinem gott-losen Weg, so wird er um seiner Missetat willen sterben; du aber hast deine Seele gerettet!“(Hes 3,18–21, vgl. auch Hes 33,2–9)
Der Mensch ist nicht so autonom, wie er im Rahmen eines atheistischen Weltbilds denken mag. Die Folge der Ignoranz ist schwerwiegend, wie Dr. Matthias Klaus feststellt: „Wer die Autonomie des Menschen von Gott loslöst, zerstört den Menschen. Dieser Kultur des Todes hält die Bibel entgegen, dass Gott allein es ist, der über Anfang und Ende des Lebens befindet. Was (nicht nur) schwer kranke und lebensmüde Menschen brauchen, ist eine lebendige Hoffnung, die über den Tod hinausgeht. Diese Hoffnung findet sich alleine in Jesus Christus, der über sich sagt: ‚Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt‘ (Joh 11,25). In Jesus Christus findet sich eine Antwort, die mitten in die Leid- und Notsituation hineinspricht und Hoffnung bietet, auch über den Tod hinaus.“[19] Wenn jemand diese Wahrheit annimmt, wird er den Trost bei dem finden, der in Mt 11,28 spricht: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, so will ich euch erquicken!“
Der autonome Mensch mag autonom sterben, aber auch sehr einsam. Und dann steht er vor dem Richter. Der Christ hingegen stirbt nicht allein, sondern sein Gott ist bei ihm in jeder Lebenslage (vgl. Ps 125,2). Nur Christen können deshalb Hoffnung im Sterben haben und auch auf Hoffnung hin schwere Leiden ertragen.
Der Theologe Adolf Schlatter schreibt: „Die Gewissheit Gottes gibt uns auch gegenüber dem schwersten Druck und Schmerz die Willigkeit, zu tragen, was uns zugemessen wird, auch gegenüber der schwersten Schuld die Bereitschaft, ihre Folgen zu übernehmen und Gottes Vergebung zu suchen. Die Ziffer der Selbstmorde muß freilich wachsen, wenn zahlreiche Volksgenossen nicht mehr durch eine sichere Autorität an Gott erinnert und nur noch von der Natur und der Welt bewegt werden. Dann müssen sich die Momente häufen, in denen uns das Leben unerträglich scheint.“[20]
Deshalb müssen wir leidende, gottlose Menschen weiter-hin durch die Verkündigung des Evangeliums an Gott erinnern. Für Christen kann der assistierte Suizid kein Weg aus dem Leid sein. Zu guter Letzt ist die Assistenz beim Suizid auch nicht die einzige Möglichkeit, einem Leidenden zu helfen. Auf diese kann der Christ verweisen, da der Suizid keine Möglichkeit der Leidensminderung darstellt.[21]

Das Potential der Palliativmedizin

Sterbehilfe-Organisationen meinen trotzdem, dass Suizidassistenz eine legitime Möglichkeit und vor allem die Ultima Ratio bei schweren Leiden sei. Der Verein Sterbehilfe findet folgende Antwort: „Macht die Palliativmedizin eine Suizidassistenz überflüssig? Nein. Die Palliativmedizin hat in den letzten Jahren enorme Fortschritte in Schmerzbekämpfung gemacht, jedoch kann sie nicht jedem Patienten helfen.“[22]
Doch dem treten Palliativmediziner entschieden entgegen, so wie der einstige Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin Prof. Radbruch: „Es gibt keine Situation, in der die Palliativmedizin nichts mehr anzubieten hat. […] Den sehr wenigen Patienten, bei denen keine ausreichende Symptomlinderung erreicht werden kann, bleibt die palliative Sedierung als Option, um unerträgliches Leid zu lindern.“[23] Der assistierte Suizid ist also im Ernstfall nicht das einzige Mittel gegen „sinnlos gewordene […] Leidensverlängerung“[24]. Es gibt sehr wohl Möglichkeiten Schwerkranken zu helfen, ohne sie zu töten.[25] Das heißt aber leider nicht, dass diese Möglichkeit überall gegeben wird. Deshalb sollte in Deutschland vielmehr darauf hingearbeitet werden, die Palliativmedizin flächendeckend in höchster Qualität zur Verfügung zu stellen, damit jedem die beste Palliativmedizin ermöglicht wird, anstatt ihm einen verfrühten Tod schmackhaft zu machen.[26] So mündet die Debatte letztlich in die Frage, was uns als Gesellschaft das Leben des Einzelnen wert ist.
An dieser Stelle wundert es einen nicht, dass viele Palliativmediziner klare Worte gegen die Suizidassistenz finden, weil sie auch von dem Potential der Palliativmedizin wissen. So können die Herausgeber des Lehrbuchs „Palliativmedizin“, Dr. med. Stein Husebø und Univ. Prof. Dr. Gebhard Mathis, nicht anders, als ihr Kapitel über die Ethik mit folgenden Worten zu schließen: „Eine Gesellschaft, in der der Arzt, aus welchen Motiven auch immer, nicht mehr das Leiden bekämpft, sondern den Leidenden tötet, ist auf dem besten Weg zu einer Menschenfeindlichkeit, die im ‚Kranken‘ und im ‚Leiden‘ nur noch das Unnütze sieht, das durch die Euthanasie beseitigt werden soll. Der Wert, den ein Mensch seinem Leben beimisst, hängt entscheidend von dem Wert ab, den andere seinem Leben beimessen. Seine Würde hängt wesentlich vom Ansehen ab, das er in den Augen der Umwelt hat. Wenn wir ihm zu verstehen geben, dass wir sein Leben so wenig achten, dass wir bereit sind, ihn zu töten, nehmen wir bereits im Voraus seiner Existenz Würde und Wert. Nicht mehr die Erlösung des anderen, sondern die Erlösung vom anderen würde angestrebt. […] Aktive Lebenshilfe ist die Aufgabe und der fachliche und menschliche Inhalt der Palliativmedizin. Das Hauptargument der Palliativmediziner gegen eine Legalisierung der aktiven Sterbehilfe beruht auf der Befürchtung, dass diese Legalisierung der aktiven Sterbehilfe von der heute noch immer nicht ernst genommenen Aufgabe der Ärzte und der Gesellschaft ablenkt, schwer kranken Menschen ein würdevolles Leben bis zu ihrem Tode zu ermöglichen.“[27]
Wie viel mehr müssen wir Christen uns prinzipiell gegen eine Todeskultur stellen, weil wir dem Schöpfer allen Lebens dienen.

„Eine Gesellschaft, in der der Arzt, aus welchen Motiven auch immer, nicht mehr das Leiden bekämpft, sondern den Leidenden tötet, ist auf dem besten Weg zu einer Menschenfeindlichkeit, die im ‚Kranken‘
und im ‚Leiden‘ nur noch das Unnütze sieht, das durch die Euthanasie beseitigt werden soll.“
Dr. med. Stein Husebø & Univ. Prof. Dr. Gebhard Mathis

 

¹ 2011 änderte der 114. Deutsche Ärztetag seine Berufsordnung in § 16 „Beistand für Sterbende“ wie folgt: „Ärztinnen und Ärzte haben Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres Willens beizustehen. Es ist ihnen verboten, Patientinnen und Patienten auf deren Verlangen zu töten. Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten.“ Vgl.: (Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte – MBO-Ä 1997 – in der Fassung der Beschlüsse des 114. Deutschen Ärztetages 2011 in Kiel, in: Deutsches Ärzteblatt, Bd. 108, Nr. 38, 2011, https://www.aerzteblatt.de/pdf.asp?id=106362 (abgerufen am 28.07.2022), S. A 1984–A 1992. Das Ärzteblatt kommentiert es als einen „vorläufigen Schlusspunkt“ (jedenfalls für die Ärzteschaft) hinter der Debatte über den assistierten Suizid im Jahr 2011. (Oduncu, Fuat S./Hohendorf, Gerrit: Assistierter Suizid: Die ethische Verantwortung des Arztes, in: Deutsches Ärzteblatt, Bd. 108, Nr. 24, 2011, https://www.aerzteblatt.de/archiv/93852/Assistierter-Suizid-Die-ethische-Verantwortungdes-Arztes (abgerufen am 28.07.2022), S. A 1362–4.) Gesellschaftlich wurde die Debatte fortgeführt. Sie mündete schließlich 2015 in die Etablierung des § 217 StGB, der ein Verbot über die „Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ verhängte. Fünf Jahre nach der Etablierung des § 217 StGB erklärt das Bundesverfassungsgericht im Februar 2020 den „Sterbehilfeparagrafen für nichtig“. (Bundesverfassungsgericht erklärt Sterbehilfeparagrafen für nichtig, in: Deutsches Ärzteblatt, 2020, https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/109605/ (abgerufen am 28.07.2022).)
² BVerfG: Urteil des Zweiten Senats vom 26. Februar 2020 – 2 BvR2347/15 -, Rn. 1-343, http://www.bverfg.de/e/rs20200226_2bvr234715.html (abgerufen am 28.07.2022). Vgl. Paul, Philip: Suizid ein Menschenrecht?, in: CDK-Rundbrief, Nr. 85, 2021, https://www.cdkev.de/app/download/25615111/Suizid_+ ein+Menschenrecht+_+Philip+Paul.pdf (abgerufen am 28.07.2022), S. 42-48.
³ Hervorhebung des Autors; DIGNITAS: Informations-Broschüre, in: DIGNITAS, o.D., http://www.dignitas.ch/images/stories/pdf/informations-broschuere-dignitas-d.pdf (abgerufen am 28.07.2022).
⁴ Cassel, Eric J.: The nature of suffering and the goals of medicine, in:The New England Journal of Medicine, Bd. 306, Nr. 11, 1982, doi:10.1056/NEJM198203183061104, S. 639-645. (Original: „Most generally, suffering can be defined as the state of severe distress associated with events that threaten the intactness of the person.“) Anm. d. Autors: Der Artikel ist hilfreich in seiner vielfältigen Ausarbeitung der Leidensmöglichkeiten von Personen und der zahlreichen Einflüsse. Er ist aber unzureichend in seiner theologischen und diskussionswürdig in der philosophischen Einordnung.
⁵ ebd., Eric Cassel räumt die Möglichkeit ein, dass Leid widerstanden, ja, getrotzt werden könne. Dadurch bestünde potentiell die Möglichkeit, Leid in Stärke umzukehren (Resilienz). Doch auch hier stellt sich die brisante Frage, wann nicht mehr?
⁶ (Hervorhebung des Autors); Bozzaro, Claudia: Der Leidensbegriff im medizinischen Kontext: Ein Problemaufriss am Beispiel der tiefen palliativen Sedierung am Lebensende, in: Ethik in der Medizin, Bd. 27, Nr. 2, 2015, doi: 10.1007/s00481-015-0339-7, S. 93–106.
⁷ ebd.
⁸ Klaus, Matthias: Kultur des Todes, in: Factum, Nr. 2, 2022, https://www.cdkev.de/app/download/25847027/fac02_2022_S56_57.pdf (abgerufen am 01.08.2022), S. 56-57.
⁹ Diskussionsentwurf – Entwurf eines Gesetzes zur Neufassung der Strafbarkeit der Hilfe zur Selbsttötung und zur Sicherstellung derfreiverantwortlichen Selbsttötungsentscheidung, https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/Gesetze_und_Verordnungen/GuV/S/Diskussionsentwurf_Suizidhilfe_Gesetz.pdf (abgerufen am 28.07.2022), S. 4.
¹⁰ ebd.
¹¹ ebd., S. 13.
¹² Äquivalent und fortgeschrittener ist die Situation in der Abtreibungsdebatte, wo die Autonomie der Mutter über das Leben des Kindes gestellt wird. Auch hier wurde ein sogenanntes Schutzkonzept gesetzlich verankert, welches das ungeborene Leben schützen sollte. Das Ergebnis sind 100.000 Abtreibungen jährlich. (Siehe: Klaus, Matthias: Risikogruppen schützen, in: CDK-Rundbrief, Nr. 84, 2020, https://www.cdkev.de/app/download/25110699/Risikogruppen+schützen.pdf (abgerufen am 01.08.2022), S. 4-5.)
¹³ Dies meint im Prinzip nicht eine auf Regelmäßigkeit, finanzielle Zugewinne oder ähnliches hin angelegte Suizidassistenz.
¹⁴ „Mund auf, Knarre rein, abdrücken“, in: DER SPIEGEL, 31.03.2018, https://www.spiegel.de/spiegel/schwerstkranke-kaempfen-fuerdas-recht-auf-sterbehilfe-a-1200672.html (abgerufen am 01.08.2022). »Wir sind nicht Christus«, in: DER SPIEGEL, 09.11.2014, https://www.spiegel.de/politik/wir-sind-nichtchristus-a-43321e08-0002-0001-0000-000130223268 (abgerufen am 01.08.2022). Suizid auf Rezept, in: DER SPIEGEL, 22.06.2020, https://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/sterbehilfe-wissenschaftler-wollen-suizid-auf-rezept-gesetzlich-regeln-a-8fd1fb29-4158-47bf-a77c-22aeb-6975fe9 (abgerufen am 01.08.2022).
¹⁵ Pankratz, Mira: Leben und Sterben in Deutschland 2021 – Gedanken zu einer paradoxen Entwicklung, in: CDK, 2021 https://www.cdkev.de/ethik-am-lebensende/leben-und-sterben-in-deutschland-2021/ (abgerufen am 28.07.2022).
¹⁶ Koberschinski, Jonas: Assistierter Suizid & Menschenwürde – Eine biblisch-theologische Einordnung, in: CDK-Rundbrief, Nr. 85, 2021, https://www.cdkev.de/app/download/25615118/Assistierter+Suizid++Menschenwürde_+Eine+biblisch-theologische+Einordnung_+J.+Koberschinski.pdf (abgerufen am 28.07.2022), S. 49-53.
¹⁷ vgl. Pankratz, Mira: Leben und Sterben in Deutschland 2021 – Gedanken zu einer paradoxen Entwicklung, in: CDK, 2021, https://www.cdkev.de/ethik-am-lebensende/leben-und-sterben-in-deutschland-2021/ (abgerufen am 28.07.2022).
¹⁸ Stoffel, Deborah: «Unser Ziel? Irgendwann zu verschwinden», in: Landbote, 2017, https://www.landbote.ch/front/unser-ziel-irgendwann-zu-verschwinden/story/25591753 (abgeru-fen am 28.07.2022).
¹⁹ Klaus, Matthias: Kultur des Todes, in: Factum, Nr. 2, 2022, https://www.cdkev.de/app/download/25847027/fac02_2022_S56_57.pdf (abgerufen am 01.08.2022), S. 56-57.
²⁰ Schlatter, Adolf, „Die christliche Ethik“, 5. Aufl., Stuttgart, Deutschland: Calwer Verlag, 1986, S. 391f.
²¹ siehe in diesem Magazin, S. 67: Markus Vogel, „Palliativmedizin – eine echte Alternative“
²² Häufige Fragen, in: Verein Sterbehilfe, o.D., https://www.sterbehilfe.de/haeufige-fragen/ (abge-rufen am 28.07.2022).
²³ Urban & Vogel: Palliativmedizinische Maßnahmen ausschöpfen, in: Pflegemagazin, Bd. 66, Nr. 12, 2014, doi: 10.1007/s00058-014-1026-7.
²⁴ Über uns, in: Verein Sterbehilfe, o.D., https://www.sterbehilfe.de/ueber-uns/ (abgerufen am 28.07.2022).
²⁵ Das entspricht dem Auftrag der Ärzte. E. Cassel erinnert daran: „Die Genesung vom Leiden ist oft mit Hilfe verbunden, so als ob Menschen, die Teile ihrer selbst verloren haben, durch die Persönlichkeit anderer gestützt werden können, bis ihre eigene wiederhergestellt ist. Dies ist eine der verborgenen Funktionen von Ärzten: Kraft zu geben.“, Cassel, Eric J.: The nature of suffering and the goals of medicine, in: The New England Journal of Medicine, Bd. 306, Nr. 11, 1982, doi: 10.1056/NEJM198203183061104, S. 639-645. (Original: „Recovery from suffering often involves help, as though people who have lost parts of themselves can be sustained by the personhood of others until their own recovers. This is one of the latent functions of physicians: to lend strength.“)
²⁶ Günstig würde das natürlich nicht werden. Prof. Dr. med. Christoph von Ritter (Internist) wies in der Tagespost auf den damit zusammenhängenden weiteren ungenannten Grund für den assistierten Suizid hin: Den Kostenfaktor. „Natürlich spielen ökonomische Aspekte in der Diskussion eine Rolle. Die meisten Kosten in der Krankenversicherung fallen in den letzten drei Lebensmonaten vor dem Tod an (Zweifel et al., Health Econ 8: 485 ff., 1999). Eine verkürzte Lebensdauer setzt also Rationalisierungspotenziale frei. Nietzsches „Stirb zur rechten Zeit“ bedeutet in diesem Zusammenhang, den Einzelnen davon zu überzeugen, sich tunlichst „freiwillig“ durch Suizid aus den Sozialsystemen zu entfernen, sobald er die Pflichten als Beitragszahler nicht mehr erfüllen kann und nur noch (ein, Anm. d. Autors) schwer erträglicher Kostenfaktor ist. Da macht es Sinn, anstatt für Verbesserungen bei der Versorgung zu kämpfen, Angst und Schrecken vor Krankheit, Altern, demenzieller Entwicklungen und Verlust der Selbstständigkeit durch Pflegebedürftigkeit zu schüren. Zusammen mit demographischen Horrorszenarien ist es gelungen, eine kollektive Paranoia zu verursachen. Als Ausweg aus den Schrecken des Alterns wird der frühzeitige, „selbstbestimmte“ Tod propagiert.“ In: Christoph von Ritter, Suizidalität ist eine heilbare Krankheit, Die Tagespost, 2014, https://www.die-tagespost.de/politik/suizidalitaetist-eine-heilbare-krankheit-art-152515 (abgeru-fen am 28.07.2022).
²⁷ Husebø, Stein (Hrsg.)/Mathis, Gebhard (Hrsg.): Palliativmedizin, 6. Aufl., Springer, Berlin, Hei-delberg, doi: 10.1007/978-3-662-49039-
6_2, S. 75.

 

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INTERVIEW: Und trotzdem Hoffnung?

Hilfe nach einer Abtreibung

Patricia Nestvogel

ist seit 1987 mit Dr. Wolfgang Nestvogel verheiratet und unterstützt ihn als Ehefrau im Gemeindedienst. Sie erfreuen sich an 2 Kindern mit Schwiegerkindern und 2 kleinen Enkeln.

Birgit Karahamza

ist verheiratet mit Dündar Karahamza, einem ehemaligen Moslem aus der Türkei, der zum lebendigen Glauben an Jesus Christus gekommen ist. Sie haben 4 Kinder. Frau Karahamza leitet eine Zweigstelle der Lebensrechtsorganisation „KALEB e. V.“ in Hannover-Langenhagen.

Patricia Nestvogel:
Liebe Frau Karahamza, herzlichen Dank, dass Sie sich die Zeit zu diesem Interview nehmen, denn ihre Tage sind immer sehr ausgefüllt, auch als Leiterin der Kaleb-Zweigstelle. Was ist das größte Problem für eine Frau, die eine Abtreibung hinter sich hat?

Birgit Karahamza:
Es ist wichtig, geduldig zu sein und da, wo es geht, Verständnis zu signalisieren. Oftmals werden Frauen, die abtreiben, auch von anderen Personen dazu gedrängt oder falsch beraten. Man muss sich Zeit zum Zuhören nehmen, damit die Frauen das Geschehene zusammen mit der Vorgeschichte erzählen können. Diese Gespräche können zum Teil Stunden dauern. Es muss der betroffenen Frau versichert werden, dass sie sich zu jeder Zeit wieder melden darf und man für weitere Gespräche gern zur Verfügung steht. Sie sollte aber nicht gedrängt werden.

Patricia Nestvogel: Wie kann man taktvoll mit der Schuldfrage umgehen?

Birgit Karahamza:
Meine Erfahrung ist es, dass Frauen häufig die Schuldfrage von selber ansprechen. Aber dies geschieht meist nicht gleich in den Erstgesprächen, sondern später. Wenn ein gewisses Vertrauen vorhanden ist, kann man dieses Thema der Schuld auch ansprechen.

Patricia Nestvogel: Welche Hilfestellung können wir vom christlichen Glauben her geben?

Birgit Karahamza:
Schuld kann nicht wegtherapiert werden, Schuld muss vergeben werden. Das kann nur der allmächtige Gott. Dieser hat Vergebung ermöglicht durch den Glauben an die stellvertretende Erlösung seines Sohnes Jesus Christus am Kreuz. Viele Frauen berichten auch, dass sie eine sehr schwere Last durch diese Schuld mit sich getragen haben und nach der Vergebung erst wieder richtig leben konnten. Weitere seelsorgerliche Begleitung und Kontakt zu einer bibeltreuen Gemeinde sind wichtig.

Patricia Nestvogel: Kennen Sie ein Beispiel, wo eine Frau nach einer geschehenen Abtreibung die Tragweite erkannt hat und schließlich auch zum Glauben an Jesus Christus gekommen ist?

Birgit Karahamza:
Ja, eine solche Frau ist mir gut bekannt. Weil sie ihre beruflichen Vorstellungen verwirklichen wollte, hat sie das Kind abgetrieben. Im Krankenhaus lagen bei ihr im Zimmer auch Frauen, die ein Baby bekommen haben. Das hat sie aufgerüttelt. Als sie zurück nach Hause kommt, unternimmt sie einen Selbstmordversuch, der daran scheitert, dass die Nachbarin rechtzeitig vorbeischaut. Danach erhält sie eine Arztdiagnose, dass sie nie mehr Kinder bekommen kann. Sie lernt Christen kennen und darf zum lebendigen Glauben an Jesus Christus finden. Dann heiratet sie auch und bringt 5 Kinder zur Welt. Sie setzt sich nun selber im Lebensschutz ein und in der Seelsorge.

Hilfe für Schwangere und Mütter in Not:
www.CDKev.de oder
www.kaleb.de/gruppe/region-hannover-langenhagen/

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Foto von National Cancer Institute auf Unsplash


Diagnostik in der Schwangerschaft

Ja, Nein, Vielleicht?

Wenn die Frau voller Erwartung und mit Herzklopfen den Teststreifen in den Urinbecher taucht und dieser nach wenigen Minuten zwei Balken zeigt, macht die Seele einen Freudensprung. Die überwältigende Vorstellung, dass kürzlich im eigenen Körper neues Leben entstanden ist, lässt sich gar nicht richtig fassen. Am liebsten würde man es in die ganze Welt hinausjubeln. Viele Paare behalten diese Freudenbotschaft jedoch einige Wochen noch ganz für sich. Denn mit der Freude wächst gleichwohl die Sorge; die Sorge, es könnte doch noch schiefgehen mit dem neuen Leben – insbesondere in den ersten zwölf Wochen, wenn das Risiko einer Fehlgeburt am höchsten ist. Schon zu Beginn einer Schwangerschaft, bevor man dieses Wunder selbst realisiert hat und während man sich emotional ordnen muss, wird man beim Frauenarzt mit diversen Untersuchungen konfrontiert, der sogenannten Pränataldiagnostik (prä = vor; natal = geburtlich; Diagnostik = Untersuchung). Im weiteren Sinne umfasst die Pränataldiagnostik jegliche Untersuchungen, die während der Schwangerschaft an der Schwangeren oder am Kind durchgeführt werden.

Einerseits gibt es zum Beispiel Blutdruck-, Urin- und Gewichtskontrollen, sowie die drei Standard-Ultraschalluntersuchungen entsprechend der Mutterschaftsrichtlinien. Und andererseits erstreckt sich, oft auf hübschen Flyern beworben, eine Palette an möglichen Untersuchungen, die überwiegend selbst bezahlt werden müssen. Hierbei handelt es sich in der Regel um Untersuchungen, die eine Aussage darüber treten sollen, inwiefern das Kind im Bauch auch dem gesunden, fehlbildungsfreien Wunschkind entspricht. Auf diese Art der Pränataldiagnostik im engeren Sinne und insbesondere auf ihre ethische Beurteilung und praktischen Auswirkungen wird im Folgenden näher eingegangen.

Gängige pränataldiagnostische Methoden

Als ungefährliche, nicht-invasive Diagnostik wird den Schwangeren in der Regel das Ersttrimester-Screening, der Feinultraschall und ein molekulargenetischer Bluttest, auch Nicht Invasiver-Pränataltest (NIPT) genannt, angeboten. Zu betonen ist hier, dass sich das Adjektiv „ungefährlich“ darauf bezieht, wie niedrig die Wahrscheinlichkeit ist, dass das Kind im Mutterleib beim Durchführen der Diagnostik Schaden nimmt. Beim Ersttrimester-Screening wird aus verschiedenen Faktoren (Hormonspiegel, Nackenfaltentransparenz und weiteren Parametern wie Alter der Mutter, medizinische Vorgeschichte, Raucherstatus, gegebenenfalls Nasenbeinverknöcherung, etc.) eine Wahrscheinlichkeit errechnet, mit der eine Veränderung des kindlichen Erbgutes oder andere Fehlbildungen auftreten könnten. Findet sich ein ausfälliges Ergebnis, wird zu weiterer invasiver Diagnostik geraten. Beim Feinultraschall werden die Organe des Kindes, sowie Nabelschnur, Plazenta und umgebende Gefäße von einem Spezialisten besonders genau und intensiv beurteilt und ausgemessen. Empfohlen wird dieser Ultraschall bei Auffälligkeiten im Rahmen der Untersuchungen gemäß der Mutterschaftsrichtlinien, beziehungsweise entsprechenden Risikoschwangerschaften. Er wird häufig auch ohne diese vorherige Risikokalkulation auf eigene Kosten der Schwangeren durchgeführt. Wo besonders viele Messdaten erhoben werden, ohne dass im Vorhinein von einem erhöhten Risiko auszugehen ist, muss man sich immer dessen bewusst sein, dass Abweichungen von der Norm nicht zwangsweise mit Krankheit einhergehen, aber dennoch Unsicherheit zurücklassen. Relativ neu im Portfolio der Pränataldiagnostik ist der NIPT. Hierbei handelt es sich lediglich um eine Blutentnahme bei der Mutter. Es werden dann Häufigkeiten verschiedener fetaler DNA-Fragmente im mütterlichen Blut ausgezählt. Darüber können Rückschlüsse auf den fetalen Rhesusfaktor, sowie auf eventuelle Erbgutabweichungen gezogen werden (Trisomie 13, 18, 21 und Abweichungen der X- und Y-Chromosomen). Durch das Ermitteln des Rhesusfaktors des Kindes kann bei einer Rhesus-D-negativen Mutter die Gabe von möglicherweise nicht notwendigen Immunglobulinen verhindert werden. Die molekulargenetischen Bluttests haben eine recht genaue Vorhersagekraft. Aber auch hier muss beachtet werden, dass ein Ergebnis bei einer Schwangeren, die vorher kein Risikoprofil für das Gebären eines kranken Kindes hat, nur eine eingeschränkte Aussagekraft bietet.[1,2] Invasive Pränataldiagnostik kommt in der Regel nur dann zum Einsatz, wenn sich bei der nicht-invasiven Diagnostik ein erhöhtes Risiko für eine Erbkrankheit oder Fehlbildung ergibt. Jede dieser invasiven Methoden erhöht das Fehlgeburtsrisiko – wenn auch oft nur in geringem Ausmaß – eines möglicherweise gesunden Kindes. Am häufigsten wird eine Amniozentese (Fruchtwasseruntersuchung) durchgeführt. Aber auch eine Chorionzottenbiopsie (Plazentapunktion) oder Chordozentese (Nabelschnurpunktion) kann erfolgen. Bei letzterem Eingriff können nicht nur Aussagen über genetische Stoffwechselerkrankungen oder Chromosomenveränderungen getroffen werden, sondern es können auch Tests auf bestimmte Antikörper und Bluterkrankungen, sowie in therapeutischer Hinsicht eine Bluttransfusion für das Ungeborene erfolgen.[3,4]

Umgang mit Pränataldiagnostik als Christ

Zugespitzt kann man sagen, dass der Großteil der pränatalen Diagnostik im engeren Sinne auf eine Abtreibung eines möglicherweise kranken Kindes abzielt. Als Christ ist man zwar nach dem Prinzip aus dem 14. Kapitel des Römerbriefes in vielen Alltagsentscheidungen seinem von Gott gegebenen Gewissen unterworfen. Das Ermorden eines Menschen, egal ob geboren oder ungeboren, fällt aber nicht in diese Kategorie. Hier finden wir in 2. Mose 20,13 eine klare Aussage: „Du sollst nicht töten!“ Damit wird von Gott jedes Leben als lebenswert eingestuft. Auch wenn für christliche Paare feststeht, dass sie ihr Kind unter keinen Umständen abtreiben würden, klingt es verlockend, vorher wissen zu können, ob das Kind gesund ist oder man sich auf ein krankes Kind einstellen muss. Bevor man sich dafür entscheidet eine risikoarme, nicht-invasive Pränataldiagnostik, wie zum Beispiel den NIPT oder das Ersttrimester-Screening, in Anspruch zu nehmen, sollte man sich folgender Umstände bewusst sein: Eine solche Diagnostik kann lediglich 4,5% aller Behinderungen überhaupt erkennen. 95,5¿% der körperlichen und geistigen Einschränkungen entstehen erst im Laufe des Lebens. Was die Untersuchungen ebenfalls nicht leisten können, ist eine Aussage darüber zu treffen, wie hoch das Maß der Auswirkung einer gefundenen Auffälligkeit im Leben des noch nicht geborenen Menschen sein wird. Sowohl das Ersttrimester-Screening als auch der NIPT zeigen nur ein Risiko für eine Erkrankung an, begründen aber keine Diagnose. Tritt der Fall ein, dass ein Testergebnis ein erhöhtes Risiko für eine angeborene Erkrankung angibt, wie zum Beispiel das Down-Syndrom, dürfte das Gefühl der Angst und Sorge im Vordergrund stehen. Falsch-positive Ergebnisse sind insbesondere beim Ersttrimester-Screening aber leider keine Seltenheit. Deshalb wird bei einem auffälligen Ergebnis eine invasive Folgediagnostik (zum
Beispiel eine Amniozentese, Chorionzottenbiopsie oder Chordozentese) empfohlen, die das bereits oben erwähnte Fehlgeburtsrisiko mit sich bringt. Nur in ca. 4% der Fälle zeigen sich in dieser Folgediagnostik tatsächlich genetische Veränderungen.[5] Konkret bedeutet dies: Zwischen Ersttrimester-Screening und weiterführender Diagnostik liegen quälende Tage bis Wochen voller Ungewissheit und Sorge und man unterzieht Mutter und Kind einer medizinischen Maßnahme, die bei einem (oft kerngesunden) Kind ein erhöhtes Fehlgeburtsrisiko in Kauf nimmt. Werden bereits bei den Standard-Vorsorgeuntersuchungen gemäß der Mutterschaftsrichtlinien Anzeichen für eine Erkrankung des Kindes gefunden, wird der Gynäkologe zu weiteren, angemessenen Untersuchungen raten. Wird in dieser Situation beispielsweise ärztlicherseits ein Feinultraschall empfohlen und durchgeführt und die Hinweise auf eine Fehlbildung festigen sich, sollte zum Wohl des Kindes in einer größeren Klinik mit Neonatologie entbunden werden. Die Therapie eines nachweislich kranken Kindes vor der Geburt ist nur enorm selten, zum Beispiel im Rahmen einer fetalen Bluttransfusion, möglich und nötig. Genetische Veränderungen sind aktuell pränatal nicht therapierbar und die operative Fetalmedizin ist risikoreich und beendet sich in einem experimentellen Stadium.[3] Um dem Für und Wider jeglicher Diagnostik in der Schwangerschaft aus dem Weg zu gehen, könnte man sich auch dafür entscheiden, diese vollständig abzulehnen. Man darf hierbei aber nicht außer Acht lassen, dass Eltern schon vor der Geburt Verantwortung für ihr Kind tragen. Wenn die medizinischen Mittel zur Verfügung stehen, das Wohl von Mutter und Kind zu fördern, dann sollte dies im Rahmen der Vorsorgeuntersuchungen auch wahrgenommen werden. Abseits der Frage, ob ein Kind im Mutterleib getötet werden sollte, bleibt es am Ende die Entscheidung der Eltern, welche diagnostischen Optionen sie in der Schwangerschaft durchführen lassen wollen. Bei dieser Entscheidung unterliegen sie keinem menschlichen Gesetz, sondern ihrem Gewissen vor Gott. Wichtige Prinzipien, die dabei einbezogen werden sollten, sind, ob ein therapeutisches Ziel aus dem Ergebnis der Diagnostik erfolgen kann oder ob das Leben des Kindes und das der Mutter unnötig gefährdet werden.

Einfluss der Pränataldiagnostik auf unsere Gesellschaft

Die Möglichkeit, eine pränatale Diagnostik durchzuführen, stellt nicht nur werdende Eltern in ihrer konkreten Situation vor viele Fragen, sondern sie hat auch Auswirkungen auf unsere Gesellschaft und den Zeitgeist und umgekehrt. Mithilfe der Pränataldiagnostik kann man schon vor der Geburt eines Kindes Informationen über dessen Gesundheitsstatus erlangen. Die Frage, die sich zwangsläufig daraus ergibt, ist, welche Konsequenzen eine Nation oder auch Einzelpersonen daraus ziehen. In unserem Grundgesetz steht, dass die Würde des Menschen und somit auch sein Leben unantastbar sind. Dennoch wurde von den Volksvertretern unseres Landes festgelegt, dass in bestimmten Fällen Leben im Mutterleib getötet werden darf. Darunter fällt das Leben, bei dem es Hinweise auf bestimmte Gendefekte, wie zum Beispiel Trisomie 21, gibt. Durch den bereits vorherrschenden Zeitgeist geprägt wurde in Deutschland entschieden, dass die Lebensqualität der Mutter gegen das Leben des Kindes abgewogen werden darf. Die Idee, dass diese zwei Güter überhaupt gegeneinander abgewogen werden dürfen, entsteht dadurch, dass die Selbstbestimmung rechtlich wie moralisch höher gewertet wird als das Leben. Dies wurde kürzlich durch ein Urteil vom Bundesverfassungsgericht in Bezug auf die deshalb jetzt gestattete Suizidbeihilfe bestätigt. Die überaus hohe Wichtigkeit, die der Selbstbestimmung beigemessen wird, lenkt den Blick der Einzelnen weg vom Nächsten und weg von der Gesellschaft als Ganzes hin zu sich selbst und nährt infolgedessen den Egoismus dieser Einzelnen. Die Inanspruchnahme der Pränataldiagnostik ist folglich häufig ein Ausdruck dieser starken Selbstbezogenheit. Wenn man sich aller Konsequenzen im Vorhinein bewusst ist, kann man die Motivation für die Untersuchungen wie folgt zuspitzen: „Ich möchte kein behindertes Kind haben und bin bereit, dafür menschliches Leben zu töten.“ Beim Umhören unter werdenden Eltern oder jenen, die es gerne werden wollen, trifft man oft auf weniger eindeutige Aussagen zu diesem Thema. Während die meisten „zur Beruhigung, dass alles in Ordnung ist“ eine pränatale Diagnostik durchführen lassen wollen, stößt man auf enorme Unsicherheit bei der Frage, ob sie ein vermeintlich krankes Kind abtreiben würden. Diese Unsicherheit entpuppt sich als lebensgefährlich für das ungeborene Kind, denn einer aktuellen Studie zufolge werden in Europa geschätzt mehr als die Hälfte der Kinder mit entsprechender pränataler Diagnose beziehungsweise pränatalem Risiko abgetrieben. In Medienberichten der Welt oder des Spiegels wird erwähnt, dass es sogar noch deutlich mehr sind.[6] Die meisten Schwangeren würden die Veranlassung einer Pränataldiagnostik vielleicht sogar mit dem Kindswohl begründen, indem sie behaupten zu wissen, das Sterben im Mutterleib sei für das Kind besser als ein womöglich kurzes Leben mit gesundheitlichen Einschränkungen. Menschen entscheiden hier in einem Land der Selbstbestimmung über Lebensqualität und Leben anderer. Natürlich gibt es auch Eltern, die auf die pränatale Diagnostik verzichten und ein Kind mit abnormaler Genetik zur Welt bringen oder die ihr Kind trotz auffälligen, pränatalen Befunds zur Welt bringen. Sie bejahen das Leben und maßen sich nicht an, über die Würde und Lebensqualität eines anderen Menschen zu urteilen. Wenn man sich in Internetforen oder gar in seinem privaten Umfeld unter Betroffenen umhört, die ein Kind mit Behinderung, wie dem Down-Syndrom, zur Welt gebracht haben, findet man quasi niemanden, der im Nachhinein sagt, er hätte lieber abgetrieben. Im Gegenteil sehen sich viele dieser Paare unter einem Rechtfertigungsdruck ausgehend von der Gesellschaft, wieso sie das Leben ihres gesundheitlich eingeschränkten Kindes nicht verhindert haben.[7] Hier kristallisiert sich heraus, wie es in unserem Land wirklich um die überall propagierte und von der Politik stolz vor sich her getragene „Toleranz und Gleichberechtigung“ steht. Eine Frage, die sich aus der gesetzlichen Legalität des Tötens eventuell kranker, ungeborener Kinder ergibt, ist, wieso Leben mit Behinderung nicht generell beendet wird, wenn es entsprechend der Mehrheitsmeinung nicht lebenswert erscheint? Wo ist der Unterschied, ob es vor oder nach der Geburt geschieht? Wer kann und darf Entscheidungen über die Menschenwürde und das Leben anderer treffen? Abgeordnete im Bundestag, die sich möglicherweise keine tiefgehenden Gedanken über diese Situationen gemacht haben und ihnen ferner stehen denn je? Emotional aufgeriebene Eltern, denen es bei einem „schlechten Ergebnis“ der Pränataldiagnostik kaum möglich ist einen einzigen klaren Gedanken zu fassen? Angehörige am Rande der Belastungsgrenze? Das Leben von jedem von uns ist in Gefahr, wenn es derartiger menschlicher Willkür unterliegt. Daraus leitet sich die Notwendigkeit ab, dass es eine übergeordnete (göttliche) Macht geben muss, um Leben und Menschenwürde zu garantieren. Als Christen dürfen wir wissen, dass dies der Gott der Bibel ist. In seinem Wort lässt er uns unmissverständlich wissen, dass wir uns für das Leben – insbesondere von Kindern – und gegen den Mord einsetzen sollen:

Aus dem Mund von Kindern und Säuglingen hast du ein
Lob bereitet um deiner Bedränger willen, um den Feind
und den Rachgierigen zum Schweigen zu bringen.
Psalm 8,3

Was ist der Mensch, dass du an ihn gedenkst, und der
Sohn des Menschen, dass du auf ihn achtest?
Psalm 8,5

Aber Jesus rief sie zu sich und sprach: Lasst die Kinder
zu mir kommen und wehrt ihnen nicht, denn solcher ist
das Reich Gottes.
Lukas 18,16

Fazit

Bevor man sich Gedanken über medizinische Diagnostik im Rahmen einer Schwangerschaft macht, sollte man sich als Christ zweier Dinge bewusst sein:
1. Jedes noch so kurze Leben ist in Gottes Augen würdig und vollendet; auch das Leben eines Kindes mit genetischen Auffälligkeiten, die nur eine geringe Lebenserwartung erhoffen lassen.
2. Jedes Ehepaar sollte bereit sein auch ein behindertes Kind (gegebenenfalls mit Hilfe) zu lieben und nach Gottes Willen groß zu ziehen. Man sollte darüber nachdenken, darüber mit seinem Ehepartner sprechen und kein Tabu-Thema daraus machen. Gleichzeitig müssen wir als Christen immer wieder darauf achten, dass unser Bild von Familie nicht durch Mainstream-Medien und eine Schein-Idylle, wie sie oftmals in den sozialen Netzwerken zu finden ist, geprägt wird, sondern durch die Bibel. Um in diesem Zusammenhang auf die pränatale Diagnostik zurückzukommen, sollten wir uns folgendes vor Augen führen: Mit dem Verschmelzen von Eizelle und Spermium entsteht neues Leben und ab diesem Zeitpunkt besteht auch eine elterliche Fürsorgepflicht. Das Wohl des Kindes sollte höchste Priorität haben. Alle pränatale Diagnostik, die das Leben und die Gesundheit des Ungeborenen und der Schwangeren fördert, kann dazu beitragen. Pauschal zusammengefasst fallen darunter alle Untersuchungen, die im Rahmen der Mutterschaftsrichtlinien durchgeführt werden. Pränatale Diagnostik im engeren Sinne, die die Existenz des Kindes durch eine Abtreibung zur Diskussion stellt, sollte als Christ abgelehnt werden. Der Weg zum Designer- Baby scheint heute nicht mehr allzu weit zu sein. Doch der Gläubige steht immer wieder vor der Frage: Vertraue ich Gott oder vertraue ich der Medizin, und damit Menschen, um Sicherheit, Beruhigung oder erfüllte Wünsche zu erlangen.

[1] Deutsches Ärzteblatt, „Nichtinvasive Pränataltests: Warum diagnostische Tests oft…“, Deutsches Ärzteblatt, 29. Januar 2020. https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/108646/Nichtinvasive-Praenataltests-Warum-diagnostische-Tests-oft-fehlinterpretiert-werden (zugegriffen 20. Mai 2022).
[2] „Rechnung mit vielen Unbekannten“, Deutsche Hebammen Zeitschrift. https://www.dhz-online.de/archiv/archiv-inhalt-heft/archiv-detail-leseprobe/artikel/rechnung-mit-vielen-unbekannten/ (zugegriffen 20. Mai 2022).
[3] „Vorgeburtliche Therapien: Pränataldiagnostik | Was? Wie? Wozu?“ http://www.xn--prnatal-info-hcb.at/de/moeglichkeiten-bei-auff aelligen-befunden/vorgeburtliche-therapien-der-ungeborene-patient.html (zugegriffen 13. November 2021).
[4] „Was ist Pränataldiagnostik?“ https://www.pnd-beratung.de/was-ist-praenataldiagnostik/#zahlen-und-fakten (zugegriffen 10.November 2021).
[5] „Ersttrimester-Screening: Untersuchungen zur Risikoeinschätzung“. https://www.familienplanung.de/schwangerschaft/praenataldiagnostik/risikoeinschaetzungen/ (zugegriffen 21. Mai 2022).
[6] G. de Graaf, F. Buckley, und B. G. Skotko, „Estimation of the number of people with Down syndrome in Europe“, Eur J Hum Genet, Bd. 29, Nr. 3, Art. Nr. 3, März 2021, doi:10.1038/s41431-020-00748-y.
[7] Spiegelautorin – anonym, „Die Angst vor dem eigenen Kind“, DER SPIEGEL, Bd. 30, S. 32–34, Juli 2022.
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Kinder stark machen

Dem Genderwahn mir Hilfe von Gottes Wahrheit begegnen

Im Jahr 2022 kam ein neuer Disney-Kinderfilm in die deutschen Kinos. Dieser besondere Film wird von dem christlichen Journalisten Brett McCracken wie folgt beschrieben: „Der neueste Film ‚Strange World‘ ist der erste Disney-Kinderfilm mit einer offen schwulen Hauptfigur, die Homosexualität des Protagonisten und eine Romanze mit einem anderen Teenager spielen eine wesentliche Rolle. Die Beziehung wird von der Familie gefördert – die Filmemacher wollen ganz klar, dass die Kindergartenkinder im Publikum davon ausgehen, dies sei so natürlich.“ Es verblüfft darüber hinaus, dass diese Themen im Trailer des Films keinerlei Erwähnung, nicht einmal Andeutung finden. Versteckte Indoktrination in Reinform!
Am Beispiel dieses Films können wir sehen, wie stark unsere Kinder von Gender-Themen umgeben sind und von klein auf in ihrem Denken umerzogen werden. Die LGBTQ-Bewegung hat es geschafft, das biblische Symbol des Regenbogens für sich zu vereinnahmen und inhaltlich neu zu füllen. Umso wichtiger ist es, dass wir ihnen erklären, dass Gott sich genau zwei Geschlechter ausgedacht hat: Mann und Frau. Und diese sind nicht frei wählbar. Ganz anders behauptet es die Gender-Bewegung. Sie behauptet, dass erst dann, wenn ein Mensch das eigene Geschlecht frei wählen kann, er frei von jeglichen einengenden Stereotypen und gesellschaftlichen Zwängen ist und sich individuell entfalten kann.
Was als große Selbstbestimmung und Errungenschaft proklamiert wird, ist jedoch alles andere als Freiheit und erfülltes Leben. Die konservative Autorin Birgit Kelle bringt es auf den Punkt: „Schon jetzt lässt sich feststellen, dass die große ‚Befreiung‘ des Menschen durch Gendergerechtigkeit in Wahrheit nichts mit Freiheit zu tun hat, sondern nur mit der Verschiebung von Machtverhältnissen, der Schaffung anderer Verbote und neu konstruierter Normen. Es wartet kein befreites Paradies hinter dem gendersensiblen Regenbogen, es wechseln nur die Aufseher. […] Wer die Normen angreift, muss sich im Klaren sein, dass er damit auch Stabilität und Zusammenhalt aufgrund bisheriger Werte über Bord wirft und Risiken schafft, deren Folgen noch niemand absehen kann. Zerstörung schafft zunächst Trümmer.“ (??? Noch Normal? Das lässt sich gendern. Gender-Politik ist das Problem, nicht die Lösung. FinanzBuch Verlag (2020), S. 12.)
Weiter formuliert Kelle, dass die Gender-Bewegung längst nicht mehr eine Minderheitenbewegung ist, die bei der Mehrheit der Gesellschaft nach Akzeptanz sucht, sondern eine Bewegung, die „[…] die Zerstörung der Normalität als erklärtes Ziel propagiert, um den neuen Menschen aus den Ruinen wieder auferstehen zu lassen, falls er danach nicht verkrüppelt sein sollte.“ (???Noch Normal? Das lässt sich gendern, S. 13.)
Vor dieser Zerstörung müssen wir unsere Mitmenschen und unsere Kinder schützen. Den Lügen der Gender-Ideologie müssen wir Gottes Wahrheit entgegenstellen!

Wie können wir unseren Kindern einen biblischen Umgang mit der Gender-Ideologie nahebringen, ohne sie zu überfordern?

Die zwangsläufige Auseinandersetzung mit der Geschlechter-Frage ist eine Chance, um unseren Kindern die göttliche Schöpfungsordnung zu vermitteln. Die große Herausforderung dabei besteht darin, eine gesunde Balance zu finden, sodass unsere Kinder einerseits vor den schädlichen Auswirkungen der Gender-Propaganda geschützt und abgeschirmt werden (erst recht, wenn sie noch sehr klein sind). Andererseits müssen sie jedoch auch von uns inhaltlich vorbereitet werden, sodass sie den schädlichen Lügen der Gender-Ideologie Gottes Wahrheit entgegensetzen können und aus eigener Überzeugung heraus einen gefestigten Charakter entwickeln, um diese Lügen nicht zu glauben oder gar ihr Leben danach auszurichten.
Zusätzlich müssen wir ihnen starke Argumente an die Hand geben, um auch in dieser Diskussion Salz und Licht in einer gottlosen Welt zu sein (vergleiche Philipper 2,14–16), die die Selbstbestimmung – unter anderem für das eigene Geschlecht – zu ihrem Gott gemacht hat und auch in dieser Frage die biblische Wahrheit und rettende Botschaft des Evangeliums hören muss.

Praktische Hilfen für die Stärkung unser-er Kinder im Umgang mit der Gender-Ideologie

  • Gottes Ordnung anhand von Bibelstellen erklären:
    Die Stellen gemeinsam in der Bibel lesen und den Kindern nachweisen, dass die Realität von den zwei Geschlechtern männlich und weiblich nicht nur unsere persönliche Privatmeinung, sondern eine von Gott gegebene Ordnung ist, die das Beste für den Menschen im Sinn hat.
  • Unsere Kinder vor unschönen Details, Begriffen und vor detaillierten Darstellungen und Ausführungen der ausgelebten Sünde bewahren: Unzucht aber und alle Unreinheit oder Habsucht soll nicht einmal bei euch erwähnt werden, wie es Heiligen geziemt. (Epheser 5,3)
  • Den Kindern erklären, dass Gottes Ordnung ein Schutz für den Menschen ist: Gott möchte dem Menschen dadurch nichts Gutes wegnehmen oder vorenthalten.
  • Ihnen ebenfalls erklären, dass Menschen, die sich im falschen Geschlecht geboren fühlen oder der Gender-Ideologie glauben, unser Gebet, unsere Nächstenliebe und im Letzten Jesus brauchen: Gott hasst die Sünde, aber liebt jeden Sünder.
  • Als Eltern selbst Vorbild sein und Gottes Rollenbild eindeutig vorleben: Unsere Taten müssen unsere Worte unterstreichen und nicht durchstreichen. Gott hat die Männer dazu berufen, die Familie sanftmütig und besonnen zu führen (vergleiche Epheser 5,25ff. und 1. Petrus 3,7) und die Frauen dazu berufen, sich dieser Führung willig, freudig und respektvoll als beratende Gehilfin unterzuordnen (vergleiche Epheser 5,22–33 und 1. Petrus 3,1–2). Auf die Frage der Ausgestaltung der biblischen Rollenbilder kann hier nicht ausführlicher eingegangen, aber mithilfe folgender Lektüre weiter geforscht werden:
  • Glewichwertig, aber nicht gleichartig | Alexander Strauch: Kurz und knapp!
  • Zweimal einmalig – eine biblische Studie | John Piper, Wayne Grudem (Hrsg.)): Sehr ausführlich, dennoch absolut lohnend!
  • Konsequentes Rollenbild auch im Sprachgebrauch vorleben: Keine Gendergaps, Sternchen und Konstruktionen wie „PolitikerInnen“ schreiben oder mitsprechen und bewusst das generische Maskulinum verwenden (zum Beispiel Student statt Studierende).
  • Als Eltern eine offene Gesprächskultur in der Familie fördern: Alles kann gesagt und besprochen werden, Kinder werden nicht weggeschickt, sondern ermutigt, uns als Eltern alle ihre Fragen zu stellen und an den Gesprächen der Erwachsenen teilzunehmen (weitere Literaturempfehlung: Familie – der Ort, an dem du verstanden wirst | Wayne A. Mack).
  • Unterschied zwischen Toleranz und Akzeptanz erklären: Wir können anderen Menschen nicht vorschreiben, wie sie leben sollen (Toleranz). Jedoch müssen wir darauf hinweisen dürfen, was das Beste für den Menschen ist, die Sünde zu benennen und auf das Evangelium im Zuge der Meinungsfreiheit verweisen zu dürfen. Wir können nicht dazu gezwungen werden, diese Sünde als eine erfüllende Lebensalternative zu vertreten (Akzeptanz).

Unsere Taten müssen unsere Worte unterstreichen und nicht durchstreichen.

Gottes Schöpfungsordnung und das biblische Familienbild

  • 1. Mose 1,27: Schöpfungsbericht „Als Mann und Frau schuf er sie.“
  •  Einordnung der Homosexualität als Sünde: Römer 1,18-32
  • Epheser 5,22–33, 1. Petrus 3,1–6, 1. Timotheus 2,12, 1. Timotheus 3,1–13, Titus 2,1–6: Gottes spezifische Aufgaben für Männer und Frauen. Hier und durch die gesamte Bibel hindurch wird ein Prinzip für Mann und Frau deutlich: Gleichwertigkeit – aber nicht Gleichartigkeit.
  • 5. Mose 22,5: Beschreibt das Ausleben dieser von Gott gegebenen Rolle und einen Kleidungsstil, der eindeutig männlich oder weiblich ist.
  • Sprüche 31: Hier wird eine Frau beschrieben, die fröhlich bejahend ihre schöpfungsbedingte Rolle ausübt. Dies hat Folgen für ihr Verhalten, ihre Aufgaben und ihre Charaktereigenschaften. Sie ist ein Vorbild darin, sich mit Wort und Tat klar dazu zu bekennen, wozu Gott eine Frau geschaffen hat.
  • Biblischer Befund: Es gibt die zwei Geschlechter männlich und weiblich, kein weiteres Geschlecht darüber hinaus. Gott formt jeden Menschen im Mutterleib (Psalm 139,13–16) und legt vor der Geburt fest, welches Geschlecht ein Mensch hat.

Starke Argumente für Kindergarten und Schule

Vorschulkinder

  • Kindern altersgerecht begegnen: Kleinkindern müssen wir dieses Thema nicht aufzwingen, wenn sie nicht danach fragen und in einem häuslichen, geschützten Rahmen aufwachsen. Ab einem etwaigen Kindergarten-Besuch sollten wir sie jedoch vorbereiten, damit wir als Eltern die ersten sind, die mit unserem Kind darüber sprechen.
  • Auf gestellte Fragen – dem jeweiligen Alter angemessen – antworten und unsere Kinder nicht mit Floskeln wie „dafür bist du noch zu klein“ oder „das verstehst du noch nicht“ vertrösten: Sie werden ihre Fragen dann anderen stellen und gegebenenfalls Antworten bekommen, die wir nicht gutheißen.
  • Eine Aufklärung zu diesem Thema geschieht am besten gelassen, kurz und aus der Situation heraus, wenn es sich gerade thematisch ergibt: Wenn unser Kind fragt: „Lisa hat erzählt, dass auch zwei Männer heiraten können, stimmt das?“, reicht oftmals eine kurze Antwort wie diese: „Das ist vom Gesetz her zwar erlaubt, aber aus der Bibel wissen wir ja, dass Gott möchte, dass immer ein Mann und eine Frau heiraten.“ Oftmals sind Kinder in diesem Alter mit dieser kurzen Antwort schon zufrieden und in ihrem bisherigen Wissen bestärkt.
  • Kinder so lange wie möglich zuhause erziehen und erst bei gefestigtem Charakter in den Kindergarten gehen lassen: zum Beispiel ein Jahr vor Schuleintritt; das Kind ist dann alt genug, um zu erzählen, was im Kindergarten passiert ist, welche Bücher vorgelesen wurden und ob es auf diese Themen angesprochen wurde. Optimalerweise ist es durch viele Jahre der vorherigen Prägung in diesem Alter bereits dazu in der Lage, sich verbal zu wehren.
  • Bei Anspielungen in Filmen (zum Beispiel Walt Disney): Unsere Kinder darauf ansprechen und diese erklären; konsequent sein in der Auswahl der Filme (diese prägen massiv den moralischen Kompass unserer Kinder und das, was sie als „normal“ empfinden).
  • Bücher zum Vorlesen auswählen, die biblische Familienstrukturen darstellen: Vater und Mutter mit Kindern; Darstellungen von neumodernen Hausmännern oder gleichgeschlechtlichen Eltern vermeiden.

Schulkinder

  • Zu den Elternabenden gehen, um informiert zu sein, bevor diese Themen im Unterricht behandelt und besprochen werden.
  • Bei unschönen Unterrichtsreihen die Kinder für diese Zeit aus der Schule herausnehmen: Elternrecht ausschöpfen, und sei es durch einen darauf gelegten Arzttermin.
  • Wenn eine entsprechende Unterrichtsreihe ansteht: Ein Buch mit dem Kind lesen, um mit ihm darüber ins Gespräch zu kommen und seine Fragen zu beantworten:
  • Alles an mir ist von dir, Gott – Wie Kinder ihren Körper schützen können | Justin & Lindsey Holcomb: Für Vorschulkinder als kindgerechte Vorbereitung, um den eigenen Körper zu schützen.
  • Es ist schön, ein Regenbogen zu sein | Wiebke Klassen: Hier wird die biblische Position (nicht Negation) für Kinder erklärt, dass Gott zwei Geschlechter, Jungen und Mädchen, geschaffen hat und wofür der Regenbogen eigentlich steht, für Vorschulkinder und Schulkinder von ca. 4–10 Jahren
  • Wer oder was bin ich? | David Martin: Ein Vater erklärt seinen Kindern Gender, für Eltern als Vorbereitung für Gespräche mit ihren Kindern.
  • Dem Kind Mut machen, für Gottes Ordnung Stellung zu beziehen und bei Gesprächen darüber nicht einfach nur zu schweigen: Vielleicht sitzt ein Klassenkamerad im Raum, der sich nicht traut etwas zu sagen, aber die biblische Wahrheit hören muss.
  • Unsere Kinder darin bestärken, mutig und dennoch respektvoll zu sprechen.
  • Unseren Kindern erklären, dass wir durch den Heiligen Geist in der Situation die richtigen Worte bekommen werden und vorher ein Stoßgebet sprechen können: Gott segnet es, wenn wir uns zu ihm und seinen Ordnungen bekennen.
  • Bei unschönen Äußerungen des Lehrers oder der Mitschüler gegenüber unseren Kindern: Auch dies ist Leiden für Christus. Aber es kommt auf Gottes Urteil und nicht auf das Urteil der Menschen an.
  • Wenn Lehrer das Kind vor der Klasse bloßstellen oder niederreden: Kontakt zu dem jeweiligen Lehrer aufnehmen und dem Kind so den Rücken stärken! Dem Lehrer klar kommunizieren, dass dies ein Verhalten ist, bei dem er eine unzulässige Grenze überschreitet. Notfalls über einen Schulwechsel nachdenken. Dem Kind dadurch vermitteln, dass wir als Familie gemeinsam für Gottes Maßstäbe einstehen und es an dieser Front nicht alleine steht. In dieser Auseinandersetzung besteht die Chance einer wichtigen Charakterschule, die unserem Kind ein ganzes Leben lang helfen wird! Zudem wird es uns als Familie noch mehr zusammenschweißen und das gegenseitige Vertrauen wachsen lassen.

Teenager

  • Teens in einer bibeltreuen Gemeinde aufwachsen lassen und als gesamte Familie aktiv am Gemeindeleben teilnehmen.
  • Freundschaften innerhalb der Gemeinde fördern: Als Ermutigung, dass sie mit dieser Position nicht die einzigen sind und nicht nur ihre Eltern, sondern auch andere Familien und Teens diese Positionen vertreten!
  • Nach Möglichkeit einen Teen-Kreis besuchen, der diese Themen altersgerecht für sie aufarbeitet und die Gespräche innerhalb des Elternhauses unterstützt.
  • Zur Mitarbeit und verbindlichen Teilnahme am Gemeindeleben ermutigen und dies fördern (zum Beispiel zusätzliche Fahrtstrecken in Kauf nehmen).
  • Die Teilnahme an Gemeinde-Terminen hat Vorrang vor Sportverein- und Hobby-Terminen: dieses Prinzip als Eltern konsequent vorleben.
  • Teens im Umgang mit Social Media, Internet, Büchern, Filmen, Serien und anderen Medien sensibilisieren und sie zu einem konsequenten Umgang und Vermeidung von Medien anleiten, die Genderthemen proklamieren und für Akzeptanz der freien Geschlechtswahl werben.
  • Die Teens ab einem gewissen Alter als Gesprächspartner auf Augenhöhe ernst nehmen: Unser Kind lebt dann zwar unter unserem Dach, muss sich an die Regeln innerhalb der Familie halten und wird von den Eltern stark beeinflusst, muss jedoch mit Argumenten gewonnen werden und Entscheidungen aus eigener Überzeugung heraus treffen.

Literaturempfehlungen zur weiteren Auseinandersetzung mit der Gender-Bewegung:

  1. Der, die, was? Gender-Ideologie und biblische Schöpfungslehre (Sharon James)
  2. Gendergaga – Wie eine absurde Ideologie unseren Alltag erobern will (Birgit Kelle)
  3. Noch normal? Das lässt sich gendern! Gender-Politik ist das Problem, nicht die Lösung (Birgit Kelle)
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Stellungnahme Selbstbestimmungsgesetz

1. Wer bestimmt, wer ich bin - Ideologie, Gefühle oder Normen?

Stellungnahme zum Selbstbestimmungsgesetz

Am 12. April wurde das „Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag (SBGG)“[1], besser bekannt als das „Selbstbestimmungsgesetz“ vom deutschen Bundestag verabschiedet.[2] Es soll am 1. November 2024 in Kraft treten.[3] Nun ist es gem. § 5 Abs. 1 SBGG in Verbindung mit § 2 SBGG einmal jährlich möglich, die Eintragung seines Geschlechts oder des Vornamens per Selbsterklärung beim Standesamt (§ 2 Absatz 1, § 4 SBGG) ändern zu lassen. Dabei darf man zwischen männlich, weiblich, divers oder völligem Fehlen eines Geschlechtseintrags wählen (§ 2 Absatz 1 SBGG in Verbindung mit § 22 Absatz 3 Personenstandsgesetz (PStG).

Offenbarungsverbot

Ab diesem Zeitpunkt kann gem. § 14 SBGG mit einem Bußgeld von bis zu 10.000 € belegt werden, wer den früheren Geschlechtseintrag oder einen Vornamen offenbart und dadurch die betroffene Person absichtlich schädigt (sogenanntes „Offenbarungsverbot“). Bezug genommen wird hierbei auf § 13 SBGG Absatz 1 Satz 1 SBGG, wonach die früheren Angaben nicht ohne Zustimmung der betroffenen Person offenbart werden dürfen. Was „offenbaren“ genau bedeutet, lässt sich nur erahnen. Jedenfalls fällt die unerwünschte Ansprache mit einem vorherigen Vornamen im Beisein von solchen, die diesen noch nicht kennen, darunter. Wer also erkennt, dass er ein Mädchen vor sich hat, die aber statt Andrea nun mit Andreas angesprochen werden möchte, hat die Wahl zwischen einem möglichen Bußgeld oder Einstimmen in die gefühlte Lebenswirklichkeit des Mädchens, welche im schroffen Kontrast zur biologischen Realität steht. So wird Druck ausgeübt, in die gefühlte Wahrnehmungswelt des Betroffenen einzusteigen und diese – auch entgegen der eigenen Überzeugungen – in ihrer Illusion zu bestärken.

Wo sonst wird man gezwungen biologische Realitäten zu leugnen? Wenn ein 60-jähriger Mann behauptet, 15 Jahre alt zu sein, weil dies seiner empfundenen Wirklichkeit entspricht, sind wir als Bürger nicht gesetzlich verpflichtet, seiner Fantasie zuzustimmen. Wohl eher im Gegenteil, hier ist man aufgerufen der Person zu helfen ihre Illusion zu überwinden. Die Klage des Holländers Emile Ratelband im Jahr 2018 auf Feststellung, dass er keine 69 Jahre alt sei, sondern nur 49 Jahre, wurde von einem holländischen Gericht abgewiesen.[4] In der Sache wurde die Abweisung damit begründet, dass man sein Alter nicht anpassen könne. Es gingen Registeraufzeichnungen verloren und Pflichten wie die Schulpflicht hingen an dem Alter, so die Begründung. Für die Schulpflicht ist es demnach wichtig an den objektiv feststellbaren biologischen Tatsachen festzuhalten. Für die Frage, ob man Mann oder Frau ist, soll aber etwas anderes gelten? Die Absurdität wird im Gesetz selbst deutlich (in § 8 SBGG). Hier muss geregelt werden, was eine Frau oder ein Mann ist, ohne dies explizit zu sagen. Es soll unabhängig vom Personenstandsregister beispielsweise festgestellt werden, wer gebärfähig ist. Das ist wenig überraschend die Person, die schwanger oder gebärfähig ist – bisher auch schlicht „Frau“ genannt. Jetzt angeblich nicht mehr unbedingt! Aber für die biologischen Fragestellungen müssen wir – auch gesetzlich – letztlich doch auf die medizinischen Tatsachen zurückgreifen.

Eine Lawine wird losgetreten

Eine Verunsicherung hinsichtlich der geschlechtlichen Identität in der Phase der Pubertät ist nicht ungewöhnlich. Diese Verunsicherung klingt in der Regel mit Abschluss der Pubertät ab. Greift man nun jedoch in diese volatile Phase ein und bestärkt die Verunsicherung mittels sozialer Transition (wozu neben der Änderung des Vornamens auch das Tragen gegengeschlechtlicher Kleidung und Frisuren gehört), mit sogenannten Pubertätsblockern oder gegengeschlechtlicher Hormongabe, führt dies in so gut wie allen Fällen dazu, dass der Heranwachsende sich letztlich auch für operative Maßnahmen entscheidet, um den Wechsel zum anderen Geschlecht „ganz“ zu vollziehen. Wer also die erste Stufe der Transition nimmt, wird sich so gut wie immer auch für alle weiteren Schritte entscheiden.[5]

Statt, wie in vielen Ländern in den letzten Jahren geschehen, Pubertätsblocker zu verbieten, wird den Heranwachsenden nun mit dem neuen Selbstbestimmungsgesetz noch eine Möglichkeit geboten, die Verunsicherung hinsichtlich des eigenen Geschlechts zu bestärken und damit letztlich unumkehrbare Maßnahmen mittels Medikamenten und Operationen an sich vollziehen zu lassen: die Eintragung des Geschlechts mit dem Wechsel des Vornamens. Es ist davon auszugehen, dass dieser Akt per Selbsterklärung eine ähnliche Wirkung entfalten wird wie die Gabe von Medikamenten. Der Jugendliche wird auf seinem Weg hin zu einer Transbehandlung bestärkt. Ist die Lawine erst ins Rollen gebracht, kann sie kaum noch aufgehalten werden. Der Kinder- und Jugendpsychiater Prof. Korte sowie der Psychologe Prof. Tschuschke fragen daher kritisch:

„Ist es aber realistisch, anzunehmen, dass die betroffenen Kinder im Falle einer frühzeitigen, bereits in jungen Jahren durchgeführten personenstandsrechtlichen Transition imstande sind, gegen die dadurch geschaffenen Fakten anzugehen, sprich die getroffene juristische Entscheidung mit all ihren Konsequenzen später wieder rückgängig zu machen und einen anderen, alternativen Weg einzuschlagen? Oder droht nicht vielmehr die Gefahr, mit einer ungeprüft durchgewunkenen (in Form eines Verwaltungsaktes vorgenommenen) Personenstandsänderung eine Persistenz der Geschlechtsdysphorie zur Transsexualität als einzige Option für das Kind zu präjudizieren? Jüngere Studien liefern Hinweise, was eine frühzeitige soziale Transition tatsächlich bewirkt: Sie treibt die Rate der Persister nach oben.“[6]

Wer die juristische Transition kritisch hinterfragt, wer auch nur zur Vorsicht mahnt und darauf hinweist, dass die Verunsicherung hinsichtlich des eigenen Geschlechts in den meisten Fällen von alleine verschwindet, der wird als transphob abgestempelt oder ab 2024 gar mit einem Bußgeld abgestraft.

Wer entscheidet zum Wohle des Kindes?

Für die Selbsterklärung vor dem Standesamt ist für 14 – 17-Jährige keinerlei Beratung oder ärztliche Stellungnahme notwendig, sondern lediglich die Zustimmung der Eltern (§ 3 Absatz 1 SBGG). Diese kann notfalls auch durch ein Familiengericht ersetzt werden, wenn die Änderungen dem Kindeswohl nicht widersprechen. Man achte auch hier auf die Beweislast: Es muss also nicht festgestellt werden, dass die Änderungen dem Kindeswohl entsprechen, sie dürfen nur dem Kindeswohl nicht widersprechen. Eine ungleich niedrigere Hürde als die Feststellung, dass die Änderungen dem Kindeswohl entsprechen.

Für Minderjährige bis zum 14. Lebensjahr genügt laut § 3 Absatz 2 SBGG eine Erklärung der Eltern. Der Minderjährige muss bei Abgabe der Erklärung lediglich anwesend sein.[7] Dies wird von einer Familienministerin gefordert, die sogenannten Kinderrechte ins Grundgesetz schreiben möchte, womit man als Staat die Kinder vor den eigenen Eltern schützen können möchte.[8] Wo bleiben beim SBGG die Kinderrechte? Warum sollen die Kinder im SBGG dem elterlichen Willen ausgeliefert sein, bei anderen Fragen aber der Staat zum Wohle des Kindes gegen die Eltern vorgehen können? Welcher Maßstab wird für die Bewertung herangezogen, wann es auf die elterliche Einschätzung ankommt und wann man als Staat zum Wohle der Kinder in eine Familie eingreifen muss?

In der bisherigen Regelung war zumindest ein gutachterliches Vorgehen vorgesehen, in dem bestätigt werden musste, dass die geschlechtliche Verunsicherung einen echten Krankheitswert beinhaltete. Krankheitswert bedeutete bis dato, dass das Auseinanderklaffen von biologischem und empfundenem Geschlecht als anhaltend leidvoll erfahren wurde. Da jedoch im Progress der neu geschaffenen Geschlechtsinkongruenz (statt vormals Genderdysphorie oder Geschlechtsidentitätsstörung) eine Entpathologisierung vorgenommen werden soll, darf mithin auch nicht von Krankheit die Rede sein. Was aber soll sowohl eine langjährige Medikamenteneinnahme als auch zahlreiche Operationen anderes sein, wo doch vermeintlich keinerlei Erkrankung vorliegt, als eine Behandlung?

Zu Recht muss hier, auch angesichts der geplanten großen Umwälzungen im Familienrecht zugunsten gleichgeschlechtlicher Paare mit Kinderwunsch[9] gefragt werden: wer entscheidet über die Zukunft der Kinder? Drohen hier nicht Verschiebungen hin zu Aktivisten, flüchtigen Gefühlen oder genderaffinen Eltern? Vor diesem Hintergrund gewinnt der Ausdruck SELBST-Bestimmungsgesetz erst recht eine perfide Note. Denn das Selbst ist bei Minderjährigen derart beschaffen, dass es weitreichende Konsequenzen der medikamentösen und operativen Eingriffe nicht abschätzen, Gefühle nicht seinen angemessenen Stellenwert einräumen kann und zu guter Letzt nicht abschätzen kann, wie sehr dieses Selbst durch die omnipräsente Genderpropaganda beeinflusst und manipuliert wurde.

Die große Hoffnung, die Jugendliche in die Transbehandlung setzen, platzt nur zu oft wie Seifenblasen. Sie erwachen in einem Körper, der durch viele Operationen unumkehrbar gezeichnet ist, sie erleben häufig anhaltende Nebenwirkungen wie Inkontinenz oder fehlende genitale Empfindung. Sie merken, dass ihre Probleme nicht gelöst sind, weil sie immer noch dieselben Personen sind, auch wenn in einem veränderten Körper. Immer mehr entscheiden sich daher, wieder zu ihrem ursprünglichen Geschlecht zurückzukehren, zu detransitionieren. Eine echte Wiederherstellung der vorherigen Bedingungen eines gesunden Körpers ist jedoch leider nicht mehr möglich.

Fazit

Als Christen im Dienst an Kranken e. V. setzen wir uns dafür ein, die Lügen der haltlosen Versprechen der Transbehandlungen als solche zu entlarven. Wir wollen Eltern, Jugendliche und Kinder davor warnen, den Heilsversprechen der Genderideologie Glauben zu schenken und sich auf letztlich unumkehrbare Behandlungen einzulassen. Wir sind überzeugt, dass ein gedeihliches Leben nur möglich ist, wenn wir in Übereinstimmung mit dem Geschlecht leben, welches unser Schöpfer uns gegeben hat. Was Jugendliche und Kinder benötigen, ist nicht eine Stärkung ihrer flüchtigen und häufig verwirrenden Gefühle, sondern starke und stabile Normen, die ihnen Halt geben. Wir machen uns für diejenigen stark, die eine Behandlung bereits durchgeführt haben und feststellen, dass die Therapie mehr geschadet als genutzt hat. Und wir halten den Politikern und Aktivsten entgegen, dass nicht das Gefühl über unser Geschlecht entscheiden kann, sondern allein derjenige, der den Menschen „als Mann und Frau“ (Gen 1,27) erschuf. Eine Separation vom biologischen zum empfundenen Geschlecht, wie es das Selbstbestimmungsgesetz vorsieht, zerstört den Menschen. Nicht der Mensch, sondern Gott bestimmt die Zuordnung zu männlich oder weiblich. Wer dies negiert, setzt sich nicht für das Wohl des Menschen ein.

 

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Quellen-Nachweis

[1] BT Drucksache 20/9049

[2] Die 2. und 3. Lesung, sowie die Abstimmung nachzulesen unter: https://dserver.bundestag.de/btp/20/20164.pdf#P.21102 aufgerufen am 18.4.2024

[3] https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/tipps-fuer-verbraucher/selbstbestimmungsgesetz-2215426#:~:text=Das%20Gesetz%20tritt%20in%20zwei,Transsexuellengesetz%20von%201980%20endgültig%20ab. abgerufen am 20.04.2024

[4] https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/niederlande-positiv-guru-ratelband-scheitert-mit-klage-auf-amtliche-verjuengung aufgerufen am 18.04.2024

[5] Vgl. Olson KR, Durwood L, Horton R, Gallagher NM, Devor A. Gender Identity 5 Years After Social Transition. Pediatrics. 2022 Aug 1;150(2):e2021056082. doi: 10.1542/peds.2021-056082.

[6] Korte, A. und Tschuschke, V.: Sturm und Drang im Würgegriff der Medien – Die Leiden der jungen Generation am eigenen Geschlecht. Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie. 2023. 51 (5), 356.

[7] https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/gleichstellung/queerpolitik-und-geschlechtliche-vielfalt/gesetz-ueber-die-selbstbestimmung-in-bezug-auf-den-geschlechtseintrag-sbgg--199332 aufgerufen am 18.4.2024

[8] https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/alle-meldungen/lisa-paus-gratuliert-allen-kindern-und-jugendlichen-zum-weltkindertag-201704aufgerufen am 18.04.2024

[9] https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/eckpunkte-familienrecht-kindschaftsrecht-eltern-sorgerecht-umgang-wechselmodell-vater-mutter/aufgerufen am 18.04.2024

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Welchen Nutzen haben ätherische Öle?

Was sind ätherische Öle?

Ätherische Öle sind flüchtige, stark riechende Öle, die sich in verschiedenen Pflanzenbestandteilen finden (Blüten,Blätter, Samen, etc.). Sie werden von den Pflanzen selbst produziert. Im Gegensatz zu anderen Ölen (z. B. Sonnenblumenöl) verdunsten sie rückstandslos. Gewonnen werden ätherische Öle meist durch Destillation oder im Fall von Zitrusfrüchten durch das Pressen der Schale.[1] Die bekanntesten ätherischen Öle sind die des Lavendels, der Zitrone, des Eukalyptus und der Pfefferminze. Ätherische Öle können auch synthetisch hergestellt werden. Es gibt deshalb folgende Unterscheidungen:
• Naturbelassene/naturreine Öle: kommen direkt aus der Pflanze, auf dem Etikett steht der botanische Name, das Herkunftsland, der Pflanzenteil aus dem das Öl stammt
• Natürliche Öle: Mischung von naturbelassenen Ölen
• Naturidentische Öle: werden synthetisch herstellt, gleichen aber in der Molekularstruktur dem natürlichen Öl
• Künstliche Öle: werden synthetisch hergestellt, haben keinen Bezug zum natürlichen Öl
Die Bezeichnung ätherisches Öl ist nicht geschützt. So
können auch die komplett synthetisch hergestellten Öle
als ätherische Öle verkauft werden. Möchte man ein Öl
kaufen, das ganz sicher aus der Pfl anze kommt, deren
Name es trägt (naturbelassenes/naturreines Öl), sollte
man auf oben genannte Kriterien achten.[2]

Einsatzgebiete

Ätherische Öle haben zahlreiche Anwendungsgebiete. Sie können in Form von Inhalation (in der Raumluft oder direkt), Massagen, Wickel, Badezusatz oder oraler Einnahme angewandt werden. Es ist sehr wichtig, dass ätherische Öle niemals unverdünnt verwendet werden, da sie sonst starke Nebenwirkungen bis hin zum Tod haben können![3] Man sollte bei der Anwendung von ätherischen Ölen zwischen „Aromawellness“ und Aromatherapie unterscheiden. In beiden Fällen kann sich der oben genannten Anwendungsarten bedient werden. Allerdings ist Aromatherapie ein fester Bestandteil der Pflanzenheilkunde (Phytotherapie), die in Deutschland nur von darin ausgebildeten Ärzten und Heilpraktikern durchgeführt werden darf und auf die Behandlung von konkreten Krankheiten abzielt. Unter „Aromawellness“ fällt der Teil der Anwendungen, die im häuslichen, laienhaften Gebrauch zur Verbesserung des allgemeinen Wohlbefindens durchgeführt werden (z. B. Duftöl zur Erfrischung der Raumluft, Bad mit Lavendelöl zur Entspannung, etc.).[2] Im Weiteren wird auf das große Gebiet der Aromatherapie eingegangen, da sie auch immer mehr im medizinischen Alltag an Bedeutung gewinnt. Aufgrund des Umfangs dieses Themas, kann hier nur ein kurzer Überblick über den aktuellen Stand gegeben werden.

Aromatherapie

Definition

Die Aromatherapie gehört zur Phytotherapie. Ihr Ziel ist es, mit Hilfe von ätherischen Ölen physische und psychische Erkrankungen zu behandeln und die Gesundheit nachhaltig zu beeinflussen. Sie findet in der Prävention, der Therapie (im professionellen Rahmen und zur Selbstbehandlung), wie auch in der Krankenpflege Anwendung.“[4]

Durchführung

Bei der Aromatherapie wird eine Erkrankung mit den bei ihr wirksamen ätherischen Ölen behandelt. Die Aromatherapie kann bei leichten bis mittelschweren Erkrankungen, wie andere Phytotherapeutika, alleine angewandt werden. Bei schweren oder chronischen Verläufen spielt sie in der Regel nur eine ergänzende Rolle.[5] In welcher Form die ätherischen Öle verabreicht werden, entscheidet der Verordner. Bekannte Beispiele, die auch im Alltag Verwendung finden, sind die Inhalation von Thymol und Menthol bei Erkältung oder die Einnahme von Lavendelöl bei Schlafstörungen. Aus der Zusammenstellung der verschiedenen Öle und Anwendungsmethoden folgt eine sehr große Palette an möglichen Therapien. Wichtig ist, dass die Öle niemals unverdünnt verwendet werden. Zur äußerlichen Anwendung werden sie in einem Trägeröl gelöst, zur Inhalation mit entsprechenden Geräten verdampft und zur innerlichen Anwendung mit viel Wasser oder in Form von Kapseln eingenommen.

Anwendungsgebiete

Aromatherapie wird hauptsächlich bei Erkältungssymptomatik, Schlafstörungen, Schmerzen, Stress und Angst angewandt.

Ätherisches Öl mögl. Anwendungsgebiet
Lavendel Schlafstörungen, Angst, Schmerz
Eukalyptus Erkältungen
Thymian Erkältung
Orange Stress
Pfefferminz Übelkeit
Bitterorangenblüten Angst, Panik, Depression, Stress
Zitrone Immunmodulation, Fieber

Die Studienlage in jedem dieser Gebiete ist nicht eindeutig, was man auf die meist sehr geringe Studienpopulation, die schwierige Durchführung von randomisiert kontrollierten Studien mit ätherischen Ölen (sie riechen stark, sodass alle Beteiligten wissen, dass ein Öl im Raum ist) und auf die nicht einheitliche Anwendung ätherischer Öle zurückführen kann. Es kann in den Anwendungsgebieten also nur von möglichen Wirkungen gesprochen werden, die weiter erforscht werden müssen. Mögliche Wirkungen von ätherischen Ölen bei Erkältungssymptomatik sind beispielsweise: hustenreizstillend, auswurffördernd, entzündungshemmend und antimikrobiell.[6] Außerdem gibt es Studien, die darauf hindeuten, dass ätherische Öle auch in der Behandlung von Schmerzen[7], Schlafproblemen[8], Stress[9] und Angst[10] eine Rolle spielen können.

Wirkungsweise

Ätherische Öle wirken wahrscheinlich über verschiedene Wege im menschlichen Körper. Die Forschung kann hier nur Ansatzpunkte aufzeigen, da dieses komplexe Thema noch nicht hinlänglich erforscht ist. Eine mögliche Wirkungsweise ist die über das olfaktorische System (den Geruchsinn), wobei hier die Moleküle nicht nur als Geruch erkannt werden und dadurch eine Wirkung haben, sondern auch aufgrund ihrer geringen Größe über die Riechnerven in das Gehirn gelangen und dort zentrale Wirkungen entfalten können. So gibt es Hinweise darauf, dass ätherische Öle in die Regulation verschiedener Systeme (Monoamine, Neutrophine, Neuroendokrine) eingreifen und so zum Beispiel den Cortisol-Spiegel bei Stress senken können. Außerdem wird vermutet, dass ätherische Öle entzündungshemmend wirken und freie Radikale bekämpfen.[11] Eine weitere mögliche Wirkungsweise ist die Aufnahme der Moleküle über die Haut, den Magen-Darm-Trakt und/oder die Atemwege. Hier gelangen die Moleküle ins Blut[12] und können dann möglicherweise direkte Wirkungen an den Organen entfalten.

Nebenwirkungen

Bei der Anwendung von ätherischen Ölen können, wie bei allen anderen Medikamenten, (teils schwere) Nebenwirkungen auftreten. Die hier aufgeführte Liste enthält Beispiele und ist nicht vollständig. Ätherische Öle können hautreizend wirken und sollten deshalb vor ihrer Anwendung zuerst getestet werden. Außerdem wirken einige Öle phototoxisch, was bedeutet, dass sie die Haut empfindlicher für UV-Strahlen machen und so schnell starke Verbrennungen auftreten können, wenn betreffende Areale mit Sonne in Kontakt kommen. Allergische Reaktionen sind ebenfalls nicht auszuschließen. Menschen mit einer Allergie auf Pflanzen können davon ausgehen, dass sie auch auf das entsprechende Öl allergisch reagieren. Bei der falschen, übermäßigen Einnahme von ätherischen Ölen kann es außerdem zu starken organischen Schäden kommen, die zum Tod führen können.[13]

Wechselwirkungen

Ätherische Öle sind nicht Extrakte von Pflanzen, die nur gut riechen. Wie oben gezeigt, haben sie im menschlichen Körper durchaus Wirkungen, die über das Geruchsempfinden hinausgehen. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass sie in Wechselwirkung mit den unterschiedlichsten Medikamenten (von Schlafmitteln über Blutdrucksenker bis Gerinnungshemmer) treten können. Diese Wechselwirkung entsteht hauptsächlich durch die Modifikation von Enzymen, die die Medikamente abbauen. So werden beispielsweise Schlafmittel oder Gerinnungshemmer langsamer abgebaut, was eine verlängerte Wirkung zur Folge hat. Blutdrucksenker können dagegen schneller abgebaut werden, wodurch die blutdrucksenkende Wirkung schneller nachlässt.[14] Hier ist es wichtig vor der (Eigen-)Therapie mit ätherischen Ölen mögliche Wechselwirkungen derselben mit der bestehenden Medikation durch den behandelnden Arzt abklären zu lassen.

Kritikpunkte

Die Behandlung von Krankheiten mit ätherischen Ölen erfreut sich einer immer größer werdenden Beliebtheit, unter professionellen Anwendern wie auch unter Laien. Leider können die Studien zu diesem Thema aufgrund ihres Aufbaus und ihrer geringen Teilnehmerzahl nur die Richtung weisen, in der weiter geforscht werden muss, sodass Studien mit größeren Populationen und dadurch mehr Aussagekraft durchgeführt werden können. Es sind außerdem kaum Studien zur Grundlagenforschung, die die genaue Wirkungsweise von ätherischen Ölen erfassen, vorhanden.

Falsche Versprechen

Einer der größten Kritikpunkte, der allerdings nichts mit der wissenschaftlichen Seite der Aromatherapie zu tun hat, ist die Vermarktung von ätherischen Ölen unter Laien und die damit verbundene Werbung. In letzter Zeit hat die Vermarktung von ätherischen Ölen nach dem Modell „Tupperabend“ zugenommen. Auch in christlichen Kreisen scheint diese neue, „alternative“ Methode zur Behandlung von Problemen/Krankheiten, angefangen bei Übergewicht bis hin zu Krebs, Wellen zu schlagen. Hier muss jedoch aus wissenschaftlicher Sicht entschieden widersprochen werden. Es gibt keine Mittel, die alles behandeln und heilen können. Wenn Krankheiten, ohne ihren medizinischen Hintergrund und ihre Vorgänge im Körper zu kennen, mit ätherischen Ölen behandelt werden, kann dies gefährliche Auswirkungen haben. Im schlimmsten Fall kann es zum Tod führen, wenn schwere oder chronische Erkrankungen ineffektiv mit ätherischen Ölen behandelt werden, wo nachgewiesenermaßen effektive Behandlungsmethoden zur Verfügung stehen.

Zusammenfassung

Aktuelle Studien deuten auf ein großes Potential von ätherischen Ölen in der Aromatherapie hin. Die Forschung steht hier aber noch am Anfang und ihre Entwicklung muss zur genauen Einordnung der Wirksamkeit der Therapie weiter beobachtet werden. Es ist ebenfalls wichtig, das Vertrauen nicht in die Werbung der Hersteller oder Verkäufer der Öle zu setzen, die durch das gesteigerte Interesse an alternativen Heilmethoden Versprechungen von der verbesserten Gewichtsabnahme bis zur Heilung von Covid-19[15] machen. Außerdem sollten Christen prüfen, ob das Öl die mit ihm in Verbindung gebrachte Wirkung wirklich hat/haben kann oder ob diese allein unter esoterischen Gesichtspunkten besteht. Der Umgang mit ätherischen Ölen sollte aufgrund ihrer möglichen Neben- und Wechselwirkungen immer reflektiert erfolgen und ihre Wirkung sollte nicht über- oder unterschätzt werden. Ätherische Öle sind weder Allheilmittel, noch einfach nur gut riechende „Ölchen“.

 

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Quellen-Nachweis

[1] Brockhaus, Bd. 1, S. 395. wissenmedia GmbH, Gütersloh/München, 2010.
[2] https://www.chemie.de/lexikon/%C3%84therisches_%C3%96l.html, letzer Zugriff : 26.04.2022 9:51Uhr
[3] Farrar A., Farrar F. Clinical Aromatherapy. Nurs Clin N Am 55 (2020) 489-504
[4] https://fl exikon.doccheck.com/de/Aromatherapie (letzter Zugriff 27.05.2022, 6:38 Uhr)
[5] Stefl itsch W. Aromatherapie: wann können ätherische Öle medizinisch eingesetzt werden? Dtsch Med Wochenschrift 2017, 142, 1936-1942
[6] Ebd.
[7] Ebd.
[8] Hamzeh S. et. al. Effects of Aromatherapy with Lavender and Peppermint Essential Oils on the Sleep Quality of Cancer Patients: A Randomized Controlled Trial. Evidence-Based Complementary and Alternative Medicine. Volume 2020, Article ID 7480204, 7 pages
[9] Jaafarzadeh M, Arman S, Pour FF. Eff ect of aromatherapy with orange essential oil on salivary cortisol and pulse rate in children during dental treatment: A randomized controlled clinical trial. Adv Biomed Res 2013; 2:10.
[10] Kang H., Nam E. How Strong is the Evidence for the Anxiolytic Efficacy of Lavender?: Systematic Review and Meta-analysis of Randomized Controlled Trials. Asian Nursing Research 13 (2019) 295-305
[11] Fung, T.K.H.; Lau, B.W.M.; Ngai, S.P.C.; Tsang, H.W.H. Therapeutic Effect and Mechanisms of Essential Oils in Mood Disorders: Interaction between the Nervous and Respiratory Systems. Int. J. Mol. Sci. 2021, 22, 4844.
[12] Steflitsch W. Aromatherapie: wann können ätherische Öle medizinisch eingesetzt werden? Tabelle 1. Dtsch Med Wochenschrift 2017, 142, 1936-1942
[13] Farrar A., Farrar F. Clinical Aromatherapy. Nurs Clin N Am 55 (2020) 489-504
[14] Golos M., Buchbauer G. Ätherische Öle und ihr Einfl uss auf Arzneimittelwirkungen: Einige Beispiele. MMP, 38. Jhg. 08/2015, 290-296
[15] Farrar A., Farrar F. Clinical Aromatherapy. Nurs Clin N Am 55 (2020) 489-504

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Phytotherapie - eine Domäne für sich

Unter Phytotherapie (griechisch phyton = Pflanze, therapeia = Pflege) versteht man die Anwendung von Phytopharmaka zur wirksamen Behandlung, Linderung, Heilung und Vorbeugung von Krankheiten. Phytopharmaka sind Fertigarzneimittel aus frischen oder getrockneten Pflanzenteilen (in der pharmazeutischen Fachsprache auch Drogen oder Teedrogen genannt) oder deren Zubereitungen (zum Beispiel Extrakte). Im Unterschied zu chemisch-synthetischen Wirkstoffen, die als Einzelstoffe weiterverarbeitet werden, bestehen Phytopharmaka aus einem komplex zusammengesetzten Vielstoffgemisch an Pflanzeninhaltsstoffgruppen, kurz gesagt: der Wirkstoff eines Phytopharmakons ist der Pflanzenextrakt. Häufig werben Inverkehrbringer von Nichtarzneimitteln auf ihren Verpackungen mit Schlagworten wie „pflanzlich“, „Naturkraft“ oder „natürlich“ – dies suggeriert eine nachgewiesene Wirksamkeit, was aber leider nicht immer der Fall ist. Im Dschungel der angepriesenen pflanzlichen Substanzen ist es daher wichtig, die einzelnen Präparateklassen auseinanderzuhalten. Die folgende Übersicht gibt dem Laien Unterscheidungsmerkmale an die Hand:

Phytopharmaka:

Sie müssen für die Marktzulassung die gleichen im Arzneimittelgesetz festgeschriebenen Anforderungen hinsichtlich Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit erfüllen wie chemisch-synthetische Arzneimittel. Sie enthalten Angaben zu verwendeten Pflanzenteilen, Droge-Extrakt-Verhältnis und Auszugsmitteln.

Je nach Zulassungsstatus unterscheidet man:
1. Rationale oder well-established Phytopharmaka mit Zulassungsnummer (Zul.Nr.) auf der Umverpackung und einer klaren Indikation, zum Beispiel „Pflanzliches Arzneimittel gegen…“.
2. Traditionelle Phytopharmaka, die nur als solche registriert werden können, wenn die Wirksamkeit auf einen 30-jährigen plausiblen Einsatz zurückzuführen ist. Sie tragen dann eine Registrierungsnummer (Reg.Nr.) auf der Verpackung und haben keine eindeutige Indikation, zum Beispiel „Zur Unterstützung bei…“.

Medizinprodukte:

Sie wirken auf rein physikalischem Wege und haben keine pharmakologische Wirkung, das heißt, sie greifen nicht in den Stoffwechsel des Menschen ein.

Beispiel hier sind Isla®Moos Hustenpastillen mit Schutzfilmbildung auf trockenen Mundschleimhäuten.
Erkennungsmerkmal beim Medizinprodukt ist das CE-Kennzeichen.

Nahrungsergänzungsmittel:

Sie werden auf der Verpackung auch als solche deklariert, verfügen über eine Nährwerttabelle und gehören zu den Lebensmitteln.
Sie werden seitens der Behörden weder registriert noch zugelassen, noch auf Wirksamkeit und Sicherheit geprüft. Sie müssen nur beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit angezeigt werden.

Darreichungsform und Verpackung von diesen ähnelt einem „Arzneimittel-Outfit“ wie beispielsweise ipalat® Halspastillen.
Neben Vitaminen und Mineralstoffen dürfen auch pflanzliche Wirkstoffe enthalten sein, aber auf der Verpackung darf rechtlich keine Nennung einer Indikation erfolgen.

In den Medien, aber auch in der Apotheke wird Phytotherapie völlig undifferenziert, vor allem in der Selbstmedikation, neben Homöopathie und Anthroposophie gestellt. Aber: Phytotherapie und letztgenannte Therapien sind keine Einheit. Sie folgen anderen Gesetzmäßigkeiten und Denkweisen! Die Homöopathie folgt dem Simile Prinzip: „Ähnliches wird durch Ähnliches geheilt“. Also etwas, was Fieber auslöst, wird verdünnt, um dann gegen Fieber eingesetzt zu werden. Die Anthroposophie, wörtlich übersetzt „Weisheit vom Menschen“, durchgeistigt den Menschen durch Zuschreibung verschiedener Wesensglieder und gibt jedem Krankheitsbild und der Therapie eine spirituelle und übersinnliche Dimension. Beiden Denkweisen liegt ein esoterisches, der Bibel widersprechendes Heilsverständnis zu Grunde. Nachfolgende Merkmale auf Verpackungen helfen Laien bei der Unterscheidung zu Phytopharmaka:

Sie gehören zur Alternativmedizin nach Samuel Hahnemann.
Sie enthalten unter anderem pflanzliche Ausgangsstoffe in Urtinkturen, die durch mehrfach abgestufte Verdünnung (sogenannte Potenzierung) in Form von Zuckerkügelchen (sogenannte Globuli), Tabletten oder Tropfen erhältlich sind. Die dabei erreichten Konzen-trationen können so niedrig ausfallen, dass der Stoff, dem man eine Wirkung zuschreibt, nicht mehr auf atomarer Ebene nachgewiesen werden kann.
Auf ihrer Verpackung findet sich immer eine Potenzangabe wie zum Beispiel D6 oder C30, die den Grad dieser Verdünnung beschreibt. Das „D“ steht für „Dezimale“, was bedeutet, dass bei einer D6-Potenz die ursprüngliche Substanz sechs Mal hintereinander im Verhältnis 1:10 verdünnt wurde. Der Arzneigehalt beträgt damit 0,0001 Prozent.
C-(Centisimal)-Potenzen (von lateinisch centum = 100) werden in einem Verhältnis 1:100 verdünnt.

Sie sind als solche auf der Verpackung deklariert. Für sie werden weder eine bestimmte Wirkung noch ein Anwendungsgebiet angegeben. Ein Wirkungsnachweis entfällt. Sie enthalten unter anderem pflanzliche Ausgangsstoffe, die nach homöopathischen oder nach einem besonderen anthroposophischen Zubereitungsverfahren nach dem Begründer Rudolf Steiner verarbeitet worden sind, zum Beispiel Veraschung, Röstung oder Verkohlung.

Resümierend lässt sich festhalten: Die in der Phytotherapie eingesetzten Mittel, die sogenannten Phytopharmaka, folgen den Gesetzmäßigkeiten der evidenzbasierten Medizin. Unter Evidenz versteht man die wissenschaftliche Aussagekraft, die sich auf empirisch nachgewiesene Grundlagen, sprich experimentelle Studien, stützt. Phytopharmaka sind immer als einzelne Produkte zu betrachten, denn nicht die Stammpflanze ist ausschlaggebend als Wirkstoff, sondern das, was mit der Stammpflanze gemacht wurde, um den Pflanzenextrakt zu gewinnen. Die Zusammensetzung dieses Pflanzenextraktes variiert je nach
– verwendetem Pflanzenteil der Stammpflanze (Wurzel oder Blüte),
– Auszugsmittel (Wasser = löst nur hydrophile Inhaltsstoffe oder Alkohol = löst auch lipophile),
– Herstellungsprozess (Extraktionszeit, Temperatur, Druck, Schnittgröße) und
– verwendetem Droge-Extrakt-Verhältnis.
Analysiert man einen pflanzlichen Extrakt, besteht er als Vielstoffgemisch je nach verwendeter Stammpflanze aus vielen einzelnen Wirkstoffgruppen (unter anderem Flavonoiden, ätherischen Ölen, Saponinen, Bitterstoffen, Gerbstoffen, Cumarinen), die erst in ihrer Gesamtheit das Wirkspektrum ergeben. Extrakte kann man je nach Herstellungsaufwand in standardisierte Extrakte, quantifizierte Extrakte und Spezialextrakte einteilen, wobei die Spezialextrakte eine besondere Stellung einnehmen. Spezialextrakte sind patentierte Extrakte, die von Herstellern mit viel Forschungseifer durch Anreicherung wirksamkeitsbestimmender pflanzlicher Inhaltsstoffe und Entfernung unerwünschter Substanzen entwickelt werden. Diese Spezialextrakte müssen vor Zulassung wie auch synthetisch-chemische Arzneimittel randomisierte, kontrollierte Doppelblindstudien durchlaufen. Diese Forschungsschritte auf hohem Niveau schlagen sich auch dementsprechend auf den Marktwert der einzelnen Phytopharmaka nieder. Ergebnisse von Studien mit Phytopharmaka sind aufgrund der unterschiedlichen Herstellungsprozesse und Wirkstoffanteile also nicht grundsätzlich für eine Pflanze gültig, sondern nur für das eine getestete Präparat mit seinem individuellen Extrakt. Folglich können Präparate von unterschiedlichen Herstellern, die aus der gleichen Stammpflanze bestehen, selten gegeneinander ausgetauscht werden. Im Folgenden zeigt eine Tabelle einige Präparate der rationalen Phytotherapie mit hohem Evidenzgrad.

*Bitte beachten: Phytotherapeutika sind Arzneimittel, die ebenso Wirkstoffe enthalten, wie synthetisch hergestellte Präparate. Daher kann es bei der Einnahme zu Wechsel- und Nebenwirkungen kommen. Diese Auflistung an Medikamenten dient nicht als Anleitung zur Selbsttherapie, sondern dazu, sich einen besseren Überblick über das breite Angebot an Phytotherapeutika zu verschaffen. Neue Medikamente sollten nicht ohne Rücksprache mit dem Arzt oder Apotheker eingenommen werden.

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Tabelle einiger Präparate der rationalen Phytotherapie mit hohem Evidenzgrad zum Download
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Legende der Fachtermini zur Tabelle:


antiphlogistisch

entzündungshemmend

antiviral

gegen Viren wirkend

antibakteriell

gegen Bakterien wirkend

zytoprotektiv

zellschützend

sekretomotorisch

den Abtransport von zähem Schleim verstärkend

sekretolytisch

die Bildung von dünnflüssigem Schleim anregend

broncho-spasmolytisch

wirkt entkrampfend auf die Bronchialmuskulatur

uteral

die Gebärmutter betreffend

neuroprotektiv

Nervenzellen und Nervenfasern werden vor dem Absterben bewahrt

synaptosomal

in Synapsen auftretende Vesikel betreffend

synaptische Plastizität

Fähigkeit von Synapsen, je nach Abhängigkeit ihrer Aktivität sich umzubauen. Sie dient dazu, die Funktion des Nervensystems zu erhalten, anzupassen und gegebenenfalls zu erweitern

Neurotransmission

die Kommunikation über Botenstoffe im Nervensystem

carminativ

blähungstreibend, sodass der Abgang von Darmgasen erleichtert wird

motilitätsregulierend

wirkt unterstützend bei Magen-Darm-Beschwerden, die auf unstimmige Bewegungsabläufe der Magen-Darm-Muskulatur und Störungen des enterischen Nervensystems („Bauchhirn“) zurückzuführen sind

antiemetisch

gegen Übelkeit wirkend

cholagog

gallentreibend

choleretisch

den Gallenfluss fördernd

hepatoprotektiv

die Leber schützend

spasmolytisch

entkrampfend

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Unterschiedlich verdrahtet

Bereits während der Schwangerschaft entwickelt sich das Gehirn von Jungen und Mädchen verschieden. Der „kleine biologische Unterschied“ geht weit über die primären Geschlechtsmerkmale hinaus. In der schrillen Diskussion um die Unterschiedlichkeit von Männern und Frauen ist häufig von dem lediglich „kleinen biologischen Unterschied“ die Rede, womit die primären Geschlechtsmerkmale gemeint sind. Ein genauer Blick in den menschlichen Körper jedoch widerlegt diese Behauptung. Die Biologie geht weit über diesen „kleinen Unterscheid“ hinaus: Alle Körperzellen eines Mannes sind mit XY (männlich) markiert, alle weiblichen dagegen mit XX (weiblich), auch wenn dies nicht direkt sichtbar ist.[1] Auch das Hormonsystem unterscheidet sich radikal voneinander. Insbesondere das Gehirn ist in Bezug auf das Geschlecht kein unbeschriebenes Blatt, welches „nur“ durch Erziehung und andere Einflüsse geschlechtsspezifisch geformt wird. Im Gegenteil: Ein Baby kommt bereits mit einem typisch männlichen oder weiblichen Gehirn zur Welt.

Drei Pubertäts-Phasen

Bereits in der Embryonalentwicklung werden geschlechtsspezifische Hormone – angetrieben von der DNA – tätig. Sie bewirken im Jungen die Anlage von Hoden und durch diese die Produktion von Testosteron. Infolge des Testosterons kommt es nun in zwei Schüben zu einer typisch männlichen Ausprägung des Gehirns: in der 10.–24. Schwangerschaftswoche sowie ab ca. der Mitte der Schwangerschaft bis zum sechsten Lebensmonat.[2] In diesen Phasen kommt es zu einem stark erhöhten Testosteronspiegel (zum Teil 15-fache Testosteronkonzentration im Serum im Vergleich zu gleichaltrigen Mädchen).[3] Diese Hormon-Peaks führen dazu, dass – neben vielen anderen Strukturen – sich auch das Gehirn auf geschlechtsspezifische, männliche Weise formt. Bei den Mädchen führt die Abwesenheit des hohen Testosteronspiegels in diesen sensiblen Entwicklungsphasen dazu, dass sich ihr Gehirn klassisch weiblich entwickelt. Zu diesem Zeitpunkt hat noch keinerlei Erziehung in diesen Prozess hineingewirkt. Das Gehirn von Mädchen hat ausgeprägtere Areale für Gesichtserkennung (Gyrus fusiformis), was zu einer Vorliebe für Spielzeuge mit Gesichtern führt – auch Puppen genannt. Das Gehirn von Jungen ist durch eine Vereinseitigung (Lateralisierung) der Gehirnhälften gekennzeichnet, welche dazu führt, dass räumlich-visuelle Fähigkeiten stärker ausgeprägt sind. Dies führt dazu, dass bewegte Gegenstände, wie zum Beispiel Spielautos, rasch ihre Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Mit anderen Worten: Jungen spielen bevorzugt mit Autos und Mädchen mit Puppen, weil ihr Gehirn so verschaltet wurde und nicht etwa, weil ihre Eltern ihnen diese Spielzeuge aufdrängen oder bevorzugt anbieten. Die dritte „klassische“ Pubertät schließlich, die in der Lebensphase von 9–14 Jahren verortet wird, geht mit großen Veränderungen des Gehirns (vor allem des Präfrontalhirns) einher, welche mit Entscheidungen, Begründungen, Planung, Impulskontrolle, Verständnis von Langzeitentscheidungen und ähnlichen Funktionen zusammenhängen.[4]

Wie groß ist der Unterschied?

In der Diskussion um die neurologischen Unterschiede von Männern und Frauen werden häufig Ausnahmen als Gegenbeweis zur Geschlechtsspezifität des Gehirns herangezogen. Die neurowissenschaftliche Untersuchung der unterschiedlichen Verdrahtung zielt jedoch – wie sonst auch in der wissenschaftlichen Vorgehensweise – auf eine statistische Mittelung von Männern und Frauen ab.[5] Der durchschnittliche Mann unterscheidet sich also signifikant von der durchschnittlichen Frau – auch in neurowissenschaftlicher Hinsicht.[6] Ausnahmen widerlegen diese Tatsache nicht, sondern sind vielmehr aus statistischer Sicht zu erwarten. Im Durchschnitt ist das Gehirn des Mannes 11 % größer im Vergleich zum Gehirn der Frau und unterscheidet sich anatomisch insbesondere in den Hirnregionen der Amygdala (sogenanntes Furchtzentrum), dem Hippocampus, der Inselregion sowie einigen Teilen des Frontallappens. Ein Bereich des Gehirns ist dabei in seinem anatomischen Aufbau in der Hirnforschung schon früh als besonders geschlechtstypisch aufgefallen: der Hypothalamus. Diese kleine Hirnregion unterscheidet sich besonders stark bei Männern und Frauen. Makroanatomisch sichtbar wird der Unterschied anhand eines bestimmten Kerns (Ansammlung von Hirnzellkörpern) innerhalb des Hypothalamus: der geschlechtsdimorphe Kern (SDN).[7] Frauen haben weniger Nervenzellen sowie ein geringeres Volumen pro Zelle, Männer dagegen haben sowohl mehr Zellen als auch ein größeres Volumen pro Zelle in diesem Kerngebiet.[8] Das Volumen des SDN ist bei Männern ungefähr doppelt so groß. Die unterschiedliche anatomische Struktur des Hypothalamus spiegelt eine geschlechtsspezifische Funktionsweise wider, die unter anderem Folgende Aspekte umfasst: Regulation von Tag- und Nachtrhythmus, Hunger- und Durstgefühl, Blutdruckregulation, sexuelle Erregung.[9]

Emotionales Verarbeiten

Nicht nur die Neuroanatomie unterscheidet sich – auch die Funktionsweise bestimmter Hirnareale arbeitet anders. Ein eindrückliches Beispiel hierfür ist das sogenannte Furchtzentrum – die paarig angelegte Amygdala. So verfügen Männer über ein größeres relatives Volumen der Amygdala, während Frauen ein größeres relatives Volumen in paralimbischen Kortexbereichen aufweisen.[10] Die unterschiedlichen Volumina repräsentieren eine verschiedenartige Verdrahtung der emotionalen Schleifen. Erinnert sich beispielsweise eine Frau an zurückliegende emotionale Inhalte (zum Beispiel einen Streit), so wird nach vorgeschalteten Stationen schließlich verstärkt die linke Amygdala aktiviert, welche genaue Details aus dem Gedächtnis abruft. Mit anderen Worten: Frauen können häufig sehr genaue Details eines emotional gefärbten Gedächtnisinhalts wiedergeben. Bei Männern dagegen wird vor allem die rechte Amygdala aktiviert, was dazu führt, dass nur die Hauptmerkmale eines emotionalen Ereignisses abgerufen werden, nicht jedoch genaue Details.[11] Das Erinnern von emotionalem Erleben und Verarbeiten ist beispielhaft für den Umgang mit Emotionen insgesamt. Frauen und Männer verarbeiten sie auf unterschiedliche Weise. Hier wird der Grund dafür liegen, dass Frauen häufiger unter Depressionen oder Angststörungen leiden, Männer dagegen haben häufiger Schizophrenie.

Stressreaktion

Männer und Frauen reagieren neuropathophysiologisch völlig gegensätzlich auf anhaltenden körperlichen oder psychischen Stress. Während der Mann Nervenzellen im Hippocampus (einer Hirnregion, die für Emotionen und Gedächtnisverarbeitung wichtig ist) abbaut, ändert sich die Anzahl und Verbindung der Nervenzellen bei den Frauen kaum.[12] Zugleich bewirkt Stress bei Frauen einen Anstieg nicht nur von Cortisol, sondern auch von Östrogen. Dies scheint zu einer Reduktion des Botenstoffs Serotonin zu führen[13] und depressive Symptome zu fördern. Männer hingegen neigen unter anhaltendem Stress zu vermehrten risikoreichen Verhaltensweisen.[14] Außerdem reagieren Männer auf Stress öfter mit somatischen Beschwerden wie Übergewicht, hohem Blutdruck, erhöhten Cholesterinwerten und dadurch begünstigten Herz- und Kreislauferkrankungen, insbesondere Herzinfarkten und Schlaganfällen.

Sprachbegabung

Erleiden Frauen einen Schlaganfall in einem Bereich, der Sprache verarbeitet, so sind die Defizite weniger stark ausgeprägt als bei Männern mit einem vergleichbaren Schlaganfall. Zudem erholen sie sich rascher als Männer. Dies hängt mit einer besonderen Verschaltung des weiblichen Gehirns zusammen. Es verfügt sowohl über insgesamt mehr Neuronen (Nervenzellen) als auch über eine stärkere Verdrahtung der beiden Hirnhälften, als es beim männlichen Gehirn der Fall ist. Die Folge ist, dass neugeborene Mädchen rascher und intensiver auf Stimmen reagieren. Sie fangen im Durchschnitt einen Monat früher an zu sprechen und verfügen im Kleinkindalter über einen zwei- bis dreimal so großen Wortschatz wie Jungen. Auch der Redeanteil ist deutlich erhöht. Entscheidend für die Sprachentwicklung ist die Mutter-Kind-Interaktion in den ersten Jahren.[15] Kommt es zum Beispiel durch eine fehlende feste Bezugsperson (in der Regel die Mutter) oder andere Stressfaktoren zu Störungen in dieser sensiblen Phase, so sind es aufgrund der oben genannten Hirnverschaltungen meistens die Jungen, die zuerst und ausgeprägtere Defizite in der Sprachentwicklung erkennen lassen. Nicht zuletzt das Masken-Tragen von Erwachsenen hat zu einer massiven Verlangsamung und Behinderung des Spracherwerbs beigetragen – allen voran bei Jungen.[16] Auch im Erwachsenenalter dominieren die Frauen im Bereich der Sprache – sie übertreffen die Männer im Wortschatz, im Leseverständnis, in der Sprachproduktion und -geschwindigkeit sowie im verbalen Gedächtnis.

Räumlich-mathematisches Verständnis

In räumlich-mathematischen Aufgaben ist der Mann in der Regel der Frau überlegen. Dies betrifft die räumliche Wahrnehmung, die räumliche Visualisierung, die Rotation von Gegenständen in Gedanken[17] sowie den Bereich höherer Mathematik. Vermutlich liegt es daran, dass das männliche Gehirn eine andere Art hat, die Nervenzellen miteinander zu verbinden. Zum einen hat es – obzwar weniger Nervenzellen – mehr Verbindungen zwischen den einzelnen Nervenzellen. Zum anderen sind diese Verbindungen (Synapsen) stärker regional und innerhalb einer Hirnhälfte anzutreffen als bei der Frau.

Fazit

Gott schuf den Menschen als Mann und als Frau (vergleiche 1. Mose 1,27) – geschlechtsspezifisch mit unterschiedlichen Begabungen und Stärken. Diese erleichtern es uns häufig, die Rolle auszufüllen, die der Schöpfer in der Bibel jeweils spezifisch Männern und spezifisch Frauen zuweist (vergleiche unter anderem Titus 2). Seit dem Sündenfall wird Gottes perfekt konzipiertes Gehirn nun von Verhaltensweisen durchdrungen, die nicht seinem Willen entsprechen. Von uns aus wollen wir lieber unsere eigenen Wünsche befriedigen, statt Gottes Willen für unsere Aufgaben als Mann oder Frau zu bejahen. Doch Gott kann uns samt unserer Hirnverschaltung verändern! Wir sind nicht dazu verdammt, unsere selbstsüchtige Neigung auszuleben. Unser Gehirn ist plastisch und anpassungsfähig. Wir dürfen es von demjenigen prägen und umformen lassen, der uns designt hat und daher wirklich weiß, welche Ziele sich mit dem Wunderwerk des Gehirns umsetzen lassen, damit Er geehrt wird!

 

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Quellen-Nachweis

[1] Dies führt nicht „nur“ zu den unterschiedlichen Ausprägungen der Keimbahnen, sondern umfasst jeden Bereich des Körpers, beispielhaft sei hier das Immunsystem genannt, vgl. hierzu Diab-Elschahawi, Magda et al: Gibt es Geschlechterunterschiede bei Infektionen? In: Krankenhaushygiene up2date 8. 2013. S. 101 ff. DOI: 10.1055/s-0033-1344235
[2] Vgl. Bakker, Julia: The role of steroid hormones in the sexual differentiation of the human brain. Journal of Neuroendocrinology. 2021. DOI: 10.1111/jne.13050
[3] Vgl. Lautenbacher, Stefan; Güntürkün, Onur; Hausmann, Markus (Hrsg.): Gehirn und Geschlecht. Neurowissenschaft des kleinen Unterschieds zwischen Frau und Mann. Springer. 2007. S. 5; 35f.; 56.
Vgl. außerdem: Lobardo, Michael V. et al.: Fetal Testosterone Influences Sexually Dimorphic Gray Matter in the Human Brain. 2012. DOI: 10.1523/JNEUROSCI.4389-11.2012. Vgl. Knickmeyer, Rebecca Christine et al.: Fetal testosterone and sex differences. 2006. DOI: 10.1016/j.earlhumdev.2006.09.014. Vgl. Marco Hirnstein, Kenneth Hugdahl & Markus Hausmann: Cognitive sex differences and hemispheric asymmetry: A critical review of 40 years of research, Laterality: Asymmetries of Body, Brain and Cognition. 24:2, 204-252, 2019. S. 209. DOI: 10.1080/1357650X.2018.1497044.
[4] Vgl. dazu die ausgewiesene Expertin für Phänomene von Transsexualität bei Jugendlichen Dr. C. Vonholdt: https://www.christl-r-vonholdt.de/english/transgender-issues-in-children-and-adolescents/#more-505 (zuletzt abgerufen am 26.09.2022)
[5] Wobei durch Bildung gleicher Vergleichspaare möglichst viele weitere Bias (Fehlerquellen) wie Alter, Erkrankungen, IQ etc. minimiert werden.
[6] Vgl. u. a. Nostro, Alessandra D. et al.: Correlations Between Personality and Brain Structure: A Crucial Role of Gender. Cerebral Cortex; 27: 3698–3712. 2017. DOI: 10.1093/cercor/bhw191.
[7] SDN-POA: sexually dimorphic nucleus of the preoptic area.
[8] Vgl. Swaab DF, Hofman MA: Sexual differentiation of the human hypothalamus in relation to gender and sexual orientation. Trends Neurosci. Jun;18(6):264-70. 1995. PMID: 7571001.
[9] Vgl. McEwen, Bruce S. et al.: Understanding the Broad Influence of Sex Hormones and Sex Differences in the Brain. Review. Journal of Neuroscience Research 95:24–39. 2017. DOI: 10.1002/jnr.23809
[10] Vgl. Spreng, Manfred: Adam und Eva – Die unüberbrückbaren neurophysiologischen Unterschiede. In: Vergewaltigung der menschlichen Identität. Über die Irrtümer der Gender-Ideologie. Logos Editions. 7. Auflage. 2015. S. 42.
[11] Vgl. Lautenbacher et al. 2009. S. 95. (vgl. Fn. 2)
[12] Vgl. Marrocco J. et al.: Sex in the brain: hormones and sex differences, Dialogues in Clinical Neuroscience, 18:4, 373-383. 2016. DOI: 10.31887/DCNS.2016.18.4/jmarrocco
[13] Vgl. Bethea C. L. et al.: Ovarian steroid action in the serotonin neural system of macaques. Novartis Found Symp. 230:112-30; discussion 130-3. 2000. DOI: 10.1002/0470870818.ch9.
[14] Vgl. Barel E. et al.: Sex Hormone/Cortisol Ratios Differentially Modulate Risk-Taking in Men and Women. Evol Psychol. Jan;15(1):1474704917697333. 2017. DOI: 10.1177/1474704917697333.
[15] Luby et al.: Maternal support in early childhood predicts larger hippocampal volumes at school age. 109 (8) 2854-2859. 2012. DOI: 10.1073/pnas.1118003109
[16] Vgl. https://www.gov.uk/government/publications/education-recovery-in-early-years-providers-spring-2022/education-recovery-in-early-years-providers-spring-2022 (abgerufen am 21.09.2022)
[17] S. unter anderem Hodgetts, S. et al.: Sex/Gender Differences in Brain. Lateralisation and Connectivity. Behav Neurosci 62: 71-100. 2023. DOI: 10.1007/7854_2022_303

Foto von Adi Goldstein auf Unsplash